Außer Atem: Das Berlinale Blog

Ballett der Blickkontakte: "Roter Himmel" von Christian Petzold (Wettbewerb)

Von Patrick Holzapfel
22.02.2023.

So durfte sich Editorin Bettina Böhler selten austoben bei einem Film von Christian Petzold. Selbst bei den kürzesten Wegen der Figuren durch das etwas marode, aber charmante Ferienhaus an der Ostsee, in das sich Schriftsteller Leon (Thomas Schubert) und der angehende Fotograf Felix (Langston Uibel) eigentlich zum Arbeiten zurückziehen wollen, folgen fast im Sekundentakt Schnitte, die das Geschehen dynamisieren und eine Art virtuoses Ballett der Blickkontakte erzeugen. Bilder, die man stehen lassen könnte, werden geradezu weggewischt. Wer immer noch behauptet, dass Petzold der gleichen "Schule" wie beispielsweise Angela Schanelec angehört, war lange nicht im Kino. "Roter Himmel", der zweite Teil einer mit "Undine" begonnen Liebestrilogie, offenbart einen Filmemacher auf der mal erfrischenden, mal verkrampften Suche nach Leichtigkeit.   

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Dabei verlaufen drei Fäden im Film, die sich nicht immer verbinden, manchmal sogar verheddern, aber stets von einer großen Lust am Erzählkino und dessen Möglichkeiten berichten. Zum einen gibt es da, das ist in dieser Konsequenz durchaus neu bei Petzold, komödiantische Elemente, denn der egozentrische Leon tappt mit seinen Neurosen und seiner naiven Selbstisolierung in so manches Fettnäpfchen, auch weil er die Welt um sich beständig fehlinterpretiert. So hält er Nadja (Paula Beer, die Petzold seinem hauseigenen Fetisch entsprechend gern auf dem Fahrrad zeigt), die unerwartet ebenfalls im Landhaus von Felix Mutter schläft, lange Zeit und nur basierend auf ihrem Namen für eine Russin, später wird sie dann eine Eisverkäuferin, bevor ihm schließlich klar wird, dass sie eine Literaturwissenschaftlerin ist und womöglich noch viel mehr für ihn.

Anderswo macht er sich am Telefon mit seinem Lektor (Matthias Brandt), der zu Besuch kommen möchte, darüber lustig, dass die Hotelmitarbeiterin die Uwe-Johnson-Suite amerikanisch ausspricht, übersieht aber, dass die Frau ihn hören kann. Petzold zeigt diese Diskrepanz zwischen einem Ich und seiner Umgebung - und hier findet man schon den zweiten Faden - als eine Art Lehrstück oder Moralparabel. Dabei muss die Hauptfigur Leon verstehen, dass Selbstbezogenheit weder zu privatem noch schriftstellerischen Glück führt. Der Text, an dem er arbeitet, erblüht genauso wenig wie sein Leben. Nicht nur, weil Leon wiederholt einen Tennisball gegen die Häuserwand schleudert, denkt man an das von Kubrick in der Filmgeschichte verewigte Sprichwort: "All work and no play makes Jack a dull boy". "Roter Himmel" ist in diesem didaktischen Sinne ein Märchen ohne übernatürliche Wesen.


Es ist nur so, dass die Figuren dadurch teilweise zu reinen Ideen werden, das heißt Nadja erscheint eigentlich wie die Liebe selbst und ihr eigenes Interesse für Leon ist kaum verständlich. Aber Petzold ist ein Romantiker, nicht umsonst bezieht er sich in "Roter Himmel" auf Heinrich Heine und vor allem dessen "Romanzero", ein Gedichtband, dem er sich durchaus auch didaktisch verpflichtet zu fühlen scheint. Die Metapher ist dabei überdeutlich. Die auch in der wirklichen Welt vergangenen Sommer wütenden Waldbrände in Ostdeutschland stehen für die brennende Welt, die immer näherrückt, während die Figuren zwischen quasi französischer Komödie und ehrgeizigen Karriereplänen vergessen, auf ihre Mitmenschen Rücksicht zu nehmen.

Der dritte Faden folgt jenen magischen oder surrealen Regungen der Welt, für die sich Petzold immer interessierte. Ein plötzlicher Ascheregen, das blauglühende Meer sowie das Verschwinden und Wieder-Auftauchen von Figuren gehen über das Märchenhafte hinaus und erzeugen eine geheimnisvolle Sinnlichkeit. Obwohl man jederzeit und gerade aufgrund der wie beiläufig erscheinenden Mise-en-Scène einen Handwerker spürt, der in voller Kontrolle über seine Arbeit ist, bewirkt die Konfrontation der verschiedenen Erzählstränge manch tonales Problem. So erschöpft sich der Humor etwas und die tragischen Wendungen gegen Ende des Films sind aufgesetzt, obwohl man argumentieren könnte, dass gerade dieses plötzliche Eindringen der Wirklichkeit dem Bestreben des Films entspricht. Nur wäre es dann nicht konsequenter, die Leichtigkeit in der ersten Hälfte würde künstlicher erscheinen als die Schwere am Ende? Und kann die lockere Montage die Extreme der Ereignisse samt eines brennenden Wildschweins, Krankheit und Tod wirklich einfangen? Hinzu kommt, dass bei Petzold zunehmend die anvisierte Entspanntheit der Inszenierung zu einem Gewichtsverlust der Bilder führt. Es fällt einem schwer an die Liebe zu glauben, wenn sie keine Grundierung erfährt.

Petzold setzt ein Publikum voraus, das nicht überzeugt werden muss. Sein Filmschaffen zielt mehr und mehr auf eine Regelmäßigkeit, die sich befreit von den großen Auteurgesten und hinwendet zur reinen, ausgestellt naiven Freude am Kino.

Patrick Holzapfel

"Roter Himmel". Regie: Christian Petzold. Mit Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt u.a., Deutschland 2023, 103 Minuten. Alle Vorführtermine.