Virtualienmarkt

Wir sind die launische Diva

Von Rüdiger Wischenbart
31.12.2002. Drei Trends im Medienjahr 2002: Die angeblichen Stars des neuen Jahrtausends - Thomas Middelhoff, Ron Sommer, Jean-Marie Messier - wurden im Jahr 2 des Jahrtausends gekippt. Die öffentliche Hand reduziert die Kulturetats. Und die Verbraucher ziehen sich zurück.
Für einen Neunjährigen ist es bekanntlich kein Problem, sich tagelang ohne Unterlass die immer gleichen drei Songs reinzuziehen, in diesen Tagen etwa den Ketchup-Song, in Abwandlung davon den Steuersong - und dann noch, als Kontrast, beispielsweise die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts "Zauberflöte". Warum auch nicht!

Erwachsene sind, wenn man sie ernsthaft betrachtet, kaum anders - etwa beim Zappen am späteren Fernsehabend. Nur verwischen sie gekonnter und vor allem eifriger ihre kulturellen Spuren. Das haben die Kinder nicht nötig.Verwunderlich ist indessen nur die dritte Variante, jene, die vornehmlich Leitartikler, Kulturpolitiker und Sicherheitsexperten betreiben, die unverdrossen nach dem großen, einigenden Zusammenhang suchen, sobald von "Kultur" die Rede ist. Aber auch dies wird sich mangels Masse wohl immer rascher verflüchtigen.

Denn blickt man zurück auf dieses turbulente Jahr 2002, das für die Kulturindustrien zur dramatischen Wasserscheide wurde, so verstellt die Vielzahl der verschiedenen Einzelereignisse leicht den Blick. Die strahlenden Stars an den Unternehmensspitzen - ob Thomas Middelhoff, Ron Sommer oder Jean-Marie Messier - wurden in die Wüste geschickt. Aber auch Legenden wie Leo Kirch kippten.

Die große Vereinheitlichung, das Zusammenfließen aller Inhalte, das Prinzip Buch-zum-Film-zum-Spiel-zur-Musik findet nicht statt. Die großen Medienkonzerne suchen stattdessen ihr neues Heil darin, jede einzelne Abteilung auf Teufel komm raus in Richtung Ertrag auszurichten. Keine Entwarnung also für die kleinen unabhängigen kreativen Schmieden, ganz im Gegenteil. Wollen sie mit den Großen mithalten, droht ihnen - siehe die Krise des Eichborn Verlages bei der Vermarktung von Harry Potter - das Aus. Halten sie sich raus, rutschen sie an den Rand beim Gerangel um die Aufmerksamkeit des Publikums.

Das Publikum aber - wir alle - sind wohl, mehr als alle bedeutsamen Macher, die eigentlich überraschenden Helden in dem Gewusel, das so schwer überblickbar und noch schwerer berechenbar geworden ist.

Die vielleicht wichtigste Kennziffer im gerade ablaufenden Jahr 2002 ist womöglich, dass die Zahl der verkauften leeren Datenträger - insbesondere leere CD's - jene der bespielten erstmals überstieg. Der zweite Trend ist, dass zwischen all den einzelnen Sparten allein der Verkauf von DVD's, also von Filmen für das Pantoffelkino zu Hause, stetig wächst.

Jeder macht seinen kulturellen Kram am liebsten selbst, zu Hause, mit Freunden, und zwar entlang von Geschmackslinien, die zwischen dem Klassik-Fan und dem Comics Leser keinen Unterschied machen - oder beide sind ohnedies längst ein und die selbe Person.

Die öffentlichen Haushalte haben daraus, wie es scheint, ohnedies bereits die Konsequenz gezogen. Die Kulturhaushalte der Länder in Deutschland etwa wurden im abgelaufenen Jahr um fast fünf Prozent zusammengestrichen. (Pressemeldung Deutscher Kulturrat, am 5.12.2002). Kulturellen Einrichtungen aller Art werden budgetäre Daumenschrauben angelegt, so als wäre Kultur schon längst kein öffentliches Anliegen mehr.

Diese Privatisierung des kulturellen Lebens aber bedeutet, allen Unkenrufen zum Trotz, nicht so sehr die Krise der Kultur, oder deren Verscherbelung an die Unterhaltungsmedien. Sie provoziert viel mehr deren Rückzug, raus aus der Öffentlichkeit, hinein ins Private. Die Benutzer von Kultur und Unterhaltung scheinen sich der Vereinnahmung durch die Kultur- und Identitätsverwalter zu entziehen, indem sie die Bilder und die Geschichten, die Musik und die Filme, untereinander tauschen - und deshalb immer weniger einsehen, weshalb sie dafür bezahlen sollen.

Im Gespräch kürzlich in der FAZ (22. Dezember) über den Abgang der großen Stars wog der auf Generationsfragen spezialisierten Sozialforscher Heinz Bude dies alles bedächtig ab, um dann fröhlich zu schließen: "Irgendwie freue ich mich auf das Jahr 2003." Der unscheinbare Satz erinnerte im Tonfall an den alten chinesischen Fluch, wonach es am schlimmsten sei, ausgerechnet "in spannenden Zeiten" zu leben.

Bloß, aus der Sicht des Publikums ist das vielleicht wirklich gar nicht so schlecht. Um uns wird gebuhlt auf Teufel komm raus. Wir dürfen launisch sein wie die Diven. Nur fürchten dürfen wir nicht vor dem, was da auf uns zukommen mag.

Der Virtualienmarkt bleibt jedenfalls auch 2003 nahe dran - auf Seiten des launischen Publikums.