Vom Nachttisch geräumt

Überall Krieg, Gewalt, Terror

Von Arno Widmann
22.12.2016. Machen auf Bedeutung: Regina Schmekens Schwarzweiß-Fotos von den Tatorten des NSU.
Im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden ist noch bis zum 7. Mai 2017 die Ausstellung "Blutiger Boden - Die Tatorte des NSU" zu sehen. Sie zeigt Fotos, die Regina Schmeken (geboren 1955 in Gladbek), eine der bekanntesten deutschen Fotografinnen, an den entsprechenden Stellen in Dortmund, Hamburg, Heilbronn, Kassel, Köln, München, Nürnberg und Rostock gemacht hat. Ein Katalog zeigt nicht nur die Aufnahmen Schmekens, sondern bringt auch Texte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, Feridun Zaimoglu, der Journalistin Annette Rammelsberger (Süddeutsche Zeitung), der ehemaligen Ausländerbeauftragten des Berliner Senats Barbara John, die sich heute als Ombudsfrau für die NSU-Opfer engagiert, sowie der beiden für die Ausstellung in Dresden zuständigen Museumsleute Gorch Pieken und Katja Protte.

In ihrer Nachbemerkung schreibt Regina Schmeken ganz richtig: "Man will es nicht wahrhaben, doch egal, wo man den Fuß hinsetzt: Überall findet man Spuren von Krieg, Gewalt und Terror." Mit anderen Worten: Überall ist blutiger Boden. Der Titel des Bandes aber suggeriert, hier würde einer Blutspur nachgegangen. Das geschieht aber gerade nicht. Nirgendwo ist Blut zu sehen. Alles ist so, wie es überall ist. Das könnte, sagen die, die sie oder das Buch nicht gesehen haben, gerade die verstörende Botschaft der Ausstellung sein. Enzensberger, der die Fotos kennt, schreibt: "An Schmekens Aufnahmen wirkt gerade das Unauffällige, Banale und Gewöhnliche unheimlich. Gespenstisch wirkt eine Normalität, aus der jede Art von Common Sense verschwunden ist."


Abdurrahim Özüdoğru (49), ermordet am 13.06.2001 in der Gyualer Straße in Nürnberg. Foto: Regina Schmeken, 28.06.2015, Nürnberg © Regina Schmeken

Er ist Regina Schmeken auf den Leim gegangen. Das ist kein Wunder. Schließlich macht sie die Fotos zu dem, was er - neben anderen - uns allen vor Jahrzehnten beigebracht hat: die Banalität des Bösen. Enzensberger ist seit vielen, vielen Jahren ein beredter Verteidiger der Normalität gegen die, die in ihr immer nur das Böse sehen wollen. Darum muss er sagen, Schmeken zeige eine Normalität, aus der der Common Sense verschwunden sei. Das ist rührend. Wie sähen Fotografien einer Normalität mit Common Sense aus? Kann man den Common Sense fotografieren? Kann man das nicht, kann man auch nicht seine Abwesenheit fotografieren.

Schon gar nicht in Schwarz/Weiß. Es überführt die Tatorte aus der Normalität - mit oder ohne Common Sense - in eine Kunstwelt. Wenn eine Geschäftsstraße mit bunten Ladenschildern keine Farben mehr zeigt außer Schwarz und Weiß, dann ist klar: Hier wird auf Bedeutung gemacht. Der Schrecken, der sich hinter einladenden, heiteren Fassaden zeigen könnte, ist durch das Schwarz/Weiß schon eingepreist. Unsere bunte Wirklichkeit wird durch die Arbeiten Schmekens gerade nicht überführt. Der Schrecken wird in der schwarz-weißen Welt dieser Aufnahmen beschworen. Die Öde, die in Wahrheit die der Farblosigkeit ist, wird uns als die von Gewalt und Terror suggeriert. Regina Schmeken zeigt Unorte. Sie sind es aber durch sie, durch ihren Blick. Nicht durch die Weltgeschichte der letzten tausend Jahre oder gar den Nationalsozialistischen Untergrund.

Regina Schmeken: Blutiger Boden. Die Tatorte des NSU, Hatje Cantz, Berlin 2016, 132 Seiten, ca. 80 Abbildungen, 2,50 x 31,00 cm, 35 Euro.
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