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Handsägen, Seile, Blumen, Licht

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
17.04.2020. Die "Biennale für aktuelle Fotografie 2020" musste zwar schließen, aber im Netz kann man die Auswahl des britischen Star-Kurators David Campany gut betrachten. Erschienen ist außerdem die jährliche Kompilation gegenwärtiger Akt-Fotografie "The Opera". Filetstücke aus dem Peperoni Verlag des verstorbenen Fotobuchmachers Hannes Wanderer findet man bei Bildband Berlin.
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Die "Biennale für aktuelle Fotografie 2020" gehört zu jenen Ausstellungen, die dem Corona Virus zum Opfer fielen. Am 28. Februar in Mannheim eröffnet, musste sie schon nach kurzer Zeit wieder ihre Tore schließen. Verteilt auf Ausstellungsorte in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg hätte es Arbeiten von rund siebzig Künstler*innen aus aller Welt zu sehen gegeben, darunter Vanessa Winship, Batia Suter, Thomas Ruff, Sohrab Hura, Stephen Shore, Tim Rautert und viele andere.

"The Lives and Loves of Images" lautet das übergreifende Motto der in sechs Bereiche unterteilten Ausstellung, die vom britischen Star-Kurator David Campany gestaltet wurde. Wer Zeit findet, sollte sich mal auf Campanys Website die Liste all dessen durchlesen, was Campany in den letzten zwanzig Jahren auf dem Gebiet der Fotografie auf die Beine gestellt hat: Bücher über Fotografie und Fotograf*innen, Texte in Magazinen und Zeitungen, Vorträge, Seminare, Gastprofessuren, Teilnahme an Symposien und Messen, Beteiligungen an Jurys, Gründung von Zeitschriften, Interviews, Talks in Radio, Fernsehen und auf Youtube, Kuratierung von Ausstellungen - ein rastloser Fotofreak erster Güte.

Das Spektrum reicht dabei von einer expliziten Leidenschaft für Walker Evans über eine intensive Auseinandersetzung mit Jeff Wall bis hin zu Gegenwartspositionen wie Broomberg & Chanarin oder Ron Jude. Campanys Schwerpunkt liegt dabei eindeutig auf historischen und gegenwärtigen Positionen des klassischen "American Road Trip" sowie auf einer Fotografie, die sich und ihre Geschichte sowohl hinsichtlich der angewandten Technik als auch ihrer Rezeptionsgeschichte reflektiert und ästhetisch mit ihr spielt.

© Vanessa Winship, MACK

Eigenwillige und nur schwer klassifizierbare Positionen wie die von Roger Ballen wird man darunter ebensowenig finden wie solche mit explizit politischer Botschaft oder solche mit einem hohen Anteil an Sex und Erotik. Was, nachdem man das erkannt hat, unter anderem dazu führt, dass der Respekt vor der beeindruckenden Akkumulation an Referenzen auf Campanys Liste auf ein realistisches Maß schrumpft.

"Reconsidering Icons" widmet sich der Frage, welche Wirkung weltberühmte Bilder nicht nur auf die Öffentlichkeit, sondern auch auf Künstler*innen haben, die sich unterschiedlich mit ihnen auseinandersetzen. "Yesterday's News Today" beschäftigt sich mit der Erzeugung von Bildern in den Nachrichten und beleuchtet die Arbeit von Agenturen, Bildredakteur*innen und Fotoarchiven sowie die künstlerische Arbeit damit. Wo Campany ist, ist Walker Evans nicht weit, und so dokumentiert die zentrale Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim "Walker Evans Revisited" jene Generationen von Fotograf*innen, die sich bis heute von Evans inspirieren ließen.

Die Biennale hat zudem ein großes Extra zu bieten: Im Gegensatz zu anderen ausgefallenen Ausstellungen gibt es für Interessierte die Möglichkeit, die Ausstellung Lockdown-gerecht virtuell zu besuchen. Man kann sich mit Touchpad und Mauszeiger durch alle Räume bewegen, Bilder heranzoomen und mit einem Klick über Pop-Ups Hintergrundinformationen zu den Künstler*innen erhalten. Dazu gibt es bei Kehrer einen über zweihundert Seiten starken Katalog für annehmbare fünfundzwanzig Euro.

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Bereits zum achten Mal gibt es im Kerber Verlag die jährliche Ausgabe von "The Opera", einer beliebten Kompilation gegenwärtiger Akt-Fotografie. Herausgeber Matthias Straub (*1975) bekleidet hauptberuflich im Raum Stuttgart Jobs im Kreativbereich, ob als Redakteur oder als Kommunikationsprofi für ein Architekturbüro, und seine besondere Leidenschaft gilt der Fotografie.

Titel der Reihe und Einteilung der Bücher entnahm Straub von der Oper: "Der getragene und würdevolle Charakter der Oper erscheint mir als passender Vergleich zum Akt. Mit der Einteilung des klassischen Dramas nach Gustav Freytag war auch die Struktur des Buches gefunden: Exposition, Komplikation, Peripetie, Retardation und Katastrophe." Und: "Der Zuschauer betrachtet aus einer gewissen respektvollen Distanz eine mal opulente, mal euphorische, mal traurige, mal zurückhaltende Darstellung des Lebens."

Im knappen Geleitwort zum Buch hebt Straub dann an: "Yet time has come to see a truth unspoken. You are young and beautiful, while your heart is restless and free."

© Henriette Sabroe Ebbesen

Genauso sieht das Buch über weite Strecken dann auch aus, garniert mit Body Positivity (Bilder von Menschen mit Übergewicht gemäß BMI-Normen, Narben, Falten), ineinander verschlungenen Körpern, Handsägen, Seilen, Blumen, Licht, Schatten, schlaffen männlichen Geschlechtsorganen, Mehrfachbelichtungen, Photoshop, Körperfarbe und Tattoos. Hört sich nach mehr an, als es leider ist. Positiv hervorzuheben hinsichtlich Experimentalität ist Henriette Sabroe Ebbesen (*1994), hinsichtlich konzeptioneller Perfektion Mona Kuhn (*1969, hier besprochen im Fotolot).

Alles, was verstörend, geil, derb, ekstatisch, zweideutig, bedrohlich, kalt, beiläufig, gewalttätig oder schlicht mickerig ist an Nacktheit, Sexualität und Erotik, kommt in "The Opera Vol. VIII" zielsicher nicht vor. Ebenso wenig relevante Positionen der Gegenwart wie jene von Alix Marie, Mari Katayama oder Christiane Peschek.

Wer gerne eine (in diesem Fall politisch korrektere) Variante des Pirelli-Kalender kauft oder in Ausstellungen von Hans Feurer, Vincent Peters oder Olaf Heine ins exquisite West-Berliner Altherren-Paradies für Fotografie genannt "Camera Work" geht, dem sei der Erwerb von "The Opera Vol. VIII" hiermit nachdrücklich ans Herz gelegt. Alle, die allein beim Gedanken daran ein Bier oder gleich einen Schnaps brauchen, sollten das zu Hause in die Tat umsetzen und sich dabei wieder mal Antoine d'Agatas "Antibodies", Nan Goldins "The Devil's Playground" oder Daido Moriyamas "A Room" zu Gemüte führen. Wohl bekomm's.

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2018 fand das Leben des international anerkannte Fotobuchmacher Hannes Wanderer ein jähes Ende - und mit ihm sein legendärer Verlag Peperoni Books (eine ausführliche Würdigung von Wanderers Schaffen gab es hier im Fotolot). Nachdem der Nachlass einigermaßen gesichtet ist, geht es nun um die Frage, was mit jenen Büchern passiert, die für viel Geld in einem Lager der Logistikfirma IBS aufbewahrt werden.

© Fred Hüning, Peperoni Books

In einem ersten Schritt gibt es Filetstücke daraus bei der Wanderer beruflich und privat nahe stehenden Berliner Fotobuchhandlung "Bildband Berlin" sowohl im Laden zu kaufen als auch im Internet zu bestellen. Darunter Fred Hünings großartiges Werk über die Beziehung zu seiner Frau, die Geburt und das Heranwachsen des gemeinsamen Sohnes, "One Circle"; die in den USA als Sensation gefeierte Wiederentdeckung von Mary Frey mit "Reading Raymond Carver"; Igor Samolet's preisgekröntes Buch "Be Happy" über selbstzerstörerische Party-Jugendliche der russischen Unterschicht; und - der Verweis sei mir an dieser Stelle erlaubt - zehn signierte Exemplare meines Fotobuch-Erstlings "Bangkok Struggle", in dem ich mit eigenen Texten und Bildern die Lebenswirklichkeit von Wanderarbeitern in Bangkok beschrieben habe.

Nicht wenige Peperoni Books werden einmal zu Sammlerpreisen über den Ladentisch oder von Hand zu Hand gehen, manche tun das jetzt schon. Also ran an den Speck, vor allem, wo es unsignierte Bücher aktuell zum Sonderpreis und im 3er oder 5er Pack noch mal deutlich billiger gibt.

Peter Truschner

truschner.fotolot@perlentaucher.de