Die Buchmacher

Die Buchmacher

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
10.02.2003. In dieser Woche lesen Sie: Warum Bertelsmann so viele gute Nachrichten verbreitet. Wo es garantiert kein Happy End gibt. Wo Sie eine Aufstellung der Kulturprogramme deutscher Rundfunksender finden. Was die Vor- und Nachteile von Erstverkaufstagen sind. Wie die Verlage auf den angekündigten Krieg im Irak reagieren. Und warum die FAZ-Gruppe ihre Beteiligung an Buch Habel vorerst nicht verkaufen kann. Von Hubertus Volmer.

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Was wird aus Bertelsmann? Hermann Heckmann blickt zurück und nach vorn. Nicht allein der Niedergang der New Economy sei das Problem gewesen, "auch die beginnende Schwächeperiode der Printmedien insgesamt, die Talfahrt der Buchclubs, insbesondere des Clubs in Deutschland, das Desaster in der Musikindustrie und auch der Durchhänger der Buchverlage rissen Löcher in die Konzernkasse". Noch ein Bertelsmann-Problem: Das Tauschgeschäft mit der Investorgruppe Bruxelles Lambert: 25,1 Prozent Bertelsmann-Anteile gegen die Mehrheit an RTL. Der Haken: Bruxelles Lambert darf seine Anteile 2005 an die Börse bringen. "Wenn die Erstnotierung für Bertelsmann nicht zur Ohrfeige werden soll", müsse Vorstandschef Gunter Thielen die Finanzen des Konzern in Ordnung bringen. Kurzfristig scheint Bertelsmann auf gute Nachrichten zu setzen: "Nur jeweils kaum mehr als 24 Stunden lagen zwischen den Ankündigungen, Bertelsmann wolle in Japan mit dem dortigen Konzern Kodansha ein gemeinsames Unternehmen aufbauen, möglicherweise die Buchverlage des schlingernden AOL-Time-Warner-Konzerns übernehmen und habe überdies Interesse, die deutsche Verlagsgruppe Ullstein Heyne List von der Axel Springer AG zu schlucken" - dies sei als "Lebenszeichen und Mutsignal" gemeint gewesen. Als ähnliches Signal war möglicherweise auch die Spekulation in US-Medien gedacht, Buchchef Peter Olson könne Thielens Nachfolger werden.

Verlage könnten aus der Not eine Tugend machen und die Inhalte von Büchern ins Internet stellen, um für sich und ihre Bücher zu werben, schreibt Andrea Czepek in einem Kommentar. Als Beispiele nennt sie den Science-Fiction-Autor Cory Doctorow, Paulo Coelho und den US-Verlag Prentice Hall, der eine Reihe von Software-Handbüchern freigegeben habe, um bei Software-Entwicklern zu punkten. Diese Rechnung gehe auf, "so lange die Verleger zu Recht davon ausgehen können, dass die Leser immer noch das gedruckte Buch bevorzugen. Bei Romanen wird das noch lange der Fall bleiben". Für Fachverlage sieht Czepek allerdings einen gravierenden Nachteil: Sie müssten fürchten, "dass beispielsweise Bibliotheken massenweise ihre Zeitschriftenabonnements kündigen. Dem öffentlichen Sparzwang käme das entgegen, die Verlage aber müssen sich überlegen, wie sie sich trotz geringer Verdienstmöglichkeiten im Internet ihre wirtschaftliche Existenz sichern können."

Interview mit den Eichborn-Geschäftsführern Matthias Kierzek und Peter Wilfert. Wie Kierzek die jüngsten Probleme des Verlags kommentiere. "Es gab Ambitionen und Druck aus der Führungsmannschaft des Verlages, in den Vorstand aufzusteigen. Der Aufsichtsrat war wie ich der Meinung, dass man sich Druck nicht beugen darf. In einer Aktiengesellschaft ist für mich noch vor Kompetenz wichtig, dass Anstand und Integrität herrschen. Dieses sah ich zumindest als gefährdet an. Und so folgte der Häutungsprozess, wie ich es nüchtern nennen möchte." Programmchef Wolfgang Ferchl, Pressechefin Susanne Klein, Vertriebsleiter Andreas Horn sowie Autor und Zugpferd Walter Moers verließen den Verlag. In die Zukunft schauen die beiden Geschäftsführer sehr optimistisch. Angesprochen auf das Aktienpaket, das derzeit Teil der Achterbahn-Insolvenzmasse ist und auf das der Investor Ludwig Fresenius ein Auge geworfen haben soll, antwortet Kierzek: "Ich habe drei Jahre lang täglich gesagt, dass Eichborn unterbewertet ist, wenn es je gestimmt hat, dann jetzt. Ludwig Fresenius nimmt mit Erstaunen, aber auch Gelassenheit zur Kenntnis, dass er alle paar Tage angesprochen wird, ob er Interesse habe, seine Anteile zu veräußern. Worauf er beständig mit 'Nein' antwortet, weil er ein langfristiger Investor ist, der es nicht nötig hat, kurzfristige Gewinnchancen mitzunehmen". Wilfert sagt, Eichborn sei eine "sehr begehrte Braut". "Wegen der Mitarbeiter, der Autoren und des Portfolios und auch wegen der Arbeit, die hier bereits geleistet worden ist, was die Konsolidierung anbelangt. Vielleicht aber auch ein Stück weit, weil in der Branche einige Dinge bekannt geworden sind, die wir machen wollen. Die Begehrlichkeiten sind ziemlich intensiv."

Rainer Uebelhöde hat den Grafikdesigner Kurt Weidemann interviewt und dabei gefragt, wessen Bücher ihm in der Zeit der Massenproduktion noch gefallen. Wagenbach sei ein "Glücksfall von Tante-Emma-Laden in der Verlagslandschaft, der es durch geschickte Gestaltung und Entwicklung von Buchtypen versteht, sich mit großer Mühe und viel Intelligenz immer über Wasser zu halten". Bohlen ist für den 80-Jährigen nur ein "wirklich trauriges Symptom". Bei der Herstellung von Bücher gelte es "zuallererst, angemessene Schriften zu finden. Nicht von ungefähr heißt 'Schrift' im Englischen 'Character'. Dieser Charakter muss zu Adalbert Stifter passen oder eben zu Bert Brecht oder Tolstoj." Und dann die Gestaltung der Bücher. Nicht immer bestimmten die richtigen Leute. "Wenn ich zum Beispiel höre, welchen Einfluss zuweilen sogar Vertreter bei der gestalterischen Festlegung eines Buchumschlages haben, kommen mir ernste Zweifel. In Besprechungen wird gesagt, 'wenn da keine Titte zu sehen ist, kann ich das Buch nicht verkaufen, macht das mal geiler'. Da kann man die gestalterischen Entscheider doch nur fragen, wo sind wir denn eigentlich, wenn ihr solchen Typen ausgeliefert seit." Nun ja. Wenn das alles so stimmt, setzen sich die Vertreter offenbar nicht sehr häufig durch.

Die Liste "Best of British Young Novelists" sorgt alle zehn Jahre für eine Kontroverse, berichtet Anja Sieg. "Während sich die Kritiker vor allem darüber streiten, ob die Jury nun tatsächlich das Beste vom Besten zusammengestellt hat, was das Land an jungen Autoren zu bieten hat - der Begriff jung ist relativ, denn die obere Altersgrenze ist bei 40 Jahren angesetzt -, reiben sich Granta, Verleger und Buchhandel die Hände."

Schwerpunkt ist das Segment Recht, Wirtschaft, Steuern. Erstmals hat der buchreport für diesen Markt einen Filialatlas erstellt. "Die klassische Fachbuchhandlung mit Spezialisierung auf Recht, Wirtschaft und Steuern verschwindet zunehmend von der Bildfläche", schreibt Peggy Voigt, "drei große Fachverlage dominieren inzwischen den Markt - und nutzen den Vorteil, die eigenen Titel in der eigenen Buchhandlung platzieren zu können." Die drei Großen sind die Sack Mediengruppe (Verlag Dr. Otto Schmidt), der Carl Heymanns Verlag und schweitzer.sortiment (C.H. Beck).

Doris Dörrie findet die Buchbranche nett, aber auch lahm, hat Brit München in Erfahrung gebracht. "Man muss sich doch etwas einfallen lassen, um Bücher an den Mann zu bringen! Warum nicht eine große Hotelkette in die Pflicht nehmen, die Autoren 'Kopfkissenbücher' schreiben lässt und das finanziert. In Japan wird das gemacht. Die Bücher bekommt dann jeder Hotelgast, das ist doch eine tolle PR für Verlag und Autor."

"Die schaurigen Geschichten von Violet, Sunny und Klaus" von Lemony Snicket alias Daniel Handler sind in den USA so erfolgreich, dass die Medien schon von Amerikas Antwort auf Harry Potter reden, berichtet Anja Sieg. Die Reihe soll auf 13 Bände anwachsen, jedes Buch hat 13 Kapitel. Die ersten Sätze des ersten Buches lauten: "Wenn du gern Geschichten mit einem Happy End liest, solltest du lieber zu einem anderen Buch greifen. In diesem gibt es kein Happy End, auch keinen glücklichen Anfang und nur wenig Erfreuliches mittendrin." Hier mehr über die deutsche Übersetzung, hier über die amerikanische Reihe.

Buch.de setzt auf die Zusammenarbeit mit Thalia und damit auf eine "Multichannel"-Strategie. "Statt Unsummen für Marketing auszugeben, wirbt buch.de in den Thalia-Filialen um Kunden. Die Streuverluste sind gering, denn in die Filialen gehen Kunden, die Bücher kaufen wollen - und laut Marktforschung haben 40 Prozent der Buchkäufer schon einmal etwas im Internet bestellt." Zudem kommt buch.de über Thalia trotz geringer eigener Umsätze in den Genuss von größeren Margen, schreibt Andrea Czepek. In diesem Jahr sollen Service und Bedienfreundlichkeit der Website verbessert werden, sagt Vorstand Albert Hirsch. "Bei der Buchauswahl und den Rezensionen will buch.de verstärkt auf die Kompetenz der Thalia-Buchhändler zurückgreifen."

Der Moderator und FAZ-Redakteur Hubert Winkels sieht auch bei den öffentlich-rechtlichen Radiosendern die Tendenz, dass das Angebot an Literatursendungen eingeschränkt wird. Allerdings sei der Quotendruck noch nicht so groß wie beim Fernsehen, sagt Winkels im Interview mit Daniel Lenz. "Andererseits hat sich im normalen Dudel-Radio so viel Schrott angesammelt, dass dies teilweise noch trashiger ist als das Privatfernsehen. In jüngster Zeit hat sich gezeigt, das Hörer davon die Nase voll haben und das Kulturradio neu entdecken. Das ist auch eine Erklärung dafür, dass der Deutschlandfunk in den letzten drei, vier Jahren seine Hörerzahl glatt verdoppelt hat." Auf die Frage nach seinen Hörern sagt er: "Wir kennen unser Publikum nicht genau. Fest steht aber, dass das durchschnittliche Alter und der Bildungsstand relativ hoch sind, so dass ich häufig den pensionierten Studienrat als Hörer vor Augen habe - da muss man sich natürlich selbst korrigieren, denn das ist nicht unbedingt die glücklichste Vision, die man haben kann." Winkels moderiert die Sendung "Büchermarkt" (Deutschlandfunk). Als Beigabe zum Interview liefert der buchreport eine Aufstellung der Kulturprogramme deutscher Rundfunksender - zu viele, um sie hier aufzulisten.

Weitere Beiträge: Peggy Voigt informiert über die Verschiebungen der Marktanteile bei den Verlagsauslieferungen. Rainer Uebelhöde erklärt, wie Kulinaria-Verlage erfolgreich sind. Anja Sieg gibt einen kurzen Überblick über den amerikanischen Markt, stellt Curtis Brown vor - den "Rolls Royce unter den britischen Literaturagenten" - und schreibt über "Chick Lit" (also Frauenromane a la Bridget Jones). Dorothee Rothfuß porträtiert Binnie Kirshenbaum, deren Roman "Entscheidung in einem Fall von Liebe" im April bei dtv erscheint. David Wengenroth schreibt über die Neuverfilmung des Erich-Kästner-Klassikers "Das fliegende Klassenzimmer". Andrea Czepek würdigt Maria Carlsson, die für ihre John-Updike-Übersetzungen den Helmut-M.-Braem-Preis bekam. Und im Taschenbuchteil werden Preisentwicklung und Titelproduktion der vergangenen zehn Jahre unter die Lupe genommen.

Börsenblatt

Auf der Meinungsseite plädiert der Marketingchef des Harry-Potter-Verlags Carlsen, Klaus Kämpfe-Burghardt, für einen einheitlichen Erstverkaufstag. Es gebe zwar auch Gründe gegen ihn: "Zuerst verstopft Ware das Zwischenlager, um dann unter Termindruck im Laden aufgebaut zu werden, während die nachfragenden Kunden immer wieder auf den 'Tag X' vertröstet werden müssen." Doch wolle er auf "dieses tradierte Marketingmittel" nicht verzichten. Die Gründe: Chancengleichheit im Sortiment, die Zufriedenheit des Kunden mit seiner Buchhandlung und nicht zuletzt der Werbeeffekt. "Der Handel selbst hat hierfür ein glänzendes Beispiel gegeben: Erinnern wir uns an den 14. Oktober 2000, den Erstverkaufstag von 'Harry Potter IV'. Bereits im Vorfeld stimmten Buchhändler ihre Kunden mit ungeheurem Ideenreichtum auf das Ereignis ein und erreichten auf diese Weise nicht nur am Erstverkaufstag eine erheblich gesteigerte Kundenfrequenz in ihren Läden." Beispiele aus anderen Branchen seien die Mon-Cheri-Saison oder die Präsentation neuer Automodelle. Aber was sagt der Buchhändler dem Kunden, wenn der ihn nach dem Sinn von Erstverkaufstagen fragen sollte?

Das Börsenblatt berichtet über Unruhe in der Verlagsholding Das Bildungshaus: "Die rund 200 in Hannover tätigen Mitarbeiter fürchten, dass eine vom neuen Eigentümer Westermann angeordnete Umstrukturierung zu massivem Stellenabbau führen könnte." Der Betriebsratsvorsitzende sehe Anzeichen, dass Das Bildungshaus "kaputtgeschlagen" werden solle. Noch nicht im Heft: Das Bildungshaus zieht um.

Geschätzte 100 Millionen Euro pro Jahr setzen "Ramschgroßhändler" jährlich um, schreibt Eckart Baier. "Die abschätzige Bezeichnung Ramscher wird allerdings nicht gern gehört. 'Unter Ramsch versteht man landläufig Müll oder bestenfalls minderwertige Ware', meint Rainer Hilf, Geschäftsführer bei Panorama in Wiesbaden. 'Wir handeln mit preiswerten Restauflagen.'" Für die Verlage seien die Großantiquariate unverzichtbare Partner, "denn sie übernehmen Restauflagen, Mängelexemplare und Remittenden. Das Lager wird frei, und es entfällt das aufwendige Bearbeiten von Rücksendungen aus dem Handel." Ist das Moderne Antiquariat ein lohnendes Geschäft für die Verlage? "Ganz klar nein", sagt jedenfalls Andrea Bauer von Droemer Weltbild: "Wir mildern dadurch lediglich unsere Verluste." Für MA-Großhändler wie Rainer Hilf sieht das anders aus: "Von besonders erfolgreichen Titeln, die komplett abverkauft sind, erwirbt er beim Ursprungsverlag die Lizenz und lässt - wie viele andere MA-Firmen auch - im hauseigenen Verlag Sonderausgaben produzieren."

Trotz digitaler Flaute will die Mehrzahl der Verlage "ihren Content auch künftig digital anbieten und verwerten". Das ergab eine Umfrage des Arbeitskreises Elektronisches Publizieren. "Hohe Umsätze werden etwa mit Online-Publishing, E-Books oder Publishing on demand derzeit noch nicht erwirtschaftet. 60 Prozent der Verlage erzielen damit lediglich einen Umsatzanteil zwischen null und fünf Prozent. Mehr als die Hälfte gibt zudem zu Bedenken, dass der Break-Even-Point in diesem Geschäftsfeld noch nicht erreicht ist. Aber: In fünf Jahren erwarten 60 Prozent der Befragten Umsatzanteile von fünf bis 20 Prozent. In zehn Jahren rechnen zwei Drittel gar damit, dass sie bis zur Hälfte ihres Umsatzes mit elektronischen Produkten erwirtschaften werden." Die Studie kann hier heruntergeladen werden.

Erneut versucht der Börsenverein, durch intensive Lobbyarbeit ein Gesetz im Sinne der Buchbranche zu beeinflussen. Das geplante Urheberrechtsgesetz bedrohe "viele Verlage in ihrer Existenz", sagt Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang im Interview mit Sybille Fuhrmann. Das Gesetz setzt eine EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft um. Paragraf 52a erlaubt die Verbreitung bereits veröffentlichter Werke unter Schülern, Studenten und Wissenschaftlern ohne Genehmigung des Urhebers. Würde dieser Paragraf umgesetzt, würden Schulbuch-, Fach- und Wissenschaftsverlage "in ihren Primärabsatzmärkten massiv beschnitten. Ein juristischer Verlag, der jetzt vielleicht noch eine Netzwerklizenz für eine CD-ROM für 50 Arbeitsplätze verkauft, könnte in Zukunft vielleicht noch eine Lizenz für drei Netzwerkplätze verkaufen. (...) Oder ein Bundesland könnte ein Exemplar von einem Schulbuch auf einen zentralen Server stellen. (...) Man kann das gar nicht schwarz genug malen."

Den Deutschen Bücherpreis für sein Lebenswerk erhält Peter Härtling (hier seine Internetseite, hier noch mehr über ihn). Von Stefan Hauck nach seinen Lieblingsbüchern gefragt, sagt Härtling: "Es sind sehr viele. Mein Dauerlieblingsbuch ist Theodor Fontanes 'Stechlin' - je älter ich werde, umso lieber wird mir das Buch. Eines der Bücher, die ich für ganz groß halte, ist 'Krieg und Frieden' von Leo Tolstoi. Der 'Lenz' von Georg Büchner und Laurence Sternes 'Tristram Shandy' sind mir in ihrer Erzählhaltung unglaublich wichtig. Unter den modernen Autoren schätze ich Cesare Pavese sehr." Und angesprochen auf die PISA-Debatte: "Schule hat immer mit Schülern und mit Lehrern zu tun - und wenn einer ausfällt, ist es aus. Wenn ich in Klassen gelesen habe, dann habe ich rasch gemerkt, ob hier ein hoch motivierter Lehrer ist oder einer seine Stunden abreißt. An den Briefen der Heranwachsenden - ich bekomme jeden Tag gut zehn solcher Briefe - merke ich, dass die vorpubertären Elf- und Zwölfjährigen absolut offene, neugierige, wilde, wüste Leser sind! Dieses Feuer weiter zu schüren, ist Aufgabe der Lehrer. (...) Im Grunde müsste man die Lehrer aus der Beamtenschaft befreien und zu Angestellten machen, die jederzeit entlassen werden können, wenn sie nichts taugen." Zurzeit schreibt Härtling an seinen Lebenserinnerungen.

ndl-Chefredakteur Jürgen Engler will mit seiner Zeitschrift auch neue Talente entdecken. "Wir versuchen, ein breites literarisches Spektrum zu erfassen, veröffentlichen neue Texte von renommierten, aber vor allem auch von unbekannten Autoren. Dabei leugnen wir nicht unsere ostdeutsche Herkunft. Das heißt: Uns interessiert besonders Literatur, die die Ost-West-Spannungen reflektiert. Sozialkritische Texte ziehen dabei eine kräftige Linie, die ich gern noch verstärken möchte."

Ein neuer Krieg im Irak ist offenbar nur noch eine Frage der Zeit. Darauf reagieren auch die Verlage. Siedler etwa hat die Auflage von "Macht und Ohnmacht", einem Essay von Robert Kagan über "Amerika und Europa in der neuen Weltordnung" um 20.000 auf 50.000 aufgestockt. Piper hat kurzfristig das Buch "Weltmacht USA. Ein Nachruf" des französischen Historikers Emmanuel Todd ins Programm genommen. Weitere Titel: "Vision 2021" von Bill Emmott (S. Fischer), "Irak. Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft" von Brigitte Kiechle (Schmetterling), "Insch' Allah" von Gerhard Konzelmann (Herbig) sowie "Bush at War" von Bob Woodward (DVA).

Die Buchhandlung ohne Bücher in Berlin-Siemensstadt hat überlebt. Ein Jahr nach Gründung des Geschäfts "Bücher am Nonnendamm" berichtet Volkhard Bode über den Buchhändler Edgar Schuster, der von den Banken keinen Kredit bekam und daher mit leeren Regalen als Bestell-Buchhandlung anfangen musste. Seit Oktober 2002 stehen gut 5.000 Titel in den Regalen; für 2003 peilt Schuster einen Jahresumsatz von 500.000 Euro an. Hilfe bekam er von seinen beiden Mitarbeitern, Freunden und Verwandten. "Dann kam gleich eine Reihe Berliner Autoren mit eigenen Büchern und Leseangeboten zu Hilfe. 'Lutz Rathenow hat ein dickes Überlebenspaket aus dem Osten geschickt.' Und nicht zu vergessen: Barsortimente und Verlage zogen von Anfang an mit."

Weitere Meldungen: Der Ravensburger Spieleverlag wie auch der Buchverlag haben ihren Ertrag im vergangenen Jahr gesteigert. Die Buchhandlung Habel verlässt die Stadt Gotha; in Mainz eröffnet Habel am 19. Februar eine 1.000-Quadratmeter-Fläche. Außerdem erklärt Thieme-Geschäftsführer Thomas Scherb, warum die Verlagsgruppe fünf Verlage als Medizinverlage Stuttgart (MVS) unter einem Dach gebündelt hat. Luscha Dorner stellt die Erfa-Gruppe Engagierte Christliche Buchhandlungen vor (hier mehr Porträts von Erfa-Gruppen). Christina Busse präsentiert neue historische Romane und hängt eine Liste mit Neuerscheinungen an. Christina Schulte wertet eine Umfrage zur Neugestaltung des Börsenblatts aus (die weitaus meisten Leser finden das Blatt sehr gut oder gut). Der Hamburger Verlag Hörcompany hat das Label Moving Mind gegründet.

Ullstein darf das Buch "Eine kurze Geschichte des Universums" von Stephen Hawking nicht ausliefern - der Inhalt entspreche "weit gehend wörtlich" dem Rowohlt-Titel "Eine kurze Geschichte der Zeit". Offenbar seien die Rechte doppelt verkauft worden, vermutet Rowohlt-Justiziar Eckard Kloos. Der Verlag erwirkte nun eine einstweilige Verfügung gegen Ullstein. Dort hatte man die Ähnlichkeiten "selbst entdeckt und bei Rowohlt eine Unterlassungserklärung abgegeben". Dann gibt es noch den Hinweis, dass die frühere Börsenblatt-Beilage "Aus dem Antiquariat" künftig als Zeitschrift erscheint; am 14. Februar kommt das erste Heft auf den Markt. Und schließlich druckt das Börsenblatt einen Nachruf von Peter Schütt aus dem Rheinischen Merkur auf Annemarie Schimmel.
Archiv: Börsenblatt

buchreport.express

Um Erstverkaufstage geht es auch im buchreport. Auf den aktuellen Spiegel-Bestsellerlisten stehen zwei Titel, "die dort eigentlich noch gar nicht aufkreuzen dürften". Das Buch "Nichts als Gespenster" von Judith Hermann hätte eigentlich erst ab 29. Januar verkauft werden dürfen, steht aber trotzdem bereits auf Rang zwei, und die Ottmar-Hitzfeld-Biografie von Josef Hochstrasser sollte erst am 3. Februar in den Handel kommen, steht aber schon auf Platz 21 der Sachbuchliste. "Einfache Erklärung: Wenn Bücher im Gespräch sind, warten Buchhändler nicht mehr bis zum vorgegebenen Erstverkaufstag, sondern verkaufen, was ihnen Bücherwagendienste und Speditionen ins Haus gebracht haben. Dafür gibt es viele Gründe." Zwei nennt der buchreport: "Nur ein verkauftes Buch ist ein gutes Buch", und "Wenn der Buchhändler ein Buch nicht verkauft, kauft es sein Kunde vielleicht bei der Konkurrenz nebenan". Nur in Ausnahmefällen, zuletzt etwa bei "Harry Potter und der Feuerkelch", gelinge es, unter Androhung von Vertragsstrafen einen Erstverkaufstag flächendeckend durchzusetzen. Es gibt aber Gründe für den Erstverkaufstag: "Die öffentliche Aufmerksamkeit für ein Buch ist am größten, wenn es zeitgleich ins Schaufenster der Buchhandlungen kommt, Anzeigen in Zeitungen und Magazinen erscheinen und Besprechungen im redaktionellen Teil zu lesen sind." Und: "Verlage hoffen darauf, dass sich Spitzentitel nicht langsam in der Spiegel-Bestsellerliste an die Spitze vorkämpfen, sondern möglichst aus dem Stand auf Platz 1 vorschießen - alles andere könnte Zweifel an der Verkäuflichkeit des jeweiligen Titels auslösen. Ein Blitzstart gelingt jedoch nur, wenn in den Warenwirtschaftssystemen, aus denen heraus buchreport die Absatzzahlen pro Titel ermittelt, schlagartige Abverkäufe registriert werden."

Ein Pilotprojekt von Bertelsmann Club und der Buchhandlung Grüttefien ist beendet. Buch & Kunst hat die Bielefelder Buchhandlung "Boulevard" übernommen. "Der Dresdner Filialist hat sich damit nach der Übernahme von Baedeker in Essen einen zweiten großen Fisch an die Angel geholt - allerdings wartet an beiden Standorten harter Wettbewerb auf die sächsische Kette." Der Traum, den Bertelsmann Club "im stationären Buchhandel als ernst zu nehmenden Mitbewerber zu etablieren", sei wieder einmal geplatzt. "Grüttefien, so wurde nun bekannt, ist schon Ende 2002 aus dem Joint Venture ausgestiegen." In der Bielefelder Buch & Kunst-Filiale wird der Club sich auf "einen abgetrennten Bereich" zurückziehen. Buch & Kunst erklärt, "gemeinsam mit dem Club" seien weitere Standorte denkbar. Ziel sei Platz drei im buchreport-Ranking "Die 100 größten Buchhandlungen" - hinter Thalia und Hugendubel.

Die Bremer Bahnhofsbuchhandlung Reinhardt macht dicht. Das Familienunternehmen sei in die Insolvenz geraten, weil "die Umbauten am Hauptbahnhof in Bremen doppelt so lange gedauert haben wie geplant und sich die Bahn nicht auf eine Anpassung der Mieten eingelassen hat". An die Stelle der Buchhandlung Reinhardt zieht das Schweizer Unternehmen Valora nach Bremen; Valora betreibt über seine Tochter K-Group bereits 124 Bahnhofsbuchhandlungen in Deutschland. "Das Schicksal der Bremer Bahnhofsbuchhandlung ist symptomatisch für die Entwicklung im Bahnhofsbuchhandel (...). Mieterhöhungen in den frisch renovierten Bahnhöfen und der Zwang zur Investition in neue Einrichtungen graben kleineren Bahnhofsbuchhändlern das Wasser ab. Die Folge ist eine beschleunigte Konzentration im Bahnhofsbuchhandel, der inzwischen von wenigen Ketten beherrscht wird."

Die FAZ-Gruppe kann ihre Beteiligung an Buch Habel vorerst nicht verkaufen. "Wie jetzt bekannt wurde, hat die FAZ-Gruppe die Möglichkeit nicht genutzt, ihren Ausstieg bei Habel zum Ende dieses Jahres zu erklären. Das hat nach Auskunft von Habel-Geschäftsführer Johannes Schmidt zur Folge, dass die Frankfurter erst wieder Ende 2004 aus dem Vertrag herauskommen." Es sei denn, man einigt sich.

Der britische Verlag Bloomsbury, "durch Harry Potter reich und berühmt geworden", gründet eine deutsche Niederlassung. Verlagsleiterin wird die frühere Droemer-Weltbild-Cheflektorin Dorothee Grisebach. Derzeit bereite Grisebach ein Belletristik- und Sachbuch-Programm vor, das bereits im Herbst erscheinen soll. Über Autoren und Bücher ist bislang nichts bekannt. Grund ist die Börsennotierung des Verlags: "Zwei Monate vor der Veröffentlichung des Geschäftsberichts am 20. März darf der Vorstand nach britischem Recht nichts zur Unternehmenspolitik verlauten lassen. Fest steht allerdings, dass Harry Potter im deutschen Bloomsbury-Programm fehlen wird, denn die deutschen Rechte für Band 1 bis 7 hat sich Carlsen gesichert."

Der Kölner Großantiquar Zanolli will sein Engagement im Geschäft mit Originalausgaben verstärken. Der frühere Gondrom-Verlagsleiter Gerd Stedtfeld soll für den Karl Müller Verlag "zügig 'mehrere Imprintverlage für den Mass-Market aufbauen'", zitiert der buchreport. "Der Karl Müller Verlag zählt seit Mai 2000 zum Portfolio von Zanolli, der als einer der Hauptabnehmer der Könemann-Bestände derzeit wie ein Hecht im Karpfenteich der MA-Großhändler agiert."

Wie das Börsenblatt macht auch der buchreport auf Titel zum Thema Irak aufmerksam, darunter "Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne" von Franz Alt (Riemann), der Bestseller "Stupid White Men" von Michael Moore (Piper), "Irak. Chronik eines gewollten Krieges" (KiWi) von Hans von Sponeck (ehemaliger Koordinator des UN-Hilfsprogramms für den Irak) und Andreas Zumach (taz) sowie "Die Kriege der Familie Bush. Die wahren Hintergründe des Irak-Konflikts" von Eric Laurent (Fischer).

Theo Schäfer, Ex-Unternehmenssprecher der Bertelsmann-Verlage und Gründer von "Leipzig liest", ist nicht mehr Koordinator für den Deutschen Bücherpreis. "Der Börsenverein war nicht mehr glücklich mit mir und ich war nicht mehr glücklich mit dem Börsenverein", zitiert der buchreport Schäfer. Die Verleihung des Bücherpreises am 20. März wird von Axel Bulthaupt moderiert.

Weitere Meldungen: Die Hugendubel-Filiale in den Berliner Potsdamer-Platz-Arkaden zieht innerhalb des Einkaufszentrums in ein größeres Ladenlokal (2.000 Quadratmeter, bisher 764). Vertreterbörsen leiden unter einem drastischen Teilnehmerrückgang. Beim Verzeichnis lieferbarer Bücher gab es einen Datenbankabsturz, keine Sicherungskopien und daher Ärger. Das Buchprogramm des deutschen Blackwell Verlags wird zum Jahresende eingestellt. Weltweit hat Blackwell "2002 ein Traumjahr hingelegt": mit 165 Millionen Pfund wurde ein Rekordumsatz erzielt, der zwölf Prozent über dem Vorjahr lag.

Und hier der Link auf die Bestsellerlisten des buchreport.