Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
13.12.2004. In der Lettre erzählt William Langewiesche vom Ende der Flitterwochen in Bagdad. Im ungarischen ES warnt Peter Esterhazy eindringlich vor den Folgen, die das Nichtlesen von Julio Cortazar nach sich zieht. Im Espresso glänzt Umberto Eco mit seinem Wissen über Bond-Girls. In der Gazeta Wyborcza prophezeit Samuel Huntington eine neue Unordentlichkeit der internationalen Ordnung. Im Nouvel Obs streiten Daniel Cohn-Bendit und Jean-Louis Bourlanges über den Beitritt der Türkei zur EU. In der New York Times erinnert sich Erica Jong, wie es war, in den Sechzigern eine Frau und Schriftstellerin zu sein.
Lettre International (Deutschland), 13.12.2004
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Der Journalist Suketu Mehta hat sich die Lebensgeschichte des indischen Taxifahrer Ramesh erzählen lassen, der in einem kleinen Dorf aufgewachsen ist und mit zehn Jahren von seinem brutalen Vater nach Bombay geschickt wurde. "Es ist eine Chronik flüchtigen Lebens in der Metropole, des ständigen Hin und Her zwischen dem Dorf und der Stadt und dem Ausland; und die Geschichte eines Lebens, das immer von Gewalt bedroht ist."
Weitere Artikel: Sergio Benvenuto wirft einen italienischen Blick auf die "Mysterien von Paris". Und Ryszard Kapuscinski notiert seine Gedanken zum "Beruf Reporter".
Elet es Irodalom (Ungarn), 03.12.2004
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Der Polen-Experte Gabor Körner feiert die erste ungarische Übersetzung der Erinnerungen des polnischen Schriftstellers Gustaw Herling an die "Welt ohne Erbarmen", seine Zeit im Gulag. Körner stellt eine merkwürdige Tendenz im ungarischen Umgang mit der Gulag-Literatur fest: "Viele meinen, nach der Wende seien bei uns 'zu viele' Bücher über die sowjetischen Lager erschienen, deshalb interessiere das Thema heute keinen mehr." Doch mehrere, auch literarisch bedeutende Werke über die Straflager in der Sowjetunion sind immer noch nicht übersetzt, weil sie oft "zu Unrecht als Sachliteratur gelten, ... die heute höchstens als historische Quelle von Interesse sei. So werden diese Bücher zum Vergessen verurteilt".
Weiteres: Der Philosoph und Essayist Miklos Gaspar Tamas schreibt einen langen und komplexen Beitrag zur Debatte, ob die ungarischen Minderheiten der Nachbarländer die ungarische Staatsbürgerschaft bekommen dürfen: Tamas macht darauf aufmerksam, dass die im Volksentscheid am 5. Dezember gestellte Frage "den juristischen Inhalt dieser Staatsbürgerschaft nicht definiert. Über den Inhalt darf paradoxerweise das Parlament der Republik Ungarn entscheiden, und es wird mit Wohltaten wahrscheinlich geizig umgehen." Und der Bach-Biograf Christoph Wolff korrigiert im Gespräch einige Klischees über Johann Sebastian Bach und ermuntert Musiker dazu, Bachs Musik auch mit modernen Instrumenten zu spielen. Allerdings sollte der Pianist zumindest "wissen, wie die polyphon komponierte Musik Bachs auf einem zeitgenössischen, in Deutschland gebauten Cembalo klang. Dann wird er Bach nicht so spielen wollen wie Glenn Gould, der das Cembalo für eine Art Nähmaschine hielt."
New Yorker (USA), 20.12.2004
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Weitere Artikel: George Packer kommentiert unter der Überschrift "Invasion vs. Überzeugung" die unterschiedlichen Demokratisierungsprozesse im Irak und in der Ukraine. Zu lesen sind die Erzählungen "The Diagnosis" von Ian McEwan und "Adam Robinson" von Edward P. Jones. Bis Redaktionsschluss leider nicht aufrufbar: eine Auswahl von Briefen des Dichters Robert Lowell an die Lyrikerin Elizabeth Bishop (zur Entschädigung findet man hier eine Auswahl von Briefen Bishops, die 1994 im New Yorker erschienen sind.)
Peter Schjeldahl lobt eine "kluge und köstliche" Biografie über den amerikanischen Maler Willem de Kooning. David Denby sah im Kino "The Aviator", Martin Scorseses "brillant unterhaltsamen" Film über den Milliardär Howard Hughes mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle; außerdem "Million Dollar Baby" von Clint Eastwood und "Hotel Rwanda" von Terry George, der die wahre Geschichte eines Hotelmanagers während der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hutu und Tutsi 1994 erzählt. Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem einer Biografie der britischen Ballerina Margot Fonteyn.
Nur in der Printausgabe: ein Text von W.G. Sebald zur Frage, ob Literatur zur Versöhnung mit der Vergangenheit taugt, eine Erzählung von Hanna Krall sowie Lyrik von Wislawa Szymborska, Charles Simic und Edward Hirsch.
Espresso (Italien), 16.12.2004
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Im Kulturteil stellt ein unbekannter Autor Valeria Palumbos Buch "Le donne di Alessandro Magno" vor, in dem Palumbo die sexuelle Orientierung des Feldherrn diskutiert. Nicola Nosengo fragt sich auf den Gesundheitsseiten, warum Italien eine so niedrige Alkoholiker- und Selbstmordrate hat. Weil es hier noch die familia gibt, natürlich! In der Titelgeschichte rollt Ricardo Bocca den Fall des im Winter 1990 bei Cosenza gestrandeten Schiffs "Rosso" auf. Es geht um Waffenschmuggel, radioaktive Abfälle, und jetzt führt sogar eine Spur zum Mord an der Journalistin Ilaria Alpi in Somalia (mehr).
Leider nur im Print: ein Porträt des "König Midas der Kunst" Marco Goldin und eine Reportage über die Bedeutung des Konsums in Hongkong.
London Review of Books (UK), 16.12.2004
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Weitere Artikel: James Wood lobt David Bezmozgis ("Natasha" and Other Stories?) dafür, dass er nicht im Fahrwasser von Tschechow ersäuft. In Short Cuts erfährt Thomas Jones alles, was er schon immer über Engel wissen wollte. David Elgar hat in Stuart Christies Erinnerungen "Granny Made Me an Anarchist" ein fröhlich bilderstürmendes Pendant zum orthodoxen Leninismus gefunden. Und Peter Campbell ist begeistert von der Art, mit der Zaha Hadid den Betrachter ihrer Gebäude an eine "weitgreifendere, nicht geradlinige Welt" gewöhnt und empfiehlt eine Ausstellung von Bildern, mit denen Hadid ihre Architekturideen festhielt.
Gazeta Wyborcza (Polen), 11.12.2004
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Was Europa zusammen hält, ist eine Frage, der eine von Romano Prodi eingesetzte Kommission nachgegangen ist. Kurt Biedenkopf, Bronislaw Geremek, Krzysztof Michalski und Michel Rocard präsentieren nun einen Entwurf, aus dem unter anderem zu entnehmen ist: "Da die traditionellen Intergrationsfaktoren (der Wille zum Frieden, die Bedrohung von Außen und der wirtschaftliche Aufschwung) an Wirkung verlieren, wächst zunehmend die Rolle der europäischen Kulturgemeinschaft - des seelischen Faktors - als einer Quelle der Einheit und der Kohäsion. Man soll dabei die Bedeutung der europäischen Kultur besser verstehen lernen, und ihr eine politische Relevanz zukommen lassen. Die bloße Aufstellung der gemeinsamen europäischen Werte reicht nicht aus als Basis für die Einheit Europas". Die Autoren plädieren auch dafür, dass "der Kulturraum Europa den geografischen Raum Europa bestimmt" und sprechen den Religionen einen positiven Einfluss auf den Integrationsprozess zu: "Man kann die europäische Kultur nicht durch ihre Opposition zu einer konkreten Religion, zum Beispiel dem Islam definieren".
Economist (UK), 11.12.2004
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Weitere Artikel: Russlands Vorwurf, der Westen versuche in der Ukraine einzugreifen, um die Region zu destabilisieren, findet der Economist selbst an sowjetischen Standards gemessen deprimierend scheinheilig. Frankreichs politische Riege zeigt sich zunehmend von ihrer privaten Seite, berichtet ein zutiefst verwunderter Economist und spricht das gruseligste aller Worte aus: Amerikanisierung. Sie war die ideale Verkörperung der Giselle, seufzt der Economist in seinem Nachruf auf die prima ballerina Alicia Markova, die so sehr schwebte, dass ihre Tanzpartner mitunter Mühe hatten, sie auf die Erde zurückzuholen.
Außerdem zu lesen: Dass die iranische Pressefreiheit sich wieder auf dem Rückzug befindet (oder warum schreibt ein großer Herausgeber über einen Nachrichtensprecher im Exil: "Es ist absolut notwendig, diesen verfluchten und gotteslästerlichen Kopf mit einer Kugel zu durchbohren. Und ach, wie sehr würde der Absender dieser Kugel geliebt werden!"?) Warum Linkshänder selten sind, aber keineswegs vom Aussterben bedroht. Und wie das chinesische Propaganda-Ministerium, das sich hübscherweise "Werbe-Abteilung" nennt, auf "öffentliche Intellektuelle" zu sprechen ist (schlecht).
Schließlich empfiehlt der Economist Bücher für Kinder jeden Alters.
Nouvel Observateur (Frankreich), 09.12.2004
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Mit dem Thema beschäftigt sich unter der Schlagzeile "Muss man sich vor der Türkei fürchten?" auch das Titeldossier dieser Woche.
Express (Frankreich), 09.12.2004
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Polityka (Polen), 08.12.2004
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Times Literary Supplement (UK), 10.12.2004
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Weitere Artikel: Nicola Shulman macht sich Gedanken über das Alter des grünbestrumpften, oft von Frauen dargestellten Peter Pan, der vor genau 100 Jahren von J. M. Barrie erdichtet wurde. Der kann eigentlich "kein kleiner Junge sein, weil er alt genug ist, um bei Wendy, Tiger Lily und Tinker Bell, einer maulfaulen 'gewöhnlichen Fee', die ein Neglige als Abendgaderobe bevorzugt, ... amouröse Hoffnungen zu wecken". Nicolas Barker hat sich in den sechzig Bänden des Oxford Dictionary of National Biographie verloren. James Hall nimmt die große Rafael-Ausstellung in der National Gallery in London zum Anlass, diverse Publikationen zum Thema zu sichten. Leider nicht online: George Steiner rezensiert Rüdiger Safranskis Schiller-Buch und Adam Feinstein widmet sich dem neuen Buch von Garcia Marquez.
New York Times (USA), 12.12.2004
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Anlässlich einer von der Tochter betreuten Neuausgabe von Sylvia Plaths Gedichtband "Ariel" erinnert sich Erica Jong ("Angst vorm Fliegen") daran, wie es war für eine Frau, die in den 60er Jahren schriftstellerische Ambitionen hatte. Der Kritiker Anatole Broyard erklärte den Studentinnen in Barnards, sie hätten nicht die nötige Lebenserfahrung, um Schriftstellerinnen zu sein. "Wir betranken uns nicht in den Bars von Pigalle oder nahmen Prostituierte in heruntergekommene Left Bank Hotels oder liefen mit den Stieren in Pamplona. Unser Leben war zu beschränkt. Wir tranken nicht genug. (Noch nicht jedenfalls.) Wir kotzten nicht auf die Straße (Noch nicht, jedenfalls.) Wir waren 'verdammt', zukünftige Ehefrauen zu sein. Gezähmte Tiere, zukünftige Mütter (viele Male, wie sich herausstellte), wir fuhren nicht im angemalten Bus von Neal Cassady oder rezitierten Blake mit Ginsberg oder rissen auch nur Barnard-Mädchen auf, wie es Broyard tat. Wir waren zu damenhaft."
Weiteres: Cristina Nehring klagt in ihrem Brief aus Paris über den schwachen Bücherherbst in Frankreich und liefert en passant eine nette Beschreibung der intensiven Beziehung zwischen Lesern und Schriftstellern im Hoheland der Kultur. Red Grooms liest Mark Stevens' und Annalyn Swans Biografie des Künstlers Willem de Kooning und kommt aus dem Bewundern nicht mehr heraus. "Er war so ein wilder Mann, dabei immer ein Vagabund, aber seine Errungenschaften werden größer und größer, je mehr wir von seiner Geschichte wissen." (Hier ein paar Fotos von de Kooning und seinen Werken.) John Leonard bespricht Amos Oz' "A Tale of Love and Darkness". Als Einführung in die iranisch-amerikanischen Beziehungen hält Ernest R. May Kenneth Pollacks "The Persian Puzzle" (erstes Kapitel) für "konkurrenzlos". Jonathan Teppermann gibt einen Überblick über die Neuerscheinungen, die sich aus jeweils verschiedenen politischen Perspektiven mit dem Phänomen des Antiamerikanismus beschäftigen. "Bewundernswert", wie "frisch" Teresa Riordan ihre Geschichte der weiblichen schönheitssteigernden Utensilien "Inventing Beauty" (erstes Kapitel) angegangen ist, lobt Liesl Schillinger. Und hier die Liste der zehn besten Bücher des Jahres.
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Den Großteil des Magazins füllt eine Liste der Ideen des Jahres von A bis Z. Clive Thompson berichtet etwa von robotergestützten Untersuchungen in Frankreich, um herauszufinden, wie man am besten einen Stein übers Wasser hüpfen lässt. "Um die rekordbrechenden 41 Male zu schaffen, müsste man einen Stein von zehn Zentimeter Durchmesser mit 60 Meilen pro Stunde und einem Winkel von zehn Grad loswerfen. Man sollte diesen Trick auch auf einem spiegelglatten Teich versuchen, da die Tests der Wissenschaftler in einem perfekt ruhigen Experimentaltank gemacht durchgeführt wurden. Die Wissenschaftler geben zu, dass ihre Erkenntnis wahrscheinlich keinen praktischen Nutzen hat."