Vom Nachttisch geräumt
Spülen und abtrocknen
Von Arno Widmann
01.08.2018. Betsy Lerners "Der Bridge-Club meiner Mutter" erzählt die Geschichte einer Mutter-Tochter-Beziehung.
Dieses wahrscheinlich doch weit länger als ein Vierteljahrhundert zurückliegende Küchengespräch mit meiner Mutter hat mich nach "Der Bridge-Club meiner Mutter" von Betsy Lerner greifen lassen. Die Stunde, die ich mit meiner Mutter allein spielte, war ja nur eine von vielen Stunden, die sie am Kartentisch zubrachte. Am späteren Nachmittag kamen ihre mexikanischen Freundinnen aus den anderen Häusern und ein halbes Dutzend alter Damen - so kamen sie mir damals vor - spielte nicht Bridge, aber wohl Skat oder andere mir gänzlich unbekannte Kartenspiele. Nie wurde um Geld gespielt. Aber die Punkte wurden sorgsam in Hefte notiert, von denen ich viele im Nachlass meiner Mutter fand. Sie war Buchhalterin gewesen, protokollierte akribisch wohl jedes Spiel. Selbst die mit mir, obwohl da völlig klar war, dass ich jedes verlor. Ich fand im Nachlass übrigens auch Hefte, in denen sie Tag für Tag ihre Blutdruckwerte eingetragen hatte. Die hob ich auf.
Als meine Mutter wieder in Deutschland lebte, spielte sie jeden Tag Karten. Die Damen besuchten einander reihum. Nach und nach starben die Skatpartnerinnen. Am Ende blieb meiner Mutter nur eine Freundin. Sie besuchten einander. Sonntags bekam die Freundin Besuch von ihren nicht weit entfernt wohnenden Söhnen, da war meine Mutter allein und legte Patiencen. Manchmal, wenn ich zu Besuch kam, spielte ich ein, zwei Partien Rommé mit ihnen. Das Spiel langweilte sie, aber sie fanden es angenehm, einen 'jungen' Mann am Tisch zu haben. Schon darum war es ihnen lieber, mein Sohn war dabei. Der ja auch viel besser spielte.

Beide sind älter geworden. Betsy Lerner versteht immer noch nicht, wie ihre Mutter aufgehen konnte in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Ihre Mutter begreift nicht, was die Tochter so toll findet an ihrer Existenz. Dabei liest sie, weiß also den Unterschied zwischen gut und schlecht gebauten Sätzen zu schätzen. Der "Bridgeclub meiner Mutter" ist die Geschichte einer Annäherung, bei der man sich nicht über die Unterschiede hinweg mogelt. Betsy Lerner beginnt zu begreifen, dass Kartenspielen ein Weg ist, sich nahe zu kommen, ohne einander auf die Nerven zu gehen.
Betsy Lerner: "Der Bridgeclub meiner Mutter", aus dem Amerikanischen von Barbara von Bechtolsheim, btb, München 2016, 349 Seiten, 20 Euro.
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