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Gott ist ein Faschist

Über Bilder, Bände und Sites Von Peter Truschner
07.04.2018. Die Künstler Adam Broomberg und Oliver Chanarin transferieren Brechts "Photo-Epigramme" zum Zweiten Weltkrieg in den Kontext des aktuellen "War on Terror".
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2011 erschien beim Londoner Verlag Mack mit dem Buch "War Primer 2" eine gebundene Remix-Version von Bertolt Brechts "Kriegsfibel". Die Ausgabe, die auf lediglich hundert Exemplare beschränkt war, ist längst vergriffen und wird im Internet um 5.000 Euro gehandelt. Nun hat der Verlag eine erschwingliche Paperback-Ausgabe des höchst ambitionierten Buches herausgebracht, die nicht nur in keiner Fotobuchsammlung fehlen sollte, sondern darüber hinaus zu einer Wiederentdeckung und produktiven Auseinandersetzung mit höchst aktuellen Aspekten von Brechts Werk führen kann.

Die Künstler Adam Broomberg und Oliver Chanarin transferieren Brechts "Photo-Epigramme" zum Zweiten Weltkrieg in den Kontext des aktuellen "War on Terror", in dem sie Brechts Texte beibehalten, seine über Jahre aus Illustrierten und Zeitungen Bilder ausgeschnittenen Bilder jedoch mit im Internet gefundenen Fotos von Lynndie Englands fröhlicher Folter in Abu Ghuraib bis zur bewusst rohen Hinrichtung von Saddam Hussain durch den Strang überlagern, und sie dabei teilweise oder ganz verdecken (hier ein Video, in dem die Künstler ihr Projekt vorstellen). In diesem Kontext stellt das jedoch keinen Übergriff dar, sondern exemplifiziert die Methode der Überschreibung, die von kollektiver und individueller Gedächtnisarbeit ebenso erzählt wie von der bewussten Manipulation, an deren Ende jene umfassenden Auslöschungen stehen - von Leben, Glück, Geschichte -, die jede kriegerische Auseinandersetzung entweder intendiert oder aber mit sich bringt. "Noch bin ich eine Stadt, doch nicht mehr lange / Fünfzig Geschlechter haben mich bewohnt / Wenn ich die Todesvögel jetzt empfange / in tausend Jahr erbaut, verheert in einem Mond."

Zur Zeit seines skandinavischen Exils in den vierziger Jahren sammelte Brecht Zeitungsartikel und -fotografien über den Zweiten Weltkrieg und versah sie mit Vierzeilern - eine Montage, der er den Namen "Photo-Epigramm" gab. Er warf damit auch einen Blick auf eine Zeit, in der die fotografische und filmische Kriegsberichtserstattung ihren ersten Höhepunkt erlebte. Dem Krieg der Kanonen und Panzer korrespondierte der Krieg der Propaganda und der Bilder. "Die Photographie ist zu einer furchtbaren Waffe gegen die Wahrheit geworden", schreibt Brecht, und "sie kann ebenso gut lügen wie die Schreibmaschine". Die "Kriegsfibel" sollte im Geiste eines Lehrbuchs für die Grundschule eine "Anleitung geben, die in den Illustrierten publizierten Bilder entziffern zu lernen." (Auf Youtube gibt es Bilder und Texte zum Fragment der unvollendeten Oper "Kriegsfibel" von Hanns Eisler.)



Jedes Photo-Epigramm der "Kriegsfibel" besteht aus einer weißen linken Seite, einem schwarzen Rahmen auf der rechten Seite, einer Überschrift oder Originaltexten zum Foto, einem schwarzen Rahmen, einer Fotografie und einem vierzeiligen Epigramm. Es gibt Fotos von Hitler, vom spanischen Bürgerkrieg, vom deutschen Überfall auf Polen und die Sowjetunion sowie von japanischen Luftangriffen auf Singapur. Das legendäre Foto von Robert Capa, das die Landung der Alliierten in der Normandie zeigt, ist ebenso dabei wie ein Foto von Lion Feuchtwanger im Konzentrationslager, der als Jude, Intellektueller und Kommunist in mehrfacher Weise zum Stellvertreter unzähliger Verfolgter wird, dabei aber als Einzelschicksal ein Gesicht erhält.

In "War Primer 2" gibt es Fotos von Granateneinschlägen, einer barbusigen Soldatin auf einer Panzerkanone, Donald Rumsfeld auf einem Einrad, von fischenden GI's in Bagdad, vom Water Boarding in Guantanamo und von Dick Cheney, dem die Künstler das von John Willett übersetzte Brecht-Epigramm zur Seite stellen: "I was the bloodhound, brothers. That's the name / I gave myself, the working people's son / They recognised it; then the Nazis came / and housed and pensioned me for what I'd done."


Eine Doppelseite aus "War Primer 2".

Die Auswahl von Broomberg und Chanarin wirkt teilweise vulgärer, exhibitionistischer, was einerseits daran liegt, dass es Brecht mehr um die existenziellen Zusammenhänge geht, während Broomberg und Chanarin dem großen Zusammenhang ein weiteres, konkretes Glied hinzufügen, das von der menschlichen Unfähigkeit zu geschwisterlichem Miteinander und dauerhaftem Frieden kündet. Andererseits ist die hemmungslose Zurschaustellungskultur des eigenen Daseins auf Kosten anderer schlicht fester Bestandteil jener Soldaten und Soldatinnen, die mit Facebook und Instagram aufgewachsen sind.

"War Primer 2" fand eine ungeahnte Fortsetzung. Während ihrer Recherchen im Brecht-Archiv in Berlin stießen Broomberg und Chanarin auf Brechts Bibel, die voller Anmerkungen und beigefügter Bilder war. Das inspirierte die Künstler zu ihrem nächsten, inzwischen legendären Projekt "The Holy Bible" (Mack, London 2015), in dem sie auf Bibelgeschichten voller Gräuel und Gewalt ebensolche Bilder druckten, die im Sinne des Brechtschen Verfremdungseffekts den Betriebsfrieden der Narration stören und jede gedankenlose Identifikation verhindern.

Sowohl "War Primer 2" als auch "The Holy Bible" könnte ein Epigramm aus Brechts "Kriegsfibel" voranstehen: "Die Glocken läuten und die Salven krachen / nun danket Gott als Mörder und als Christ / Er gab uns Feuer, Feuer anzufachen / wisst: Volk ist Pöbel, Gott ist ein Faschist."

Adam Broomberg/Oliver Chanarin, "War Primer 2. 200 Seiten, 114 farbige Abbildungen, 24 x 29 cm. Mack 2018, London. 35 EURO. ISBN 978-1-912339-14-3 (Buch beim Verlag).
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