Magazinrundschau
Komplizenschaft zwischen Kontrahenten
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
11.01.2022. In Areo fragt Richard Dawkins, warum es einfacher sein soll, sein Geschlecht als seine Rasse zu wechseln, obwohl Rasse ein Spektrum ist und Geschlecht so verdammt binär. In der LA Review of Books grübelt Peter Pomeranzev über die Logik des Wahnsinns von Putin. Der Guardian versucht sich über KI klar zu werden, die umso genauere Vorhersagen macht, je weniger sie interpretierbar ist. Bloomberg erzählt, welchen Rückschlag die Coronamaßnahmen für viele Mädchen in Afrika bedeuten. Wired stellt neue und sehr schräge Methoden zur Energiegewinnung vor. The Critic fragt: Stirbt die Reisereportage aus?
Areo (USA), 05.01.2022

LA Review of Books (USA), 10.01.2022

Guardian (UK), 09.01.2022

Hlidaci pes (Tschechien), 09.01.2022

Bloomberg Businessweek (USA), 10.01.2022

Wired (USA), 04.01.2022

Harper's Magazine (USA), 01.01.2022

Guernica (USA), 06.12.2021

noahpinion.substack.com (USA), 08.12.2021
Ah, das tut gut! Eine große Dosis original amerikanischen Techno-Optimismus. Noah Smiths Substack-Blog ist diesem Antidepressivum sogar exklusiv geweiht. Warum es Anlass dafür gibt? Nun, so versichert Smith, bald haben wir durch Wind, Sonne und womöglich Kernfusuion billige Energie im Überfluss. Und das ist längst noch nicht alles. Man denke an die Biotechnologie: "Dieses Jahrzehnt begann mit mRNA-Impfstoffen, die gerade noch rechtzeitig eintrafen, um Millionen von Menschen vor einer weltweiten Seuche zu retten. Und mRNA verspricht Impfstoffe für alles, von Malaria über verschiedene Krebsarten bis hin zu einer beliebigen Anzahl anderer Krankheiten. Erstaunlicherweise ist dies aber nur einer von vielen biologischen Durchbrüchen, die gerade jetzt zum Tragen kommen! Hier ist eine kurze Liste von Wundern, die mir in den letzten Monaten über den Bildschirm gehuscht sind." Und dann kommen Gentherapie, Neurotechnologie, die Verpflanzung tierischer Organe in Menschenkörper (bei Nieren ist schon gelungen) und Gensynthese. Und dies hier, die Mensch-Maschine-Schnittstelle. Dieser Tweet zeigt Buchstaben, die ein gelähmter Mensch durch bloße Hirnanstrengung auf einen Computer übertragen kann:
This was written by a paralyzed man using a brain computer interface. Despite not moving his hands he thinks about writing and this is what comes up.
- garrytan.eth 陈嘉兴 🥑🌐🦇🔊🍌🔺(∞, ∞) (@garrytan) November 11, 2021
18 words per minute
BCI metaverse is gonna be insane guyshttps://t.co/VkJ6iFnHG5 pic.twitter.com/7EWVBn39W9
Magyar Narancs (Ungarn), 10.01.2022

London Review of Books (UK), 10.01.2022

The Critic (UK), 04.01.2022


Wie sich die Zeiten ändern. In Granta 10 war das Reisen noch ein glamouröses Ereignis. In Granta 157 ist es so schuldbeladen, dass zu Hause bleiben die einzige Option zu sein scheint.
Tom Chesshyre erinnert sich noch gut daran, wie populär und wundervoll geschrieben in den 80ern Reisereportagen waren. Bill Buford gab 1983 Granta 10 heraus, eine Ausgabe mit literarischen Reportagen von Gabriel Garcia Marquez, Paul Theroux, Colin Thubron, Saul Bellow, Martha Gellhorn u.a.. Ja, selbst in den 00er Jahren, als der Perlentaucher seine Magazinrundschau auf die Beine stellte, waren Zeitungen und Magazine noch gespickt mit großen Auslandsreportagen. Die deutsche Sektion der Lettre vergab von 2003 bis 2006 den Lettre Ulysses Award, einen internationalen Preis für literarische Reportagen. Heute scheint diese Form der Erzählung mit ihrer Mischung aus Fakt und Fiktion aus der Mode gekommen zu sein. Es gibt mehrere Gründe dafür: Billige Flüge, die den Massentourismus in jede Ecke der Welt bringen, das Internet, die neue Vorliebe für Nabelschau und schließlich noch ein weiterer Grund: Die Reporter zweifeln heute offenbar oft an ihrer Berechtigung, von einem fremden Land zu erzählen, so Chesshyre. "In 'The Travel Writing Tribe' verweist Tim Hannigan auf eine wahrgenommene 'kulturelle Aneignung' durch privilegierte westliche Menschen, die oft 'sehr männlich, sehr weiß' und teuer ausgebildet sind und in fremden Ländern auftauchen und Fragen stellen. Der Akademiker Charles Sugnet geht noch einen Schritt weiter und beschuldigt die Chatwins und Therouxs, 'eine anspruchsvolle Version des Katalogs von Banana Republic zu sein... ihr Gepäck ist voll mit tragbaren Splittern des kolonialistischen Diskurses'. Der Gedanke, dass so gut wie niemand das Recht hat, irgendwohin zu reisen und darüber zu reflektieren, scheint sich durchgesetzt zu haben. Der Herausgeber der neuesten Ausgabe des Magazins, Granta 157, der Reiseschriftsteller William Atkins, beginnt seine Einführung in die Ausgabe zum Thema Reiseschriftstellerei mit dem Eingeständnis, dass er auf einer Reise nach Xinjiang in China (wo sich 'Umerziehungslager' für das verfolgte Volk der Uiguren befinden), 'nicht zum ersten Mal den Selbstekel des europäischen Reiseschriftstellers an einem unruhigen Ort gespürt habe, der - abgesehen von journalistischen Vorwänden - weder ein Nachrichtenkorrespondent noch ein internationaler Beobachter ist, sondern im Grunde ein Tourist mit einem Buch im Kopf'. Dies ist nur ein Aspekt dessen, was in einigen Kreisen eine fast vollständige Ablehnung - oder vielleicht ein tiefes Misstrauen - gegenüber der Reiseschriftstellerei zu sein scheint. Schon der Akt des Reisens scheint heikle Fragen über die Eignung des Genres aufzuwerfen. Jeder Langstreckenflug, so Atkins, 'kann aufgrund der Auswirkungen des Kohlenstoffs plausibel als ein Akt der Gewalt beschrieben werden'. Im Gegensatz zu Buford (dessen Titelbild eine glamouröse Frau und einen Piloten mit Koffern beim Aussteigen aus dem Flugzeug zeigte) wurden seine Autoren 'vom Fliegen abgehalten', und der Titel der Ausgabe - Should We Have Stayed At Home? - redet nicht um den heißen Brei herum. Die in der Luft hängende Antwort 'Ja' scheint die gesamte Literaturgattung zu 'canceln'."
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