Bücherbrief

Diese Vielfalt der Grautöne

06.02.2009. Neue Romane von Philip Roth, Daniel Kehlmann und Gerbrand Bakker, eine Geschichte der Reformation, eine Lincoln-Biografie Notizen aus Srebrenica, Bilder vom Prenzlauer Berg - dies alles und mehr in den Büchern des Februars.
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Weitere Anregungen finden Sie in den älteren Bücherbriefen und in den Büchern der Saison vom Herbst 2008.


Literatur

Philip Roth
Empörung
Roman
Carl Hanser Verlag, München 2008, 17,90 Euro



Philip Roth kann offenbar nichts mehr falsch machen. Selbst mit einer so gewagten Konstruktion wie in seinem neuen Roman "Empörung" - ein Veteran des Koreakriegs blickt nach seinem Tod auf sein Leben zurück - lässt er die Kritiker in Freudentränen ausbrechen. Die FR kann nur bewundern, wieviel Intelligenz, Ironie und Schwung Roth auf gerade einmal 200 Seiten unterbringt. Die SZ staunt über die unentrinnbare Zwangsläufigkeit, mit der Roth hier aus einer Rebellion gegen die beklemmende Biederkeit der fünfziger Jahre eine klassischen Tragödie entwickelt. Und die Zeit ist regelrecht erschrocken über die Möglichkeit, dass die dürftigen Erinnerungen an das Leben im Jenseits ein ebenso enges Gefängnis darstellen könnten wie das Leben selbst.


Daniel Kehlmann
Ruhm
Ein Roman in neun Geschichten
Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, 18,90 Euro



Keine originelle Wahl, aber ganz klar eines der Bücher des Monats: Die virtuos verschachtelte Konstruktion des Romans in neun interdependenten Geschichten stieß auf Begeisterung. "Kein schwergewichtiger Roman, sondern eine genialische Fingerübung", meint etwa Andreas Breitenstein in der NZZ, der der technischen Meisterschaft des Buchs atemlos vor Bewunderung gegenübersteht - Kehlmann scheint einfach alles zu können. Auch Heinrich Detering findet das Buch in der FAZ schlicht großartig und greift mit der Nennung von Namen wie Pynchon, Nabokov oder Salinger wild entschlossen zum Äußersten, was an vorteilhaften Vergleichen möglich ist. Auch die SZ konzediert: Virtuos, aber wo sind die Abgründe? Wirklich enttäuscht legt nur Jochen Jung in der Zeit das Buch zur Seite: ein geschickt gewobener Teppich. Aber er fliegt nicht.


Gerbrand Bakker
Oben ist es still
Roman
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 19,80 Euro



Hinreißend, mitreißend, ergreifend - für David Hugendick kam es mit diesem Roman (den wir im Perlentaucher vorblätterten) ganz dicke. Es geht um einen Bauernsohn, der lieber Literatur studiert hätte, dann aber doch den Hof übernehmen muss. Die Themen sind alt, der Roman aber erstaunlich frisch, meint der Rezensent in der Zeit. Auch Sabine Brandt bewundert in der FAZ die Beiläufigkeit, mit der die Tragödie erzählt wird. Dorothea Dieckmann fühlt sich in der NZZ durch Bakkers Erzählweise an eine Zeit erinnert, als das Erzählen noch nicht auf schnelle Oberflächenreize geeicht war.


Joseph Breitbach
Rot gegen Rot
Die Erzählungen
Wallstein Verlag, Göttingen 2008, 24 Euro



Der Wallstein-Verlag setzt sich seit Jahren für diesen Autor des frühen 20. Jahrhunderts ein, einen Freund Golo Manns und Vorreiter der deutsch-franzöischen Versöhnung. Die hier vorliegenden Erzählungen schildern die Angestelltenwelt der Weimarer Republik, die Breitbach aus eigener Anschauung und Tätigkeit kannte. Niemand geringerer als Martin Mosebach empfahl den Band schon im Oktober in der FAZ und betonte besonders die Objektivität im Blick Breitbachs auf die Warenhauswelt. Renate Wiggershaus lobt in der FR die "brillante Dialogführung, lebensechte, mit nur wenigen Strichen gezeichnete Charaktere" sowie eine plastische Sprache.


Sylvia Plath
Ariel
Urfassung. Englisch und deutsch
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 22,80 Euro



Der meist besprochene Gedichtband des letzten Monats! Wilde Halluzinatorik und strenger Formwille gehen hier laut dem Anglisten Werner von Koppenfels in der NZZ eine an sich unmögliche Liaison ein. Die neue Übersetzung Alissa Walsers vergleicht er mit der älteren von Erich Fried - und findet Vorzüge an beiden. In der SZ wurde der Band von Heinz Schlaffer besprochen. Er zeigt sich überwältigt von ihrer Wildheit, von Plaths hier zutage tretender Fähigkeit, das Leiden gedrängt in Worte zu fassen und das Autobiografische zur Tragödie zu vergrößern. Tobias Döring in der FAZ hebt ausdrücklich die modernere Übersetzung durch Alissa Walser als einen Gewinn hervor.


Isabel Pin
Die Geschichte vom kleinen Loch
(Ab 2 Jahre)
Bajazzo Verlag, Zürich 2008, 14,90 Euro



In Entzücken versetzt hat Isabel Pin zumindest die erwachsenen Kritiker mit ihrer Geschichte vom kleinen Loch, die für die Zeit das "Zeug zum Lieblingbuch" hat. Rundum geglückt findet es auch die FAZ, die besonders die schönen Bildkompositionen lobte. Erzählt wird die Geschichte verschiedenster Löcher, doch was es mit dem kleinen Loch auf sich hat, wollen die Rezensenten nicht verraten.


Sachbuch

Diarmaid MacCulloch
Die Reformation 1490-1700
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, 49,95 Euro

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In höchsten Tönen gelobt wurde diese Reformationsgeschichte des Oxforder Kirchenhistoriker Diarmaid MacCulloch. "Hochgelehrt" und "leidenschaftlich" schildere MacCulloch die Ideen der reformatorischen Bewegungen und ihre treibenden Kräfte Luther, Zwingli und Calvin, aber auch ihre Schattenseite und die Gegenreformation. Die Zeit sieht sich nach der Lektüre ein für alle Mal vor konfessionellem Provinzialismus gefeit. Die NZZ schätzt den weiten Horizont der Darstellung, und die FAZ hat gelernt, dass das Christentum erst mit der Reformation eine Buchreligion wurde. Die SZ ist ebenfalls sehr eingenommen, bedauert nur ein wenig MacCullochs Konzentration auf die angelsächsische Literatur.


Emir Suljagic
Srebrenica
Notizen aus der Hölle
Zsolnay Verlag, Wien 2008, 17,90 Euro



Emir Suljagic hat als 17-Jähriger Bosnier das Massaker von Srebrenica übererlebt, heute arbeitet er als Journalist in Sarajewo. In seinem Buch "Srebrenica" hält er nicht nur seine Erinnerung an dieses größte Kriegsverbrechen in Europa seit 1945 fest, sondern auch die vorausgehenden dreijährige Belagerung der Stadt durch serbische Truppen. Bisher wurde das Buch nur von der FAZ besprochen, die seine Ehrlichkeit und Konkretheit sehr schätzte. Die englische Ausgabe pries der Observer bereits vor über drei Jahren: "Es hätte schon gereicht, nur Zeugnis abzulegen, aber Suljagic schreibt auch noch wunderschön."


Gustav Seibt
Goethe und Napoleon
Eine historische Begegnung
C. H. Beck Verlag, München 2008, 19,90 Euro



Diese historische Etüde schildert das Erfurter Fürstentreffen im Jahr 1808 und besonders die Begegnung zwischen Goethe und Napoleon, die im Rahmen dieser Festivitäten und Verhandlungen stattfand. Sie war für Goethe sicher wichtiger als für Napoleon. Robert Schröpfer hat in der taz vor allem wichtige Einsichten über Goethes Bonapartismus gefunden, der dem Dichter von Zeitgenossen - besonders nach Waterloo - übel genommen wurde. Gerrit Walther zeigt sich in der FAZ beeindruckt von der Eleganz und klassischen Form von Seibsts Essay. Laut Zeit-Rezensent Adam Soboczynski schafft es dieses Buch in der überaus reichhaltigen Goethe-Literatur soar noch eine Lücke zu füllen.


Jörg Nagler
Abraham Lincoln
Amerikas großer Präsident. Eine Biografie
C. H. Beck Verlag, München 2009, 26,90 Euro



Ganz frisch und deshalb nicht so oft besprochen ist Jörg Naglers Biografie des großen Abraham Lincoln. Die Zeit empfiehlt sie dafür umso nachdrücklicher: "Dieses Buch gehört in jeden gut sortierten Bücherschrank." In seiner ganzen Vielschichtigkeit ist ihr hier Lincoln als großer Idealist und Verfechter der Gleichberechtigung begegnet - mit all seinen Schwächen, seinem Ehrgeiz und Machthunger. Verstanden hat sie jetzt auch, was W.E.B. DuBois mit seinem Wort meinte, Lincoln sei "groß genug, um ungereimt zu sein".


Bildband

Bernd Heyden
Berlin - Ecke Prenzlauer
Fotografien 1968-1984
Mark Lehmstedt Verlag, Leipzig 2008, 14,90 Euro



Für die SZ ist Bernd Heydens "Berlin - Ecke Prenzlauer" schlicht und ergreifend der schönste Fotoband des Jahres 2008, und sie feiert die Wiederentdeckung dieses Klassikers. In der DDR wurde Heyden als Müllkastenfotograf verspottet, und tatsächlich attestieren ihm die Kritiker, in seinen zwischen 1968 und 1984 entstandenen Bildern ganz hervorragend die ungeschönte Wirklichkeit des Prenzlauer Berg einzufangen. Die ebenfalls begeisterte FAZ freut sich über die Wiederbegegnung mit dem Bezirk vor seiner Bionadisierung und staunt über die Vielfalt der Grautöne.