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Tauschbörse gesucht: für Dichter und Sänger

Von Rüdiger Wischenbart
21.03.2002. Musikkonzerne stöhnen über den Austausch von CDs über das Netz. Bücher dagegen werden kaum auf den Tauschbörsen gehandelt. Das ist bedauerlich...
Es ist wohl lange her, als Dichter noch Sänger waren, und umgekehrt. Manch prosaischer Beobachter mag das begrüßen. Zu Unrecht, wenn man genauer hinsieht.

Da verkündet die Musiksparte des Bertelsmannkonzerns (die BMG) gerade ein paar Tage vor Beginn der Leipziger Buchmesse, man wolle in dem globalen Unterhaltungskonzern künftig weniger von den ultrateuren Superstars abhängig werden. In den lapidaren Managementton übersetzte sich diese Hoffnung mit dem blumigen Satz: "Wir müssen mit dem Graubrot fünf Prozent Gewinnrendite schaffen."

Was hat das mit Leipzig zu tun? Aufs erste nur wenig, außer dass auch die Literaturverlage - insbesondere die erfolgreicheren und größeren - eine ganz ähnliche Not plagt. Zwar sind die Summen, um die es geht, bei den Sängern um einiges höher als bei den Schriftstellern, und die Schriftsteller würden, anders als die Musiker, wohl mitlesen und die Nase rümpfen, wenn die vielen, die im Augenblick gerade nicht als Stars gehandelt werden, als - wenn auch nahrhaftes - Graubrot tituliert werden.

Aktuelle Anlässe für die Sorgen bei Bertelsmanns Musikchef Rolf Schmidt-Holz sind Künstlerinnen wie Whitney Houston, der man vor zwei Jahren angeblich 100 Millionen Dollar für sechs neue Alben und zwei Greatest Hit Sammlungen zusagte, und nun bangt, ob Alkohol- und Drogenprobleme die Aufnahme der nächsten Platte verhindern. Abschreibungen aus solchen verrutschten Engagements sollen (laut Financial Times Deutschland) maßgeblich für den kolportierten Jahresverlust der BMG von satten 450 Millionen Euro verantwortlich gewesen sein.

Gewiss, bei der Literatur ist alles billiger und auch - nicht zuletzt sprachbedingt - lokaler. Aber die Verlage sind, bei niedrigerem Einsatz wie auch beschränkteren Einnahmen in einer ganz ähnlichen Bredouille.

Die Vorschüsse für die vergleichsweise wenigen Autoren, die einigermaßen zuverlässig gute Umsätze versprechen, klettern munter in die Höhe. Man muss dabei gar nicht höhnisch auf böse gefloppte Spekulationsblüten wie die drögen Memoiren der Monika Lewinski zurückverweisen.

Jeder unabhängige mittelständische Verlag, der heute, meist mit viel Engagement und noch mehr Beinarbeit, einen Überraschungsknüller landet, kann sich mit dem gewinnbringenden Erfolg ein existenzbedrohendes Problem in der Folgerunde einhandeln, wenn nämlich dann, aufgrund des Erfolgs, die fälligen Vorauszahlungen für das nächste Buch des neuen Stars unbezahlbar teuer werden, und wenn dieser zweite Titel dann auch ein entsprechend fettes Marketingbudget zugewiesen kriegen will - und jeder weiß, wie ungewiss der Erfolg von zweiten Büchern nun einmal ist.

Aber was hat die Leipziger Buchmesse noch mit dem Geschäft zu tun, mag man fragen. Auf der Autorenmesse geht es doch um die Schriftsteller. Hunderte Lesungen! Das Publikum! Anstiften zu literarischen Entdeckungen!

Mir will's einfach nicht in den Sinn, warum ich - zufällig nicht in Leipzig vor Ort - von all den lesenden und sich promotenden Autoren nicht wenigstens ein paar Seiten, ein Kapitel des neuen Buchs zumindest, via Internet zu lesen kriege, gleich verlinkt natürlich mit einer Bestellmöglichkeit.

Huch, rufen da die Leute aus der geplagten Musikindustrie: "Napster-KazAa-Gnutella"! Und: Seid doch bloß froh, dass Bücher nicht übers Netz getauscht werden.

Tatsächlich scheint es so zu sein, dass Harry Potter immer noch der einzige literarische Held ist, der von einer nennenswerten Anzahl von Leuten als wichtig und attraktiv genug eingeschätzt wird, um ihn über die Peer-to-peer Tauschbörsen anzubieten.

Bei mehr als 1,3 Millionen zugeschalteten KazAa-Nutzern bot dieser Tage kein einziger Wladimir Kaminers "Russendisko" an, eine Internet-afine Elke Naters war unbekannt, und selbst Benjamin von Stuckrad-Barre brachte es nur auf magere drei Audio-Einträge (unter anderem mit "Tigerenten"), arg bedrängt durch ein Video mit dem ehemaligen französischen Wirtschaftsminister und Premier Raymond Barre.

Das ist bedauerlich, und das sage ich allen Sorgen der Musikkonzerne - denen natürlich erhebliche Einnahmen durch die Lappen gehen - und der Verlage - die sich vorschnell freuen, dass sie nichts verlieren -, zum Trotz.

Sind die Dichter, im Vergleich mit den Sängern, tatsächlich so un-cool, dass sie auf den virtuellen Märkten nicht feilgeboten werden? Und kein Verlag drängelt rein, um sich zu profilieren? Dort tauschen sich immerhin die Leser und Buchkäufer von morgen aus.

Vielleicht sind am Ende, im Vergleich zu den Verlagen mit ihren Dichtern, die Sorgen der Musikbranche um ihre Sänger gar nicht so schlimm.