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Schwere, warme Bettdecke

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
19.03.2021. Manche stellen sich lieber nicht die Frage, was von den "Kulturnationen" Deutschland und Österreich bleiben würde, würden all die fraglos fließenden öffentlichen Gelder für Theater, Orchester, Museen und Filmförderung eines Tages einfach nicht mehr fließen. Auf dem Markt der Fotobücher herrscht im Frühjahr 2021 jedenfalls eher Flaute. Durchblättern lohnt sich aber trotzdem.
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Die einen reden von der dritten Welle, die anderen glauben. endlich Licht am Ende des Lockdown-Tunnels zu sehen: alles eine Frage des Standpunkts, der Prioritäten und der Anwendung virologischer, logistischer und wirtschaftlicher Datenlagen auf das öffentliche wie private Leben.

In Bezug auf die künstlerische Fotografie hat man es da leichter - leider, muss man in diesem speziellen Fall sagen. Es tut sich nämlich so gut wie gar nichts und hat sich überhaupt schon seit längerer Zeit so gut wie gar nichts getan. Wo sich im ersten Lockdown noch ein paar Funken regten, wo man in zweckoptimistischer Begeisterung versucht hat, Geschmack am Zoomen, Chatten und an Podcasts auf Spotify zu finden, ist das ab November 2020 in einer großen Apathie mehr oder weniger zum Erliegen gekommen.

Aus dieser Apathie arbeitet man sich nun langsam hervor wie unter einer schweren, warmen Bettdecke, wenn man noch nicht genau weiß, ob der Tag, der vor einem liegt, es wert gewesen sein wird und man ihn nicht besser unter der Decke im Bett verbracht hätte.

ExpertInnen haben sich ins Zeug geschmissen, um in Online-Führungen Hintergrundwissen zu vermitteln - aber Ausstellungen, die man im Real Life besichtigen konnte, gab es natürlich keine. Und jetzt, wo etwa das Publikum in Wien schon länger als in Deutschland potenziell wieder in die Museen kann, halten sich die Besucherzahlen sehr in Grenzen.
Einerseits könnte man das eben auf die Angst vor der dritten Welle schieben und den offensichtlich gefährlicheren Mutationen des Virus, die damit einhergehen. Andererseits könnte es auch mit dem Phänomen zu tun haben, das in der Pandemie schmerzhaft im Raum und zur Diskussion stand: dass den allermeisten Leuten - den verantwortlichen PolitikerInnen geradeso wie Anna und Otto Normalverbraucher -  die Kunst offensichtlich nicht wirklich viel bedeutet oder gar essenziell fehlt.

Manche stellen sich lieber nicht Frage, was wohl von den "Kulturnationen" Deutschland und Österreich bleiben würde, würden all die fraglos fließenden öffentlichen Gelder für Theater, Orchester, Museen und Filmförderung eines Tages einfach nicht mehr fließen.

Frank Horvat © Atelier Editions Xavier Barral



















Kleinere, innovative Verlage haben in den letzten Monaten kaum neue Bücher herausgebracht. Auch die etablierten Verlage haben sich überwegend zurückgehalten. Bücher, die in den Programmen bereits vorkamen, sind teils noch nicht erschienen, die Veröffentlichung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden; und bei denen, die erschienen sind, setzt man meist auf Bewährtes: bekannte Namen aus der Geschichte der Fotografie oder aber durchfinanzierte Kataloge von Museen und anderen Institutionen.

Zwei, eventuell drei Bücher, die ich daraus interessant finde, werden von mir noch in anderen Beiträgen in den nächsten Monaten eingehender besprochen werden (man muss sich den aktuell raren heißen Stoff schließlich gut einteilen). Auf die anderen - die meisten ordentliche, auf ein mit den etablierten Namen vertrautes, zahlungswilliges  Publikum hoffende Publikationen - möchte ich an dieser Stelle in einer kleinen Rundschau für die interessierten LeserInnen des Fotolot gebündelt hinweisen, wie ich das sonst manchmal bei Ausstellungen mache.

Der wunderbare französische Verlag Editions Xavier Barral (Website) werden nach Barrals Tod von den Mitarbeitern weitergeführt. Leider zwingt diese Situation, die sich durch die unmittelbar darauf folgende Pandemie verschärfte, dazu, dass bislang nichts Innovatives oder Riskantes auf dem Programm steht, wie das früher selbstverständlich war. Eugene Atget flaniert Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts durch Paris; Frank Horvat wiederum streift in den achtziger Jahren durch New York; Raymond Depardon zeigt eine neue Auswahl von Fotos jener Gegend im ländlichen Frankreich nahe der Schweizer Grenze, wo er am elterlichen Bauernhof aufwuchs. Dazu gibt es demnächst ein weiteres Buch aus der hübschen Serie des Verlags über "Vögel" von Graciela Iturbide.

Steidl verlegt den Katalog "Voll das Leben" zu Harald Hauswalds Ausstellung bei C/O Berlin; dazu ein klassisches Coffee Table Book über die Dreharbeiten des James Bond Klassikers "Goldfinger" und den Katalog zur aktuellen Retrospektive von Timm Rautert in Essen, "Tim Rautert und die Leben der Fotografie".

(Über Jo Ratcliffe, die der 2019 früh verstorbene Kurator Okwui Enwezor mal die "meistunterschätzte Fotografin ihrer Generation" nannte, und ihre vierhundertsiebzig Seiten starke Werkschau wird hier noch ausführlich zu sprechen sein. Wer sich die strammen fünfundneunzig Euro nicht leisten kann oder will - trotzdem auf jeden Fall ins Buch hinein schauen.)

© Timm Rautert, Steidl Verlag




















Bei Hatje Cantz begnügt man sich vorerst mit Porträts von Donald Graham im bewährten kontrastreichen schwarzweißen Magnum-Style; im Laufe des Jahres gibt es jedoch die eine oder andere interessante Publikation. (Manche Leica/Magnum-Style-Knipser sind in den sozialen Medien übrigens schon ganz wuschig beim Gedanken an die Berlin Photo Week im September 2021. Ja, wie denn auch nicht angesichts von Selbstauskünften wie dieser: "Berlin Photo Week is a visual journey of passion that enriches all areas of life.")

Bei Thames und Hudson gibt es Natalie Herschdorfers einigermaßen vorhersehbare, dennoch sehens- und lesenswerte Abhandlung zum Thema "Body" (mit Fotografien üblicher Verdächtiger wie Cindy Sherman, Sally Mann, Araki, Daido Moriyama, Jürgen Teller, Bettina Rheims usw.).

Aus den Verlagsprogrammen ergab sich ein kleiner Schwerpunkt das Leben von Heranwachsenden und Teenagern betreffend.

Bei Mack Books gibt es dazu Deanna Templetons "What She Said" - Porträts junger, weiblicher Goths und Punks in Kalifornien, meist farbige und schwarzweiße Frontalaufnahmen kombiniert mit persönlich gehaltenen Texten sowie fotografierten Tagebuchseiten und Eintrittskarten zu Konzerten. (Eigentlich langweilen mich diese im Grunde seit den Anfängen von Daguerre und Niepce, spätestens aber seit August Sander immergleichen frontalen Einzel- und Gruppenporträts; in diesem Buch und zu diesem Thema passt das jedoch. Berührender Höhepunkt dieser Art der Annäherung bleiben natürlich weiterhin Vanessa Winships "Sweet Nothings").

© Deanna Templeton, MACK Books


















Bei Kehrer hat Zosia Prominska in ihrem Buch "Future Perfect" Porträts von minderjährigen Models versammelt, die von der großen Karriere träumen. Die meisten posen dementsprechend gestylt im ambivalenten, leicht schrägen Setting der Wohnung der Eltern oder in ihren Jugendzimmern.

Stanley Barker liefert eine einmalige Sonderausgabe eines modernen Fotobuch-Klassikers: Jim Goldbergs "Raised by Wolves" über das problematische Leben von Teenagern in San Francisco und Los Angeles in den späten Achtziger und frühen Neunziger Jahren. In einer Box gibt es nun fünfundvierzig beschriftete, faksimilierte und teils unveröffentlichte Polaroids aus dem Langzeitprojekt, das am Ende die Form "Raised by Wolves" annahm.

Alles in allem ein paar nette Geschenkideen und Bücher, in die zumindest einen Blick zu werfen sich auf jeden Fall lohnt. Substanzielleres (nicht zuletzt von mir) dann demnächst wieder in dieser Kolumne.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de






Deanna Templeton
: What She Said. 168 Seiten 19,5 x24,5 cm. Hardcover. Mack Books, London 2021, 45 Euro. ISBN 978-1-913620-05-9



















Zosia Prominska
: Future Perfect. 120 Seiten, 15,5 x 24,5 cm, Hardcover. Kehrer Verlag, Heidelberg 2021, 30 Euro. ISBN 978-3-96900-006-9 2021 (Kaufen bei eichendorff21)