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Im Euro-Disney für Klassikfreunde

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
15.09.2022. Am Wiener Arsenal-Gelände in Nachbarschaft zu Belvedere und Hauptbahnhof entsteht auf siebenhundert Quadratmetern "Foto Arsenal Wien", das "europaweite Strahlkraft" entwickeln und seine Wirkung in der "internationalen Welt der Fotografie" entfalten soll. Gewährleisten soll das: der langjährige Chefkurator von C/O Berlin, Felix Hoffmann. Im vergangenheitssüchtigen Wien kann  man ihm nur das beste wünschen! Dies und weiteres in einem spätsommerlichen Wien-Rundgang
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Zum Abschluss meiner Fotolot-Texte, die im Zuge meiner Arbeit im Wiener Atelier entstanden sind, ein spätsommerlicher - oder bereits frühherbstlicher - Streifzug durch aktuelle Ausstellungen, Events und Personalentscheidungen.

Im Wien gab's jetzt gerade die Kunstmesse "Viennacontemporary", die nach dem Abgang ihres Vorstandsvorsitzenden und Hauptsponsors Dmitry Aksenov als Schrumpfausgabe im sogenannten Kursalon des Wiener Stadtparks stattfand.  Nach offiziellen Verlautbarungen zog sich Aksenov, der auch Vorsitzender russischer Freunde der Salzburger Festspiele ist und kein ausgewiesenes Naheverhältnis zu Putin und dessen Gefolge unterhält, zurück, weil Galerien aufgrund der aktuellen politischen Lage einen Imageschaden fürchteten. Zudem war man, so Geschäftsführer Markus Huber, in Sorge, dass "Aksenov und seine Familie, die in Russland lebt, (…) aufgrund der klaren Positionen, die die Viennacontemporary vertritt, (…)  gefährdet werden".

Das mag  zutreffen - plausibel wäre aber auch, dass Aksenov, der der Messe über die Jahre Millionen zugeschossen hat, der Abschied nicht schwer fiel, weil er mit der Zeit enttäuscht darüber war, dass sie sich nicht zu dem entwickelte, was er sich seit seinem Einstieg 2013 davon erhoffte: ein Dreh- und Angelpunkt der Kunst und des Handels mit ihr zwischen West und Ost zu werden.

Hätte ich Aksenov damals zufällig auf einer Veranstaltung von seinen Plänen reden hören, hätte ich ihm abgeraten.
Die Jahre der Blüte der österreichischen Kunst waren da schon eine Zeitlang vorüber, Christoph Schlingensiefs spektakuläre Container-Aktion bei den Wiener Festwochen, bei der man wie beim Dschungelcamp (vermeintliche) Asylbewerber per Stimmabgabe wieder nach Hause schicken konnte, war eine der letzten Zuckungen dieser Ära, für die Namen wie Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard oder Claus Peymann stehen.

Im Laufe der Nullerjahre ähnelte der Wiener Kulturbetrieb allmählich wieder jenem, an die gegenwärtigen Verhältnisse und Diskurse lediglich angepassten Salon des Ehepaars Auersberger, den Thomas Bernhard in seinem Roman "Holzfällen" als selbstzufriedene Hochkulturfinsternis zwischen Staatsoper und Burgtheater verewigt hat (Wiener Tafelspitz inklusive).  

© Viennacontemporary





















Auf der "Viennacontemporary" roch es weniger nach Fleisch als nach Geld.

Im Eingangsbereich war die Parfümwolke so aufdringlich, dass der eine oder die andere niesen musste. Auf der Preview konnte von einem Rückzug des russischen Klientels keine Rede sein - allseits junge Nachwuchs-Oligarchen und ergraute Männer von Welt, die langbeinige und russisch säuselnde Models, Typ Barbie 18+, durch die schmalen Wege des Kunstpuppenhauses führten.
Dazwischen unglaublich überlegen wirkende Frauen von Welt, Typ Barbie 50+, nicht selten appliziert mit Aufsehen erregenden, kleinen Modespektakeln von Gucci bis Vivienne Westwood.

Wenn dann noch Agnes Husslein, die aufgrund  von Compliance-Problemen als Chefin des Belvedere das Feld räumen musste, über die "Ethics of Collecting" parliert, vermeint man in der Kunst-Ferne Thomas Bernhard zu Johann-Strauß-Klängen lachen zu hören. Was die Fotokunst betrifft, konnte man die Veranstaltung komplett vergessen - neben ein paar etablierten Positionen wie Eva Schlegel gab es nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ nichts Besonderes zu sehen.

Leider galt das auch für die gleichzeitig stattfindende Messe "Parallel Wien", die sich als Alternative zum etablierten Betrieb versteht, und diesem Anspruch vor allem in Bezug auf die großartigen Räumlichkeiten - leer stehende Gebäude der Wiener Semmelweisklinik - und die unbürokratische Lässigkeit des Ablaufs der Veranstaltung gerecht wurde, weniger in Bezug auf die verhandelten ästhetischen Positionen.

Die künstlerische Fotografie führt in Wien traditionell ein Schattendasein. Abgesehen von den beiden über die Jahre etablierten Anlaufstellen Peter Coeln und Regina Anzenberger verirrt sich ab und an mal eine ansprechende Foto-Position in eine der etablierten Kunst-Galerien, mehr aber auch nicht. Nicht nur in der Breite, auch in der Spitze tut sich wenig - Elfriede Semotan wird seit einiger Zeit abgefeiert, als handele es sich bei ihr um eine Künstlerin vom Range Cindy Shermans.

Eine Messe namens "Foto Wien" wird auch veranstaltet, weil man heute so etwas nun mal im Portfolio städtischer Kulturpolitik hat - die Berliner Photo Week lässt grüßen. Eine Art Nachwuchsmesse gibt es auch, "Off Grid" - ich überlasse es den werten LeserInnen, sich ihr Urteil über das Programm zu bilden. Einer ihrer Mitbegründer zeichnet auch für das Periodikum  "Auslöser" mitverantwortlich, in dem intelligente, respektvolle Menschen intelligente, respektvolle Gespräche über Fotografie und Bildkultur führen.

Nun wird auch die im Museum Hundertwasser beheimatete, von Bettina Leidl und Verena Kaspar-Eisert verantwortete Fotoschiene - mit Ausstellungen von Alec Soth bis Susan Meiselas - abgedreht. Ersatz war jedoch rasch zur Hand. Am Arsenal-Gelände in Nachbarschaft zu Belvedere und Hauptbahnhof entsteht auf siebenhundert Quadratmetern "Foto Arsenal Wien", das gemäß Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler "europaweite Strahlkraft" entwickeln und seine Wirkung in der "internationalen Welt der Fotografie" entfalten soll. Gewährleisten soll das ein Kurator, der sich in einem Findungsprozess gegen zweiunddreißig MitbewerberInnen (darunter zwölf Frauen) durchgesetzt hat: der langjährige Chefkurator von C/O Berlin, Felix Hoffmann.

Hoffmann hat gemeinsam mit seinem Brother in Crime, Stephan Erfurt, C/O Berlin von einer Location für Fotobegeisterte zu einem international renommierten Ausstellungshaus gemacht. Wenn man bedenkt, dass C/O Berlin etwa in Zusammenarbeit mit dem MoMA die Irving-Penn-Ausstellung nach Berlin gebracht  hat, und allein nur die Anzahl der Mitarbeiter und das Budget  der beiden Institutionen vergleicht, kann man ermessen, wie viel Kraft und Arbeit solche Unternehmungen gekostet haben. Allerdings liegt darin auch ein Haken: Irgendwann wurden diese großen Formate zum eigentlichen Inhalt von C/O Berlin, manchmal konnte man im Spaß Wetten darauf abschließen, ob die nächste große Retrospektive einem noch lebenden oder bereits  toten US-amerikanischen Fotografen (m/w/d) gilt.

© Trevor Paglen, Revolver Verlag























Darunter gelitten hat nicht zuletzt die Nachwuchsschiene und das damit  - ob zu Recht oder zu Unrecht - verbundene Element der Innovation. Punktuell gab es Berührungspunkte, etwa in der "Surveillance"-Ausstellung, wo Arbeiten von KünstlerInnen wie Trevor Paglen und Vanessa Binstock zu sehen waren. Ansonsten sind KünstlerInnen, die in den Zehner Jahren international hervorgetreten sind - Richard Mosse, Mari Katayama, Zanele Muholi, Laia Abril, um nur ein paar zu nennen - zumeist an C/O Berlin vorüber gegangen.

Der hauseigene "Talent Award" ist eine reine Wohlfühlveranstaltung - begabte junge KünstlerInnen, deren Arbeiten sich leider überwiegend dadurch auszeichnen, frei von jeder Ambivalenz zu sein und die allgemeine Betriebsruhe nicht wirklich zu stören.  Wenn also die Wiener Kulturstadträtin sich von Hoffmann eine "erstklassige Expertise und (…) internationale Vernetzung" erhofft, ist sie bei ihm genau richtig. Wenn sie jedoch von der "Einbeziehung der jüngeren Generation" mit einem eigenen "Fokus  auf Wien" spricht, muss man bezweifeln, ob das klappen kann.

Nicht zuletzt auch, weil Wien leider ein wohlstandsverwahrloster Winkel der Gegenwartskunst geworden ist, ein touristisch aufbereitetes Euro-Disney für Klassikfreunde aller Sparten, in denen - nicht anders als in Skandinavien oder auf angloamerikanischen Elite-Unis - auch die Jüngeren unausweichlich geprägt sind vom allgemeinen Streben nach Karriere, Besitz, Sicherheit und Komfort der Generation ihrer (Groß-)Eltern - selten eine gute Voraussetzung für prickelnden Nachwuchs. Dazu sorgt die Stadt zwar qua Vereinsförderung, Verlagsförderung, Galerieförderung, Atelierförderung, Projektförderung und so weiter für eine auskömmliche, finanzielle Grundausstattung, aber auch dafür, dass die immergleichen Institutionen und Personen - auf Wienerisch "Hawara" - immer die mit Abstand größten Stücke vom  Kuchen abbekommen, sodass sich grundsätzlich nicht wirklich etwas ändern kann - was es schlussendlich auch nicht soll.

In dieser in Bezug auf künstlerische Formate  konservativen, dazu vergangenheitslastigen Atmosphäre darf man gespannt sein, ob es Hoffmann gelingt, "mit meiner Neugier und Leidenschaft dazu beitragen zu können, dass mit dem FAW ein Kraftwerk und Generator entsteht" - zu wünschen wäre es ihm, Wien und der Fotografie auf jeden Fall.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de


Wer sich übrigens einmal davon überzeugen will, ob ich selbst den von mir formulierten Ansprüchen in Bezug auf die Fotografie auch nur annähernd gerecht werde, der kann sich vom 17. bis 25. September im Pavillon des Berliner Milchhofs neueste Arbeiten von mir ansehen. Die Vernissagen am Areal des  Milchhofs zur Zeit der Berlin Art Week sind ja bekannt für ihren rauschenden Charakter - hoffen wir also auf eine laue Spätsommernacht.