Vom Nachttisch geräumt

Ist es nicht Wahnsinn, Liebe zu besingen?

Von Arno Widmann
14.05.2018. Zeigt, wie man schmäht und schmachtet, liebt, leidet und lacht: Pierre de Ronsards "Sonette für Hélène".

Pierre de Ronsard (1524-1585), einer bedeutendsten Lyriker der französischen Literatur, hat einen Übersetzer gefunden, der es auch dem ermöglicht, dessen Französischkenntnisse eher rudimentär sind, seine Qualitäten zu erkennen. Im Berliner Elfenbein-Verlag erschien vergangenes Jahr der letzte einer dreibändigen Auswahl der Liebeslyrik des Renaissance-Dichters. "Sonette für Hélène" ist der Titel des Buches. Die beiden Vorgänger, erschienen 2006 und 2010, heißen "Amoren für Cassandre" und "Amoren für Marie". Es handelt sich um zweisprachige Ausgaben in schön gebundenen Bänden. Der 1974 in München geborene Übersetzer Georg Holzer erhielt im Jahre 2008 den André-Gide-Preis für deutsch-französische Literaturübersetzungen. Im Hauptberuf ist er Chefdramaturg der Oper Dortmund.

1578, der Autor war 54 Jahre alt, erscheinen die "Sonette für Hélène", ein triumphaler Auftritt. Der in den Augen seiner Zeitgenossen längst abgemeldete, von gefälligeren Künstlern eingeholte Greis zeigt dem Publikum noch einmal, wie man Gedichte macht. Wie man schmäht und schmachtet, liebt, leidet und lacht. Wie schön die Süße erst ist, wenn man das Bittere in ihr spürt. Er kokettiert nicht mit seinem Alter, seiner Impotenz. Er zeigt sie. Aber wie er sie zeigt! Darin strotzt er vor Jugend und Potenz. Ein ironisches Alterswerk. Auch melancholisch, aber so sprachmächtig dabei, dass selbst, wenn er vom Rollator spräche, man das Gefühl hätte, er tanze dabei.

Hélène heißt die Angedichtete. Ihr Vorbild soll eine Hofdame der Catarina de' Medici gewesen sein, Hélène de Fonsèque, die er nach ihrem Heimatort Surgères benannte. Angeblich soll Catarina höchstselbst Ronsard beauftragt haben, ihre Hofdame in Versen zu verewigen. Es macht den Reiz dieser Art von Poesie aus, dass die Darstellung des Gefühls bei ihr so lebensecht sein darf wie irgend möglich, weil es sich von selbst versteht, dass es sich zwar womöglich um wahre Gefühle, aber niemals um ihre wirklichen Objekte handelt. Wie der Schauspieler Gefühle aus sich herausholt, um sie im richtigen Augenblick auf die Bühne zu bringen, so verfährt der Autor. Er entflammt nicht an der Helene, von der er schreibt, sondern er holt sich das Feuer aus der Erinnerung und sei es auch nur die Erinnerung an frühere Verse. Wer zu viel Leben in dieser Poesie entdeckt, der ist ihr auf den Leim gegangen.

Das schließt die Wirklichkeit nicht aus. Die Liebe ist nicht zeitlos. Sie findet statt mitten in den französischen Religionskriegen, und auch Ronsard fragt sich, ob es angesichts der Umstände richtig ist, die Liebe zu besingen. Das hört sich so an:

"In Krieg, Prozess und glaubensloser Zeit,
Ist es nicht Wahnsinn, Liebe zu besingen?
Man mag die Irren in die Anstalt bringen,
Doch mich, den Irrsten, hat man daraus befreit."

Natürlich besingt er weiter die Liebe wie auch Brecht sie und die Bäume weiter besang. Denn "so gern wie Mars klagt Amor auch sein Leid" und so geht das weiter:

"Mars' Krieg ist grausam, meiner ist charmant,
Denn meinen kämpft und endet man zu zweit,
Doch seiner treibt die Massen über Land."

Das ist von einer uns heute erschreckenden Frivolität. Wir haben Mars und Venus zu weit auseinander gerückt, um sie so artig neben einander zu stellen. Natürlich spielt Ronsard mit dem Namen seiner Heldin. Ihretwegen wurde der trojanische Krieg geführt. Helden starben ihretwegen. Auch der Autor stirbt tausend Tode, aber er lebt - das ist das Schlimmste - weiter, um weiter zu sterben. Auch Liebe ist Krieg. Wenigstens in diesem oder jenem Vers. Denn darüber lässt Ronsard uns nie im Unklaren: Ihr seid Leser und ihr habt es mit Versen zu tun. Alles Erfindung wie die Helena Homers. Und tut doch so weh.

Pierre de Ronsard: Sonette für Hélène, französisch-deutsch, übersetzt von Georg Holzer, Elfenbein Verlag, Berlin 2017, 237 Seiten, 24 Euro

Hier die Vertonung eines Ronsard-Gedichts von Guillaume Costeley (1530-1606)