Virtualienmarkt

Wenn Bischöfe einen Konzern abstoßen

Von Rüdiger Wischenbart
25.11.2011. Wer Weltbild kauft, erwirbt 18 Prozent Umsatzanteil im zweitgrößten Buchmarkt der Welt - und angesichts der chaotischen Vorgaben seitens der Eigentümer mit guten Chancen auf einen attraktiven Preis.
"Sex sells". Die etwas abgegriffene Werbeformel haben zwölf deutsche Bischöfe am vorigen Montag mit neuem Leben erfüllt. Denn die Vertreter von zwölf Diözesen, in deren Eigentum Deutschlands wohl spannendster Buchkonzern, Weltbild, steht, haben putschartig verfügt, dass die florierende Firma zu verkaufen sei, und zwar dalli.

Was aufs erste wie eine schrullige Nummer mit bestenfalls Harald-Schmidt-Pointen-Appeal wirken mag, hat tatsächlich das Potenzial, den deutschen Buchmarkt auf den Kopf zu stellen. Dabei geraten bigotte Sauberkeitsfantasien aufs Schrägste mit Wirtschaftsspekulantentum und hochkarätigen Innovationsstrategien durcheinander, und man kann, von außen, nur ganz vorsichtig versuchen, dieses Knäuel ein wenig zu entwirren.

Den entscheidenden Stein gegen Goliath Weltbild schleuderte, soweit bislang fürs allgemeine Publikum sichtbar, ein katholischer Onlinedienst aus Österreich namens Kath.Net, ein laut Impressum "unabhängiges, katholisches, österreichisches Internetmagazin, dessen Aufgabe die Verbreitung von Nachrichten aus der katholischen Welt ist." KathNet hatte eine Meldung des Branchenjournals buchreport aufgegriffen und empörte sich, dass auf Weltbild.de so anzügliche Bücher wie "Anwaltshure" von Helen Carter aus dem Verlag Blue Panther Books zu erwerben seien. Das Thema gelangte durch einen umtriebigen Kath.Net Mitarbeiter in die Boulevardmedien, die wohlfeile Schlagzeilen wie "Kirche macht mit Pornos Millionen" druckten.

Das wärmte eine seit fast drei Jahren schwelende Debatte im Weltbild-Aufsichtsrat auf, ob die Kirche sich nicht des seit Jahren aggressiv expandierenden und deshalb für Unruhe sorgenden Buch-Konzerns besser heute als morgen - zu einem guten Preis - entledigen sollte. Dies wiederum führte am Montag, den 21. November, nun zum Beschluss des außerordentlich einberufenen Aufsichtsratsgremiums, Weltbild schleunigst zu verkaufen. Mehr noch, die offizielle Deklaration zeigte den Weltbild Managern peinlich demütigend die Folterwerkzeuge der Inquisition, wenn da formuliert wurde:

"Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung diesbezüglich zu überwachen. Es ist der Geschäftsführung nicht gelungen, die internetgestützte Verbreitung sowie die Produktion von Medien, die den ideellen Zielen der Gesellschafter widersprechen, im eigenen Bereich bzw. im Bereich der Unternehmensbeteiligungen hinreichend zu unterbinden. Die Glaubwürdigkeit der Verlagsgruppe und ihrer Gesellschafter hat darunter gelitten."

Die so gescholtene Geschäftsführung wird deshalb angehalten, so eine Erklärung nicht des Aufsichtsrates, sondern von Weltbild selbst, "dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates und seinem Stellvertreter bis auf weiteres in einem Turnus von zwei Wochen schriftlich über die eingeleiteten und durchgeführten Maßnahmen zur Einhaltung der Unternehmensziele im Sinne der Satzung berichten."

Diese in einem doch eher unchristlichen wie auch im Wirtschaftsleben unüblichen Tonfall vorgeführte Geschäftsführung hat nun gerade nicht aufs Gröbste fahrlässig Kirchengüter verschleudert, sondern über die Jahre eine atemberaubend erfolgreiche Geschäftspolitik betrieben.

Carel Halff, der Geschäftsführer von Weltbild, ein Niederländer, trat 1975 in das Unternehmen ein, "als Händler ein liberaler Mann? 'Weltbild hat kirchliche Eigentümer, ist aber Teil der Gesellschaft', betont er." So die Würzburger Main Post in einem Porträt.

Weltbild hatte damals, 1975, einen Umsatz von 600.000 DM. Heute bilanziert das Unternehmen selbstbewusst: "Weltbild/DBH gehört zu den größten Internet-, Buch- und Medienhandelsunternehmen in Europa. 6400 Mitarbeiter erwirtschaften rund 1,657 Milliarden Euro Umsatz (Stand 30.06.2011). Unter dem Dach der DBH, die Weltbild gemeinsam mit der Familie Hugendubel betreibt, sind die Buchhandlungen der Marken Hugendubel, Weiland, Weltbild, Jokers und Wohlthat gebündelt. Daneben verlegt Weltbild Bücher."

Dazwischen lag eine kontinuierliche Expansion, die auf kundennahen Innovationen aufbaute. Weltbild galt im deutschen Buchadel lange Zeit als Schmuddelmarke, weil ein reduzierter Katalog mit besonders empfohlenen Titeln im Mittelpunkt der Vermarktung stand. Angesichts einer schwer überschaubaren Fülle von 90.000 jährlichen Neuerscheinungen empfahl Weltbild ein vergleichsweise leicht verdauliches Auswahlangebot von rund 6.000 gut popularisierbaren Büchern.

Während der Bertelsmann Club kontinuierlich abdriftete, gewann Weltbild damit an Terrain.

Wirklich bahnbrechend waren aber erst zwei jüngere strategische Weichenstellungen: Weltbild baute schon seit Jahren seine Online-Plattform aus, und wurde zum einzigen echten Konkurrenten des globalen Platzhirschen am Web, Amazon. Und Weltbild ging mit der ins Schlingern geratenen Münchner Buchhandelsdynastie Hugendubel eine entscheidende Partnerschaft ein, die das Gemeinschaftsunternehmen nun - neben Thalia und Amazon - als dritten Player in der sich anbahnenden Schlacht um die Zukunft des Buchhandels in Deutschland positioniert. Mit diesem neuen Anspruch war es auch rasch klar, dass man, zumindest online, nicht mehr nur den eigenen Titelauswahlkatalog, sondern die ganze - sich mehr und mehr ausweitende - Palette des Titelangebots anbieten und eben auch verkaufen wollte.

Dabei mischte sich Carel Halff, mit sanfter Stimme, neuerdings zunehmend vorlaut ins Branchengespräch ein, wenn er etwa 2010 im Interview mit buchreport prognostizierte, dass bis 2015 "bis zu 40 Prozent der Buchflächen im stationären Handel aufgegeben" würden.

Solch eine Entwicklung würde freilich bedeuten, dass alle seine Mitbewerber, abgesehen von Amazon, massive Strukturprobleme bekommen - während Weltbild schon seit Jahren massiv seine Online-Strategie ausbaut, und dies erfolgreich tut, mit wiederum steilen Ansagen in Bezug auf eBooks, und dies sogar als selbstbewusster Herausforderer gegenüber Amazon.

Mit einem selbst geschätzten Umsatzanteil von "18 Prozent am populären Buchmarkt (Versand und stationär)", eigenem eReader, Verbreiterung des Auftritts als Multi-Channel-Akteur, und zunehmend - ganz dem Vorbild von Amazon folgend - mit einem ausgreifenden Angebot weit über Bücher hinaus, in der strategischen Perspektive als Online-Warenhaus. So zeigt Weltbild, dass es - im Takt mit globalen Trends - sehr wohl attraktive Entwicklungsfelder für nationale starke Player neben den globalen Giganten gibt.

Wenn Weltbild nun ausgerechnet in diesem entscheidenden Augenblick, gut im Timing für das anlaufende Geschäft mit digitalen Büchern, zum Verkauf gebracht wird, dann ist das eine wuchtige Weichenstellung wenigstens unter zwei Aspekten: Zum einen ist dies eine hoch attraktive Einladung an Investoren aus den obersten globalen Spielklassen. Zum anderen ist es wenig plausibel, dass dies nur so entschieden wurde, weil man in Augsburg nicht an ein paar Buchtiteln wie der "Anwaltshure" vorbeischauen wollte.

Erstens, man mag sich die Gesprächsatmosphäre der letzten paar Wochen zwischen den Abgesandten der Bischöfe und dem Weltbild Management in Augsburg nicht gerade wie einen Einkehrtag vorstellen, sondern eher wie ein Powerplay in der Führungsetage eines Milliardenkonzerns, dessen CEO wohl auch eigene Vorstellungen verfolgt.

Die in ein paar Medienberichten kolportierte Sorge, wonach es wohl schwierig sei ein Portfolio dieser Größenordnung zu veräußern, ist unrealistisch. Gerade unlängst sahen global agierende Großinvestoren die jeweils marktführenden Buchhandelsketten in Großbritannien (Waterstones) und in den USA (Barnes & Noble) als attraktive Zielobjekte für einen Einstieg. Besonders aussagekräftig ist dabei der Einstieg von Liberty Media bei Barnes & Noble, bei dem es vorrangig um die hoch attraktive eBook Plattform Nook der Handelskette ging.

Wer Weltbild kauft, erwirbt 18 Prozent Umsatzanteil im zweitgrößten Buchmarkt der Welt - und angesichts der chaotischen Vorgaben seitens der Eigentümer von Weltbild mit guten Chancen auf einen attraktiven Preis. Wirklich entscheidend aber wird die strategische Ausgangsposition aber auf den entscheidenden Innovationsfeldern sein, also in Sachen "multi-Channel"-Verkauf (über Läden und am Internet) und beim eBook Vertrieb.

Die Übernahme vor wenigen Wochen des smarten kanadischen Startups Kobo durch das japanische eCommerce Haus Rakuten zeigt, wie global verzahnt die Welt heute selbst bei Büchern ist. Der deutsche Buchmarkt wäre da eine mehr als ansprechende Trophäe.

Was, zweitens, die Frage nach der Entscheidung der deutschen Bischöfe in Erinnerung ruft. Rasch wurde kolportiert, dass gar der deutsche Papst in Rom einen Satz habe fallen lassen, der nur als Verkaufsempfehlung für einen Pornoladen wie Weltbild zu interpretieren sei. Bei allem Respekt vor dem Marktpotenzial von Sex, aber der in der Süddeutschen Zeitung unter Berufung auf Carl Halff kolportierte Anteil von "'weniger als 0,017 Prozent' des Gesamtumsatzes" durch erotische Bücher klingt sehr viel realistischer als die Boulevardpresse-Schlagzeilen von den Millionengewinnen.

Die katholischen Hierarchien haben keine Reputation, weitreichende wirtschaftliche Entscheidungen spontan oder in Panik zu treffen. Und bei allem Respekt vor Kath.net, der Druck von der Basis hätte auch andere Kanäle zur Ableitung gefunden, als gleich Weltbild mit dem Bade auszuschütten. Deshalb darf wohl gefragt werden: Was will, was plant die Kirche mit dem Milliarden-Erlös aus einem Weltbild Verkauf?

Viel interessanter aber wird sein, ob ein von diesen Hand- und Fußfesseln eines geradezu skurril agierenden Eigentümers befreiter Carl Halff nun zu neuen Ufern aufbricht, oder ob die Enge der Herkunft sich letztlich doch noch als stärker erweist, und Weltbild plötzlich wieder seine ursprünglichen Grenzen sucht.

Viel dramatischer kann der sich vollziehende, lang prognostizierte Umbruch in der deutschen Buchlandschaft nicht gestaltet werden.

Gerade zeitgleich hat Libri als größter Zwischenbuchhändler und Betreiber einer eigenen Endkundenplattform, www.Libri.de , verkündet, dass im Oktober 2011 in Deutschland erstmals mehr eBooks verkauft wurden als gebundene Bücher oder Taschenbücher. Die etwas kryptischen Formulierungen machen eine Einschätzung nach Marktgrößenordnungen schwierig - aber auch hier deutet sich an, dass im Handel mit Büchern bald kein Stein mehr auf dem anderen bleiben wird.

Rüdiger Wischenbart