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Aufgenommen und abgestellt

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
11.12.2020. Drei Fotobücher zeichnen präzise Porträts eines sozialen Milieus: Über Jindrich Streits einst verbotene Expeditionen in den real existierenden Sozialismus. Sibylle Fendts empathische Zwiesprache mit allein gelassenen Flüchtlingen in einem Schwarwaldtal und Claudia Reinhardts diskreten Blick in die Stuben deutscher Witwen.
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Ana  Druga und Thomas Gust vom Verlag "Buchkunst Berlin" haben sich daran gemacht, einen nächsten Coup zu landen.

Ohne auf die mittels Propaganda verbreitete Außendarstellung des kommunistischen Regimes Rücksicht zu nehmen, hielt Jindrich Streit ungeschminkt das einerseits raue, triste, andererseits von Lebensfreude und Gemeinschaftlichkeit erfüllte Leben der armen tschechischen Landbevölkerung in seinen Fotos fest. Als Folge davon wurden 1982 seine Negative beschlagnahmt, Streit gefangen genommen, wochenlang verhört und mit einem Veröffentlichungsverbot bedacht. Wegen "Verleumdung und Diffamierung der Republik und des Präsidenten" wurde er schließlich zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

© Jindrich Streit, Buchkunst Berlin




















Das hört sich für heutige Ohren weit entfernt an. Ich selbst habe jedoch in den Fotos die Welt meiner Mutter wieder erkannt, die -1946 geboren - am Bauernhof meiner Großeltern im südlichen Kärnten aufgewachsen ist.

Der Schwarzweißfernseher, um den sich in der Küche alle nach getaner Arbeit versammeln, ungewaschen, ungekämmt, Gesichter und Hände von harter, körperlicher Arbeit gezeichnet und das ohnehin schlechte Fernsehbild umwölkt vom Qualm der Zigaretten.

Das Lieblings-Schwein, das sich am Hof frei bewegen konnte wie eine Katze und sogar mit in die Stube durfte, wobei nie sicher war, ob es nicht am Ende doch noch geschlachtet wurde.

Die fest im Alltag verwurzelten, katholischen Rituale, von der Segnung der Felder um einer reichen Ernte willen bis zur Aufbahrung der Toten im Haus, denen das ganze Dorf die letzte Ehre erwies.

Mit dem Ende der kommunistischen Herrschaft wurde Streit rehabilitiert und zu einem Klassiker, dessen Fotografien auf der ganzen Welt gezeigt werden. Das Fotobuch "Village People 1965-1990" zeigt nun 137 davon - in Wahrheit nur eine kleine Auswahl.

Extra hinweisen möchte ich auf den hervorragenden Druck, der die aufgrund der teils mangelhaften Qualität osteuropäischer Fotofilme ausgebleichten und verschwommenen Negative mit einem aufwändigen Verfahren in für verloren geglaubter Qualität zeigt - viele davon zum ersten Mal.

Jindrich Streit: Village People 1965-1990. 184 Seiten, 22,5 x30,5 cm, Hardcover. Verlag Buchkunst Berlin, Berlin 2020, 45 Euro. ISBN 978-3-9819805-6-1






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Wie ihrer Zeit enthoben wirken dagegen die Fotos von Sibylle Fendt - und künden dabei doch von der unmittelbaren Gegenwart.

Das Holzbachtal liegt im tiefen Schwarzwald. In Wanderratgebern wird es als "romantisch" beschrieben und ist beliebt bei Mountainbikern. Kein Supermarkt, kein Wirtshaus, keine Tankstelle, nur eine Straße, ein Bach und dichter Wald.

Dort lag bis 2018 die Flüchtlingsunterkunft "Holzbachtal 8", in der bis zu siebzig ausschließlich männliche Flüchtlinge untergebracht waren, die inmitten dieser von der Außenwelt so gut wie isolierten Waldeinsamkeit nichts zu tun hatten außer zu warten (nicht zuletzt auf ihren Asylbescheid), zu schlafen, zu kochen, fernzusehen und sich mit ihren Handys die Zeit zu vertreiben. Die Unterkunft war spärlich eingerichtet, die Bewohner bauten sich mit der Zeit höhlenartige Behausungen, in die sich zurückziehen konnten und den Blicken der anderen entzogen waren.

"Nothing" gäbe es hier zu tun, "nothing", sagten die Flüchtlinge zu Fendt - weshalb das Buch konsequenter Weise "Holzbachtal, nothing, nothing" heißt.

Fendt gelingt es mit ihren Fotos, jenes Vakuum spürbar zu machen, in dem die Männer ihr Dasein fristen, manchmal gefährlich nahe an einer existenziellen Erstarrung, die sie in ein Objekt verwandelt, das in einem Schließfach darauf wartet, abgeholt zu werden. Fendt ist den Männern nahe gekommen, ihnen eine Art Vertraute geworden - anders ist es nicht zu erklären, wie fragil und verloren sich die jungen Männer aus der Levante, dem Maghreb, West- und Zentralafrika dem Auge ihrer Kamera präsentieren.  

© Sibylle Fendt, Kehrer Verlag




























Wer diese Gegenden einmal bereist hat, weiß, wie wichtig das gemeinsame Essen ist, zu dem Fendt immer wieder eingeladen wird, und dessen Zubereitung sie in stillebenartigen Bildern festhält, die nichtsdestotrotz davon künden, dass sich inmitten des Vakuums das Leben rührt, sich Düfte verbreiten, ein vorfreudiges Gelächter in der Luft liegt.

"Es gab kaum Anstrengungen, die Bewohner zu integrieren", sagt Fendt. Die wechselnden SozialarbeiterInnen seien überfordert gewesen. "Jeder schob die Schuld dafür, dass der Ort so verwahrlost war und die Bewohner so vereinsamt waren, auf andere."

Fendts Buch kreist in seinem unausgesprochenen Kern darüber, dass aufgrund internationaler, nicht von allen Unterzeichnern in gleicher Weise erfüllten Abkommen junge, arbeitswillige und überwiegend motivierte Menschen aufgenommen und dann abgestellt werden wie Regenschirme in einem Ständer - und das schlimmsten Falls für Jahre.

Unweigerlich muss man an die Geschichte jenes bayrischen Handwerksbetriebs denken, der drei Schwarzafrikaner einstellte, die sich nicht nur als überaus geschickt erwiesen, sondern trotz anfänglicher Skepsis bald bei allen beliebt waren - und die dann gegen den Widerstand der Einheimischen aufgrund des negativen Asylbescheids wieder nach Hause verfrachtet wurden.

Wo liegt darin der Sinn, fragen Fendts eindringliche Fotos, und fordern dazu auf, sich Gedanken darüber zu machen, wie es in Zukunft besser laufen kann.


Sibylle Fendt: Holzbachtal, nothing, nothing. 168 Seiten, 20x24 cm, Hardcover. Kehrer Verlag, Heidelberg 2020, 38 Euro. ISBN 978-3-96900-000-7 (Kaufen bei eichendorff21)













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Wo Fendt das Warten thematisiert, ein räumliches und zeitliches Dazwischen, in dem bei aller wachsenden Resignation eine Flamme der Hoffnung glimmt, machen alles Hoffen und Warten bei Claudia Reinhardt keinen Sinn mehr, da der Lebensmensch für immer verloren ist.

Reinhardt kennt Frau D. von Kindheit an. Als Frau D.'s Mann nach gemeinsam verbrachten fünfzig Jahren an Parkinson stirbt, keimt in Reinhardt die Idee zu "Witwen. Widows", einem Buch, das den Frauen der Kriegsgeneration gewidmet ist, die ihre Männer zumeist überleben und allein in Wohnungen zurück bleiben, wie ich sie selbst noch aus den siebziger und achtziger Jahren kenne.

Der Kindheit und Jugend vom Krieg und einem verbrecherischen Regime beraubt. Immer im selben Ort und mit demselben Mann gelebt. Zuletzt hinterblieben in Wohnungen, die sich nur unwesentlich voneinander unterscheiden: Dunkle Schlafzimmer und schwere Holzbetten. Das Wohnzimmer, das immer für den unerwarteten Besuch, der nie kam, blitzsauber gehalten wurde. Gestickte Deckchen auf blank polierten Tischen und glatt gestrichenen Bettdecken. Der in einer unwiederbringlichen Vergangenheit wurzelnde Naturalismus einzelner Ölgemälde an der Wand.

Das Zuhause ist nichts, was man zeigt oder ausstellt, schreibt Reinhart, was ihre Recherche nicht gerade einfach machte - noch dazu, wo sie das Risiko einging, die Gesichter und Körper der Frauen nicht zu zeigen.

© Claudia Reinhardt, The Green Box























Die eine oder andere Frau gehört aktuell zu jener Gruppe, die in Bezug auf Covid 19 das größte Risiko zu tragen hat, was die Politik dazu zwingt, so zu tun, als würde sie sich für sie interessieren, nachdem der Krankenhaus- und Pflegebetrieb in den letzten zwanzig Jahren vorsätzlich kaputt gespart wurde.

Reinhardt zieht sich aus den geradezu intimen Räumen, in die sie vordringt, sogleich wieder zurück. Es ist beinahe quälend zu sehen, wie sehr sie sich als Fotografin zurücknimmt, hinter ihren Fotos verschwindet, die wie Ikonen sind, bei denen sich das Eigentliche nicht vordergründig offenbart. Die Fotos sind bar jeder Sexyness, ihr Glamourfaktor liegt im Minusbereich, und die ihnen zugrunde liegenden Praktiken und Paar-Rituale sind für niemand von Bedeutung, der mit seiner Arbeit Aufsehen erregen will.

Reinhardts Diskretion und Zurücknahme sind umso erstaunlicher, wenn man ihre Anfänge kennt.
Die knallige, ungezügelte Lust an der Performance irgendwo zwischen Cindy Sherman, Nan Goldin und Tracy Emin von "Schau mich bitte nicht so an..." (1998), die gebändigt in "Killing Me Softly" (2004) mündet, in dem Reinhardt die Selbstmorde prominenter Frauen wie Sylvia Plath oder Unica Zürn mit sich selbst darstellt: Arbeiten, die für den heute im Kreativmilieu längst konformen Hype um #metoo oder den "Female Gaze" schlicht zu früh kamen, und die man jungen Frauen heute förmlich aus der Hand reißen und in Ausstellungen zeigen würde.
"Witwen" stellt nicht zuletzt auch einen Anlass dar, sie wiederzuentdecken.



Claudia Reinhardt: Witwen.Widows. 80 Seiten, 25x32 cm, Hardcover. The Green Box, Berlin 2020, 30 Euro. ISBN: 978-3962160050











Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de