Vom Nachttisch geräumt

Pferdegebiss und Schlüpfer

Von Arno Widmann
03.06.2015. Evelin Försters Kulturgeschichte "Die Frau im Dunkeln - Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts und der Unterhaltung von 1901 bis 1935"
Nach dreißig Seiten Einleitung zu "Berlin am Anfang des 20. Jahrhunderts" folgen 19 Kurzbiografien von "Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts und der Unterhaltung von 1901 bis 1935", alphabetisch heißt das von Alice Berend bis Elsa Laura von Wolzogen. Dazwischen dann Ruth Feiner, Valeska Gert, Marita Gründgens (die Schwester!), Emmy Hennings, Else Lasker Schüler, Erika Mann und Claire Waldoff. Außerdem in einem Anhang noch Anita Berber, Trude Hesterberg und viele andere. Es ist das umfangreichste Werk zum Thema, mit Erläuterungen zu Zeitschriften, zu Kabaretts und Künstlertreffs. Der Leser wird umfassend informiert. Es gibt weiterführende Hinweise in alle Richtungen. Man erfährt auch, was Zeitungen einmal bedeuteten. Das Berliner Tageblatt zum Beispiel erschien 1920 zweimal täglich in einer Auflage von 245.000 Exemplaren. Mit jeder Menge kostenloser Beilagen. Der Börsenkrach 1929 machte dem Anzeigengeschäft den Garaus. Aber das sind nur die freilich angenehmen Nebenwirkungen der Lektüre. In erster Linie klärt sie auf über die uns meist unbekannten Autorinnen und Interpretinnen der gerne leicht genannten Muse.

Da ist zum Beispiel Alice Berend, deren Schwester Lovis Corinth heiratete. Sie war die Frau, die nicht nur für eines der bekanntesten Kabaretts Berlins schrieb. Sie gab ihm wohl auch seinen Namen: "Schall und Rauch". Alice Berend war eine erfolgreiche Schriftstellerin, die jedes Jahr einen neuen Roman veröffentlichte. 1935 kamen die Bücher der Jüdin Alice Berend auf den Index der verbotenen Bücher. Sie emigrierte nach Florenz, wo sie 1938 im Alter von 63 Jahren starb.

Senta Söneland, 1882 als Else Bertha Sophie Adele Werder in eine preußische Offiziersfamilie geboren, wurde von Heinrich Zille geliebt, von Tucholsky gepriesen: "Die Söneland, das pure Gold. Sie wird immer ulkiger; wenn sich dieses Pferdegebiß verschiebt, heult man noch bevor man die Stimme gehört hat, die Trompetenstimme einer Athene des häuslichen Kriegs." Sie nahm sich am 20. Juli 1934 das Leben. (Foto: Alexander Binder)

Es sei noch an eine andere Berühmtheit jener Jahre erinnert, an Marie Madeleine (1881 -1944), verheiratete Baronin von Puttkamer. Wie ihr Gatte Baron Georg Heinrich von Puttkamer verwandt war mit der pietistischen Bismarck-Gattin Johanna von Puttkamer, weiß ich nicht. Im Gotha nachzuschlagen bin ich angesichts der weitverzweigten pommerschen Adelsfamilie zu faul. 1900 bis 1932 blieb keines der Bücher von Marie Madeleine, so schreibt Evelin Förster, unter einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Wahrscheinlich trugen Verrisse dieser Art nicht unwesentlich zu dem Erfolg bei: "die schamlose Lyrik der perversen Verse der Marie Madeleine… als wenn echte Scham nur ein leider angezüchtetes, nicht ursprüngliches Gefühl der Weibesnatur wäre, so erzählt ihre geile, wüste, überhitzte Pubertätserotik…" (Albert Soergel: Dichtung und Dichter der Zeit)

In der Zeitschrift Das Magazin erschien 1925 von Marie Madeleine

Combination

Früher, da nannte man"s Hemdchen und Hose,
Woran man liebend sich öfters gefreut.
Immer noch ist es toute meme chose,
Aber ein "Schlüpfer" heißt es heut"
Und es gibt noch ein Ziehen und Hüpfen,
Eh" man hineinkommt - es ist zum Schlüpfen!
Früher, da gab es Haken und Oese,
Druckknopf und Knopfloch. Groß und klein,
Heut hat das Kleidchen, selbst das seriöse,
Gar nichts dergleichen, man schlüpft hinein.
Und die Frisur?! Doch da hilft kein Stöhnen -
Mußt dich eben ans Schlüpfen gewöhnen.


Man muss sich das gesungen vorstellen. Von einer etwas umfangreichen Diseuse im schummrigen Dunkel eines Nachtlokals. Kein Rilke, sondern Gebrauchskunst. Für eben jene Herren, die Madeleines Zeitgenosse George Grosz uns in Erinnerung gehalten hat.

Evelin Förster: Die Frau im Dunkeln - Autorinnen und Komponistinnen des Kabaretts und der Unterhaltung von 1901 bis 1935 - Eine Kulturgeschichte, Mit Beiträgen von Anja Köhler und Jörg Engelhardt, Edition Braus, Berlin 2013 Zu dem Buch gibt es eine Doppel CD für 20,10 Euro. Die Website zum Buch hier.