Bücherbrief

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
04.08.2006. Ob man den August nun mit Robert Gernhardt, Peter Stamm oder Martin Walser verbringt, alle lohnen die Lektüre. Außerdem wollen Paris erwandert, die Verwestlichung des Islam begriffen und Rembrandt bestaunt werden. Schöne Ferien!
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- im vergangenen Bücherbrief
- in den Literaturbeilagen des Sommers
- in den Büchern der Saison
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"
- in unserer Auswahl der besten Bücher 2005


Buch des Monats

Robert Gernhardt
Später Spagat
Gedichte



Ein veritables Vermächtnis sieht die SZ mit diesem Gedichtband vorliegen, die taz hält einiges gar für ewigkeitsverdächtig. Mit Robert Gernhardt ist nicht nur ein Dichter gestorben, der klüger war als sein Schöpfer, sondern auch noch komischer, sekundiert die FAZ. Lichte Gedichte gebe es in dieser Sammlung aus den vergangenen drei Jahren wieder im Überfluss, der "Späte Spagat" zwischen Ernstem über die eigene Erkrankung und reinen Juxereien sei bravourös gelungen.

Literatur


Martin Walser
Angstblüte
Roman



Hohe Erwartungen haben Martin Walsers neuen Roman begleitet, der von allen großen Tageszeitungen innerhalb weniger Tage besprochen wurde. Das Meinungsspektrum ist weit und schillernd, von absoluter Begeisterung - für die SZ ist Walser wunderbar schamlos altherrenerotisch und sowieso besser als Marx - bis zur völligen, ja angewiderten Ablehnung - die taz ekelt sich vor der schwitzigen, sabbernden Anmutung des Werks. Die FAZ meint aber, von Walser könnten sich die jüngeren Kollegen eine Scheibe abschneiden, und die NZZ urteilt schweizerisch salomonisch, dass die 477 Seiten dicke "Angstblüte" immerhin 300 Seiten reinstes Lesevergnügen bereit halte.


Peter Stamm
An einem Tag wie diesem
Roman



Noch nie hat Peter Stamm so erregend aus der Mitte der Existenz heraus erzählt, schwärmt die NZZ. Die taz lässt die Geschichte über einen wahllos mit Frauen schlafenden Mittvierziger, der erst durch eine Krebserkrankung aufgerüttelt wird, gar atemlos zurück. Der FAZ geht die Hauptfigur mit emotionalem Totalschaden gehörig auf die Nerven, böse ist sie aber nicht, denn genau das sei ja die Absicht. Dass Stamm hier im Wechsel von Lakonie und Pathos der selbstgefälligen Philosophie der Lebensleere in den Rücken fällt, entzückt die FR.


Samir El Youssef / Etgar Keret
Alles Gaza
Geteilte Geschichten



Die Zusammenarbeit des Palästinensers Samir El-Youssef und des Israelis Etgar Keret ist bemerkenswert, meint die taz. Die beiden jungen Schriftsteller reagieren auf die notwendigerweise politische Dimension ihrer Kooperation, indem sie sich in ihren Texten über Menschen diesseits und jenseits des Grenzzauns völlig auf das Fiktive und Private konzentrieren. Die taz rechnet es den beiden hoch an, ihre Figuren nicht für einen politischen Kommentar einzuspannen. Und auch die herbe Sprache und den reflektierten Humor hält sie für ein probates Mittel, die Politisierung des Privaten zu konterkarieren.


Lavinia Greenlaw
Minsk
Gedichte. Englisch-Deutsch



Alles wird zart, leicht und grenzenlos, jauchzt die SZ und schwebt mit Lavinia Greenlaw von den Landschaften der Kindheit über Minsk bis auf die Lofoten. Diese Gedichte öffnen für sie Räume, auch Raphael Urweiders glänzender Übertragung aus dem Englischen wegen. Die NZZ verzaubert vor allem die sprachliche Präzision und Experimentierlust der englischen Lyrikerin, und dass die Stücke bei aller Originalität immer verständlich und zugänglich bleiben.


Sachbuch

Eric Hazan
Die Erfindung von Paris
Kein Schritt ist vergebens



Auf dem Fuße des kunst- wie literaturhistorisch bewanderten Eric Hazan durch Paris zu schlendern, hat der FAZ nicht nur großes Vergnügen bereitet, sie glaubt sogar, hier werde eine neue Klasse der literarischen Reisebegleitung etabliert, die sich durch eine bisher unerhörte Verbindung von stilistischer Eleganz und fachlicher Kompetenz auszeichnet. Quartier für Quartier, Arrondissement für Arrondissement durchforstet Hazan die Stadt, die sich in seinen Augen unablässig entwickelt. Manchmal scheinen der FAZ die Schlüsse zwar eigenwillig, altklug oder nostalgisch aber wird Hazan nie, wie sie versichert.


Karl Schlögel
Planet der Nomaden



Die historisch unterfütterte Breitwandphänomenologie Karl Schlögels bekommt dem Thema Globalisierung und Migration außerordentlich gut, stellt die taz fest. Die zunehmenden Wanderungen ganzer Bevölkerungsgruppen bewertet Schlögel positiv, denn sie sorgen für eine Rückgewinnung von Komplexität, Konfliktfähigkeit und Weltläufigkeit der im 20.Jahrhundert nationalistisch verengten Gesellschaften. Die wenigen argumentativen Undeutlichkeiten und Redundanzen werden durch Schlögels unterhaltsamen Stil - laut taz eine Mischung aus Wüstenromantik und Steven Spielberg - offenbar mehr als ausgeglichen.


Olivier Roy
Der islamische Weg nach Westen
Globalisierung, Entwurzelung und Radikalisierung



Zunächst hebt die SZ erstaunt eine Augenbraue über Oliver Roys in Frankreich schon vor vier Jahren erschienenen Befund, der islamische Fundamentalismus sei selbst als Folge der Verwestlichung des Islam zu begreifen. Doch schließlich überzeugt sie Roy voll und ganz, und auch der Vergleich mit den Evangelikalen in den USA oder der Neuen Linken in Europa kommt ihr schließlich gar nicht so abwegig vor. Die Erklärung des radikalen Islam als Produkt der Globalisierung zieht auch die Zeit deutlich dem Setzkasten von Vorurteilen von Essayisten wie Hans Magnus Enzensberger vor.


Hörbuch

Annie Proulx
Brokeback Mountain
Ungekürzte Lesung von Christian Brückner



Nuschelig, kratzig, rau, nicht ohne Schärfen, auch melancholisch, so liest Christian Brückner die Geschichte der beiden Cowboys vor, genau richtig für die SZ. Entgegen kommt ihr auch, dass die Charaktere hier nicht so märchenhaft weich gezeichnet sind wie im Film und auch nicht so durchdringend sympathisch. Die Regie und die minimalistische Gitarren-Begleitung - geleistet durch weitere Mitglieder der Brückner Familie - passen ebenfalls perfekt, was dieses Hörbuch für die SZ zu einem Vorzeigeexemplar seiner Gattung macht.


Bildband

Gary Schwartz
Das Rembrandt-Buch
Leben und Werk eines Genies



Für die NZZ trägt dieses Buch seinen hochtrabenden Namen völlig zu Recht. Gary Schwartz schildere Rembrandt und seine Epoche aus vielfältiger Perspektive und mit Unterstützung von 560 Abbildungen. Neben der Biografie des Malers und den gesellschaftlichen Hintergründen, aus denen heraus die einzelnen Werke entstanden sind, erfährt die NZZ zu ihrer Zufriedenheit auch einiges über Rembrandts zum Teil revolutionäre Maltechniken. Ein glückliches Zusammentreffen von wissenschaftlichem Anspruch und stilistischer Sicherheit, wie die Schweizer meinen.