Vom Nachttisch geräumt

Erfolgsrezept: hässlich, dumm, unnütz

Von Arno Widmann
18.12.2017. Katapultiert einen in die Abgründe der Kindheit zurück: Über die Ästhetik der Bunten, wo man nie zu prominent oder zu schön sein durfte.
Die Bunte wird 2018 siebzig Jahre alt. Jedenfalls könnte der Eindruck entstehen beim Blick auf den gerade im Prestel-Verlag erschienenen Bildband "Bunte - Republik Deutschland". Über dem Titel ein goldener Sticker mit dem schwarzen Aufdruck: "70 Jahre in bester Gesellschaft". Wikipedia sieht das anders: "Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beauftragten die französischen Behörden Franz Burda, eine illustrierte Zeitschrift zu konzipieren. Daraufhin brachte er 1948 die erste Ausgabe unter dem Namen Das Ufer auf den Markt. Wurde der redaktionelle Teil zunächst von den französischen Behörden bereitgestellt, entstand Anfang der 1950er Jahre eine unabhängige Redaktion. Die Zeitschrift berichtete von Beginn an über verschiedenste gesellschaftliche Ereignisse.1953 wurde anlässlich der Krönung von Elisabeth II. eine Sonderausgabe in einer Auflage von 100.000 Exemplaren produziert. Die Bildrechte hatte Franz Burda zuvor (gegen den Willen seiner Familie) auf Kredit gekauft.

1954 wurde Das Ufer in Bunte Illustrierte umbenannt. Großformatige Fotostrecken in der Mitte des Blattes, die bereits in Farbe gedruckt waren, bildeten ein wesentliches Element. In den 1950er und 1960er Jahren entwickelte sich die Bunte zu einer der vertriebsstärksten deutschen Publikumszeitschriften. Bei der Expansion des Blattes spielten auch Zukäufe eine Rolle: 1958 wurde die Deutsche Illustrierte übernommen. 1960 kam die Münchner Illustrierte mit einer Auflage von rund 500.000 Exemplaren hinzu, sodass die Bunte Münchner Illustrierte Anfang 1961 erstmals die Millionengrenze überschritt. Zusätzlich erwarb der Verlag 1963 die traditionsreiche Frankfurter Illustrierte, die ebenfalls mit der Bunten zusammengeführt wurde. Fortan hieß das Blatt Bunte Münchner Frankfurter Illustrierte.

Im Juli 1972 erschien die Bunte Illustrierte erstmals unter dem kurzen Namen Bunte. Das Blatt wurde in den folgenden Jahren vor allem durch Hubert Burda geprägt. Die Bunte avancierte Mitte der 1970er Jahre zur meistverkauften Illustrierten Deutschlands." Heute hat Bunte eine Auflage von etwa 470 000 Exemplaren. Ich muss das so ausführlich zitieren, weil fast nichts davon in dem Prestel-Band steht. Dabei ist einem, wenn man hört, dass Ufer einmal ein Zeitschriftentitel war, klar, dass zwischen 1948 und 2017 ganze Ozeane liegen. Vielleicht bedeutete Ufer damals so viel wie "Angekommen", "Daheim". 1948 ein Traum. Ich möchte nie mehr hören "Doppelnamen" seien eine der höchst kompromisslerischen Errungenschaften des Feminismus der 70er Jahre. Immerhin gab es schon lange davor eine Paula Modersohn Becker! und nun gar: Bunte Münchner Frankfurter Illustrierte! Damals hatte die Marketing-Abteilung bei Verträgen offenbar noch nichts zu sagen.



Ich bin sicher, jeder wird auf irgendetwas stoßen, das ihn an irgendetwas in seiner Jugend erinnert. Mir fielen nur zwei Dinge auf. Einmal die Homestory bei CDU-Innenminister Gerhard Schröder (1910-1989), der im November 1957 zu sehen ist, wie er seinem dreizehnjährigen Sohn Jan - der wurde Rechtshistoriker in Tübingen - aus Bismarcks Memoiren den Anfang des berühmten ersten Satz vorliest: "Als normales Produkt unsres staatlichen Unterrichts verließ ich 1832 die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Überzeugung, dass die Republik die vernünftigste Staatsform sei..." Das Foto dazu zeigt Papa Schröder aber versenkt in eine Seite in der zweiten Hälfte des Bandes. Ein Fake also. Aber ich freute mich natürlich über das Bismarck-Zitat. Ich glaube definitiv nicht an die Langzeitwirkung der sogenannten Schulbildung. Da kommt mir Bismarcks Ironie gerade recht.

Am schnellsten katapultierte mich freilich eine Aufnahme aus dem Jahre 1950 in die Abgründe meiner Kindheit zurück. Theodor Heuss mit Gattin und Sohn im Urlaub. Heuss noch schlank. Der Sohn dagegen schon sehr breit aufgestellt. Kurze Hose, kurzärmeliges Hemd in die Hose gezwängt, Schuhe, weiße Socken und 40 Jahre alt. Ein erwachsener Mann in der Kleidung eines Schulbuben. Heinz Erhardt war nicht allein.

Ernst Ludwig Heuss (1910-1967) hatte im Widerstand gegen Hitler gekämpft und war nach dem Krieg Unternehmer geworden. Der Erfolg der Elmex-Zahnpasta geht, so Wikipedia, wohl auch auf sein Konto. Seine Mutter Ely Heuss-Knapp, auf dem Foto das Inbild eines biederen Hausmütterchens, war auch ganz anders: Während der Nazizeit ernährte sie die Familie. Wikipedia schreibt: "Sie revolutionierte die Radiowerbung, die bis dahin nur aus dem Ablesen von Zeitungsanzeigen bestand, und gilt als Erfinderin des Jingles als akustisches Warenzeichen eines Unternehmens. Diese Idee ließ sich Heuss-Knapp patentieren." Sie arbeitete in der Firma Wybert, in der dann auch ihr Sohn arbeitete. Die gehörte ihrem Cousin Hermann Geiger. Es heißt oft, ein Bild sage mehr als 1000 Worte. Das stimmt. Aber Bilder können ebenso lügen wie Worte. Der Bub auf dem Foto ist keiner, sondern ein Widerstandskämpfer. Ely Heuss-Knapp war kein Muttchen, sondern eine moderne Frau.



Vielleicht hat die Herausgeberin der Bunten, Patricia Riekel, dem Band darum einen kleinen Artikel vorangestellt, der an ihrer Zeitschrift rühmt, sie verstehe sich auf "Die Kunst, Geschichten zu erzählen". Ich weiß nicht, ob das heute stimmt, ob das am Anfang stimmte oder Mitte der siebziger Jahre. Keine Ahnung. Leider erlaubt der bei Prestel erschienene Band dem Leser nicht eine Überprüfung dieser Behauptung. Hier werden lediglich die Fotos ausgebreitet. Dazwischen einige wenige neue Textbeiträge. Keine einzige der Bunte-Geschichten wird wieder erzählt. Da darf man sich nicht wundern, wenn das Selbstbild und der Eindruck der anderen so weit auseinander klaffen. Niemand, der seine 1300 Gramm Gehirnmasse nutzt, kommt beim Betrachten dieses Bandes auf die Idee, die Beate Wedekind in ihrem Beitrag dem Besitzer der Zeitschrift Hubert Burda in den Mund legt, die Bunte beschäftige sich mit der global agierenden Elite. All die großen und kleinen Adligen, die Models und Fußballspieler mögen prominent sein, manche weil sie etwas getan haben, die meisten weil sie von der Bunten für prominent erklärt wurden. So sieht es aus, wenn man diesen Band betrachtet. Elite, also Leute, die unser Land prägen, sind hier nur Randerscheinungen.

Die Reichen und die Schönen also? Auch nicht wirklich. Zur Ästhetik der Bunten, das zeigen die Fotos dieses opulent ausgestatteten Bandes, gehört, dass sehr darauf geachtet wird, dass die Schönheit der Schönen dem Betrachter nicht den Atem raubt. Es wäre eine reizvolle Sache, die Bunte und ihre Vorgänger zu nutzen, um einen ästhetischen Blick auf die "Republik Deutschland" zu werfen. Ohne dabei zu vergessen, dass es die meiste Zeit nur die BRD war, auf die die Bunte blickte. Dieses Buch ist hässlich, dumm und unnütz. Vielleicht ist die Bunte das auch. Das wäre dann das Geheimnis ihres Erfolges. Frank Schirrmacher sagte einmal, niemals habe er sich vorstellen können, dass ein Friseur zu einer der zentralen Figuren der Berliner Republik werden würde. Er hätte die Bunte ernst nehmen sollen.

Patricia Riekel: Bunte - Republik Deutschland, Prestel, München 2017, 336 Seiten mit sicher mehr als 1000 Fotos, 39,95 Euro.