Außer Atem: Das Berlinale Blog

Hiesige Angelegenheiten: Teona Strugar Mitevskas "Gospod postoi, imeto i' e Petrunija"

Von Thierry Chervel
10.02.2019.
"Gospod postoi, imeto i' e Petrunija" (God Exists, Her Name Is Petrunya). Standbild 
Im ersten Bild fragt man sich, ob Petrunija eventuell auf dem Wasser laufen kann. Sie steht auf blauem Grund. In der tat handelt es sich um ein Schwimmbecken, aber es ist leer. Und dann kommt ein Trash-Metal-Stück mit dem wenig erbaulichen Text "Fuck Fuck Fuck".

Ums Wasser geht es schon. Das mazedonische Städtchen Stip, in dem sich das kleine säkulare Wunder dieses Films abspielen wird, wirkt schon sehr sehr nord-mazedonisch, so verloren, wie es  außer vielleicht in Weißrussland oder Chisinau nur noch in dieser Ecke Osteuropas aussehen mag.

Petrunija hat Geschichte studiert, was für die Verhältnisse vor Ort nicht vorteilhaft ist. Als Näherin oder Sekretärin kriegt sie jedenfalls keinen Job. Außerdem ist sie nicht mehr die jüngste: 32. Ihre Mutter sagt, sie solle sich bei Vorstellungsgesprächen als 25-Jährige ausgeben.

Dem allgemeinen Elend gemäß bewegt sie sich zu Fuß durch die gefrorene Ödnis. Es liegt Schnee. Überall laufen halbnackte Männer junge Männer herum. Am Fluss erkennt man den Sinn der Sache: Es ist Tradition im Örtchen, dass der orthodoxe Priester ein Holzkreuz ins reißende und eiskalte Wasser des Flusses schmeißt und dass die jungen Männer hinterherspringen: Wer das Kreuz fängt, dem ist fürs kommende Jahr Glück beschieden. Die jungen Männer dampfen im kalten Wasser und grölen herum: Man ahnt, dass der höhere Sinn des Rituals darin liegt, diese rohen Energie irgendwie abzubauen und einzubinden.

Das Dumme ist: Petrunija springt auch. Und sie fängt das Kreuz.

Petrunija (Zorica Nusheva) ist eine faszinierende junge Frau, von der Art, die mal wie ein plumpes Naturkind und dann, vor allem sie lächelt, wie eine hinreißende üppige Schönheit wirkt. Sie wirkt auch als Person mal dumpf und dann mal wieder viel schlauer als die anderen - wie gesagt, sie hat Geschichte studiert und abgeschlossen. Je länger der Film dauert, desto mehr hat man das Gefühl, sie weiß, was sie tut.

Die ganze zweite Hälfte spielt in der Polizeistation und hat etwas von theaterhafter Verdichtung über die Frage, welche Gerichtsbarkeit denn hier gilt: Nicht mal der Priester behauptet, sie hätte das Kreuz gestohlen. Sie hat nur ungeschriebene Regeln gebrochen. Die Frage des Films ist, ob die behauptete religiöse Tradition, von der man ahnt, dass sie für die Rückständigkeit der Gegend ein gutes Stück Verantwortung trägt, oder das weltliche Recht obsiegt, nach dem Petrunija das Kreuz nunmal zusteht und sie keineswegs irgendein Verbrechen begangen hat.

Nach François Ozons "Grâce à Dieu" (unsere Berlinale-Kolumne) siegt auch in diesem Film - der mehr ist als eine Satire, nämlich das Porträt einer Frau, die zu sich kommt - das Amt für hiesige Angelegenheiten: Ja, es könnte sogar sein, dass sie sich in den jungen Polizisten verliebt, der - neben ihrem Vater - als einziger mit ihr solidarisch ist.

Die Lösung des Konflikts in diesem Film ist überraschend leicht und heiter. Auch das ist nur möglich, weil er seiner Hauptfigur so zugetan ist.

Thierry Chervel

"Gospod postoi, imeto i' e Petrunija" (God Exists, Her Name is Petrunija) von Teona Strugar Mitevska mit Zorica Nusheva, Labina Mitevska, Simeon Moni Damevski, Suad Begovski, Violeta Shapkovska. Mazedonien 2019. 100 Minuten. (Termine)