Essay

In ersonnenen Cafés...

Von Cees Nooteboom
08.08.2016. Wir mussten also in eine Fußball-Kneipe um die Ecke gehen, wo die Stammgäste es offensichtlich gar nicht schätzten, dass ihr Kartenspiel unterbrochen wurde. Vor allem die durchdringende Stimme von Marcel Reich-Ranicki schien sie aufzuregen... Von Cees Nooteboom
Meine erste Begegnung mit Arno Widmann fand in Berlin statt. Ich war vom DAAD eingeladen worden, und er wusste, dass ich eine Kolumne für eine holländische Zeitung schrieb, über alles, was passierte. Es war 1989, das Regime im Osten schwankte, alles schien gleichzeitig zu passieren, und wir alle versuchten, mit den sich schnell verändernden Umständen mitzuhalten. Arno wusste, dass ich an etwas arbeitete, woraus später meine "Berliner Notizen" werden sollten, und fragte mich, ob er sie in der taz veröffentlichen könnte. Das ist, wenigstens in meiner Erinnerung, der Beginn einer Freundschaft, die bis heute andauert.

Aber auch auf einer anderen Ebene veränderten sich die Dinge für mich. Suhrkamp hatte gerade meine kurze Novelle "Die folgende Geschichte" herausgebracht, und man sagte mir, im "Literarischen Quartett" wollten sie über das Buch reden - ich lebte damals noch nicht so lange in Deutschland und wusste deshalb nicht recht, um was für eine Sendung es sich dabei handelte. Arno erklärte mir, wie wichtig sie sein könnte: "Sie kann über Wohl oder Wehe eines Buches entscheiden." Und er lud mich zu sich nach Hause ein, um die Sendung gemeinsam anzuschauen. Als ich bei ihm ankam, stellte sich aber leider heraus, dass der Fernseher nicht funktionierte.

Wir mussten also in eine Fußball-Kneipe um die Ecke gehen, wo die Stammgäste es offensichtlich gar nicht schätzten, dass ihr Kartenspiel unterbrochen wurde. Vor allem die durchdringende Stimme von Marcel Reich-Ranicki schien sie aufzuregen und sie brüllten und protestierten, aber Arno blieb ganz ruhig, und ich bemühte mich, den Argumenten von Reich-Ranicki, Helmuth Karasek, Sigrid Löffler und dem vierten Mitglied des Quartetts zu folgen, dessen Namen ich vergesssen habe.

Ich verstand nicht allzu viel, aber an einem bestimmten Moment sah ich, dass Reich-Ranicki mein Buch in die Luft hielt und die anderen zustimmend nickten, und das war der Augenblick, als Arno ganz glücklich sagte: Morgen wird dein Buch in ganz Deutschland ausverkauft sein, und er sollte recht haben. Es war ein ziemlich unvergesslicher Abend, ich kann sagen, auf eine gewisse Weise veränderte er tatsächlich mein Leben. Unsere Wege kreuzten sich später des öfteren, ich verließ Berlin zu einem bestimmten Zeitpunkt Richtung Los Angeles, aber wir trafen uns weiterhin ab und an, Arno verließ die taz, er war dann bei Vogue oder der Rundschau, aber wann immer ich ihn oder meinen anderen guten Freund Rüdiger Safranski traf, lernte ich eine Menge über Berlin und Deutschland, Dinge, die mir schließlich halfen, mein Buch "Allerseelen" zu schreiben. So, lieber Arno, ich gratuliere und hoffe, dass wir uns bald mal wiedersehen im Zwiebelfisch am Savignyplatz , oder wie es in "Allerseelen" heisst, im Tintenfisch. Denn auch in ersonnenen Cafés kann man gut mit Freunden sprechen.