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Mal ohne, mal mit einer Flasche Bier

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
13.10.2020. Als der Fotograf Abe Frajndlich ihn im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1985 in San Pedro besucht, ist Charles Bukowski längst ein abgezockter Showman, der Besuchern das bietet, was sie sehen wollen: Hank, der Berserker. Frajndlich schickt Fotos des ersten Shootings nach Frankfurt, der verantwortliche Redakteur Hans Georg Pospischil bescheidet ihm knapp, dass das Material "scheiße" sei... Heute ist Bukowski mega-out - aber ein Anlass, mal über längst vergangene Zeiten nachzudenken.
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Als ich das Päckchen des Hirmer Verlags öffne und darin das Buch "Bukowski: The Shooting" von Abe Frajndlich vorfinde, muss ich unwillkürlich lachen - mehr aus der Zeit gefallen geht schließlich kaum.

Dabei gäbe es jetzt so unglaublich Wichtiges, in unzähligen Veranstaltungen und Ausstellungen Abgefeiertes: Berlin/Deutschland 1945, Berlin/Deutschland 1990. Das Tagesgeschäft nicht zu vergessen (Flüchtlinge, die Situation in den USA und  so weiter) Für all das (und noch viel mehr) gibt es supertolle Fotobücher, die natürlich alle einen eminent politischen Anspruch haben. Und dagegen Bukowski, der an Politik im Grunde desinteressiert war - dazu autoritätsfeindlich, delinquent, Alkoholiker, Macho und der Meinung, dass "man erst einige Male sterben muss, um wirklich leben zu können."

Wozu sich mit so einem alten weißen Sack beschäftigen, der vor hundert Jahren in Rheinland-Pfalz das Licht der Welt erblickte (ein etwas anderes deutsches Jubiläum, könnte man sagen)? Vielleicht, weil das manchmal einfach lustiger ist, als sich mit dem zu beschäftigen, was andere ohnehin pflichtschuldig und mit dem gebotenen Ernst abhaken und in ähnlich lautenden Artikeln den verbliebenen Leser*innen des Kulturteils zur Kenntnis bringen (müssen).
Also dann.

Heinrich Karl Bukowski, genannt Charles, wird am 16. August 1920 als einziges Kind von Katharina Fett aus Andernach und Henry Heinrich Bukowski geboren. Der Vater ist ein deutschstämmiger Amerikaner aus Pasadena, der mit seiner Familie 1923 von Bremerhaven nach Baltimore und schließlich nach Los Angeles zieht. Die Mutter arbeitet als Näherin, der geringfügig beschäftigte Vater verprügelt Charles regelmäßig aus nichtigem Anlass brutal mit dem Lederriemen.  In Verbindung mit seinem deutschen Akzent und einer grauenvollen Akne, deren Narben seinem Gesicht für immer das Schrundige eines Reptils verleihen, ist er der prädestinierte Außenseiter und wird mit der Zeit seinem eigenem Bekunden nach zu einer Art "frozen man": ein misstrauischer Vagabund, der Vergessen sucht und sich auf niemand wirklich einlässt.

Er liest früh D.H. Lawrence, John Dos Passos und Ernest Hemingway, bricht sein gerade begonnenes Studium ab und reist in den vierziger Jahren ziellos durch die USA. Das Geld dafür verdient er sich mehr schlecht als recht als Lagerarbeiter oder Leichenwäscher. In dieser Zeit entdeckt er seine Liebe zur klassischen Musik, Beethoven, Brahms, Tschaikowski, später Bach, die ihn nicht mehr loslassen wird.

© Abe Frajndlich, Hirmer Verlag




























1960 erscheint sein erstes Buch, die Gedichtsammlung "Flower, Fist and Bestial Wail". Seine wöchentlichen "Notes of a Dirty Old Man" in der Zeitschrift Open City sind der letzte heiße Scheiß. Sein Name wird schließlich in einem Atemzug mit Jack Kerouac und William S. Burroughs genannt.
Bukowski hat mit dem gesellschaftlichen Aufbruch der sechziger Jahre jedoch nichts zu tun.  Er ist kein Teil der kommenden Hippiebewegung, die jungen Beatniks sind ihm zutiefst suspekt: zu bürgerlich, zu intellektuell, zu viel Gruppendynamik. Nichts für jemand wie ihn, der elf Jahre als Briefträger und -sortierer bei der Post tätig ist und während des Dienstes um ein Haar an einem geplatzten Magengeschwür stirbt. Erlebnisse dieser Art verarbeitet er 1970 in seinem ersten Roman "Post Office", den er innerhalb von vier Wochen vollendet.

Sein Werk ist ein Spiegel seines Lebens: prekäre Jobs, versiffte Bars, verwanzte Matratzen, Besäufnisse, die sich wie großartige Ficks, und Ficks, die sich wie der Kater danach anfühlen. Seine Protagonist*innen sind Kleinkriminelle, Alkoholiker, Obdachlose, Prostituierte, in die sein literarisches Alter Ego Henry "Hank" Chinaski immer wieder mal torkelt wie in ein offenes, dabei stumpfes Messer (oder aber sie in ihn). Als er berühmt wird und sich einen veritablen Ruf als genialischer Wüstling erarbeitet hat, geben sich die Frauen förmlich die Klinke seines Bungalows in East Hollywood in die Hand - und das, obwohl er noch in den siebziger Jahren, als er gut von seinen Texten leben kann, zwischen Unmengen leerer Weinflaschen und Zigarrenstummel haust und sich am Ende einer Nacht oft in einer Ausnüchterungszelle wieder findet  - bis er schließlich seine zukünftige Frau Linda Lee kennen lernt, ins beschaulichere San Pedro zieht und es generell ruhiger angehen lässt.

Allein in Deutschland haben sich mehr als vier Millionen Bücher von Bukowski verkauft.

Als der Fotograf Abe Frajndlich ihn im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1985 in San Pedro besucht, ist Bukowski längst ein abgezockter Showman, der Besuchern das bietet, was sie sehen wollen: Hank, der Berserker. Frajndlich schickt Fotos des ersten Shootings nach Frankfurt, der verantwortliche Redakteur Hans Georg Pospischil bescheidet ihm knapp, dass das Material "scheiße" sei und er es bitte doch noch mal versuchen solle. Wider Erwarten gelingt es Frajndlich, Bukowski zu überzeugen - als er bei ihm auftaucht, hält ihm Hank plötzlich ein Bowie-Messer an die Kehle und fragt: "Is this what those fucking Krauts want?" Frajndlich stammelt überglücklich: "Yes! Perfect!"

Das Buch zerfällt somit in zwei Teile: im ersten zeigt Frajndlich den Alltag Bukowskis: an der Schreibmaschine sitzen, dabei saufen und rauchen; vor Zitronenbäumen im Garten sitzen, dabei saufen und rauchen; mit Linda Lee kuscheln, mal ohne, mal mit einer Flasche Bier in der Hand.

Im zweiten Teil gibt Hank dem Affen Zucker: er setzt mit nacktem Oberkörper vor rosa Hintergrund eine Sonnenbrille verkehrt herum auf; er setzt zwei Sonnenbrillen auf; er erhitzt mit der Flamme eines Feuerzeugs das Bowie-Messer; er fotografiert den Fotografen; Linda sitzt auf seinem Schoß, reißt die Arme in die Höhe und kreischt dazu.

Dieser vordergründige, komplett inszenierte Promi-Mist begeistert Pospischil, und nicht nur ihn. Irgendwelche pseudocoolen Fotos von Prominenten faszinieren seit je die Leute und waren für viele Fotograf*innen der Schlüssel zum Durchbruch (und zum Geld), ob Irving Penn oder Richard Avedon, Bryan Adams oder Anton Corbijn. Ich persönlich habe nie verstanden, warum an sich intelligente Menschen meiner Umgebung berührt aufseufzen, wenn sie zum Beispiel auf Instagram ein Foto von Andy Warhol sehen. Vom brennenden Interesse am Über- oder Untergewicht von Schauspielerinnen und deren (Un-)Glück in der Liebe ganz zu schweigen.

© Abe Frajndlich, Hirmer Verlag


















Bukowski ist out. Nicht nur dessen zuerst klein geprügeltes und gerupftes, später wieder in die Höhe schießendes Gockel-Ego. Auch der Dreck, der ihm anhaftete wie Ausschlag, und schon zu Zeiten von Frank Castorfs und Bert Neumanns Trash-Ästhetik an der Berliner Volksbühne nur noch bourgeoise Attitüde war.

Echte Unterschicht ist sowieso mega out, der blanke Horror der deutschen Besitzstandswahrungsgesellschaft, etwas, das man im Privatfernsehen der Häme preisgibt und im öffentlich-rechtlichen kritisch abhandelt, während man die über 300.000 Euro jährlich für ZDF-Intendanten naturgemäß völlig unkritisch sieht.
Alkohol wird nie out sein, auch wenn manche heute lieber kiffen. Sachbücher gehen noch, aber Belletristik ist out. Weiß ist out. Hetero ist out. Mann ist mega out. Die Sensenfrau der Cancel Culture fährt grimmig ihre üppige Ernte ein unter mit dem Fluch eines Penis behafteten Boomern.

Apropos Mann: Was wollten eigentlich all die Frauen von der alten Hackfresse Hank?

Dass (dazu berühmte) Künstler auf Frauen einen Reiz ausüben, braucht wohl nicht weiter ausgeführt zu werden. Aber Bukowski war nicht berühmt, er war berüchtigt, derb, in Bezug auf Frauen ein provinzieller Reaktionär, der Sprachmüll von der Art absonderte: "Feminismus existiert nur, um hässliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren." Warum also das Interesse an (Sex mit) ihm? Logische Antwort: darum.

Die Frauen waren auf dem Weg, aus dem häuslichen Terrarium auszubrechen, das sie in den fünfziger Jahren in Erwartung der Heimkehr ihres Bürohengstes ebenso blitzsauber zu halten hatten wie ihren Ruf. (Ein anderer emigrierter Deutscher hat diese Atmosphäre perfekt eingefangen: der Filmemacher Douglas Sirk.) Dafür war Bukowski eine Art Schocktherapie und Gegengift zugleich, auch eine Prüfung, ob man es ebenso krachen lassen konnte (und das überhaupt wollte), wie es zu dieser Zeit den Männern vorbehalten war. (Feudale Upper Class-Schlampen wie Peggy Guggenheim fanden natürlich trotzdem genug Gelegenheiten vor, sich auszuleben).

Im Pleistozän, in dem ich gefühlt meine Jugend verbrachte, waren Hippie und Rock vorüber, es regierten Punk und Heavy Metal. So manches blasse Bürschchen aus meinem Gymnasium zog sich Bukowski rein, obwohl oder weil ihm letztlich nichts anderes blieb, als irgendwann Papas Praxis zu übernehmen. Jedoch lasen auch viele Mädels Bukowski, vor allem an der Uni. Aber nicht etwa, weil sie diesen Typ Mann bewunderten, sondern weil sie sich genau so viel herausnehmen wollten wie er. Virginie Despentes schreibt in "King Kong Theorie": "Die feministische Revolution hat wirklich stattgefunden. Da ich Lust auf ein Männerleben hatte, führte ich ein Männerleben. Horizonte haben sich geweitet, Freiräume plötzlich aufgetan, als wären sie immer da gewesen." Auch nachdem sie vergewaltigt wurde, ändert Despentes ihren Lebensstil nicht. Sie trampt weiter, betrinkt sich, übernachtet in Grünanlagen und auf Bahnhöfen. "Ich habe es danach noch hundertmal riskiert, vergewaltigt zu werden. Was ich damals erlebt habe, war unersetzlich und weit intensiver, als wenn ich aus Angst zu Hause geblieben wäre. Es waren die besten und reichsten, dröhnendsten Jahre meines Lebens, und ich habe die Kraft gefunden, alle damit einhergehenden Schweinereien zu überstehen."

Womit wir am Ende wieder bei Bukowski wären, bei dem es einmal heißt: "Am wichtigsten ist, wie gut du durchs Feuer gehst".



Abe Frajndlich: Bukowski. The Shooting. 96 Seiten, 20 x 25 cm, Hard Cover. Hirmer Verlag, München 2020, 29,90 Euro. ISBN: 9783777436678
(Bestellen bei eichendorff21)







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In eigener Sache: Wie im letzten Fotolot angekündigt, gibt es am 24./25. Oktober im Berlin Creative Space meinen Workshop zum Thema "Sprachen des Körpers". Obwohl die Corona-Situation in Berlin inzwischen schwierig ist, hoffen wir, mit einer stark eingeschränkten Anzahl an TeilnehmerInnen die Veranstaltung realisieren zu können. Das Studio ist weiträumig, sodass alle den Abstand erhalten, der ihnen ein sicheres Gefühl gibt.
















Am Samstag geht es in einer Lecture um künstlerische Parameter der Akt- und Porträtfotografie, zumBeispiel Zeit und Raum. Der Aberglaube vom "entscheidenden Moment". Das Gegenüber. Nacktheit. Fremdheit.  Mann/Frau. Schamgrenzen. In der Situation. Das Unsichtbare. Der Punkt ohne Wiederkehr.

Am Sonntag folgt mit anwesendem Modell die Praxis: Wie kann ein von individuellen Erfahrungen und Zielen geformter, künstlerischer Zugang zum Körper aussehen? Welche Möglichkeiten gibt es, um Körperlichkeit und Nacktheit jenseits gängiger Vorstellungen abzubilden?

Zur Buchung der Veranstaltung geht es hier:

https://www.eventbrite.de/e/wochenend-fotoworkshop-sprachen-des-korpers-mit-peter-truschner-tickets-123146306919

Die Anmeldefrist endet am 20. Oktober.

Let's hope for the Best!

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de
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