Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
24.01.2006. In der New York Review of Books beschreibt Timothy Garton Ash die Kaczynski-Zwillinge als alte Besen. In New Republic versetzt sich der ägyptische Dramatiker Ali Salem in die Gedankenwelt eines Terroristen. Für den Espresso stapft Andrzej Stasiuk durch die verfluchten Berge in Albanien. Die London Review vergleicht Google mit der Eisenbahn. In der Revista de Libros fordert Juan Villoro Hilfe für Männer, die über Liebe reden wollen. In Magyar Narancs untersucht Eva Standeisky das Verhältnis der Schriftsteller zur Macht. Die Weltwoche gerät in eine Schlägerei. Die New York Times widmet sich Tieren, die Sex und Dinner nicht auseinanderhalten können.
New York Review of Books (USA), 09.02.2006
"In Darfur findet ein Genozid in Zeitlupe statt", ruft Nicholas D. Kristof mit einem eindringlichen Bericht aus dem Südwesten des Sudans in Erinnerung: "Ich dachte, ich hätte in meinem bisherigen journalistischen Leben das ganze Spektrum des Horrors gesehen: von Babys, die an Malaria sterben, über chinesische Truppen, die Studenten erschießen, bis zu indonesischen Mobs, die Menschen köpfen. Aber nichts hatte mich auf Darfur vorbereitet, wo systematisch gemordet, vergewaltigt und verstümmelt wird, einzig und allein weil das Opfer einem bestimmten Stamm angehört."
Der Osteuropa-Historiker Timothy Garton Ash versucht abzuschätzen, was Polen unter den Kaczynski-Zwillingen zu erwarten hat: "Ein Problem der Kaczynskis und ihrer politischen Verbündeten ist, dass sie trotz der Behauptung, ein neuer Besen zu sein, von Anfang an Teil des diskreditierten politischen Systems der dritten Republik waren. Und ihre Herrschaft hatte einen schlechten Start, mit gescheiterten, unwillig geführten Koalitionsgesprächen, die genau das würdelose Geschacher um Posten und Privilegien demonstrierten, das die Kaczynskis hinter sich lassen wollten. In der Presse erscheinen bereits erste Berichte über Korruptionsskandale innerhalb ihrer Entourage." Doch, meint Garton Ash auch, dies sei kein Grund, in Panik zu geraten. "Selbst wenn die Kaczynski-Zwillinge alles schlecht machten, sind die Unabhängigkeit, die politische Freiheit und die Sicherheit in Polen in keiner größeren Gefahr mehr als in Italien und Spanien. Junge Polen spüren das instinktiv, weshalb sie ins Ausland gehen oder mit einer Mischung aus Protesten und Enterich-Witze reagieren."
Weiteres: John Leonard findet Rick Moodys neuen Roman "The Diviners" lustiger als seine Vorgänger, aber auch gefälliger: "Die Marx-Brothers treffen Thomas Pynchon." Gary Wills stellt Jimmy Carters Buch "Our Endangered Values" vor, in dem der Ex-Präsident, selbst erklärtermaßen ein wiedergeborener Baptist, gegen "Rigidität, Selbstgerechtigkeit und Zwanghaftigkeit" seiner Glaubensgenossen zu Felde zieht. Und Alison Lurie untersucht C.S. Lewis' "The Chronicles of Narnia". In einem offenen Brief an den Kongress protestieren eine Reihe von Juristen, darunter Richard Epstein und Ronald Dworkin, gegen die von Präsident George Bush verteidigte Praxis der NSA, amerikanische Staatsbürger abzuhören: "Einer der grundlegenden Züge einer konstitutionellen Demokratie ist, dass es einem Präsidenten oder jedem anderen freisteht, Gesetze ändern zu wollen. Aber es steht außer Frage, dass in einer solchen Demokratie ein Präsident nicht einfach hinter verschlossenen Türen das Strafrecht verletzen kann, weil es ihm unnötig oder unpraktisch erscheint."
Der Osteuropa-Historiker Timothy Garton Ash versucht abzuschätzen, was Polen unter den Kaczynski-Zwillingen zu erwarten hat: "Ein Problem der Kaczynskis und ihrer politischen Verbündeten ist, dass sie trotz der Behauptung, ein neuer Besen zu sein, von Anfang an Teil des diskreditierten politischen Systems der dritten Republik waren. Und ihre Herrschaft hatte einen schlechten Start, mit gescheiterten, unwillig geführten Koalitionsgesprächen, die genau das würdelose Geschacher um Posten und Privilegien demonstrierten, das die Kaczynskis hinter sich lassen wollten. In der Presse erscheinen bereits erste Berichte über Korruptionsskandale innerhalb ihrer Entourage." Doch, meint Garton Ash auch, dies sei kein Grund, in Panik zu geraten. "Selbst wenn die Kaczynski-Zwillinge alles schlecht machten, sind die Unabhängigkeit, die politische Freiheit und die Sicherheit in Polen in keiner größeren Gefahr mehr als in Italien und Spanien. Junge Polen spüren das instinktiv, weshalb sie ins Ausland gehen oder mit einer Mischung aus Protesten und Enterich-Witze reagieren."
Weiteres: John Leonard findet Rick Moodys neuen Roman "The Diviners" lustiger als seine Vorgänger, aber auch gefälliger: "Die Marx-Brothers treffen Thomas Pynchon." Gary Wills stellt Jimmy Carters Buch "Our Endangered Values" vor, in dem der Ex-Präsident, selbst erklärtermaßen ein wiedergeborener Baptist, gegen "Rigidität, Selbstgerechtigkeit und Zwanghaftigkeit" seiner Glaubensgenossen zu Felde zieht. Und Alison Lurie untersucht C.S. Lewis' "The Chronicles of Narnia". In einem offenen Brief an den Kongress protestieren eine Reihe von Juristen, darunter Richard Epstein und Ronald Dworkin, gegen die von Präsident George Bush verteidigte Praxis der NSA, amerikanische Staatsbürger abzuhören: "Einer der grundlegenden Züge einer konstitutionellen Demokratie ist, dass es einem Präsidenten oder jedem anderen freisteht, Gesetze ändern zu wollen. Aber es steht außer Frage, dass in einer solchen Demokratie ein Präsident nicht einfach hinter verschlossenen Türen das Strafrecht verletzen kann, weil es ihm unnötig oder unpraktisch erscheint."
Przekroj (Polen), 19.01.2006
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Auch in Polen beschäftigt man sich zunehmend mit der Sterbehilfe. Marek Rybaczyk beschreibt, wie vor allem die Sterbehilfeorganisation "Dignitas" Zürich zum zweifelhaften Ruhm der europäischen "Hauptstadt des Todes" verholfen haben. "In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl der begleiteten Selbstmorde in der Schweiz um das Zehnfache. Lebensmüde, oft totkranke Menschen kommen aus ganz Europa nach Zürich, weil der Verein auch Ausländer betreut und keine überflüssigen Fragen stellt. Man kann von einer europäischen Selbstmordtouristik sprechen. Die 'Zivilisation des Todes' naht heran."
Espresso (Italien), 26.01.2006
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Magyar Narancs (Ungarn), 20.01.2006
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New Republic (USA), 30.01.2006
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Elet es Irodalom (Ungarn), 22.01.2006
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London Review of Books (UK), 23.01.2006
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Weitere Artikel: Mit großem Interesse - und einigem Grauen - hat Stephen Shapin Daniel Charles' Biografie des jüdischen und erz-deutsch-nationalen Chemikers Fritz Haber gelesen, die den Nobelpreisträger als zugleich genialen und skrupellosen Pionier der chemischen Kriegsführung porträtiert (auf den unter anderem das ursprünglich zur landwirtschaftlichen Schädlingsbekämpfung entwickelte Gas Zyklon B zurückgeht). Ed Harriman durchforstet die Berichte des US-amerikanischen Bundesrechnungshofes (GAO) sowie der Sonder-Generalinspektion (SIGIR) über die Gelderverwaltung innerhalb des Wiederaufbaus im Irak und sieht darin eine regelrechte "Kultur der Vetternwirtschaft und der Schmiergelder" dokumentiert. In den Short Cuts erklärt Thomas Jones die Memoiren ("A Life of Privilege, Mostly") von Gardner Botsford, dem langjährigen Herausgeber des New Yorker, zum absoluten Leckerbissen. Und schließlich streift Peter Campbell durch die Ausstellung "Dancing to the Music of Time", die die fiktionalen Gemälde der fiktionalen Maler in Anthony Powells Romanen zum Leben erweckt.
Gazeta Wyborcza (Polen), 21.01.2006
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In Afghanistan beginnt man, die Verbrechen aufzuklären, die während des fast 25-jährigen Bürgerkriegs begangen wurden, schreibt Wojciech Jagielski, der über Jahrzehnte in Afghanistan als Reporter unterwegs war und das Land wie kaum ein anderer Europäer kennt. Anlass ist ein Prozess gegen den früheren Chef der Geheimpolizei unter der kommunistischen Herrschaft, Asadullah Sarwari. "Der Prozess ist ein erster Versuch der Abrechnung mit der neuesten Geschichte, die von Putschen, Revolutionen, Bürgerkriegen, Fremdherrschaft und völliger Zerstörung des Landes gekennzeichnet ist. An diesen Ereignissen hatte Sarwari seinen Anteil, und sein Leben ist beispielhaft für die tragische Geschichte Afghanistans in den letzten fünfundzwanzig Jahren."
Revista de Libros (Chile), 20.01.2006
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Nouvel Observateur (Frankreich), 19.01.2006
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Mit der Anmerkung, auch die Spanier hätten ein "Problem mit der kollektiven Erinnerung", leitet der Nouvel Obs einen Beitrag des spanischen Schriftstellers Javier Marias ein, in dem dieser sich mit der Verdrängung der Franco-Zeit auseinandersetzt. Im Gegensatz zu Frankreich, Italien oder Deutschland habe es in Spanien nie ein "Gefühl der Scham" gegeben. "Die meisten Franquisten waren auf einmal keine mehr, einfach so. Sie hatten nicht das Bedürfnis, ausdrücklich abzuschwören, oder für das, was sie während der langen Diktaturzeit getan hatten, gerade zu stehen."
Der Schriftsteller Philippe Sollers befasst sich schließlich anlässlich des Erscheinens eines Pleiade-Bandes mit den "Libertins des 18. Jahrhunderts" (Gallimard). Neben den "Stars" der erotischen Literatur wie Diderot, Laclos, Casanova, Sade, aber auch Mirabeau, Denon, Retif de La Bretonne, Crebillon, Dorat und Nerciat sei sein Lieblingsschriftsteller allerdings ein im doppelten Sinne Unbekannter, der seine "Meisterwerke" unter dem Namen Anonyme veröffentlicht hatte.
Weltwoche (Schweiz), 19.01.2006
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Zum Thema Rassismus in der Schweiz kann Redakteur Bruno Ziauddin keine traumatischen Erlebnisse beisteuern. Allerdings ist er auch recht hart im Nehmen, wie diese Geschichte von drei Pöblern auf dem Filmfestival von Locarno nahe legt. "Jeder Einzelne von ihnen hätte für mich im Nahkampf eine erhebliche, um nicht zu sagen unüberwindbare Herausforderung dargestellt. Das war wohl der Grund, wieso es die anderen Gäste in der Toilette - sie sahen aus wie kultivierte Deutschschweizer, die jede Antirassismuspetition unterzeichnen - allesamt vorgezogen hatten, möglichst rasch zu ihrem Campari Soda zurückzukehren. Als die Kurzhaarigen und ich endlich ungestört waren, hielten mich zwei von ihnen fest, während mir der Kleinste, er hatte ein großes, rundes Gesicht, so glatt wie ein Kinderpopo, Schläge gegen die Brust versetzte und mich weiter auf Italienisch beschimpfte."
Guardian (UK), 21.01.2006
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Weiteres: In der Book Review wirft sich James Campbell für Schottlands berühmtesten Schriftsteller William McGonagall in die Bresche, der völlig zu Unrecht als der "schlechteste Dichter der Welt" gerühmt wurde. Giles Foden feiert Guy Arnolds "brillantes" Buch "Africa: A Modern History". Maya Jaggi empfiehlt nachdrücklich die Sonderausgabe der Granta "The View from Africa", die Essays, Erzählungen und Kurzgeschichten zahlreicher afrikanischer AutorInnen versammelt. Ziemlich ambitioniert findet James Flint Rick Moodys neuen Roman "The Diviners": Moody ziele ganz klar auf "Great-American-Novel-Status". Außerdem bespochen werden eine Reihe neuer Mozart-Biografien.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 19.01.2006
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Vom 17. Januar bis 03. Februar findet in Kairo die 38. Cairo International Book Fair statt, größtes Kulturhappening in der arabischen Welt und diesmal mit Deutschland als "guest of honour". Geboten werden u. a. ein Diskussionsforum "Me and Germany", die Präsentation der arabischen Übersetzung von Rafiq Shamis "The Secret Report on the Poet Goethe" und echte Spezi-Themen, wie "Der Weg der arabischen Literatur auf den hiesigen Buchmarkt nach Edward Saids 'Orientalismus'". Selbstverständlich ist nicht alles nur deutsch auf der Messe. Nagib Machfus zum Beispiel. Der hat sogar einen eigenen Pavillon: Machfusien. Hier lang zum Programm.
Weiteres: Amal Choucri Catta war beim Neujahrskonzert des Cairo Symphony Orchestra mit der Sopranistin Nicola-Jane Kemp, die "außerordentlich fesselnd" "Mein Herr Marquis, ein Mann wie Sie" sang. Und Hala Halim berichtet über die Jahrestagung der Modern Language Association of America. Das Hauptforum war der Rolle des Intellektuellen im 21. Jahrhundert gewidmet.
New York Times (USA), 22.01.2006
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Und Charles McGrath erklärt die Wonnen und Gefahren der Kurznachricht (SMS): Sie ist billig (zumindest in Südostasien) und ein so simples wie effektives Lebenszeichen - einerseits. Andererseits jedoch ist sie depressionsfördernd (weil sie augenfällig macht, dass wir einander nicht allzu viel zu sagen haben) und birgt, in China etwa, durchaus Risiken im Handling. Auf Mandarin nämlich klingen manche Wörter wie Zahlennamen: Für "Ich liebe dich" tippt man 520, für "Geh hin, wo der Pfeffer wächst" die 748. Nur nicht vertippen.
Schlicht begeistert zeigt sich Rezensent David Kamp in der Book Review von einem Buch der L.-A.-Times-Kolumnistin Norah Vincent. Ein gut gedachtes wie gemachtes und sogar unterhaltsames Stück investigativer Journalismus sei das, schreibt er. Eine Portion Mut, kann man sagen, gehört wohl auch dazu, um sich, wie die Autorin, in Männerkleider zu schmeißen, und mit straffem Sport-BH und Stoppelpaste im Gesicht, als Mann unter Männern, zum Bowlen oder ins Striplokal zu schieben. Warum nur tut man sich das an? Um ein bisschen investigativ zu sein, klar. Aber die Autorin ist auch mächtig froh, einmal nicht von allen Seiten begafft zu werden ("Respekt durch Nicht-Beachtung" nennt sie das), und dankbar für einen neuen Blick auf die Dinge: Oder hätten Sie gedacht, dass Männer richtig freundlich zueinander sein können, verbindlich, mit ordentlichem Handschlag und so und Lichtjahre entfernt von den "unterkühlten Luftküssen, die Frauen untereinander austauschen"?
Ferner: Christopher Hitchens liest eine "elegante" Neuübersetzung von Gustave Flauberts "Bouvard and Pecuchet" - jene beiden armen Teufel, die Flaubert gegen Rousseaus "große Geste", das menschliche Los zu verbessern, ins Feld schickt. Hillary Frey stellt fingerlicking "mystery and suspense stories" von Joyce Carol Oates vor. Joshua Clover empfiehlt mit Pound sämtliche Gedichte von Charles Reznikoff ("thematisch, kann man sagen, ist das jüdisch, amerikanisch, urban"). Und Judith Shulevitz heizt die Evolutionsdebatte weiter an: Wenn der Darwinismus wirklich so ein Argument ist, warum trollen sich die Kreationisten dann nicht?