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ACAP - die Lösung für alle Copyrightstreitereien im Internet?

Von Rüdiger Wischenbart
14.11.2006. Mit dem Automated Content Access Protocol könnten Verlage und Rechteinhaber künftig selbst bestimmen, wer was von ihren Inhalten lesen darf - und müssten damit weniger Angst vor dem Netz haben.
"Those lawsuits on copyright are not the problem? - all die Prozesse rund ums Urheberrecht seien nicht das Problem, sagte Mark mit seiner sanften Stimme, so als sei das keine Überraschung, sondern ein selbstverständliches Faktum. Diese Gerichtsverfahren seien nur Signale, die auf ein Problem verweisen - also lasst es uns lösen!

Wir gingen genau vor einem Monat über die Frankfurter Buchmesse. Bei der Veranstaltung am folgenden Tag, bei der all das Thema war, ist Mark Bide längst zurück in London in seinem Büro. Die große Bühne des Konferenzsaals "Europa" in Frankfurt überließ er den Chairmen von Organisationen wie der World Association of Newspapers, WAN, oder der International Publishers Association, IPA, die ein Projekt vorstellten, für das Mark Bide von der britischen Beratungsfirma Rightscom als Project Coordinator firmiert, also als derjenige, der die Kernideen ausgebrütet hat.

Diese Ideen klingen simpel, tragen jedoch möglicherweise weit. Wenn die Suchmaschine Google heute Online-Zeitungen und ganze Bibliotheken voller Bücher digital erschließt (oder Amazon Verlagen anbietet, Bücher zur Digitalisierung einzuschicken, oder wenn der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sich anstrengt, ein Projekt 'Volltextsuche Online? zur Digitalisierung der Bücher seiner Mitgliedsverlage zu stemmen), dann ist das, weit abseits der Technologie, eine komplizierte Sache. Denn zwischen den Verwaltern der Urheberrechte (zum Beispiel den Verlagen) und den Suchmaschinen sollte jeweils ein Einvernehmen hergestellt werden, wie mit den Inhalten (etwa den digitalisierten Büchern oder Artikeln) verfahren werden darf: Soll der Inhalt von der Suchmaschine komplett erfasst werden - oder nicht, soll der ganze Inhalt für Suchende dargestellt werden, oder nur Ausschnitte, darf man das, was angezeigt wird, auch ausdrucken - oder wo, gegebenenfalls, kann man diese Inhalte kaufen?

Bei Millionen Büchern, die zurzeit digitalisiert werden - argumentieren die Suchmaschinen - könne man nicht jeden einzelnen Titel, Stück für Stück, klären. Dann wäre eine Digitalisierung, zum Schaden von uns Usern, schlicht unmöglich. Und wer nicht einverstanden sei, könne sich ja gerne ausklinken. Das aber kollidiert möglicherweise mit fundamentalen Rechtsnormen, dass nicht das Opfer eines Übergriffs seine Unschuld beweisen muss, sondern die beklagte Partei.

Die Verlage kontern entsprechend mit Hilfe ihrer Anwälte (und eben hat der französische Verlegerverband SNE sich einer Klage des Verlagshauses La Martiniere angeschlossen): Jedes einzelne Buch, jede Autorin und jeder Autor genießen Rechtsschutz. Wo kämen wir hin, wenn dieses Recht des Einzelnen von Industriegiganten, Bulldozern gleich, auf die Seite geschoben würde!

Kompliziert. Es sei denn, das alles ginge ganz einfach, gleichsam automatisch. Charles Clark, der kürzlich verstorbene Mentor und Senior aller britischen Urheberrechtsweisen, gab eine schlichte Formel als Denkansatz vor: "The answer to the machine is in the machine." Was also, wenn Dokumente online kleine Zusätze bekommen könnten, in denen für Such- und andere Maschinen automatisch lesbar festgelegt wird, was mit diesem Dokument erlaubt ist, und was nicht. So viel wäre den Rechteinhabern doch abzuverlangen.

Daraus entstand, in gut britischem Understatement als "Machbarkeitsstudie" getarnt, der erste, nun zur Frankfurter Buchmesse vorgestellte Entwurf für ein "Automated Content Access Protocol", das Mark Bide koordiniert hat, dessen einjährige Pilotphase nun im November startet, und das sowohl gegenüber allen rechtlichen Kautelen wie auch in einem viel grundsätzlicheren Verständnis erheblichen Charme und Eleganz besitzt.

ACAP soll ein kleiner Zusatz innerhalb einer Web Seite eines Dokuments oder einer ganzen Website sein, mit der, automatisch lesbar, durch den (urheberrechtlichen) Verwalter des Dokuments (z. B. durch den Verlag) definiert wird, was erlaubt ist, und was nicht (für Kenner: Es gibt bereits ein Protokoll, robots.txt, aber dieses kann einer Suchmaschine nur erlauben oder verbieten, ein Dokument zu erfassen).
ACAP erlaubt es nun, einen variablen Rahmen abzustekcen, der definiert, wie weit ein Dokument zugänglich gemacht werden darf. Den Unterschied zu herkömmlichen Rechtemanagementsystemen (DRM) definiert Mark Bide klar: "ACAP ist keine Methode, um Rechte auszudrpücken, sondern ein Weg, die Art der Lizenz zu vermitteln. Es geht ausdrücklich um die Formulierung von Nutzungsregeln und -bedingungen, nicht um ihre Durchsetzung." ACAP führt wenig Neues ein; es ist kein neuer DOI (Digital Object Identifyer, um Content vielschichtig zu beschreiben), sondern ist ein - nochmals: maschinenlesbarer - Vorschlag für Rechteinhaber, zu deklarieren, was sie wollen (und was nicht).

Ich bin, aus meinen Erfahrungen und meinem Blickwinkel, wenig anfällig für Heilserwartungen im viel dimensionalen Gezerre der digitalen Entwicklungen, sondern vertraue, wenn überhaupt, lieber den banalen Fragen: Wem nützt es? Wer trägt es? Wer wird ausgegrenzt? Und, nicht zuletzt: Wer soll wie viel bezahlen?

Unvergessen ist mir die Antwort des für digitale Strategien verantwortlichen Managers eines sehr großen europäischen Verlagskonzerns geblieben, der 'off the records? 2002 zusammenfasste: "Wir haben viel Geld investiert, um vom Manuskript über die Abrechnung bis zur Druckvorstufe das Buch in allen Etappen zu digitalisieren - und nun soll ich meinem Finanzchef sagen, dass wir - aus Angst vor Piraterie, oder weil wir das nicht abrechnen können - das Buch nicht digital anbieten sollen?" Kurzum, es gibt, von der Sache her, eine breite Koalition der möglichen Gewinner, die lieber heute als morgen einen Weg ins digitale Zeitalter für Bücher finden würden.

An wie vielen Ecken die Sache brennt, zeigen allein die Kontroversen der letzten Wochen und Monate. Neben den verschiedenen Prozessen rund um die Digitalisierung von Büchern gab es ein belgisches Gerichtsurteil, das Google den Zugang zu Online-News einschränkt. Oder eben, da Google die Platform für Videos, YouTube, kauft, das Hin und Her großer Filmkonzerne, ob sie die ungefragt auf YouTube ausgestellten Inhalte eher (als PR) hinnehmen wollen, oder dagegen klagen werden. Oder die Ankündigung der GEMA in Deutschland, für Inhalte ihrer Mitglieder Tantiemen einzufordern. Denn natürlich haben an den ungefragt hochgeladenen Video-Schnipsel auf YouTube ungezählte Autoren, Musiker, Filmemacher, Drehbuchschreiber, etc. Rechte, die einzeln auszuhandeln ob der Vielzahl schwer realisierbar sein wird.

Aber wollen wir deshalb ernsthaft, auf immer und ewig, all diese Inhalte online ausgrenzen? Ob ACAP der Schlüssel ist, kann zu diesem frühen Augenblick niemand gültig beurteilen. Aber immerhin stehen sowohl die internationalen Zeitungs- wie die Buchverleger dahinter, und ein Sprecher von Google fand die Sache in Frankfurt grundsätzlich gut. So viel Einvernehmen herzustellen hat bislang kein Anwalt (und schon gar kein Richter) geschafft.

Noch viel wichtiger aber erscheint mir das Prinzip. Hier wurde eine fundamentale Tür geöffnet: Rechteinhaber und Suchende hauen einander nicht mehr, wie weiland der Kasperl und das Krokodil, den Schädel ein, sondern suchen nach guten Möglichkeiten für die Kunden - die User -, für digitalen Content.