Magazinrundschau
Eine gespenstische Leere
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
22.03.2022. Der New Yorker schildert die Abschaltung der russischen Zivilgesellschaft durch die Emigration der Menschen, die sie aufrecht gehalten hatten. Osteuropa bekommt in einem Interview mit Generaloberst Wladimir Tschirkin eine Ahnung, was der Ukraine nach einem Sieg Russlands blühen würde. Nach einem Sieg Russlands sieht es derzeit allerdings noch nicht aus, stellt die London Review fest. Atlantic begutachtet mit Fintan O'Toole die Kluft zwischen dem traditionellen und dem modernen Irland. The Quietus erinnert an das experimentelle japanische Label Vanity Records. Der Guardian fragt sich, warum die Pegel der großen Seen Kenias immer weiter steigen. Die New York Times fragt sich, wie lange der brasilianische Regenwald wirtschaftlichen und ideologischen Interessen noch standhalten kann.
New Yorker (USA), 28.03.2022
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Patrick Radden Keefe lernt aus den Büchern von Catherine Belton ("Putins Netz") und Tom Burgis ("Kleptopia: How Dirty Money Is Conquering the World") in welchem Ausmaß Britannien russischen Oligarchen hilft, ihr Geld und ihre Reputation wäscht. Wer keine Lust zum Lesen hat, kann sich auch von dem ehemaligen Russland-Korrespondenten Oliver Bullough auf eine "Kleptokratie-Tour" durch London mitnehmen lassen: "Bullough taucht mit einer Busladung Gaffer vor eleganten Villen und Apartmenttürmen aus Stahl und Glas in Knightsbridge und Belgravia auf und zeigt die millionenschweren Residenzen der zwielichtigen Ausländer, die dort Zuflucht gefunden haben. In seinem soeben in Großbritannien erschienenen Buch 'Butler to the World: How Britain Became the Servant of Oligarchs, Tax Dodgers, Kleptocrats, and Criminals' argumentiert er, dass England aktiv um solche korrumpierenden Einflüsse geworben hat, indem es 'einige der schlimmsten Menschen, die es gibt', wissen ließ, dass es für Geschäfte offen ist." Bestätigt werden die Recherchen der drei von der "britischen National Crime Agency, die feststellte, dass jedes Jahr 'viele hundert Milliarden Pfund an internationalem kriminellem Geld' über britische Banken und Tochtergesellschaften gewaschen werden. Und vom Geheimdienstausschuss des Parlaments, der London als 'Waschsalon' für illegales russisches Geld bezeichnet hat. Und vom Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Unterhauses, der 2018 erklärte, dass die Leichtigkeit, mit der der russische Präsident und seine Verbündeten ihren Reichtum in London verstecken, Putin geholfen hat, seine Agenda in Moskau zu verfolgen."
Weiteres: Die Musiker Emily Richmond Pollock und Kira Thurman diskutieren über das Canceln russischer Musiker wie Anna Netrebko oder Alexander Malofeev, die sich nicht ausdrücklich von Putin distanzieren wollen. Becca Rothfeld liest mehrere Bücher zum "Shaming-Industriekomplex". Calvin Tomkins porträtiert die Künstlerin Simone Leigh, die die USA auf der nächsten Kunstbiennale in Venedig vertreten wird. Carrie Battan hört Reggae von Koffee, und Anthony Lane sah im Kino Graham Moores "The Outfit" mit Mark Rylance als Schneider in der Savile Row.
HVG (Ungarn), 10.03.2022
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The Atlantic (USA), 21.03.2022
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Wer wissen will, wie es um das moderne Irland bestellt ist, dem empfiehlt Cullen Murphy wärmstens Fintan O'Tooles Buch "We Don't Know Ourselves", eine Mischung aus Geschichtsbuch und Memoir. Es beginnt in den 60ern: Irland war noch ein streng katholisches Land, Milch wurde noch im Pferdewagen geliefert, "die offizielle Version der irischen Geschichte war ein düsterer, grauer, pietistischer Nationalismus. Als die sterblichen Überreste von Roger Casement, der wegen seiner Beteiligung an der Vorbereitung des Osteraufstands hingerichtet worden war, von Britannien in einer Geste des guten Willens an Irland zurückgegeben wurden, war der Anlass von düsterer Feierlichkeit geprägt. Als Pfadfinder marschierte ich an einem Tag, an dem es regnete und schneite, in einem Zug hinter Casements fahnengeschmücktem Sarg her. Doch im selben Irland entstanden zur selben Zeit rund um den Flughafen Shannon und seine berühmten Duty-Free-Läden in Windeseile Gewerbegebiete. ... Tatsächlich, so schreibt O'Toole, existierten zwei sehr unterschiedliche Irlands unbehaglich nebeneinander, wobei keines das andere verdrängte: 'Irland' als Begriff war fast erdrückend kohärent und fest: Katholisch, nationalistisch, ländlich. Dies war die platonische Form des Landes. Aber Irland als gelebte Erfahrung war inkohärent und unbestimmt. Das erste Irland war abgegrenzt, geschützt, abgeschirmt von den unappetitlichen Einflüssen der Außenwelt. Das zweite war grenzenlos, beweglich, physisch auf dem Weg zu dieser Außenwelt. In dem Raum zwischen diesen beiden Irlands herrschte eine gespenstische Leere, ein Gefühl von etwas, das so unwirklich war, dass es ganz verschwinden könnte. Leere ist eigentlich nicht das richtige Wort. Wie O'Toole weiter ausführt, war dieser Raum reichlich gefüllt, und zwar durch die Heuchelei der irischen Führer und durch eine Art 'Doppelzüngigkeit' aller anderen - eine Art, zu sehen und nicht zu sehen, ein Lippenbekenntnis zu einer Reihe von Werten abzulegen, während man sein Verhalten an einer anderen festmacht."
Guardian (UK), 21.03.2022
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Osteuropa (Deutschland), 21.03.2022
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London Review of Books (UK), 21.03.2022
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Außerdem liefern zahlreiche LRB-Autoren Beiträge zur russischen Invasion in der Ukraine, darunter Neal Ascherson, Sheila Fitzpatrick, Jeremy Harding, Laleh Khalili, Thomas Meaney, James Meek, Pankaj Mishra, Azadeh Moaveni, Vadim Nikitin, Olena Stiazhkina, Vera Tolz und Daniel Trilling. Fredric Jameson feiert Olga Tokarczuks "Jakobsbücher" als Beleg für das "eigentlich Unmögliche, den Roman eines Kollektivs zu schreiben. 'Denn der Messias ist hier nicht ein einfach falscher Prophet, sondern der in allen Adern fließende, kostbare Glaube des Menschen daran, dass Erlösung möglich sei.'"
Quietus (UK), 15.03.2022
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Außerdem spricht Joe Banks mit Iain McIntyre, Ko-Herausgeber der Essay-Anthologie "Dangerous Visions And New Worlds", die den Modernisierungsschub der literarischen Science Fiction von 1950 bis 1985 in den Blick nimmt. Und Mat Colegate erklärt in einem spaßigen Essay, wie man im Grunde des Herzens schundiger Fantasy-Filme aus den Achtzigern auf wahre Filmkunst stößt.
New York Times (USA), 19.03.2022
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