BuchMarkt, Juni 2002
Der
BuchMarkt hat ein
"Expertenpanel" ins Leben gerufen, in dem Buchhändler sich als Experten registrieren können: "Die registrierten Experten geben im Rahmen von kurzen Befragungen (online vom eigenen Arbeitsplatz aus) ihre persönliche Einschätzung ab und liefern damit bei einem Minimum an Zeitaufwand ein
Branchen- und Stimmungsbild." Mögliche Themen sind "eine regelmäßige Analyse des Branchenklimas (z.B. als Stimmungsindex), die Befragung von Buchhändler/innen zu kontrovers diskutierten Branchenthemen oder Innovationen, eine Beurteilung der Verlage durch Sortimenter/innen sowie die Analyse von buchspezifischen Verbrauchertrends". Registrieren kann man sich
hier.
Die
wirtschaftliche Lage der Branche kommentiert Wolfgang Stock: "Vertreter werden ausgeladen, Boykotte ins Leben gerufen, ganze Programme nicht mehr eingekauft. Die Kleinen schimpfen auf die Großen, der Club ist sauer auf Weltbild, der Handel auf den Club und alle sind
sauer auf Amazon. Das Idyll ist dahin, in einer Branche, die stets stolz war auf ihre guten Umgangsformen und ihren kulturellen Anspruch." Und dann schimpft Stock auf "die Wirtschaftspolitik, die so stümperhaft und bürokratenbehaftet agiert". Dabei ist die Lösung ja so einfach: "Die Wirtschaftspolitik muss wieder für Vertrauen und Optimismus sorgen. Sie muss das machen, was erste Aufgabe jedes guten Unternehmers ist: Ziele vorgeben, motivieren und den Glauben an die eigene Kraft stärken." Mit anderen Worten: rumschwätzen.
Dagegen erklärt Gerhard Beckmann, "woher die
Umsatzrückgänge kommen, wie man darauf reagieren kann und wie eine sinnvolle Zukunftssicherung möglich wird". Zunächst analysiert auch er die allgemeine Lage: Zur Finanzierung "unseres alles in allem luxuriösen Arbeits- und Sozialsystems" habe Deutschland sich zu lange auf den
Export gestützt, hierzulande herrsche zudem "blindes Vertrauen in
Subventionen, egal welcher Art, egal von woher". Für die Buchbranche schlägt Beckmann ein Branchenmarketing vor, schränkt allerdings gleich ein, dass damit wohl nicht zu rechnen sei, nachdem "alle bisherigen Anläufe gescheitert" seien. "Einzelne Verlage vermögen jedoch in diesem Sinne zu wirken": Beispiele seien
Diogenes mit seiner Jubiläumsaktion sowie die von Marcel Reich-Ranicki herausgegebene
Kanon-Kassette. Dann kritisiert Beckmann, dass zu viele
schlechte Bücher auf den Markt geworfen würden: "Ist sich niemand bewusst oder ist es letztlich allen egal, dass mit solchen Werken mögliche Bücherfreunde für Wochen oder Monate von einem weiteren Versuch zu lesen abgeschreckt werden?" Er fordert außerdem ein "Umdenken und eine
Reorganisation der Arbeitsabläufe" in den Verlagen. Zum Beispiel zwischen Vertrieb, Werbung und Pressearbeit: "Hat schon mal wer untersucht, wieviel von der Presse erarbeitetes Terrain verschenkt wird, weil
Vertrieb und Werbung ihr Pulver zu früh in
falscher Richtung verschossen haben?" Schlusswort: "Im Kern scheint es mir aber darauf anzukommen, in der verlegerischen Arbeit die Qualitäten und den Reiz des Buches wieder in den Vordergrund zu stellen. Und alles zu tun, um dabei wieder das Publikum ins Zentrum des Blickfeldes zu rücken."
Enrik Lauer legt in 16 Punkten ein "Glaubensbekenntnis" ab. Punkt 8: "Langfristig ist es völlig zwecklos, Bücher für Menschen zu machen, die eigentlich gar nicht lesen wollen. Dieser scheinbar bloß idiotische Plan ist aber zum Beispiel der wahre Grund für die Krise des Ratgebers." Punkt 14: "Forget about marketing,
build communities! Passionierte Autoren, Verleger, Buchhändler und passionierte Leser müssen sich zu Netzwerken zusammenschließen". Punkt 16: "Böse Häresie: Die Buchpreisbindung ist bedeutungslos. (...) Qualitätsprodukte erzielen auf einem ungeregelten Markt stets angemessene Preise."
Zusammengebrochen ist der
Ratgebermarkt nicht, erklärt
Georg Kessler, Programm-Geschäftsführer bei
Gräfe und Unzer, im Interview mit Christian von Zittwitz. Im insgesamt schrumpfenden Buchmarkt hatte der Ratgebermarkt im Jahr 2000 einen Anteil von
19 Prozent, im vergangenen Jahr von 18 Prozent. Für den Ratgebermarkt sei dies ein Rückgang von fünf Prozent gewesen. Für die Negativ-Stimmung sieht er zwei Gründe: die
Konjunkturdelle, in deren Folge die Zauberworte "angestammte Kernkompetenzen" und "Klasse statt Masse" zu hören gewesen seien, und ein
mangelndes Interesse in den Großverlagen an Ratgebern: "Es putzt nun mal mehr, den neuen Noah Gordon als den neuen Strunz zu lancieren."
Der
Max Hueber Verlag bietet einen Titel im
Shopping-Sender QVC an: den "Selbstlernkurs Englisch". Das Buch war offenbar ein ziemlicher Ladenhüter, bis Vertriebs- und Marketingchefin Sylvia Thomas es
im Fernsehen anpries. Natürlich "ist und bleibt" der Buchhandel der wichtigste Partner des Verlags, sagt Thomas. Und sie betont: "Seit wir besagten 49,95 Euro-Sprachkurs bei QVC anbieten, funktioniert er auf einmal auch im stationären Buchhandel". Im Herbst wird sie den "Benjamin Blümchen Kindersprachkurs Englisch" bei QVC anbieten.
Weitere Themen: Matthias Koeffler porträtiert den
Literaturverlag Droschl. Drei Verlagsmenschen und drei Buchhändler haben beim
BuchMarkt über die
Vorschauen diskutiert - und haben festgestellt, dass es die perfekte Vorschau nicht geben kann (ob allerdings in wirklich jeder Belletristik-Vorschau von "furiosen" Romanen geraunt werden muss?). Susanna Wengler hat den
Museumsshop der
Buchhandlung Dietsch im Düsseldorfer Schloss Benrath besucht. Jürgen Christen hat sich mit Friedel Wahren über das neue
Fantasy-Programm von
Piper unterhalten. Christen schreibt außerdem über
"kybernetische Literatur", "Slipstream oder Magischer Realismus genannt" (Titel wie "
Schattenflucht" von
Richard Powers, "
Buenos Aires. Anderswelt" von
Alban Nikolai Herbst, "
Cryptonomicon" von
Neal Stephenson, "
Otherland" von
Tad Williams, "Desaster" von
Bruno Richard oder "
Fieberglas" von
Jonathan Carroll). Klaus Berthold macht darauf aufmerksam, dass List den Roman "Schachmatt" von
Stephen L. Carter neben
Jonathan Franzens "Korrekturen" (die bei Rowohlt erscheinen) als Bestseller profilieren will.
Ein Schwerpunkt dieses BuchMarkts ist
Frauenliteratur. Themen darin: Krimi-Schriftstellerinnen, Frauenliteratur aus dem Nahen Osten, Bücher der Generation Ally, Körper-Romane ("
Borderline" von Marie-Sissi Labreche, "
Die drei Parzen" von Linda Le und "Wilde" von Patricia Josefine Marchart) und der
Liberaturpreis.
Zweiter Schwerpunkt des Heftes ist die
Ladendeko. Dem BuchMarkt liegt ein Plakat für den Handel bei: "Euro = Teuro? Nicht im Buchhandel!"