9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Politik

2111 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 212

9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.04.2024 - Politik

Während in Taiwan die zehnjährige Wiederkehr der Sonnenblumen-Bewegung, die gegen einen Deal zwischen der nationalistischen Kuomintang-Regierung mit der Volksrepublik China protestierte, gefeiert wird, verabschiedete "Pekings Handlangerparlament" in Hongkong ein zweites "Sicherheitsgesetz", das den "Straftatbestand" Demokratie noch strikter fassen soll, schreibt Alexander Görlach in der Welt: "Für China ist die Existenz einer funktionierenden und prosperierenden Demokratie vor der Haustür eine Gefahr, denn die Taiwaner könnten die von der Kommunistischen Partei geplagten Chinesen eines Tages dazu inspirieren, auch in China in Freiheit leben zu wollen. Deshalb plant Xi auch, die demokratische Insel von seiner Armee überfallen zu lassen und der Volksrepublik einzuverleiben. Seine Luftwaffe überfliegt die Insel bereits fast täglich, seine Marine provoziert die taiwanesischen Seestreitkräfte in der Straße von Taiwan, die die Volksrepublik China von der Republik China trennt. Wie in Hongkong auch will Xi mit Terror und Einschüchterung die Menschen auf der Insel in die Knie zwingen. Die freie Welt darf nicht zulassen, dass Xi Taiwan einnimmt, denn Diktatoren wie er suchen sich in ihren Machtwahn immer neue Ziele."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.04.2024 - Politik

Welt-Redakteur Clemens Wergin findet die Aufregung über Israels Angriff auf einen Teil des iranischen Botschaftskomplexes in Damaskus ziemlich scheinheilig (gestern haben wir zwei entsprechende Kommentare zitiert). Und schon gar nicht darf sich der Iran über Verletzungen des Völkerrechts aufregen: "Der Iran führt einen offen erklärten Krieg zur Auslöschung Israels und unterstützt derzeit den Krieg der Hamas und der Hisbollah gegen den jüdischen Staat sowohl finanziell wie auch mit Waffen. Und die Militärs, die diesen Krieg von Seiten des Iran führen und koordinieren, stellen natürlich ein legitimes militärisches Ziel dar, egal ob Teheran ihnen die Maske der Diplomatie aufsetzt oder nicht. Auf dieses durchsichtige Manöver sollten deshalb weder Medien noch Politiker hereinfallen."
Stichwörter: Iran, Völkerrecht, Hamas

9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.04.2024 - Politik

Jemand muss Benjamin Netanjahu aufhalten, ruft Stephan-Andreas Casdorff im Tagesspiegel. Die jüngsten Ereignisse werden nur dazu beitragen, dass Israel weiter isoliert wird: "Israel hat in Damaskus ein iranisches Botschaftsgebäude angegriffen, damit Hoheitsgebiet Teherans. Das setzt Israel vor aller Welt ins Unrecht und heizt alle Debatten um sein Verhalten weiter an. In einer angesichts bedrückender Berichte aus Gaza ohnedies provokanten Lage noch zusätzlich zu provozieren, droht Israel auch unter seinen Freunden zu isolieren. Und das alles, weil Benjamin Netanjahu waltet, wie er will. Israels Premier scheint sich, um im Bild zu bleiben, in einem Tunnel zu befinden, er schaut nicht rechts, nicht links, er verrennt sich."

Auch Ulrich von Schwerin hält den Angriff auf das Konsulatsgebäude in der NZZ für einen taktischen Fehler: "Nach sechs Monaten ist klar erkennbar, dass weder Iran noch der Hizbullah Interesse an einem größeren Krieg haben. Das Regime in Teheran scheint vielmehr bemüht, eine gewisse Schwelle nicht zu überschreiten. Israel spekuliert womöglich darauf, dass Iran auch jetzt eine weitere Eskalation vermeiden wird. Doch Israels Strategie ist riskant. Denn der Angriff auf das Konsulat könnte Iran zwingen, härter als bisher zu reagieren, um die Abschreckung wiederherzustellen. Das Ergebnis könnte ein Krieg sein, den auch Israel nicht wollen kann."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.04.2024 - Politik

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Die israelische Kriegsführung in Gaza verurteilt der Historiker und Journalist Joseph Croitoru im Gespräch mit der Berliner Zeitung als in "völkerrechtlicher Hinsicht äußerst problematisch". Zudem erläutert Croitoru, der gerade ein Buch über die Hamas veröffentlicht hat, wie die Gründungscharta zunehmend in den Hintergrund rückt: "2017 veröffentlichte die Hamas ein neues Programm, auch wenn sie die Gründungscharta nicht für obsolet erklärte. In dem 'Dokument' von 2017 kämpft sie nicht mehr gegen 'die Juden' im Sinne eines Religionskriegs. Stattdessen schwingt ein postkolonialer Diskurs mit, man bekämpft die 'kolonialistischen' Besatzer. Die Hamas erhebt darin weiterhin Anspruch auf das gesamte Gebiet des historischen Palästina, signalisiert aber, dass der künftige palästinensische Staat sich auf die Palästinensergebiete, so wie sie bis 1967 bestanden, beschränken könnte. Damit deutet die Hamas an, dass sie zu einer Koexistenz mit dem israelischen Staat bereit wäre, besteht aber gleichzeitig darauf, ihn nicht anerkennen zu wollen."

In der NZZ macht der Politikwissenschaftler Stephan Grigat die europäische Iran- und Nahostpolitik mitverantwortlich für den 7. Oktober: "Es sind die Millionenzahlungen, die Waffenlieferungen und die Ausbildner aus Iran, welche die palästinensischen NGO und GO des Antisemitismus in die Lage versetzt haben, den schlimmsten Massenmord an Juden seit der Shoah zu begehen. (…) Solange es zu keiner 180-Grad-Wende in der europäischen Politik gegenüber dem den Holocaust leugnenden Regime in Iran kommt, die perspektivisch auf einen Sturz der Machthaber in Teheran setzen müsste, bleiben die Solidarisierungen mit dem angegriffenen Israel genauso billige Rhetorik wie die formelhaften Beschwörungen eines 'Nie wieder' und 'Wehret den Anfängen'."

Wo sind die postkolonialen Freunde des Globalen Südens eigentlich, wenn es um die humanitären, von Islamisten und korrupten Regimen verursachten Krisen in Afrika geht, fragt Alan Posener in der Welt: "Sie sind alle mit Gaza beschäftigt. Sie haben alle vollauf damit zu tun, Israel davor zu warnen, weiter gegen die Hamas-Terroristen vorzugehen, Israel für eine angebliche humanitäre Krise verantwortlich zu machen, die seit Monaten bevorsteht, aber nie eintritt. Merke: Elend ist nur sexy, wenn man Juden dafür verantwortlich machen kann.  Auch die anderen - die wirklichen - humanitären Krisen sind das Ergebnis von Gewalt. In fast allen Fällen sind Islamisten diverser Couleur und korrupte Regime verantwortlich. Wenn im sudanesischen Flüchtlingslager Zamzam in jeder Stunde zwei schwarze Kinder an Hunger sterben, so deshalb, weil arabisch-muslimische Milizen in Darfur seit Jahren eine rassistische Politik der ethnischen Säuberung durch Hunger betreiben."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 30.03.2024 - Politik

Im Gespäch mit Juliane von Mittelstaedt vom Spiegel hofft die israelische Historikerin Fania Oz-Salzberger, dass die Israelis es bald schaffen, Benjamin Netanjahu loszuwerden, dem sie vorwirft, den Krieg brutal zu führen und vor allem in die Länge zu ziehen, um an der Macht zu bleiben. Klar macht sie allerdings auch: "Ich glaube fest daran, dass die Hamas besiegt werden muss. Sie muss unsere Geiseln freilassen." Danach hofft sie auf einen Modus Vivendi mit den Palästinensern in einer Zweistaatenlösung. Denn "der Traum von einem glücklichen jüdisch-arabischen Staat" werde nicht wahr werden" und "ich möchte daher an dieser Stelle deutlich sagen: Ich werde kein Mitbürger der Menschen aus Gaza sein, die das Massaker verübt oder es bejubelt haben. Auch nicht ihr freundlicher Nachbar. Meine Hoffnung - denn ich habe Hoffnung - ist es, ein unfreundlicher, aber friedlicher Nachbar eines zukünftigen Palästinas zu sein."

Oz-Salzberger setzt ihre Hoffnungen in gemäßigte Politiker wie Naftali Bennett. Dieser wendet sich auf Twitter an alle, die Israel als den Kriegstreiber sehen: "Die israelische Armee ist eine Bürgerarmee. Es sind unsere Jungen und Mädchen, die dort dienen. Sie können ein CEO, ein Lehrer oder ein Klempner sein, Ihre Kinder werden Seite an Seite dienen. ... Das bedeutet, dass wir den Krieg hassen. Es sind nicht 'die Kinder von anderen'. Es sind unsere." An die Adresse der westlichen Länder sagt Bennett. "Freunde, lasst mich deutlich sagen: In diesem Moment verfolgen radikal-islamische Terroristen in Madrid, New York, Paris und London diesen Krieg. Wenn Israel daran gehindert wird, die Hamas zu besiegen, wird sich jeder einzelne von ihnen inspiriert fühlen. Wenn wir die Hamas zerschlagen, werden auch ihre Hoffnungen auf Terror zunichte gemacht. Dann werdet auch ihr sicherer sein."

Kann man tatsächlich die Behauptungen Israels anzweifeln, dass die UNRWA mit der Hamas engstens verquickt ist? Wohl kaum, meint Stephan-Andreas Casdorff im Tagesspiegel: "Die vielen Computer, die beim Vormarsch in Gaza gesichert wurden, die Dateien, die Karten, die Akten, von Waffen dieses eine Mal nicht weiterzureden - wer behauptet, dass diese manipuliert worden sind, kann schnell der Lüge überführt werden. Die Unterlagen lügen nicht. Dass Schulleiter der UNRWA mit dem jüngsten Terror verbunden waren; dass 15 Mitarbeiter unter den Kommandeuren waren, die das große Töten in Israel befehligten; dass viele der Schulen mit terroristischer Infrastruktur verbunden waren, über und unter der Erde - bedeutet das gar nichts? Ist das verzeihlich? Kann das passieren?"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.03.2024 - Politik

"Die UN-Sonderberichterstatterin für die Palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, sieht 'vernünftige Gründe' für die Annahme eines israelischen Völkermords im Gazastreifen", berichtet tagesschau.de im Ton der Neutralität. Hört man sich Albaneses Rede bei der Präsentation ihres Berichts an, hört man auch, wie sie die Formel "From the River to the Sea", die eine Auslöschung Israels verlangt, provokant einflocht. Die Hamas wird in Albaneses Präsentation kaum erwähnt. Eine offizielle UN-Funktionärin wird damit zur Verkörperung einer Tendenz, die in der ganzen westlichen Welt zu verspüren ist, schreibt Maria Ossowski in der Jüdischen Allgemeinen: "Überall in der westlichen Welt lässt sich diese beunruhigende Erosion des Mitgefühls in Kombination mit Blindheit beobachten. Es begann direkt nach dem Massaker, als Medien und Politik zwar aufschreckten, die Mehrheit der Deutschen jedoch dem kollektiven Schweigen verfiel. Zwar demonstrierten in Berlin 20.000 Menschen für Israel - als zwei Jahre zuvor Russland die Ukraine überfallen hatte, waren es aber eine halbe Million. Statt Mitgefühl machte ein schrecklich abstrakter Begriff die Runde, und zwar Kontextualisierung."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.03.2024 - Politik

Gestern war ein historischer Tag. Der UN-Sicherheitsrat fordert eine sofortige Waffenruhe im Gaza-Krieg - und die USA haben kein Veto eingelegt, sondern sich enthalten. Die Resolution fordert die Entlassung der Hamas-Geiseln, aber eben auch eine Einstellung der Kampftätigkeiten - hier der ganze Text. Dass die Bilder aus Gaza immer unerträglicher werden und dass es auch Israels Freunden immer schwerer fällt, sie auszuhalten und Israel zu verteidigen, weiß auch FAZ-Redakteur Alexander Haneke, der Israels Kriegsführung durchaus in vielen Punkten kritikwürdig findet. Aber er fordert auch, sich in die Lage israelischer Soldaten zu versetzen: "Wer über den Krieg urteilen will, muss sich bewusst machen, welche Mechanismen dort wirken - ganz egal, wie man sie ethisch bewertet. Und wer Israels Kriegsführung mit den Armeen anderer Demokratien vergleicht, darf nicht vergessen, dass kein anderes westliches Land in den vergangenen Jahrzehnten in einen ähnlich existenziellen Kampf verwickelt war gegen einen Feind, der, nur durch einen Grenzzaun getrennt, fortwährend Raketen auf Städte und Dörfer feuert und der planmäßig seine Uniformen abgelegt hat, um sich im urbanen Dickicht unter Zivilsten zu verbergen."

Interessant ist, wie etwa die "Tagesschau" über die UN-Resolution berichtet: "Durch den völkerrechtlich bindenden Beschluss steigt der internationale Druck auf die Konfliktparteien Israel und die Hamas weiter. Es ist jedoch fraglich, ob oder inwieweit die Resolution Einfluss auf Entscheidungen der israelischen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu oder der Hamas zum weiteren Kriegsverlauf haben wird. Die Hamas begrüßte die Resolution und bekräftigte, zu einem sofortigen Austausch der israelischen Geiseln gegen palästinensische Gefangene bereit zu sein." Äh, von "Austausch" ist in der Resolution aber nicht die Rede, sondern von der "sofortigen und bedingungslosen Freilassung aller Geiseln".

In der SZ erinnert Daniel Brössler die propalästinensischen Demonstranten noch einmal daran, was die deutsche Staatsräson eigentlich bedeutet: "Die deutsche Sonderrolle manifestiert sich nicht in Kritiklosigkeit, sondern im Beharren auf dem grundsätzlichen Recht Israels, sich gegen die Hamas zur Wehr zu setzen. Weltweit ist das fast schon ein Alleinstellungsmerkmal. Das wird in Israel wahrgenommen und sorgt zumindest dafür, dass Kanzler und Außenministerin Gehör finden. Schon aus diesem Grund wäre den Palästinensern nicht geholfen, würde sich Deutschland in die Gruppe derer einreihen, die Israel durch ein Waffenembargo oder gar Boykottmaßnahmen unter Druck setzen wollen."

In der NZZ wirft der deutsche Schriftsteller Hans Christoph Buch einen Blick auf die von Völkermord und Sklaverei geprägte Geschichte der Insel Hispaniola, die vor allem Haiti in eine Gewaltspirale führt: "Als Erben dieser Geschichte gibt es in Haiti heute nicht bloß Hungerleider, sondern Millionäre, die wenig oder keine Steuern zahlen und, wie kriminelle Familienclans in Europa, von rechtsfreien Räumen profitieren. Politiker und Polizisten sind bestechlich, Korruption gilt als Kavaliersdelikt, Waffen- und Drogenschmuggel sind so verbreitet wie Folterungen und Vergewaltigungen vor den Augen der Angehörigen. Wie einst die 'Tontons Macoutes' von Papa Doc terrorisieren bewaffnete Banden die Armenviertel; allen voran Cité Soleil, eine von vielen No-go-Areas mit Waffenlagern und Geiselgefängnissen, in denen Entführungsopfer wochenlang, oft vergeblich, auf Freikauf hoffen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.03.2024 - Politik

Am 7. April ist es 30 Jahre her, dass in Ruanda das große Morden der Hutu an den Tutsi begann. Seither ist der Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen nicht kleiner geworden, sondern weitet sich vielmehr auf die Nachbarländer aus, warnt Dominic Johnson in der taz. Die Hutumilizen zogen sich dreißig Jahren vor allem in den benachbarten Kongo zurück: "Mehrfach hat Ruanda dort gegen sie eingegriffen, aber bis heute sind Reste der einstigen Völkermordarmee unter dem Namen FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im Ostkongo präsent, geduldet von Kongos Staat, und träumen von der Rückeroberung Ruandas. Das ist längst auch ein kongolesischer Konflikt, denn auch in Kongo gibt es ruandischsprachige Bevölkerungen, geteilt in Hutu und Tutsi. Kongos Tutsi trauen Kongos Staat nicht, da dieser sich mit Ruandas Völkermordtätern verbündet hat, und unterhalten eigene bewaffnete Gruppen. Kongos Staat traut Ruandas Staat nicht, da dieser kongolesische Tutsi-Rebellen unterstützt, und rüstet gegen Ruanda auf. Ruandas Staat traut Kongos Staat nicht, da dieser die flüchtigen ruandischen Völkermordtäter unterstützt, und unterstützt die kongolesischen Tutsi-Kämpfer. Aktuell verlieren alle Akteure in diesem ewigen Teufelskreis die Geduld." Dazu gehört auch das Nachbarland Burundi, in dem ehemalige Hutu-Rebellen regieren. "Burundis Präsident Évariste Ndayishimiye traf im Januar in Kinshasa Wazalendo-Führer und rief zum Regimewechsel in Ruanda auf; Burundi könnte zum Sprungbrett für Kongos Krieg gegen Ruanda werden."

Achtung, Populismus schadet der Wirtschaft. Eine Forschergruppe des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) stellt auf den Wirtschaftsseite der FAZ die Ergebnisse einer Studie zu Populismus und Wirtschaft vor und findet heraus: Es hat noch nie einen Populisten gegeben, der sein Land nicht heruntergewirtschaftet hat. Eines der Beispiele der Forscher ist der Brexit. Und von Venezuela (ja, es gibt auch Linkspopulismus!) gar nicht zu reden. Mit das interessanteste Ergebnis der Forscher klingt aber noch deprimierender: "Populisten sind politische Überlebenskünstler. Anders als oft angenommen wird, verschwinden sie selten schnell wieder von allein. Stattdessen tun sie oft alles, um die Chancen auf Machterhalt und Wiederwahl zu erhöhen, sei es durch ihre Kernstrategie von Polarisierung und Hetze oder durch neue Wahlgesetze, eine Übernahme der Medien und die Einschüchterung von Justiz und Opposition. ... Populisten sind im Schnitt sechs Jahre an der Macht, gegenüber nur drei Jahren bei nichtpopulistischen Regierungschefs. Sie werden auch viel häufiger wiedergewählt, mit einer Wahrscheinlichkeit von 36 Prozent gegenüber nur 16 Prozent bei nichtpopulistischen. Die Idee einer Entzauberung an der Macht lässt sich in den Daten klar widerlegen. Berlusconi zum Beispiel ist oft als 'Clown' bezeichnet worden, aber er ist in Sachen Machterhalt der mit Abstand erfolgreichste italienische Regierungschef der Nachkriegszeit."

Die israelische Regierung ließ eine Chance auf eine Offensive auf Rafah verstreichen, die von den USA gebilligt worden wäre, jetzt ist die Offensive praktisch zum Erliegen gekommen, konstatiert der Militärexperte Edward Luttwak in der NZZ. Das sei vor allem auf Benjamin Netanjahus fehlende Entschlossenheit zurückzuführen, die auch sein Verteidigungsminister Yoav Gallant monierte. "Der ehemalige Generalmajor sagte, die Fähigkeit zu führen erfordere drei Dinge: Verpflichtung der Sache gegenüber, persönliche Vorbildfunktion und die Einsicht, dass Verantwortlichkeit Quelle von Autorität sei. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wen er damit gemeint hat. (...) Obwohl Netanjahu darauf beharrt, dass es 'passieren wird'", der Sieg über die Hamas, "ist das noch 'mehrere Wochen' entfernt. Bis dann kann sich die Lage allerdings verändern. So oder so ist wahrscheinlich, dass Joe Biden bald bekommen wird, was ihm politisch entgegenkommen würde und wonach sich viele Israeli sehnen: Netanjahus Rückzug aus der Regierung und der Politik."

In der Welt empört sich der Philosoph Jörg Phil Friederich über den Soziologen Heinz Bude, der kürzlich erzählte, wie er während der Corona-Zeit der Bundesregierung erklärte, wie man der Bevölkerung die Corona-Maßnahmen am besten erklären könne (das nennt Friedrich Herstellung von "Folgebereitschaft"). Dies soll sich, so Friedrich, nicht mehr wiederholen: "An den informellen Rändern des politischen Systems, auf den Straßen, in den sozialen Medien, werden in einer Demokratie die Leute mit bürgerlicher Kreativität aktiv, um denen, die meinen, Folgebereitschaft verlangen zu können, zu zeigen, wer in einer Demokratie schlussendlich der Souverän ist." Die bürgerliche Kreativität klingt ja richtig friedlich.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.03.2024 - Politik

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Im taz-Interview mit Till Schmidt spricht der israelische Historiker Benny Morris über seine Forschungen zum arabisch-israelischen Krieg 1948, die er in einem Buch zusammengefasst hat. Als Teil der "Neuen Historiker" war er einer der ersten, die die offizielle zionistische Darstellung kritisch aufarbeiteten und das "klassische" Narrativ ("Die Araber griffen an, die Juden verteidigten sich. Die Araber waren böse, wir waren nett und agierten heroisch.") in Frage stellten. Gleichzeitig beschäftigt er sich mit der Verklärung des Konfliktes von arabischer Seite: "Die Behauptung, die Palästinenser und die Araber seien jederzeit nur 'Opfer' fremder Aggressionen gewesen und hätten keine Handlungsmacht gehabt, ist absoluter Unsinn. Denn in jeder Phase des Krieges, aber auch schon vor 1948, erhoben sich Palästinenser und griffen Juden an. In den 1920ern verübten sie eine Reihe von Pogromen. Die arabische Seite lehnte die Peel-Kommission und deren Empfehlungen für eine Zweistaatenlösung von 1937 ab; genauso die von der UN-Generalversammlung 1947 vorgeschlagene Zweistaatenlösung. Schließlich begann die arabische Seite den Bürgerkrieg und griff Israel in Folge seiner Unabhängigkeitserklärung 1948 an, um den jüdischen Staat ungeschehen zu machen."

Trotz erdrückender Beweislast werden die Sexualverbrechen, die die Terroristen der Hamas am 7. Oktober begangen haben, weiter geleugnet oder zumindest heruntergespielt, ärgert sich Birgit Schmid in der NZZ. Unter anderem drehen sich die Diskussionen nun darum, ob die Gewalt gezielt als Kriegswaffe eingesetzt wurde: "Wenn nun darüber gestritten wird, ob die Gewalt 'zufällig' oder 'systematisch' war, ist das zynisch. So wird Leid relativiert. Entsprechend fragwürdig ist das Vorgehen der Uno. Die Uno ist jene Organisation, die zwei Monate brauchte, um die sexualisierte Gewalt durch die Hamas zu verurteilen. UN Women, ihrer Frauenrechtskommission, lag von Beginn des Kriegs an mehr am Leid der Palästinenserinnen in Gaza als daran, das Massaker der Hamas an israelischen Frauen und Mädchen auch nur zu erwähnen. Das eine soll nicht gegen das andere abgewogen werden. Aber es bleibt augenfällig, wie offenbar nicht jedes Opfer gleich viel Mitgefühl verdient."

Israels Regierung sind die zivilen Opfer im Gaza-Streifen egal, sagt der Nahost-Experte Olivier Roy im FR-Interview mit Michael Hesse. Die Bodenoffensive in Rafah wird stattfinden, prophezeit er außerdem, auch, weil eine "echte Gegenreaktion" der internationalen Gemeinschaft ausbleiben wird. Eine zumindest kurzfristige israelische Besatzung nach dem Krieg hält er für unausweichlich: "Solange die derzeitige Regierung in Israel an der Macht ist, wird die Besatzung andauern. Die Politik der rechten Regierung besteht darin, die Zivilbevölkerung zu erschöpfen und zu zermürben, um einen Exodus auszulösen. Die israelische Seite hat nicht die Absicht zu verhandeln, denn die einzig mögliche politische Lösung ist die Zweistaatenlösung, und die israelische politische Rechte ist völlig gegen diese Idee. Das erste Problem ist also ein Regierungswechsel in Israel, aber das könnte nicht ausreichen."

Justus Bender benennt in der FAS das Dilemma der liberalen Demokratie in Bezug auf den Umgang mit demokratiefeindlichen Parteien wie der AfD. Nur mit viel Bedacht kann eine Demokratie gegen solche Kräfte vorgehen, so Bender, denn oft spielt die Empörung über extremistische Aussagen ihren Urhebern lediglich in die Hände: "Man muss das einmal mit den Augen eines Extremisten betrachten: Kaum sagt er, was er denkt, zerlegt sich die Gesellschaft vor seinen Augen. Das bestätigt natürlich jedes Vorurteil über eine schwächliche Staatsform, die Minderheiten nur schützt, wenn sie ihr in den Kram passen." Gegenmaßnahmen müssten mit Vorsicht getroffen werden: "Wer in der liberalen Demokratie repressive Härte gegenüber der AfD fordert, darf also nicht vergessen, wie viel Genauigkeit und Klarheit dafür notwendig sind. Sonst wird die Republik von denen mitbeerdigt, die sie eigentlich verteidigen wollen. Das ist die Misere der wehrhaften Demokratie."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.03.2024 - Politik

In der SZ wirft ein Autorenteam einen weltweiten Blick auf Länder, die wenig Verständnis für die deutsche "Staatsräson" aufbringen. Nicaragua reichte Klage beim Internationalen Gerichtshof ein, Autoren aus Ägypten und Südafrika gaben ihre Goethe-Medaillen zurück und das äußerst pro-palästinensische Spanien quittiert die deutsche Haltung zumindest mit einem Achselzucken: "Nicht wenige Katalanen und Basken fühlen sich als Volk ohne Staat, unterdrückt von der spanischen Zentralregierung, und erkennen darin ein mit den Palästinensern geteiltes Schicksal. Doch die Unterstützung Palästinas reicht weit über die Autonomieregionen hinaus. Für Palästina und gegen den Krieg in Gaza sind mindestens alle Parteien links der Mitte, Gewerkschaften und viele zivile Organisationen. Regierungschef Pedro Sánchez fordert ein Ende der israelischen Bombardements und einen Palästinenserstaat. Auf Demos wie auch von linken Parteien ist das Wort 'Genozid' zu hören. Die proisraelische Haltung Deutschlands stößt weniger auf Kritik oder Empörung als auf schulterzuckendes Bedauern."