Magazinrundschau
Zufällig schwarz
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
11.11.2008. Wer wird Indiens Obama sein, fragt Outlook. Der New Yorker beschreibt das komplizierte Verhältnis der schwarzen Bürgerrechtler zu Obama. Der Guardian staunt über das explosive Gemisch von Neurosen in der Familie Wittgenstein. Tygodnik Powszechny blickt den polnischen Juden der Zwischenkriegszeit in die Augen. Al Ahram stellt ein Onlineprojekt der Bibliotheca Alexandrina zur Geschichte Ägyptens vor. In Radar setzt Rodrigo Fresan die Besteller auf die Anklagebank. Vanity Fair blickt ins Innere des derzeit vielleicht erfolgreichsten Nachrichtenunternehmens der Welt: Bloomberg.
Outlook India (Indien), 17.11.2008
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Weiteres: Neues "aufregendes" Kino aus Marathi verspricht Namrata Joshi und preist besonders zwei Filme. Umesh Kulkarnis Allegorie "Valu" über die Bändigung eines wilden Stiers und Ramesh Mores Film "Mahasatta" über zwei Arbeiter der Tata Werke, die sich im Jahr 2003 selbst verbrannt haben, weil sie keine feste Anstellung bekommen haben. "Was 'Mahasatta' besonders macht, ist, wie er unser kollektives Gewissen anspricht und aufstachelt. Er ruft die Herzlosigkeit der New Economy in Erinnerung, den Verrat an den Arbeitern, die sowohl von der Firma wie auch von der Gewerkschaft außen vor gelassen wurden. Der Film ist aber nicht nur ein weiteres ernstes, schwerfälliges, didaktisches Pamphlet zu einem schweren sozialen Problem; er erzählt seine Geschichte erfinderisch, kantig und engagiert."
Sehr gut besprochen werden Walter Crockers Nehru-Biografie "A Contemporary's Estaimate" und der Afghanistan-Roman "The Wasted Vigil" der Pakistanerin Nadeem Aslam.
New Statesman (UK), 10.11.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q28/A22248/newstatesman.jpg)
Hier ein Auftritt des Dhafer Youssef Quartetts (Dhafer Youssef, Eivind Aarset, Audun Erlien und Rune Arnesen) beim Jazz Onze Plus Festival 2006 in Lausanne: "Odd poetry"
Außerdem: Norman Stone stellt Charles Kings "instruktive und interessante" Geschichte des Kaukasus, "The Ghost of Freedom", vor.
Tygodnik Powszechny (Polen), 09.11.2008
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Außerdem erinnert Andrzej Rostocki daran, wie unglaublich populär der kürzlich verstorbene amerikanische Schriftsteller William Wharton in Polen war (Gesamtauflage zwei Millionen!): Er war der "wichtigste Therapeut" der Transformationszeit, meint Rostocki. Andrzej Franaszek berichtet gerührt von den "Geburtstagsfeiern" zu Ehren des vor zehn Jahren verstorbenen Dichters Zbigniew Herbert in Krakau.
Gazeta Wyborcza (Polen), 08.11.2008
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Guardian (UK), 09.11.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q75/A22238/guardian.jpg)
Alexander Waughs Biografie der Familie Wittgenstein wirft einiges Licht auf den berühmtesten Sproß der Familie, Ludwig, schreibt der Literaturprofessor Terry Eagleton. Die Wittgensteins, könnte man zusammenfassen, waren ein explosives Gemisch von Neurosen. Vor allem die Söhne hatten "eine erschreckende Gewohnheit, sich wegzuwerfen. Der gutaussehende, intelligente, homosexuelle Rudolf schlenderte in eine Bar in Berlin, löste Zyankali in einem Glas Milch auf und starb qualvoll auf der Stelle. Zwei Jahre früher war Hans Karl spurlos verschwunden. Es wird angenommen, dass er sich im Meer ertränkt hat. Er war ein schüchternes, unbeholfenes, möglicherweise autistisches Kind mit einem erstaunlichen Talent für Mathematik und Musik. Sein erstes ausgesprochenes Wort war 'Ödipus'. Er war vermutlich ebenfalls schwul. Kurt scheint sich 'ohne erkennbaren Grund' als Soldat im Ersten Weltkrieg erschossen zu haben. Der Philosoph Ludwig behauptete, er habe erstmals im Alter von 10 oder 11 Jahren über Selbstmord nachgedacht."
Außerdem: Der Schriftsteller Adam Thirlwell grübelt mit Dostojewski, Musil und Kafka darüber nach, wie man Gedanken beschreibt. Und Charlotte Higgins besucht den Künstler Anish Kapoor in seinem Londoner Atelier.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 06.11.2008
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q73/A22239/ahram.jpg)
Besprochen werden der tschechische Film "Tobruk", der einen Einblick gibt in die "faszinierende" Beziehung der tschechischen Republik zu Ägypten, die arabische Seite allerdings etwas unterbelichtet lässt, meint Eric Walberg, und zwei Bücher, die sich kritisch mit dem heutigen Ägypten auseinandersetzen: Sophie Pommiers "Egypt, L'Envers du decor" (hier) und John R. Bradleys "Insight Egypt: the Land of the Pharaohs on the Brink of Revolution" (hier).
Nouvel Observateur (Frankreich), 06.11.2008
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Weiteres: Unter der Überschrift "Die Zukunft darf nicht aus dem Müll der Gegenwart bestehen" spricht der spanische Philosoph Daniel Innerarity in einem Interview über sein neues Buch "Le Futur et ses ennemis. De la confiscation de l'avenir a l'esperance politique", in dem er die klassische Rechts-Links-Spaltung für nicht mehr sachdienlich erklärt und seine Hoffnung auf eine erneuerte Demokratie darlegt.
Times Literary Supplement (UK), 06.11.2008
Benjamin Britten war offenbar kein sehr inspirierter Briefeschreiber. Faszinierend fand der Tenor Ian Bostridge jedoch den Mangel an Selbsterkenntnis, der sich in den Briefen des Komponisten offenbart und der in krassem Gegensatz zum fertigen Werk steht. Das betrifft auch Brittens Oper "The Turn of the Screw", die auf dem gleichnamigen Roman von Henry James basiert: "Einer der Furcht einflößendsten Momente in der ganzen Oper, zweiter Akt, Szene zwei, wenn die Kinder wie Chorsänger hereinkommen und ein finster parodistisches Benediktum singen, wird von Britten in einem Brief an den Direktor Basil Coleman in dem harmlosesten Licht beschrieben: 'Ich fühle sehr stark, sowohl für Form & Drama des Werks als auch für die Musik selbst, dass wir hier etwas helles und fröhliches haben müssen, etwas, dass es den Kindern erlaubt, jung und charmant zu sein (praktisch das letzte mal in diesem Werk) - & ich denke eine Hymne (eine Art "Chorprozession) ist die bis jetzt beste Idee dazu.' Doch als das Werk fertig war, sorgten die traumwandlerische Sicherheit von Britten als musikalischer Dramatiker und sein bewusster analytischer Verstand dafür, dass er den Kern der Sache auf eine Art ausdrückte, die er sich während des Komponierens nicht erlaubt hatte: ihm war klar, dass in punkto Realität oder - andersrum - der Geister in der Oper, 'Myfanwy Piper [die Librettistin] und ich die gleiche Ambiguität erreicht haben wie Henry James'."
Der Historiker Hew Strachan fragt sich nach der Lektüre eines Buchs über den Ersten Weltkrieg, wann britische Historiker diesen Krieg endlich mal nicht nur unter nationalen Gesichtspunkten untersuchen werden. "Die Franzosen, zusammen mit den Amerikanern (nicht den Briten), führten den Gegenangriff an der Marne am 18. Juli 1918, der den Wendepunkt an der westlichen Front markierte. Dies ist nicht die Version, die britische Historiker bevorzugen. Sie klagen Petain fälschlicherweise an, [den britischen Oberbefehlshaber Douglas] Haig nach der deutschen Attacke am 21. März 1918 nicht unterstützt zu haben und behaupten, Haig, nicht Petain, habe den entscheidenden Schlag gegen die deutsche Armee am 8. August 1918 in Amiens geführt."
Der Historiker Hew Strachan fragt sich nach der Lektüre eines Buchs über den Ersten Weltkrieg, wann britische Historiker diesen Krieg endlich mal nicht nur unter nationalen Gesichtspunkten untersuchen werden. "Die Franzosen, zusammen mit den Amerikanern (nicht den Briten), führten den Gegenangriff an der Marne am 18. Juli 1918, der den Wendepunkt an der westlichen Front markierte. Dies ist nicht die Version, die britische Historiker bevorzugen. Sie klagen Petain fälschlicherweise an, [den britischen Oberbefehlshaber Douglas] Haig nach der deutschen Attacke am 21. März 1918 nicht unterstützt zu haben und behaupten, Haig, nicht Petain, habe den entscheidenden Schlag gegen die deutsche Armee am 8. August 1918 in Amiens geführt."
Weltwoche (Schweiz), 06.11.2008
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Radar (Argentinien), 09.11.2008
Der Schriftsteller und Kritiker Rodrigo Fresan setzt die "Besteller auf die Anklagebank": "Wie so oft ist auch heute wieder die Rede davon, die Literatur stecke in einer Krise. Das glaube ich nicht. Der Literatur geht es gut.Wer in einer Krise steckt, sind die Bestseller: Die sind in der Tat immer schlechter geschrieben. Im Vergleich zu Dan Brown und seinen Epigonen wirken Leute wie Robert Ludlum, Irving Wallace oder Morris West geradezu wie Balzac, Hugo oder Zola. Dazu kommt, dass heute jeder flüchtige Bestseller eine Unmenge noch flüchtigerer Klone produziert, die in der Regel noch schlechter sind als das ohnehin nicht besonders gute Original. Was wiederum dazu führt, dass die erfolgreichsten Bestsellerautoren sich gezwungen sehen, sich selbst zu imitieren, oder aber - um sich irgendwie von ihrer einmal gefundenen Erfolgsformel zu befreien - in einer verzweifelt zentrifugalen Bewegung ihre besten Figuren eigenhändig auslöschen."
Salon.eu.sk (Slowakei), 07.11.2008
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New Yorker (USA), 17.11.2008
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Hendrik Hertzberg kann es immer noch nicht fassen: "In zehn Wochen wird ein Mensch Präsident der Vereinigten Staaten sein, dessen Vorname ein aus dem Arabischen abgeleitetes Suaheli-Wort ist (und 'Segen' bedeutet), dessen zweiter Vorname nicht nur der eines Enkels des Propheten Mohammed ist, sondern auch das ursprüngliche Zielobjekt eines noch andauernden amerikanischen Kriegs, und dessen Nachname sich perfekt auf 'Osama' reimt. Das ist kein Name, sondern eine Katastrophe, jedenfalls in der amerikanischen Politik. Oder sollte es zumindest gewesen sein."
Weiteres: James Wood erlebte bei Obamas Siegrede "eine sehr gute Nacht für die englische Sprache". Ryan Lizza beschreibt die Schlachtpläne und Strategien, die hinter Obamas Sieg stehen. David Grann beschäftigt sich mit dem Absturz von John McCain. Nick Paumgarten erklärt, wie Banker und Broker die Auswirkungen der Wahl auf die Entwicklungen in der Finanzwelt belauern. Und George Packer untersucht, inwiefern die aktuelle Finanzkrise Obama dabei helfen kann, die Demokraten neu zu definieren.
Besprechungen: Joan Acocella stellt eine Reihe neuer Publikationen zum Thema "overparenting" vor - ein neumodischer Begriff für ein Elternverhalten, das früher schlicht "verziehen" hieß. Peter Schjeldahl führt durch eine Ausstellung des Fotografen William Eggleston im Whitney Museum. Und Anthony Lane sah im Kino den neuen Bond "Ein Quantum Trost". Zu lesen ist schließlich die Erzählung "Lostronaut" von Jonathan Lethem und Lyrik von C.K. Williams und Robert Wrigley.
Nepszabadsag (Ungarn), 08.11.2008
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Economist (UK), 07.11.2008
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Die amerikanischen Wahlen und was aus ihnen folgt, findet sich unter Überschriften wie "Große Erwartungen" (Titelgeschichte), "Konfetti und heiße Dates" (über Chicagos Liebe zu Obama), "Szenen von einer Totenwache" (über das noble Ende von McCain) oder - Schreck lass nach - "Palin für 2012!" zusammengefasst.
Außerdem ein Nachruf auf den großen Jahrhundertchronisten Studs Terkel.
Spiegel (Deutschland), 10.11.2008
Im Interview (leider nicht online) spricht der Autor Boris Akunin über den schlechten Zustand der Intelligenzija in Russland, die sich von Putin und Medwedew korrumpieren ließ und die Reaktion der russischen Regierung auf sein Interview mit dem inhaftierten Michail Chodorkowski - sie hat dessen Haft verschärft. "Sie wollte ein Zeichen setzen. Weniger gegenüber Chodorkowski, weil sie versteht, dass sie ihn auch nach fünf Jahren Haft nicht brechen kann. Sondern vielmehr, um andere Schriftsteller davor zu warnen, dieses öffentliche Gespräch über den Zustand unseres Landes fortzusetzen."
Rue89 (Frankreich), 09.11.2008
Angesichts der - nicht nur in Frankreich virulenten - Zeitungs- und Zeitschriftenkrise und einem Rückgang der Print-Umsatzzahlen um gut 30 Prozent macht die Wirtschaftswissenschaftlerin Francoise Benhamou für den Leserschwund neben allgemeinen ökonomischen Zwängen mit negativen inhaltlichen Auswirkungen zwei weitere Faktoren ursächlich verantwortlich: die Standardisierung der Presseerzeugnisse und die scheinbar beliebige Austauschbarkeit von Journalisten. Dabei seien gerade unverwechselbare Autoren deren wichtigstes Kapital: "Die Stärke eines Presseorgans besteht in seiner spezifischen Besonderheit, in den Federn, die darin schreiben. In der heutzutage hyperkonkurrenten Presselandschaft ist für das Überleben eines Blatts nicht nur die Schaffung einer Marke eine unverzichtbare Bedingung, sondern der Aufbau eines Redaktionsteams, dem der Leser darin begegnet und das seinen Ton und Inhalt ausmacht."
Vanity Fair (USA), 01.12.2008
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In einem zweiten Artikel beschreibt Mnookin das derzeit vielleicht erfolgreichste Nachrichtenunternehmen der Welt: Bloomberg. Das Unternehmen hat einen neuen chief content officer, Norman Pearlstine. "Als er die Verhandlungen für seinen Job aufnahm, wusste er nicht sehr viel über seinen künftigen Arbeitgeber. Er wusste zum Beispiel nicht, dass Bloomberg News 2.300 Mitarbeiter hat, das sind mehr als die Redakteure der NYT und der Washington Post zusammen, oder dass von den 135 Bloomberg-Büros allein 30 im asiatisch-pazifischen Raum liegen". 300 zusätzliche Mitarbeiter wurden in den letzten Jahren angestellt. Bloomberg ist unverzichtbar für Wirtschaftskräfte, die den Dienst gegen Cash abonnieren, damit verdiente das Unternehmen 2007 rund 4,7 Milliarden Dollar. Zugleich hat Bloomberg seinen Geschäftsbereich ausgeweitet. "Heute haben zehn Zeitungen in der Welt, inklusive der spanischsprachigen Ausgabe des Miami Herald und des Tages-Anzeigers, der zweitgrößten Zeitung in der Schweiz, von Bloomberg News bestückte Seiten in ihren Zeitungen über Themen, die sie selbst sich nicht mehr leisten können abzudecken. In den letzten Jahren, als große Tageszeitungen wie die Los Angeles Times und die Chicago Tribune ihre Buchkritiken abgeschafft oder drastisch reduziert haben, hat die Kulturabteilung von Bloomberg ihre Kulturberichterstattung ausgeweitet, immer mit einem Auge darauf, ihren Inhalt in Tageszeitungen zu platzieren." Dieser Erfolg ist laut Mnookin vor allem zwei Männern zu verdanken: Michael Bloomberg und Matt Winkler. "'Matts einzigartiges Verdienst', zitiert Mnookin Bloomberg Präsidenten Dan Doctoroff, 'ist es, die symbiotische Beziehung zwischen Nachrichten und dem restlichen Bloomberg-Geschäft wirklich verstanden zu haben' - vor allem, weil er die journalistische Organisation als eine kapitalistische verstanden habe. 'Er war absolut brillant darin, dass in ein Konzept zu verwandeln.'"
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