Vom Nachttisch geräumt

Der Stalin des Tingeltangel

Von Arno Widmann
10.09.2018. Peter Hacks liebte die Nähe der Mächtigen: Das verraten auch seine politische Schriften.
Peter Hacks (1928-2003) wird als scharfsinniger Kopf, als großartiger Autor gelobt. Nicht nur von denen, die seinen politischen Ansichten anhängen. Der Eulenspiegel Verlag - er steht zurzeit in einem Insolvenzverfahren - veröffentlicht in ununterbrochener Folge nicht nur dessen Gesamtwerk, sondern auch immer wieder Einzelbände mit Aufsätzen und Interviews und Büchern über Peter Hacks. Ich konnte diese Begeisterung noch nie teilen. Mein neuester Versuch, dieses Unvermögen zu kurieren, ist der Versuch, Peter Hacks' "Marxistische Hinsichten" zu lesen. Zum Beispiel seine Auseinandersetzung mit Jan Philipp Reemtsmas Wielandausgabe aus dem Jahre 1989.

Das Datum ist in diesem Fall besonders wichtig. Der Dramatiker Hacks macht sich Gedanken darüber, wie ein Stück über die französische Revolution aussehen müsste: "Ludwig XVI, Philipp Gleichheit und Robespierre sind im Besitz der Bühne und machen die Revolution unter sich aus; hin und wieder aber tritt das Volk auf und stört. Ein erstklassiges Drama erkennt man daran, dass das Volk in ihm stört." Man liest diese Äußerung falsch, wenn man sie nicht auch als Kommentar zum aktuellen Geschehen auf den Straßen der DDR liest. Seinen Artikel beschließt Peter Hacks mit einem Kotau - nicht nur vor Wieland: "'Was für eine Regierungsform die französische Nation oder irgend eine andere in der Welt sich auch geben mag', teilt Wieland 1792 mit, 'eine Regierung muss sie haben; und da sich das Volk nicht selbst regieren kann, so muss es regiert werden'."

Peter Hacks vor Westberliner Studenten, 1965. Foto: Wikipedia


Hacks versteckt sich hier hinter Wieland. Das mögen ihm seine Anhänger als Eleganz auslegen. Auf die legte Hacks tatsächlich Wert. Aber normalerweise braucht er dazu kein Versteck. Er liebt die klare Aussage. Nein: die provokativ formulierte Behauptung. Eine vergnügliche Lektüre? Wenn Sie bereit sind, nach einem Gang über Leichen Größenwahn für Selbstironie zu halten. In einem Interview mit der jungen Welt erklärt Hacks: "Jeder, außer der jungen Welt, weiß, dass der Niedergang (der kommunistischen Weltbewegung) mit Stalins Tod begann."

Es gibt in dem ganzen Buch keine Begründung für diesen Satz, die die Millionen Opfer der Stalinschen Politik berücksichtigte. Hacks Beleg für Stalins Meriten sind die Millionen Toten des Imperialismus. So viel zum "scharfsinnigen Kopf". Das Interview endet mit einem Blick auf die "Zukunft der kommunistischen Weltbewegung". Hacks sah das so: "Und wenn die Weltwirtschaftskrise und ein sinnloser Krieg oder eine Gewohnheit von Kriegen zusammenkommen, hat man ganz schnell wieder kommunistische Bewegungen. Mit anderen Worten: Eine Sache, die der Weltgeist vorgesehen hat, auf die kann man sich dann auch verlassen. Weltgeist? Da hätten wir gern eine Definition. Dann ändere ich den Satz. Auf eine Sache, die ich einmal gesagt habe, kann man sich verlassen."

Man kann das ironisch nehmen. Aber wenn man Seiten über Seiten immer wieder Hacks Stalin loben hört, dann wird einem deutlich, wie wichtig ihm die Identifikation mit der Macht und mit dem "Mächtigen" ist. Hacks war Dramatiker. In seinen Augen gehörte Personalisierung zu seinem Metier. Peter Hacks liebte aphoristische Zuspitzungen. Nicht nur, wenn es um die Wertschätzung seiner selbst ging, sondern womöglich noch mehr, wenn er über seine Feinde herzog. Wolf Biermann war ihm "der Eduard Bernstein des Tingeltangel". Für Kenner der Geschichte des Sozialismus ist das ein hübsches Bonmot. Schließlich war Eduard Bernstein der erste scharfe Kritiker des Marxismus in der sozialdemokratischen Partei. Er gilt als der Vater aller Revisionisten. Allerdings wird die Nachfrage erlaubt sein, wer denn dann der Stalin des Tingeltangel gewesen sein mag. Peter Hacks?

Peter Hacks: Marxistische Hinsichten - Politische Schriften 1955-2003, hrsg. von Heinz Hamm im Auftrag der Peter-Hacks-Gesellschaft, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2018, 607 Seiten, 19,99 Euro.