Magazinrundschau - Archiv

Harper's Magazine

51 Presseschau-Absätze - Seite 4 von 6

Magazinrundschau vom 19.03.2019 - Harper's Magazine

Rachel Nolan erzählt am Beispiel eines als Kind von einem belgischen Ehepaar adoptierten jungen Mannes, wie über Jahrzehnte Kinder illegal in Guatemala von Adoptionsanwälten und Menschenhändlern verschachert wurden. Kinder, die oft noch Eltern hatten, die ausgetrickst wurden. "Es gibt viele Menschen in Guatemala und im Ausland, die glauben, dass internationale Adoptionen überprüft werden sollten. Die bekannteste Vertreterin ist Elizabeth Bartholet, selbst Adoptivmutter von zwei Kindern aus Peru und Professorin an der Harvard Law School. Bartholet räumt ein, dass es einen gewissen Betrug bei der internationalen Adoption gibt, aber sie glaubt, dass die Antwort darin bestehen sollte, die Illegalität zu bekämpfen, nicht, wie sie es ausdrückte, 'die ganze Sache abzuschalten'. 'Es gibt einen hohen Preis, den die Kinder bezahlen müssen, denen Adoptiveltern verweigert werden und die typischerweise in Institutionen landen', sagte sie mir. Das Problem bei dieser Sichtweise ist, dass die meisten der aus Guatemala adoptierten Kinder keine Waisenkinder oder Straßenkinder waren, sondern von Adoptionsanwälten vermittelt wurden. Ein Journalist nannte die Vorstellung, dass die meisten internationalen Adoptierten Waisenkinder sind, 'die Lüge, die wir lieben'."
Stichwörter: Adoption, Guatemala, Peru

Magazinrundschau vom 05.03.2019 - Harper's Magazine

Lassen sich Märchen, Sagen und folkloristische Geschichten ähnlich erforschen wie genetische Stammbäume? Ferris Jabr jedenfalls stellt die Arbeit des Anthropologen Jamie Tehrani vor, der dies anhand von "Rotkäppchen" und einiger anderer als klassisch europäisch geltender Märchen getan und damit ganze Stammbäume von "Mythemen" - narrative Bruchstücke etablierter Geschichten - herausgeschält hat. "Tehrani hat 58 Varianten von 'Rotkäppchen' aus 33 Kulturen versammelt und sie in 72 essenzielle narrative Elemente zerlegt, darunter der Typus des Protagonisten (Einzelkind oder Geschwister, männlich oder weiblich), Tricks des Gegenspielers, ob der Protagonist verschlungen wird, ob er entkommt und so weiter. Mit diesen Daten fütterte er ein Computerprogramm, das auf Grundlage von Statistiken einen phylogenetischen Baum entwirft. Die Ergebnisse lieferten einer seit Jahrzehnten währenden Debatte über die Ursprünge von 'Rotkäppchen' neue Erkenntnisse: Den Archetypus des klassischen Märchens, mit dem weite Teile des Westens vertraut sind, bildet eine uralte, einst oral weitergegebene Geschichte in den ländlichen Regionen von Frankreich, Österreich und Norditalien. Folgt man einem anderen Zweig dieses Baums, entspringt die Geschichte der Baby-Ziegen, die von einem Wolf verschlungen werden, einer Aesopischen Fabel aus dem Jahr 400 vor Christus. Beide narrative Pfade verbinden sich irgendwann im 17. Jahrhundert in Asien mit einigen anderen lokalen Erzählungen zum Motiv der 'Tiger-Großmutter'. Inspiriert davon wandten Tehrani und seine Kollegin Sara Silva ähnliche Methoden auf 275 'magische Erzählungen' aus 50 Kulturen in Indien und Europa an. ... Tehrani und Silva stießen darauf, dass einige davon schon viel länger existierten als ursprünglich angenommen. 'Die Schöne und das Biest' und 'Rumpelstilzchen' etwa waren nicht nur ein paar hundert Jahre alt, wie einige Wissenschaftler zuvor angenommen hatten, sondern mehr als 2500 Jahre."

Magazinrundschau vom 05.02.2019 - Harper's Magazine

In Harper's zeigt sich Lionel Shriver entsetzt und empört über die feige Willfährigkeit, mit der Institutionen und Kulturmanager Künstler - und ihre Kunst - behandeln, denen man eine Verfehlung vorwirft: Ein Komiker soll unaufgefordert vor Frauen masturbiert haben, ein Schauspieler Kollegen sexuell belästigt haben, eine Komikerin setzt einen rassistischen Tweet ab - zack, schon sind die drei nicht nur ihre Jobs los, auch ihr Werk verschwindet. Serien, Filme, Kunstwerke werden aus den Archiven und Streamingdiensten entfernt. Shriver möchte das nicht mal für verurteilte Vergewaltiger wie Bill Cosby akzeptieren: "Der zeitgenössische Impuls, entehrte Schöpfer zurechtzuweisen, indem man ihre Werke vom Kulturmarkt verschwinden lässt, ist bösartig, rachsüchtig und unlogisch. Wenn man jemanden erwischt, der etwas Schlechtes tut, warum würde man dann ausradieren wollen, was er Gutes getan hat? Wenn Sie wegen Einbruchs verurteilt werden, wird der Richter keine Gerichtsvollzieher losschicken, um das Baumhaus, das Sie für Ihre Tochter gebaut haben, abzureißen und Säure auf Ihren selbstgemachten Kuchen zu gießen. ... Dieser Auslöschungsimpuls ist in erster Linie eine Folge von Terror: dass die umherziehende schwarze Wolke der Verleumdung jede Person oder Institution umhüllt, die sich an der Verbreitung des Werkes eines verunglimpfte Künstler beteiligt. Wenn du mitmachst und denjenigen anprangerst, der die Schandmaske trägt, wird sie dich vermutlich nicht streifen. Auslöschung ist auch eine Form des Umschreibens von Geschichte - ein populärer Impuls der letzten Zeit. In der überarbeiteten Version der Ereignisse sind wir diesen ekelhaften Kreaturen nie erlegen. In der historischen Neufassung war schon immer etwas faul an Bill Cosby; er war nie Amerikas Dad."

Magazinrundschau vom 26.06.2018 - Harper's Magazine

Kevin Baker lebt seit über vierzig Jahren in New York. Als er 1975 in die Stadt kam, war sie auf ihrem Tiefpunkt: die Finanzen lagen am Boden, die Kriminalitätsrate schoss durch die Decke, die Stadt war dreckig, baufällig, billig, lebendig. Und heute? "Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist New York, naja, langweilig." Schuld, so Baker in einem langen Essay, sind die Hauseigentümer, wie Dementoren saugen sie jedes urbane Leben aus der Stadt. "Letzten Juni zählte das Büro von Manhattans Bezirksbürgermeisterin Gale Brewer 188 leere Schaufenster entlang des Broadway - auf einer Hauptstraße in einer unglaublich reichen Stadt, die seit acht Jahren wirtschaftlich wächst." Und natürlich trifft es auch die "normalen" Mieter, die sich die Stadt nicht mehr leisten können: "Der New Yorker bemerkte 2016, dass es jetzt einen großen Teil von Midtown Manhattan gibt, von der Fifth Avenue bis zur Park Avenue, von der 49th Street bis zur 70th Street, wo fast jede dritte Wohnung mindestens zehn Monate im Jahr leer steht. New York ist heute kein zu Hause mehr. Stattdessen wurde es wie London und Hongkong zu einer der begehrtesten Städte der Welt für 'Land Banking', wo reiche Menschen aus der ganzen Welt erstklassige Immobilien als Investition erwerben, als pied-à-terre, als Schlupfloch, als Tresor. ... Das ist nicht die wohlwollende 'Gentrifizierung', die Michael Bloomberg wohl im Sinn hatte, es steht eher in der Tradition der Jagdreviere des Königs, aus denen die einheimischen Bauern vertrieben wurden, auch wenn sie am Verhungern waren und der König weit weg war. Oder, um eine zwingendere Analogie zu verwenden, diese Bereiche sind jetzt die toten Zonen von New York, ganz wie die wachsenden sauerstoffarmen toten Zonen in unseren Ozeanen und Seen, verschmutzt mit Pestiziden und tödlichen Algenblüten."

Magazinrundschau vom 15.05.2018 - Harper's Magazine

Wer körperlose Stimmen im Kopf hört, als würde tatsächlich zu ihm gesprochen, gilt als psychotisch, vielleicht sogar als schizophren - soweit die gängige Einschätzung. Dass viele Menschen Stimmen hören, ohne dadurch in ihrem Alltag beeinträchtigt zu werden oder eine Gefahr für ihre Mitmenschen darzustellen, bleibt dabei allerdings unberücksichtigt, schreibt T.M. Luhrmann und erklärt, dass diese relativ neue Erkenntnis womöglich auch bessere Therapieformen für jene in Aussicht stellt, die unter den Stimmen in ihrem Kopf leiden. Eine Methode besteht laut Luhrmann darin, dass Patienten mittels eines Computer-Avatars und einer Computer-Stimme ihre Stimmen personalisieren und direkt adressieren - etwa, wenn sie von ihren Stimmen heruntergeputzt werden. "Man sieht den unsicheren Patienten, wie er mit Angst zu antworten auf den Bildschirm schaut. Doch dann antwortet er. Mit der Zeit - etwa im Lauf von sechs Sitzungen, die mitunter nur zehn Minuten dauern - macht der Therapeut die Computerstimme freundlicher und respektvoller, je nachdem, was der Patient sagt. ... Die zentrale Einsicht dieser Methoden besteht darin, dass die Art, wie die Leute ihren Stimmen begegnen, ihren Lebensalltag verändern kann. ... Zwar stellt es eine enorme Schwelle dar, Stimmen als Personen zu erachten: ihnen Namen zu geben, mit ihnen zu interagieren. Es scheint unehrlich, schließlich sind sie Stimmen, nicht echte Menschen. Doch hilft es den Patienten, ihre Stimmen wie vernünftige menschliche Wesen antworten zu lassen. Dies ist das neue Axiom der Theorie des psychotischen Kontinuums: Nicht die Stimmen sind das Problem, sondern wie Menschen auf ihre Stimmen reagieren."

Magazinrundschau vom 15.08.2017 - Harper's Magazine

"Löwinnen, Schildmaiden und Walküren haben ihren Männern schon immer geholfen, ihre Kämpfe auszutragen", sagt Lana Lokteff, eine der Protagonistinnen der Alt-Right-Bewegung in Seyward Darbys ausführlichem Artikel über die weibliche Seite von Rechts. Nach Charlotteville dürfte auch dieser Aspekt dieses Milieus, das Donald Trump jetzt noch stärker unterstützen wird, von Interesse sein. Darby porträtiert einige der weiblichen Hauptfiguren der Szene. Hauptsächlich geht es um Lokteff, eine schwedische Alt-Right Bloggerin, die einen YouTube-Kanal und die Plattform Red Ice News betreibt. Obwohl selbst politisch aktiv, sind die Frauen wie auch die Männer in der Bewegung der Ansicht, dass die weibliche Unabhängigkeit für den "Untergang der westlichen Welt" verantwortlich sei, daher sehen sie sich als unterstützende Flanke ihrer Männer. "Die Alt-Right-Bewegung gilt als eine Bewegung, die größtenteils aus jungen weißen Männern besteht, Lokteff versucht, auch Frauen für die Bewegung zu gewinnen", schreibt Darby, und schildert eine Szene, die sie bei einem Votrag Lokteffs erlebt hat: "'Es waren Frauen, die Trump gewählt haben', sagt sie, 'und ich vermute, provokant, es waren auch Frauen, die Hitler an die Macht gebracht haben.' Das Publikum schreit und applaudiert begeistert."

Magazinrundschau vom 18.07.2017 - Harper's Magazine

In der neuen Ausgabe von Harper's Magazine macht sich Rebecca Solnit anlässlich einer Hundeattacke auf ihr Hosenbein Gedanken über Macht, Status, Territorien und ihre Grenzen: "Der Zusammenstoß auf dem Weg hatte mich nicht nur verstört - er hatte meine Prinzipien verletzt. Ich ging an Wurmfarnen, Frauenhaarfarnen, Schwertfarnen vorbei, ohne sie zu sehen. Alle Macht, überlegte ich, kann in Begriffen von Raum gedacht werden. Physischen Raum kann man sich ebenso wie Wirtschaft, Konversation und Politik als ungleich besetzte Orte denken. Eine Landkarte dieser Territorien wäre eine Landkarte der Macht und des Status: Wer hat mehr, wer hat weniger. ... Vor fast zwanzig Jahren führte ich den Hund einer Freundin aus. Dabei kamen mir drei große junge Männer entgegen. Es war eine Situation, in der ich immer ausweiche, zur Seite trete. Aber diesmal hatte ich einen Pitbull an der Leine. Ich ging einfach direkt durch die Männergruppe hindurch wie Moses durch das Rote Meer. Ich habe das nie wieder getan, aber ich habe nicht vergessen, was ich in diesem Moment gelernt habe: Das Wissen, wem der Bürgersteig gehört, war so tief in mir verankert, dass ich ohne es auch nur zu bemerken immer auswich. Seitdem habe ich Berichte von Transfrauen gelesen, die nach ihrer Umwandlung ständig mit anderen Menschen zusammenstießen - als Frauen stand ihnen das Drauflosgehen nicht mehr zu."

Magazinrundschau vom 21.02.2017 - Harper's Magazine

In einer Reportage, die mit einiger Verzögerung veröffentlicht wird, berichtet Masha Gessen von einem gruseligen Treffen  des World Congress of Families (WCF) im Mai 2016 in Tiflis, bei dem sich eine ganz ähnliche Allianz aus Schwulenfeinden, Rassisten und Regierungsgegnern wie sie sich inzwischen auch in Donald Trumps Kabinett wiederfindet: "Bei diesem Treffen kommen die schlechten Nachrichten aus dem Westen: Neben mir bedauern sich Allan Carlson, der Gründer des WCF, und der ultrakonservative britische Anwalt Paul Diamond angesichts fortschreitender Transgender-Rechte in den USA und Großbritannien. Die Amerikaner, Briten und Westeuropäer, die hier auftreten, leben unter Belagerung. Sie sind nach Georgien gekommen, um Trost zu finden. Die Russen, Georgier und Polen verströmen Zuversicht. Polen hat erfolgreich die Abtreibung reglementiert und das Wort Gender aus den Schulen verbannt, Russland und Georgien sind dabei, ihren Krieg gegen Schwule und Lesben zu gewinnen. Levan Vasadze, der vermögende georgische Geschäftsmann, der 2016 den WCF nach Tiflis brachte, ist ein früherer Rugby-Spieler. Alexej Komow, ein Russe, der den WCF bei der UNO vertritt, versprüht diese Art gepamperter Gesundheit, die nur Geld kaufen kann. Vater Josiah wartet nicht, bis Komow zu ihm kommt, sondern springt begeistert auf, um ihn zu begrüßen."

Magazinrundschau vom 08.11.2016 - Harper's Magazine

Es gibt auf der Welt sechs Länder, in denen Abtreibung unter allen Umständen verboten ist - selbst wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. El Salvador gehört dazu. Rachel Nolan schildert in einer haarsträubenden Reportage, wie hier Frauen von der Justiz selbst nach einer Fehlgeburt gejagt und bedroht werden: "Staatsanwälte gehen in die Krankenhäuser und fordern Gynäkologen und Geburtshelfer auf, Patienten zu entdecken und zu melden, die 'Symptome einer Abtreibung' zeigen. Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, die Polizei zu informieren. Salvadorianische Ärzte an staatlichen Krankenhäusern müssen nachträgliche Evaluierungen vornehmen und Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, erwecken sofort Misstrauen, wenn sie medizinische Behandlung suchen." Die Strafe für eine Abtreibung "liegt zwischen zwei und acht Jahren Gefängnis. Aber weil El Salvadors Verfassung ein befruchtetes Ei als Person begreift, erheben Staatsanwälte in vielen Fällen willkürlich Anklage wegen vorsätzlicher Tötung, die mit Gefängnis zwischen 30 und 50 Jahren bestraft wird."

Magazinrundschau vom 10.05.2016 - Harper's Magazine

Elisabeth Zerofsky hat den Front National bei den französischen Regionalwahlen im November beobachtet und eine interessante Beobachtung gemacht: Den FN wählen nicht nur eingesessene Franzosen, sondern auch Einwanderer. Das bestätigt ihr nicht zuletzt Marine Le Pen, die auch in den Banlieues Wahlkampf macht, in denen viele Muslime leben: "'Warum nicht?', sagt sie. Für viele Muslime sei die Religion nicht das 'ausschlaggebende Kriterium' für ihre Identität: 'Viele betrachten sich als Franzosen. Sie haben alltägliche Probleme - Steuern, Schulen für die Kinder, Sicherheit in ihren Vierteln - und auch sie sind Opfer des islamischen Fundamentalismus. Es gibt keinen Grund, warum sie keine Patrioten sein können, nur weil sie Muslime sind. Wissen Sie, es gibt ganze muslimische Staaten, die den Fundamentalismus bekämpfen.'" Etwas später unterhält sich Zerofsky mit dem FN-Unterstützer Ahmed Hamrouni, der Le Pens Auffassung bestätigt: "Hamrouni, Sohn eines algerischen Minenarbeiters, erzählt mir, er kenne mehr und mehr Muslime, die den FN wählen, auch wenn viele es nicht zugeben wollten. 'Alles hat sich seit dem 13. November geändert', sagt er. 'Es gibt ein Unwohlsein.' In Hénin-Beaumont habe es keine Gewalt gegeben, aber, sagt Hamouni, er merke eine Veränderung in der Art, wie die muslimischen Gemeinden betrachtet würden. Es scheine ihm, als sei der französische Sozialvertrag, der Wunsch, ungeachtet der Religion oder Herkunft zusammenzuleben, zerbrochen. 'Wer weiß', sagt er. 'Vielleicht kann der FN das Verhältnis verbessern.'"