Vom Nachttisch geräumt

Von wegen "sprechende Augen"

Von Arno Widmann
23.10.2017. Der Fotograf Peter Badge besuchte Nobelpreisträger auf der ganzen Welt und suchte das Innere in ihrem Äußeren. Doch so leicht ist Professor Higgs (Foto) nicht zu fassen.
"Nobel Heroes" heißen die beiden dicken Bände. Das ist eine mir leider ganz und gar verschlossene Humorabteilung. Der Fotograf Peter Badge hat Nobelpreisträger fotografiert. Mal im Schaukelstuhl, mal nachdenklich mit der Hand an der Wange oder auch mit Turnschuhen in der Landschaft. Immer schwarz/weiß und fast immer weiße Männer jenseits der besten Jahre. Wim Wenders hat ein Nachwort beigesteuert, das ihm in einer Geistesabsenz passiert sein muss. Er schreibt, wir sollten uns in die Landschaften dieser Gesichter vertiefen, ohne daran zu denken, dass es die Gesichter von Nobelpreisträgern sind. Wer das tut, dem drängt sich ein einziger Eindruck auf: Nobelpreisträger sind - mit den oben genannten Einschränkungen - Menschen wie Du und ich. Sie unterscheiden sich nicht von uns. Der eine oder andere hat ein Gesicht, ein sehr charakteristisches, die anderen aber sind hineingewachsen ins Allgemeine, bei dem dann auch oft - wenn das Alter zugepackt hat - sogar der Geschlechtsunterschied, der doch so lange so wichtig ist, kaum noch zu erkennen ist.

Wenders meint dann, man käme bei der Betrachtung der Porträts immer wieder zurück auf die Augen. Das mag er tun, aber nichts an diesen Aufnahmen, die in den meisten Fällen eher Schnappschüsse - kein Wort gegen sie - als Porträts sind, zwingt einen, auf die Augen zu achten. Bis auf die Tatsache, dass die meisten der Fotografierten in die Kamera, also auf den Betrachter der Fotos, sehen. Wer einen so anguckt, den guckt man auch an. Wenders fügt dann noch hinzu, die Augen seien die Schlüssel zu allem, die Türen zu einer geheim gehaltenen Identität. Das ist keine Beobachtung, sondern ein Topos. Eine Sache für Literaturwissenschaftler. Nicht die Feststellung einer Tatsache. Man sieht nichts, wenn man jemandem in die Augen blickt. Schon gar nicht seine Identität.


Die Nobelpreisträger Malala Yousafzai (Frieden) und Wole Soyinka (Literatur). Fotos: Peter Badge

Zurück zu den Fotos. Der Verlag schreibt: "Im Jahr 2000 begann Peter Badge (1974 in Hamburg geboren) in einem Langzeitprojekt nacheinander alle lebenden Nobelpreisträger zu fotografieren - ins Leben gerufen durch ein Konsortium internationaler Auftraggeber wie der Lindauer Nobelpreisträger Tagung, der Smithsonian Institution, sowie der National Portrait Gallery in Washington D.C., des Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik und der Klaus Tschira Stiftung. Das Projekt führte Badge rund um die Welt, in die Heimat der Preisträger, in ihre Labore und Arbeitsstätten, ihr Zuhause und sogar ihre Urlaubsziele."

Herausgekommen sind 856 Seiten mit 395 Abbildungen in zwei dicken Leinenbänden, die in einem superstabilen Schuber geliefert werden. Ich kenne bestimmt ein Dutzend Leute, die mit Sicherheit bessere Fotos gemacht hätten als die hier gezeigten. Ich gehöre übrigens nicht dazu. Sämtliche lebende Nobelpreisträger zu fotografieren ist eine reizvolle Aufgabe für Menschen, die daran glauben, dass das Innere sich im Äußeren zeigt. Vielleicht auch reizvoll für die, die gerade nicht daran glauben. Aber einfach durch die arte povera der eigenen Fotografie vorzuführen, dass das Innere sich eben nicht ausdrückt, sondern seine eigenen Wege geht, ist hübsch für zehn, zwanzig Abbildungen, aber auf einer Strecke von fast 400 Aufnahmen nutzt sich das Interesse daran schnell ab.

Den Fotos ist eine Seite gegenübergestellt, auf denen etwas über die Fotografierten steht. Aber selten mehr als drei oder vier Zeilen. Jeder Layouter wird das verstehen. Das Weiß gegenüber der schwarz/weißen Seite mit dem Foto macht sich einfach besser als Text. Nur, was sollen Sätze, die nichts sagen, als dass zum Beispiel Maurice Allais 1988 den Wirtschafts-, Günter Grass 1999 den Literatur- und Robert W. Wilson 1978 den Physiknobelpreis erhielt. Wenn da sich schon einer aufgemacht hat und alle lebenden Nobelpreisträger besuchte, wüsste man doch gerne mehr als das und noch ein paar Worte aus der Verleihungsurkunde. Wer das mag, kann es versuchen in "Geniale Begegnungen - Weltreise zu Nobelpreisträgern" von Peter Badge und Sandra Zarrinbal. Das Buch erschien 2015 bei DAAB MEDIA GMBH, 576 Seiten, viele s/w und farbige Fotos.

Wieder so ein bescheuertes Wortspiel. In dem ganzen Buch gibt es keine einzige geniale Begegnung. Selbst wenn jeder Nobelpreisträger ein Genie wäre und Badge wäre es auch, wäre damit noch lange nicht garantiert, dass auch deren Begegnungen "genial" wären. Die meisten Nobelpreisträger, behaupte ich jetzt einfach einmal, sind keine Genies. Und Badge mag es in irgendetwas sein, als Autor ist er es so wenig wie als Fotograf. Was hätte man für ein selbstironisches Stück schreiben können über einen Nobelpreisträgerfotografen, der vom Literaturnobelpreisträger Dario Fo an der Nase herum geführt oder - drücken wir es Deutsch aus - verarscht wurde. Stattdessen nimmt der Fotograf sich ernst und ist beleidigt.

Rührend. Es ist auch sehr komisch, wenn Badge sich im Taxi auf dem Weg zum DNS-Mitentdecker James D. Watson fragt, ob der tatsächlich eine so schillernde Figur sei, wie man von ihm sagt. Denn mehr als eine Stunde Zeit würde er ja wohl nicht mit dem Mann verbringen. Dann wird alles anders. Watson lädt ihn zu sich nach Hause ein und Badge stößt auf dessen schizophrenen Sohn und dann ganz am Ende noch ein paar Sätze über Watsons Ansichten über die mangelnde Intelligenz von Schwarzen. So bewaffnet blickt man auf die von Badge abgebildeten Nobelpreisträger noch einmal mit anderen Augen.

Peter Badge: Nobel Heroes, Steidl-Verlag, Göttingen 2017, Englisch, 856 Seiten, 395 Abbildungen, Leineneinband im Schuber, 125 Euro.