Essay

Der Wasserstoff glimmt blau

Von Johannes Siemensmeyer
26.01.2021. Sollte nicht jeder Mensch für sich das Klima retten? Wer selbst kein Auto fährt, profitiert immer noch von Produktionsketten, die an fossiler Energie hängen. Der Mensch von heute kann sich nur scheinbar ausklinken. Ein Einkauf lässt sich super mit dem Rad transportieren. Wollte man den Traktor abschaffen und ein Fahrrad vor den Pflug spannen, käme man schnell an Grenzen. Plädoyer für die so faszinierend vernünftige Fusion.
1) Das kleine Fahrzeug

Benziner, Diesel, Elektroauto, Wasserstoffauto - Mit welchem Treibstoff fährt eigentlich ein Fahrrad?

Ist es ein E-Bike, kann der Strom aus Solarenergie, Windkraft, Kohlekraft, oder Kernenergie kommen. Es kann ein Sonnenrad, ein Windrad, oder sogar ein Kohle- oder Kernkraftrad sein.

Aber mit was fährt denn nun ein anständiges Fahrrad?

Ein Fahrrad wird von seinem Radler angetrieben. Den Mensch, dies rollende Tier, treibt sein Stoffwechsel. Für den Stoffwechsel gibt es wiederum mehrere Antriebsarten: Der vegane Antrieb läuft mit Haferflocken und Gemüsebratlingen, der vegetarische verfügt über eine Anreicherung mit Milchprodukten. Der carnivore Antrieb bezieht die Energie aus toten Tieren. Der Radlerstoffwechsel im High-End-Bereich, greift zusätzlich auf Anabolikaeinspritzung zurück. Auch die Milchkuh und das arme Schwein ernähren sich von Pflanzen. Bei welcher Diät auch immer, die Energie des Radlers kommt also letztlich aus pflanzlichen Kohlenhydraten.

Die Pflanze zieht CO2 aus der Luft, Wasser aus dem Boden und Licht aus der Sonne. In der Photosynthese verbinden sich die Kohlenstoffe des trägen Kohlendioxids, mit den Wasserstoffen des Wassers, zu energiereichen Kohlenwasserstoffen. Die Pflanze scheidet Sauerstoff aus und lagert die Kohlenhydrate ein. Pflanzliche Kohlenhydrate sind somit ein Speicher für Sonnenenergie.

Und woher hat die Sonne ihre Energie?

Auch die Sonne hat eine Art Stoffwechsel. Sie fusioniert riesige Mengen von Wasserstoff, wobei Licht, Wärme und Helium entstehen. Hier sitzt die Quelle des Fahrradantriebs: Die Sonne verspeist Wasserstoff, das Sonnenlicht treibt den Pflanzenstoffwechsel, der Radler verspeist Haferflocken, und tritt in die Pedale. So fährt das Kohlenhydrat-Rad letztlich mit der Fusionsenergie der Sonne.


2) Das große Feuerzeug


Pferd

Der Mensch kam irgendwann darauf, neben der eigenen Verdauung auch externe Energiequellen zu nutzen. Das domestizierte Pferd konnte dem Menschen schwere Arbeiten abnehmen. Der Mensch hatte nun die zehnfache Muskelmasse zur Verfügung, angetrieben von einem genügsamen Stoffkreislauf, der mit Gras befeuert wurde. Dieses Graskraftwerk bewegte sich in einem nachhaltigen Kreislauf der Natur: es mampfte und düngte, nahm und gab, in munterer Harmonie mit seiner Weide, vom Menschen gezähmt, von der Sonne beschienen.

Holzfeuer

Mit dem Holzfeuer fand sich eine Möglichkeit, einen Teil der menschlichen Verdauungsarbeit out-zu-sourcen. Die Rohkost wurde nun braungebraten und weichgekocht. Es lief nach wie vor ein Kreislauf ab, in dem nur verbraucht wurde, was vorher gewachsen war und auch die Hitze des Holzfeuers war letztlich gespeicherte Sonnenenergie. Der Mensch, dies zündelnde Tier, konnte nun gänzlich unverdauliche Biomasse gewinnbringend verbrennen. Er selbst aß gekochte Körner, das Pferd fraß Gras, das Feuer fraß Holz.

Steinkohlekraftwerk

Sogar mit versteinerter Biomasse konnte man das Feuer füttern. Auf dem Steinkohlefeuer wurde nun Stahl gekocht. Durch Verwertung  fossiler Biomasse wurde der nachhaltige Naturkreislauf zum industriellen Wirtschaftskreislauf. Die Energie, war nicht mehr zeitnah auf Feldern, in Wäldern gewachsen, sondern war schon vor Jahrmillionen verstorben, versteinert und dem Naturkreislauf entzogen worden. Der Bruch mit dem Nachhaltigkeitsprinzip war mit der Kohle noch nicht ganz vollzogen. Genau genommen steckt in den fossilen Energieträgern letztlich wiederum Sonnenenergie, nur eben die der Sonne von vor Millionen Jahren. Der Abfall der Kohleverbrennung, das CO2 stellt im Grunde noch einen biologischen Nährstoff dar und kann in Jahrhunderten vielleicht wieder von Pflanzen aus der Atmosphäre gesogen werden.

Kernspaltung

Mit dem Uranerz wurde erstmals ein Mineral genutzt, das gar nichts mehr mit der organischen Welt zu tun hatte. Mit der Kernenergie brach der Wirtschaftskreislauf aus dem Naturkreislauf aus. Angereichertes Uran ist hochgiftig, im Kernreaktor wird daraus waffenfähiges Plutonium. Der atomare Restmüll muss Hunderttausende Jahre abseits aller biologischen Kreisläufe gehalten werden. Die Kohle war ein verwertbares Überbleibsel vergangener Erdzeitalter. Der vergrabene Kernkraftmüll stellt für zukünftige Zeitalter ein geologisches Saldo dar. Die Kernspaltung ist der real existierende Super-GAU des Nachhaltigkeitsgedankens. Tiefpunkt dieser technologischen Verrenkung war Tschernobyl. Beim Versuch den Kernreaktor zu drosseln, schoss die Leistung ins Extrem. Uran und Plutonium verzehrten sich in einem unkontrollierten Spaltungsfeuer. Der tonnenschwere Grafitblock, in dem die Brennstäbe steckten, fing an zu brennen. Aus dem Reaktorkern formte sich ein höllisch heißer, radioaktiver Brei, der sich durch alle Hüllen, bis ins Erdreich fraß. Dieser Inferno-Industrie wurde immerhin hierzulande ein Ende gesetzt. Die Katastrophe machte deutlich, dass man sich nicht in der Zukunft, sondern in einem Jammertal bewegte.

Biodiesel

Der Albdruck der Tschernobylereignisse förderte ein Erwachen des Umweltbewusstseins. In Politik und Wirtschaft hielt die Idee von Nachhaltigkeit Einzug. Mit dem Biodiesel wurde ein Versuch gemacht zum altbewährten Kreislauf zurückzukehren. Ein Traktor, befeuert von Biodiesel, über ein Rapsfeld tuckernd, vom Mensch gesteuert, von der Sonne beschienen, mutet schon wieder sehr ursprünglich an. Wäre da nicht der kleine Haken, dass, in Form von Diesel, Dünger, Pestiziden, mehr fossile Energie in das Feld gesteckt wird, als in Form von Rapsöl wieder herauskommen kann. Paradox auch, dass Mensch und Maschine durch den Biodiesel zum ersten mal Nahrungskonkurenten wurden.

Solarkraftwerk

Die Solarenergie weist neue Wege. Das Solarkraftwerk ist nicht mehr ein Werkzeug um frische oder fossile Pflanzen zu verwerten. Es nimmt gewissermaßen deren Platz ein: Der Parabolspiegelwald wandelt Sonnenlicht in verwertbare Energie, wie sein pflanzliches Pendant. Das Solarkraftwerk speist sich nicht mehr aus irdischen oder unterirdischen, biologischen oder fossilen Reservoirs. Es nimmt mit der Sonne direkt deren Quelle in den Fokus und fängt für den Mensch ihr Licht ein.

Fusionskraftwerk

Ob Gras, Holz, Kohle, Biodiesel oder Licht - die große Quelle hinter all diesen ist die Fusionsenergie der Sonne. Die zugehörigen Techniken: Pferd, Feuer, Kohlekraftwerk, Traktor, Solarkraftwerk - sind nur Werkzeuge um diese Energie nutzbar zu machen. Würde es gelingen eine kleine Sonne auf der Erde nachzubauen, es wäre eine folgerichtige Vollendung all dieser Technologien. Ein Fusionskraftwerk liefert märchenhafte Mengen an Energie: Ein Gramm fusionierter Wasserstoff liefert die Wärme von elf Tonnen verbrannter Steinkohle. Endlagerabfälle fallen nicht an, CO2 spielt keine Rolle. Ein Super-GAU ist unmöglich, eine Verspargelung der Landschaft kann ausgeschlossen werden.



3.) Fusion

Wenn die Fusion so faszinierend vernünftig ist, wieso hört man so selten davon?

Die Fusionsforschung leidet unter dem Image der Kernspaltung. Dabei ist die Fusion das direkte Gegenteil. Anstatt schwere Elemente zu spalten, werden hier leichte Elemente fusioniert.

Aber ist nicht die Technik als Ganzes ein Problem?

Ohne Technik keine technischen Probleme! Ohne Technik aber auch nicht den gewohnten Lebensstandard. Die Technik ist ein Werkzeug. Es kommt darauf an, wie man sie benutzt: Schon der erste Affe mit einem Messer in der Hand, konnte sich entscheiden: Will er damit auf seinen Nächsten einstechen, oder will er sich damit ein Holzmännchen schnitzen? Die Alteuropäer benutzten das Schwarzpulver um sich gegenseitig Bleikugeln in den Bauch zu jagen, die  alten Chinesen nutzten es, um damit Feuerwerke an den Himmel zu zaubern. Der Mensch hat immer die Wahl: Setzt er die Technik zum Guten oder zum Schlechten ein? Sicher, ein Kohlekraftwerk kann nicht spontan als Solarkraftwerk genutzt werden. Die Technik ist heute spezialisierter, der Zweck ist eingebaut. Der Mensch hat heute die Wahl, welche Werkzeuge er sich bauen will. Zu was will er fähig sein? Will er weiter mit Kohlebaggern in der Erde wühlen, oder will er auf zu neuen Zielen? Er kann sich entscheiden.

Sollte nicht jeder Mensch für sich das Klima retten?

Viele Autofahrten lassen sich vermeiden. Der Mensch kann aufs Rad umsatteln! Weil mit dieser Umstellung wenig getan ist. Wer selbst kein Auto fährt, profitiert immer noch von Produktionsketten, die an fossiler Energie hängen. Der Mensch von heute kann sich nur scheinbar ausklinken. Ein Einkauf lässt sich super mit dem Rad transportieren. Wollte man den Traktor abschaffen und ein Fahrrad vor den Pflug spannen, käme man schnell an Grenzen. Die Wirtschaft will als Ganzes auf nachhaltige Beine gestellt werden. Ist die Fusion auch noch unreif, die Welt ist überreif für die Fusion. So wäre es schön, wenn wir uns darauf konzentrieren die Sonnenenergie auf die Erde zu holen, statt Menschen auf den Mond zu schießen.


Anstieg

Um das Sonnenfeuer zu zähmen, braucht es einen ausgefeilten Ofen: Er wird mit eiskalten Magnetspulen umwickelt, weswegen er gut isoliert sein sollte. Des weiteren braucht er eine gute Heizung: Wie nasses Holz, lässt sich der Wasserstoffnukleus nur ungern entzünden und bevor welche rauskommt, muss viel Energie reingesteckt werden.

Zunächst wird der leere Ofen noch leerer als Leer gepumpt. Trotz Vakuum, bleiben dabei einige lose Kohlenstoffe und Sauerstoffe, als Schmutz im Ofen zurück.

Das Vakuum wird nun gefüllt mit Wasserstoff. In der Wasserstoff-Wolke treiben die Teilchen noch träge aneinander vorüber. Wird der Wasserstoff nun erhitzt, legt er seine Elektronenhüllen ab, er ionisiert. Er ist positiv geladen, seine Elektronen schwirren ohne weitere Bindung umher: Die Wolke ist nun im Plasmazustand. Sie ist dadurch elektrisch leitfähig, magnetisch und sie neigt zu Turbulenzen.

Damit sie sich nicht verflüchtigt, wird sie von Magnetfeldflächen zusammengehalten. Von den Magnetfeldflächen ruht auf dem leichten Gas die Last mehrerer Tonnen. Trotzdem ist es hunderttausend mal dünner als Luft: Wenig Material nimmt sehr viel Raum ein, wenige Gramm füllen mehrere Kubikmeter.

Der Druck erzeugt Wärme. Die steigende Temperatur bringt die Teilchen in Bewegung. Damit sie nicht chaotisch aneinander vorbei schwirren, werden sie von Magnetfeldlinien in geordnete Bahnen gelenkt. Um die Feldlinien kreiselnd, können sie gut zu einander finden.

Die Plasma-Wolke wird nun vom Magnetfeld zu einem freischwebenden Ring geformt. Die Feldlinien werden in sich geschlossen. Der Wasserstoff kann so dem Schmutz und der Kälte der Ofenwände entgehen. Wird der Wasserstoff-Ring nun, in hoher Reinheit, unter guter Isolation, auf sehr hohe Temperaturen gebracht, kommt es zur Selbstzündung des Wasserstoff-Plasmas. Im Ring verschmilzt nun so viel Wasserstoff, dass die entstehende Wärme ausreicht, um weitere Wasserstoffe zu "zünden", sprich: zu verschmelzen. Der Ring ist nun von der externen Heizung unabhängig und treibt aus eigener Kraft die Temperatur auf die Spitze.

Bei der Fusion verschmelzen jeweils zwei Wasserstoff-Ionen zu einem übervollen Heliumkern. Das Helium stößt dabei ein Neutron aus. Dieses bricht aus dem Magnetfeld aus und kracht an die Ofenwand. Dabei werden einige Atome herausgeschlagen, die Bewegungsenergie wird in Wärme verwandelt.

Zenit

Im Zentrum läuft die Fusion auf Hochtouren. Damit das Wasserstoff-Feuer nicht ausgeht, werden von der Gefäßwand tiefgekühlte kleine Wasserstoff-Schneekugeln ins Zentrum geschossen. Der frische Wasserstoff verdampft und fusioniert zu Helium.

Hat das Helium in der Mitte das Neutron ausgestoßen, seine Wärme weitergegeben, dann fließt es ab, in den kühleren Randbereich. Hier strandet das frisch gebackene Edelgas an den Gefäßwänden. An magnetischen Inseln wird die Heliumasche gesammelt und ausgeschieden.

Die erhitzten Ofenwände werden mit Wasser gekühlt. Der Kühlkreislauf hat wieder eine recht alltägliche Temperatur von etwa fünfhundert Grad, was mit dem oberen Ende einer Kerzenflamme vergleichbar ist. Diesen wärmegetränkten Kühlkreislauf kann der Mensch nun anzapfen und in seinem Sinne weiter verwerten.

Im Gefäß glimmt nun das Plasma, das Sonnenfeuer ist gezähmt. Im transparenten Zentrum sind Temperatur und Reinheit am höchsten, am Rand haben die kühleren Ionen wieder ihre Elektronen angezogen: der Wasserstoff glimmt blau, das Helium glimmt rosa. Mit freigewordenen Atomen der Gefäßwand, umhüllen sie als leuchtender Schleier die reine, leichte und dünne Luft des transparenten, inneren Rings.

Abstieg

Wenn mal der Gipfel erreicht ist, wo, in den Ring gezwängt, das Fusionsfeuer lodert, wäre es schade, gleich wieder absteigen zu müssen. Die Forscher vom Max-Planck-Institut, haben sich deswegen dem besonnenen Aufstieg verschrieben. Dort versucht man den Berg mit den "Wendelstein"-Anlagen zu erklimmen. Diese können das jeweilige Energie-Niveau im Dauerbetrieb halten. Das Ziel ist hier also: Auf dem Gipfel das Basislager zu errichten. Würden Irrwege vermieden, könnte in vielleicht zwanzig Jahren ein solches HELIAS-Kraftwerk von dort oben Fusionsenergie liefern.

Das große Wasserstofffeuer, die Fusion würde die Wirtschaft speisen. Das kleine Wasserstofffeuer der Brennstoffzelle, würde den Traktor speisen. Gleichsam gezähmt, über ein Haferfeld schnurrend, würde er weder die Luft verschmutzen, noch anderer Wesen Essen wegschlürfen. Das Pferd steht dann daneben und frisst Hafer, das Feuer frisst wieder Holz, und der Mensch? Dieses vernünftige Tier fläzt in der Sonne und grillt einen Berg von Gemüsebratlingen.

Satt sitzt dann der Mensch in der Dämmerung. In der Runde glimmt die Holzkohle. Er lehnt sich zufrieden zurück, nimmt einen gereichten Schluck Feuerwasser … und steigt auf.

Johannes Siemensmeyer