Vom Nachttisch geräumt

Der Krieg gegen die Frauen

Von Arno Widmann
19.03.2018. Erzählt, wie Frauen mundtot gemacht werden: Mary Beard in "Frauen und Macht"
Die 1955 geborene Mary Beard ist die berühmteste Althistorikerin der angelsächsischen Welt. Sie unterrichtet nicht nur in Cambridge, schreibt nicht nur dicke, kluge, ja gelehrte, aber dabei überaus lesbare Bücher - zum Beispiel "SPQR: Die tausendjährige Geschichte Roms" (S. Fischer Verlag) - sie macht auch Radio- und Fernsehsendungen und hat einen Blog bei der Times. Pünktlich zum 8. März erschien bei S. Fischer: "Frauen und Macht: Ein Manifest". Ein kleines Bändchen, das aus zwei Vorträgen besteht, die sie 2014 und 2017 gehalten hatte. Der erste Vortrag beginnt mit einem Hinweis auf die früheste Stelle der europäischen Literatur, an der ein Mann einer Frau klarmacht, dass sie den Mund zu halten hat. Wem jetzt das berühmte Wort des Apostel Paulus einfällt, dass die Frau in der Kirche zu schweigen habe, der kommt fast eintausend Jahre zu spät.

Wenn die gelehrte Mary Beard sich nicht täuscht, gebührt Telemachos, dem Sohn des Odysseus, dieser Primat. Gleich im ersten Gesang der Odyssee fährt er seine Mutter Penelope an. Die war aus ihren Gemächern hinabgestiegen und hatte den Freiern erklärt, sie sollten nicht singen von der Heimkehr der Helden aus Troja, denn ihr Gatte Odysseus sei noch immer nicht zurückgekommen. Telemachos interveniert: Es handelt sich um einen neuen, überaus populären Song, Odysseus ist nicht der einzige, der nicht heimgekehrt sei aus Troja: "Du aber gehe ins Haus und besorge die eigenen Geschäfte, Spindel und Webstuhl… die Rede ist Sache der Männer, aller, vor allem die meine! Denn mein ist die Macht hier im Hause."

Mary Beard weist uns darauf hin, dass, wo der Übersetzer "Rede" sagt, im griechischen Original "muthos" steht. Beim viel späteren Platon steht das für Mythos. Bei Homer aber ist mit "muthos" noch die öffentliche Rede gemeint, der politisch-gesellschaftliche Diskurs. Im Gegensatz zum bloßen Geplapper der Frauen. Der früheste Europäer, der einer Frau das Wort verbietet und sie zurück zur unbelohnten Hausarbeit schickt, ist ein Sohn. Der Autor Homer nimmt daran keinen Anstoß. Im Gegenteil. Er erzählt weiter: "Staunend kehrte die Mutter zurück in ihre Gemächer, und erwog im Herzen die kluge Rede des Sohnes. Als sie nun oben kam mit den Jungfraun, weinte sie wieder ihren trauten Gemahl Odysseus; bis ihr Athene sanft mit süßem Schlummer die Augenlider betaute".



Beard interessiert sich für die Hartnäckigkeit, mit der über Jahrtausende hinweg Frauen mundtot gemacht wurden. Immer wieder mundtot gemacht werden mussten, weil immer wieder Frauen das Wort ergriffen. Wer zu Ovids Metamorphosen greift, der wird, so Beard, bemerken, dass die Frauen angetane Verwandlung oft daran besteht, ihnen ihre Sprache zu nehmen. Die Nymphe Echo zum Beispiel, eine begnadete Erzählerin, lenkte Zeus' Gattin Hera mit ihren Geschichten von dessen Amouren ab. Als Hera dahinterkam, beraubte sie Echo der Sprache. Sie war nur noch in der Lage, die letzten von ihr gehörten Worte zu wiederholen. Es geht nicht nur darum, dass Frauen ausgeschlossen wurden von der öffentlichen Rede. Es ging vielmehr auch darum, das Redevermögen selbst als Signum der Männlichkeit zu installieren. Mary Beard weist darauf hin, dass immer wieder die Sprache der Frauen als Geplapper, als unverständig, ja unverständlich charakterisiert wurde. In vielen Weltgegenden gibt es auch heute noch einen deutlichen Unterschied zwischen Männer- und Frauensprache. Erst das Fernsehen hat dem ein Ende gemacht. Margaret Thatcher nahm sich einen Trainer, um ihre Stimme tiefer klingen zu lassen.

Eine einzige öffentliche Rolle wurde in der Antike den Frauen zugestanden: die des Opfers. Klagelieder durften sie anstimmen, ihren baldigen Tod voraussagen. Jeder Opernbesucher weiß, dass sich daran auch noch Jahrtausende später wenig geändert hatte. Wie weit die Antike in die Gegenwart hineinreicht, wie weit sie wieder hineingeholt wird, dafür ist der Wahlkampf von Donald Trump ein eindrucksvoller Beleg. Es geht nicht nur um sein Frauenbild und seine Frauenverachtung, sondern es geht um den Krieg, den er führte und führt. Medusa war so hässlich, dass kein Mann sie ansehen konnte, ohne zu Stein zu erstarren. Sie war darum nicht kleinzukriegen. In seinem Wahlkampf gegen Hillary Clinton setzte Donald Trump immer wieder ein Motiv ein: den Perseus von Cellini, der den abgeschlagenen Kopf der Medusa triumphierend in die Höhe hält. Perseus hat dabei auf den Wahlplakaten, auf T-Shirts und Anzeigen das Gesicht von Donald Trump und die schreiende Medusa das von Hillary Clinton. Geschichte ist nicht das, was war. Geschichte ist das, was immer wieder hervorgeholt werden kann.

Mary Beard, Frauen und Macht: Ein Manifest, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2018, Übersetzung von Ursula Blank-Sangmeister, 111 Seiten, 12 Euro
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