Bücherbrief

Bücherbrief Oktober 06

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
29.09.2006. Fanatismus und Bigotterie: Kiran Nagarkar und Khushwant Singh halten die Fahne Indiens hoch (mehr von der Buchmesse und Indien in unserer Auswertung der Literaturbeilagen). In diesem Bücherbrief gibt es außerdem schwarze Himmel, unverblümte Attacken und einen fiktiven Liebhaber von Rita Hayworth.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen Bücherbrief
- in den Büchern der Saison
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"
- in unserer Auswahl der besten Bücher 2005


Buch des Monats

Kiran Nagarkar
Gottes kleiner Krieger
Roman



Kiran Nagarkar hat sieben Jahre lang an seiner Geschichte gearbeitet. Der kleine Krieger Zia, der alle religiösen und politischen Fanatismen ausprobiert, deren er habhaft werden kann, war ihm zwischendurch einfach zu anstrengend. Die ob so vieler Extreme nach Luft ringende SZ glaubt aber, dass Bombay und ganz Indien mit diesem Chaos ideal repräsentiert werden. Und nochmal Subkontinentales: Gegen Bigotterie, übertriebene Frömmigkeit und Heuchelei des hindustischen Alltags anzuschreiben, ist das erklärte Ziel von Khushwant Singh. Er tut das in "Paradies" mit klassischen Short Storys, denen die NZZ neben einer beträchtlichen Situationskomik auch eine genaue Beobachtung attestiert. Und die fröhliche Idee von der Sexualität als politisch-religiöses Entkrampfungsmittel ist natürlich auch bei den Schweizern ein Renner.


Literatur


Christoph Ransmayr
Der fliegende Berg



Ganze elf Jahre hat der schon als langsamster Schriftsteller der Welt titulierte Österreicher Christoph Ransmayr an seinem neuen Roman geschrieben. Die als Langzeilengedicht im Flattersatz verfasste Geschichte von zwei bergsteigenden Brüdern treibt die Rezensenten hart an die Transzendenzgrenze. Die NZZ zeigt sich berückt von der Intensität der Erzählung und lobt die stupenden Qualitäten des Reiseschriftstellers Ransmayr. Während die Zeit sich immer noch auf der sicheren Seite des Kitsches entlangbalancieren sieht und die tödliche Schönheit der schwarzen Himmel so eindrücklich wie nie genießt, ist der SZ dieses durchaus seltene, kostbare Buch unheimlich: Wird hier die Erhabenheit nur zelebriert?


Joachim Fest
Ich nicht
Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend



Joachim Fests Jugenderinnerungen rufen allseits Respekt, Hochachtung und ehrliche Bewunderung hervor. Vor Fest selbst und dem genauesten Buch, das je über die NS-Zeit geschrieben wurde, wie die FR vermerkt. Die Zeit wird Zeuge, wie ein katholisch-preußisch-republikanisch-bildungsbürgerliches Mikromilieu immun gegen totalitäre Versuchungen machen kann. Es war, wie die SZ beobachtet, vor allem der Vater, der widerstanden hat. Ihn schildere Fest ebenso schön schlackenlos, gläsern und warm wie den Rest seiner Familie.


Ayaan Hirsi Ali
Mein Leben, meine Freiheit
Die Autobiografie



Die FAZ ist schwer beeindruckt vom intellektuellen Gewicht der Autobiografie der mittlerweile aus den Niederlanden in die USA übergesiedelten Politikerin und Menschenrechtlerin. Nackt und elementar werde hier die Gewalt im Islam und durch den Islam angeprangert. Imponierend ist offenbar auch, dass Ali die Religion direkt angeht, ohne den üblichen Umweg über die daraus resultierende Kultur zu nehmen. Alis Vermächtnis für Europa, jubelt die FAZ, ist nicht bloß eine Autobiografie, sondern eine Phänomenologie fundamentalistischer Deformationen von Religion.


Botho Strauß
Mikado



Einhellige Zustimmung erntet Botho Strauß für seinen Band mit kurzen Prosastücken, was deshalb nennenswert ist, weil sein Verhältnis zum Kulturbetrieb nicht immer spannungsfrei war. Die taz ist froh, dass Strauß seine Verachtung der Gegenwart beiseite lässt, um leicht und vielfältig drauflos zu schreiben. Es geht um das Verhuschen und Verblassen des Subjekts, verrät die FR, der die uneitle Anmutung der Geschichten gefällt. Die Zeit mag Strauß' Herz fürs Inkompatible.


Sachbuch

Martin Pollack (Hrsg.)
Sarmatische Landschaften
Nachrichten aus Litauen, Beloruss, der Ukraine, Polen und Deutschland



Sarmatien, das riesige Gebiet zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, ist so vielfältig und traditionsreich , dass die FAZ sich gar nicht vorstellen kann, es zwischen zwei Buchdeckel zu pressen. Die 23 Autoren des Bandes erkunden Sarmatien in ihren Reiseberichten, historischen Essays, zeitkritischen Aufsätzen, Erzählungen und Reportagen aber so umsichtig und differenziert, dass die FAZ dann doch sehr zufrieden ist. Die SZ findet die Texte stimmungsvoll und fragwürdig, auf fruchtbare Art und Weise, während die NZZ die Sprünge von weißrussischen Dörfern zu zersiedelten ukrainischen Stadträndern genießt.


Bahman Nirumand
Iran
Die drohende Katastrophe



Wertvoll, intellektuell gewichtig, gut lesbar: Bahman Nirumands Überblick zur Lage im Iran und die atomaren Ambitionen von Ahmadinedschad & Co wird allseits geschätzt, für die NZZ ist es gar eines der besten auf dem Markt befindlichen Bücher zum Thema. Die Zeit begrüßt die Berücksichtigung der iranischen Gesellschaft und die Einführung in die derzeitigen intellektuellen Debatten innerhalb der islamischen Republik. Die FR und die FAZ sind zwar manchmal anderer Meinung als der Autor, respektieren Nirumand aber für seine profunden Aussagen.


Volker Klotz
Erzählen
Von Homer zu Boccaccio, von Cervantes zu Faulkner



Die Anmaßung, seine Literaturgeschichte einfach "Erzählen" zu nennen, verzeiht die NZZ dem zyklopischen Leser Volker Klotz gerne. Denn sie wird mit einem wahren Füllhorn an unerschöpflichen Fragen und aufregenden Erkenntnissen entschädigt. Die listig-naive Fragerei führe auf manch fruchtbares Feld. Die SZ lobt vor allem Klotz' knappe Effizienz, und die leseanregende Wirkung dieses Buches über Bücher. Außerdem hat sie nun endlich erklärt bekommen, warum Romane meist wortgewaltig anfangen, am Schluss aber unspektakulär versickern.


Alfred Brehm
Brehms Tierleben
Die schönsten Tiergeschichten. Ausgewählt von Roger Willemsen



"Die Stachelschweine führen ein einsames, trauriges Leben." Mit großem Vergnügen hat die FR in der von Roger Willemsen offenbar mit Liebe besorgten, fast tausendseitigen Zusammenstellung der besten Geschichten von Alfred Brehms berühmtem "Tierleben" geschmökert. Wehmütig wird ihr bei den charmanten und eigenwilligen Beschreibungen zumute, weil damals Tieren noch Persönlichkeit zugestanden wurde und nicht nur Reiz-Reaktions-Schemen regierten.


Bildband

Marcel van Eeden
K. M. Wiegand




Jeden Tag fertigt der niederländische Künstler Marcel van Eeden ein Bild an, nach alten Fotografien, die er in Antiquariaten aufgestöbert hat. Immer ist sein Held K. M. Wiegand darauf vertreten, mal als Agent im Kalten Krieg, mal als Botaniker oder als Geliebter von Rita Hayworth. Die SZ hielt Marcel van Eeeden für den klügsten und amüsantesten Künstler der diesjährigen Berlin Biennale. Diese Auswahl von 140 der schwarz-weißen Werke liest sie als grandios düsteren Kommentar zu einstmals aktuellen Kunstformen und vergangener Gegenwart.