Essay

Die Tischvorlage

Von Martin Vogel
16.09.2016. Auch die geradezu hetzerische Berichterstattung der FAZ und anderer Zeitungen ändert nichts an der Rechtslage: Die VG Wort macht sich strafbar, wenn sie die den Anspruchsberechtigten zustehenden Gelder nicht so bald wie möglich ausschüttet. Dafür hätte es keine Mitgliederversammlung gebraucht. Einige rechtliche Einschätzungen, die zur Versachlichung der Diskussion beitragen mögen.
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Die Berichterstattung über die außerordentliche Mitgliederversammlung am 10.9.2016 (FAZ bereits am 8.9.2016 "Großangriff auf die VG Wort", dann am 12.9.2016 "Zerstörung, Teil 1") und die Pressemitteilung der VG Wort vom 10.9.2016 (hier als pdf-Dokument) geben dringend Anlass, der Öffentlichkeit gegenüber klarzustellen, was Sache ist. Hierbei steht an erster Stelle die Rechtslage, über die Vorstand, Staatsaufsicht und ein Teil der Presse auch nach dem Urteil des BGH "Verlegeranteil" vom 21.4.2016 in schockierender Weise hinweggehen. Opfer dieser Missachtung der Rechtslage sind die Wahrnehmungsberechtigten, die der VG Wort ihre Rechte anvertraut haben und jetzt um wesentliche Teile ihrer Nachzahlungsansprüche gebracht werden sollen.

Der Vorstand der VG Wort hat in der Mitgliederversammlung völlig überraschend eine geänderte Fassung seiner ohnehin sehr komplizierten Beschlussvorlage als Tischvorlage (!) zur Abstimmung gestellt. Die Annahme dieses Antrags scheiterte an einer Sperrminorität in der Berufsgruppe der Journalisten. In der Presse wurde dies in geradezu hetzerischer Weise als Ergebnis eines rein destruktiven Verhaltens einer Splittergruppe dargestellt. In ihrer Presseerklärung vom 10.9.2016 hat die VG Wort eins drauf gesetzt:

"Der Ausgang der heutigen Sitzung bedeutet, dass die VG WORT nun nicht wie geplant mit der Geltendmachung von Rückforderungen gegenüber den Verlagen und der anschließenden Neuverteilung an die Urheber beginnen kann. Über das weitere Vorgehen wird jetzt intern beraten werden."

Darin liegt eine üble Verdrehung der Sach- und Rechtslage. Es ist offensichtlich unrichtig, wenn die VG Wort behauptet, sie könne wegen des Scheiterns ihrer Beschlussvorlage nicht mit der Rückforderung der zu Unrecht und nur unter Vorbehalt (!) an Verleger ausgeschütteten Gelder beginnen. Das Gegenteil ist richtig: Die VG Wort hätte schon längst und energisch mit der Rückforderung der zu Unrecht an Verleger ausgeschütteten Gelder beginnen müssen, dies spätestens nach Verkündung des Urteils des BGH "Verlegeranteil" am 21.4.2016, das die Ausschüttungspraxis der VG Wort endgültig für rechtswidrig erklärt hat. Dazu bedurfte und bedarf es keines Beschlusses der Mitgliederversammlung. Die Einziehung von Außenständen ist Pflichtaufgabe der laufenden Geschäftsführung. Es ist daher höchste Zeit, dass die VG Wort jetzt umgehend damit beginnt, die rechtswidrig an Verleger ausgeschütteten Gelder zurückzufordern. Andernfalls könnten sich die Verantwortlichen wegen Untreue strafbar machen. Über die Neuverteilung der zurückerlangten Erträge aus der Wahrnehmung der allein den Urhebern zustehenden Ansprüche kann ohne weiteres später entschieden werden. Eine Beschlussfassung darüber auf der für den 26.11.2016 angesetzten Mitgliederversammlung führt zu keiner Verzögerung. Zwischen der Rückforderung der rechtswidrig ausgeschütteten Beträge und deren Neuverteilung besteht kein Zusammenhang. Andernfalls könnte die VG Wort auch von säumigen Nutzern keine Nutzungsvergütungen einfordern, solange es noch keine Beschlussfassung über die Grundsätze der Verteilung unter den Berechtigten gibt.

Der Zweck ihres Verhaltens, das die VG Wort in ihrer Presseerklärung als geradezu selbstverständlich darstellt, liegt auf der Hand: Die Verleger sollen erneut durch die Verzögerung der Rückforderung auf Kosten der berechtigten Urheber begünstigt werden. Zudem sollen diejenigen Urheber, die gegen die Beschlussvorlage des Vorstands gestimmt haben, gerade auch gegenüber den anderen Urhebern als Störenfriede abgestempelt werden, die aus Eigensinn verhindert haben, dass die Nachverteilung zügig durchgeführt werden kann. Die Verknüpfung der Rückforderung der rechtswidrig an Verleger ausgeschütteten Beträge mit den Fragen der Neuverteilung, wie sie vom Vorstand schon auf der außerordentliche Mitgliederversammlung erklärt wurde, konnte danach nur den Zweck haben, den berechtigten Urhebern die Zustimmung zu der in wesentlichen Punkten rechtswidrigen Tischvorlage der VG Wort abzupressen (vgl. dazu nachstehend unter 1.)

Wie dreist die VG Wort bei der Begünstigung der Verleger vorgeht, verdient eine nähere Betrachtung:

1. Tischvorlage der VG Wort.

Die Tischvorlage der VG Wort auf der außerordentliche Mitgliederversammlung vom 10.9.2016 hat es in sich:

a) Angebliches Entgegenkommen der VG Wort. Nur in wenigen Punkten gab es bei der Tischvorlage im Vergleich zu der wenige Tage zuvor verteilten Beschlussvorlage ein Entgegenkommen gegenüber den Urhebern:

- Die Sonderbehandlung in der Sparte "Presse-Reprografie", die ohnehin offensichtlich rechtswidrig gewesen wäre, wurde aufgegeben.

- Abtretungen zugunsten von Verlagen sollen nun anonym sein. Die "anonyme" Behandlung von Abtretungen klingt zunächst wie ein Entgegenkommen gegenüber den Urhebern, ist es aber nicht. Denn das Verfahren kann nicht gewährleisten, dass die Verlage nicht davon Kenntnis erhalten, wer von ihren Autoren zu ihren Gunsten Ausschüttungsansprüche abgetreten hat und dementsprechend im Umkehrschluss, wer dies nicht getan hat. Die Verlage müssen nämlich in jedem Fall erfahren, wie hoch die abgetretenen Ausschüttungsansprüche sind, wahrscheinlich auch, für welche Werke ausgeschüttet wird. Andernfalls gibt es keine Kontrolle des Verfahrens der VG Wort und des Verbleibs der Gelder. Aus der Höhe der abgetretenen Ausschüttungsansprüche können die Verleger die notwendigen Rückschlüsse auf die Person der abtretenden Urheber ziehen. Bei Kleinverlagen mit wenigen Autoren kann von einer Anonymität keine Rede sein, erst recht nicht, wenn keiner der Autoren auf seine Ausschüttungsansprüche verzichtet.

b) Auch weiterhin sollen die Verleger auf Kosten der Urheber bevorzugt werden, obwohl sie bei der Frage der Rückzahlung zu Unrecht an sie ausgeschütteter Beträge keine Sonderrechte als Mitglieder besitzen, sondern ganz einfach nur Schuldner sind. In den entscheidenden Fragen ist die als Tischvorlage zur Abstimmung gestellte Beschlussvorlage der VG Wort nach wie vor darauf angelegt, die allein berechtigten Urheber über den Tisch zu ziehen. Ganz wesentliche Kritikpunkte, die in zwei offenen Briefen an das Deutsche Patent- und Markenamt vom 29.8.2016 (rechtzeitig vor der außerordentliche Mitgliederversammlung) vorgetragen wurden, wurden nicht berücksichtigt. (Die Schreiben sind unter unter dem Link https://www.perlentaucher.de/ptautor/martin-vogel.html abrufbar).

Nach wie vor ist es das Hauptanliegen von Vorstand und Verwaltungsrat der VG Wort, die Verleger möglichst auf Kosten der Urheber zu begünstigen: Die in der Tischvorlage vorgesehenen Modalitäten der Rückforderung von den Verlagen sind so angelegt, dass die Rückzahlung soweit irgend möglich verschleppt wird. Unverändert sollen zudem Verleger, denen Urheber Ausschüttungsansprüche abgetreten haben, bei der Bewertung dieser Ansprüche erheblich besser gestellt werden als Urheber, die ihre Ansprüche selbst wahrnehmen. Dies verstößt in eklatanter Form gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Berechtigten. Vor allem wird den Verlagen weiter ermöglicht, die Rückzahlung in nicht hinnehmbarer Weise zu verzögern. Nach wie vor sieht § 4 Abs. 2 des Korrekturbeschlusses vor:

"Abweichend davon wird Verlagen eine längere [sic!] Zahlungsfrist eingeräumt, sofern Verlage bis zum 30.11.2016 schriftlich gegenüber der  VG WORT erklären, ggf. [sic!] von der Möglichkeit der Verrechnung mit abgetretenen Ansprüchen von Urhebern gemäß § 5 Gebrauch machen zu wollen und der VG WORT zugleich bis zu diesem Datum eine Verjährungsverzichtserklärung für sämtliche im Jahr 2013 und 2014 von der VG WORT erhaltenen Ausschüttungen (Verlagsanteil) zukommen zu lassen. Die Rückzahlung richtet sich in diesem Fall nach § 7."

Welche außerordentliche Verzögerung der Rückzahlung Verlegern durch die schlichte Erklärung ermöglicht wird, "ggf." von der Möglichkeit der Verrechnung mit abgetretenen Ansprüchen von Urhebern Gebrauch machen zu wollen, wird durch § 7 Abs. 2 des Korrekturbeschlusses deutlich, auf den § 4 Abs. 2 des Korrekturbeschlusses Bezug nimmt:

"Nach Abschluss, Prüfung und Berechnung des Werts der abgetretenen Ansprüche gem. § 6 informiert die VG WORT die Verlage über die jeweils verbleibende Restschuld in Textform und fordert sie zur Rückzahlung auf. Die Verlage sind verpflichtet, den jeweiligen Betrag innerhalb von 30 Kalendertagen an die VG WORT zu zahlen. §§ 3 Abs. 3 und 4 Abs. 3 gelten entsprechend."

In § 2 Abs. 3 des Korrektur-Verteilungsplans heißt es:

"Die Neuverteilung soll schnellstmöglich, spätestens bis zum 31. Dezember 2017 erfolgen."

Im Klartext bedeutet das: Wenn Verlagsgroßkonzerne wie Random House oder der Springer-Verlag auch nur erklären, "ggf." von der Möglichkeit der Verrechnung mit abgetretenen Ansprüchen von Urhebern Gebrauch machen zu wollen, haben sie eine extrem lange Rückzahlungsfrist. Tritt zudem auch nur ein einziger Verlagsangestellter, der gelegentlich auch einmal einen Artikel schreibt, seine Ausschüttungsansprüche ab, gilt weiter die Verzögerungsmöglichkeit gemäß § 7 Abs. 2 des Korrekturbeschlusses. Da die VG Wort für die Prüfung und Berechnung des Werts der abgetretenen Ansprüche gemäß § 6 des Korrekturbeschlusses natürlich sehr viel Zeit braucht (und sich im Interesse der Verleger auch nehmen wird), ist absehbar, dass sich die Rückzahlung der Verlage leicht um mindestens ein Jahr verzögert. Die Neuverteilung "spätestens bis zum 31. Dezember 2017" ist deshalb eine den berechtigten Urhebern vorgespiegelte Fata Morgana.

Verleger haben keinen Anspruch auf Sonderbehandlung, wenn es darum geht, dass sie zu Unrecht gezahlte Ausschüttungen an die VG Wort zurückzahlen müssen. Die Verleger sind insoweit trotz ihrer Mitgliederstellung nicht anders zu behandeln als andere Schuldner, zum Beispiel säumige Nutzer. Bereits die Ausschüttung an die Verleger, auch wenn sie zuletzt nur unter Vorbehalt stattfand, war ein grober Verstoß der VG Wort gegen ihre Treupflichten gegenüber den Urhebern. Die VG Wort ist nunmehr umso mehr als Treuhänderin verpflichtet, bei der Rückforderung der Ausschüttungen an Verleger uneingeschränkt die Interessen der jahrelang grob rechtswidrig benachteiligten Urheber wahrzunehmen. Dazu kommt, dass die Beträge, die jetzt zurückzufordern sind, ohnehin nur unter Vorbehalt ausgezahlt wurden. Jeder Verleger hätte daher Rückstellungen machen müssen.

Die Verleger sind auch in keiner Weise schutzwürdig: Sie wussten selbst am besten, dass sie bei der VG Wort nicht einmal der Form nach (!) irgendwelche gesetzlichen Vergütungsansprüche für konkrete Werke eingebracht haben und einbringen. Schon der gesunde Menschenverstand hätte ihnen daher sagen müssen, dass sie kein Recht darauf haben, an den Erträgen beteiligt zu werden, die durch die Wahrnehmung der gesetzlichen Ansprüche der berechtigten Urheber erzielt werden. Es ist selbstverständlich, dass Dritte nicht an fremdem Treugut beteiligt werden dürfen. Das Urteil des BGH, das die Ausschüttungen an Verleger für rechtswidrig erklärt hat, war daher alles andere als eine Überraschung. Für jeden, der nicht durch sein Eigeninteresse verblendet ist, war das Urteil selbstverständlich. Nicht einmal Kleinverleger konnten etwas anderes erwarten, erst recht nicht Großverleger, die sich jetzt am schrillsten mit Kritik am BGH und an dem Kläger hervortun, der dieses Urteil - in drei Instanzen erfolgreich - erstritten hat.

Die in der Tischvorlage (!) der VG Wort enthaltenen Vorhaben sind nach wie vor als Untreuehandlungen einzustufen. Die VG Wort ist als Treuhänderin verpflichtet, im Interesse der allein berechtigten Urheber, die längst kraft Gesetzes fälligen Rückforderungsansprüche gegen die Verlage unverzüglich durchzusetzen. Die Presseerklärung der VG Wort vom 10.9.2016, in der sie die Rückforderung mit der Beschlussfassung über die Nachverteilung verknüpft, belegt ihren Vorsatz, die Verleger rechtswidrig durch Verzögerung der Rückforderung zu begünstigen. Die VG Wort kann mit den Rückforderungen selbstverständlich sofort beginnen. Sie hätte dies schon nach dem BGH-Urteil "Verlegeranteil" umgehend tun müssen. Das Geld hätte auf einem Konto hinterlegt werden müssen, bis über die Verteilung entschieden wird. Für die Rückforderung der VG Wort an die Verleger ist, um es noch einmal zu betonen, kein Beschluss einer Mitgliederversammlung notwendig. Mein Verteilungsplanentwurf, der sich strikt an die sich aus dem BGH-Urteil ergebenden Konsequenzen hielt, wurde mit den Stimmen der Verleger in der Mitgliederversammlung vom 10.9.2016 glatt abgelehnt.

Durch ihr Vorgehen übt die VG Wort zudem in unerträglicher Weise Druck auf die berechtigten Urheber aus, dem rechtswidrigen Vorhaben, die Verleger zu begünstigen, zuzustimmen. Die Art und Weise, wie die VG Wort versucht, die verschiedenen Autorengruppen gegeneinander auszuspielen, um das bestmögliche Ergebnis für die Verleger herauszuholen, zeigt nur zu deutlich, dass ihr die Interessen der betroffenen Urheber gleichgültig sind.

Die Aufsicht wurde rechtzeitig vor der außerordentliche Mitgliederversammlung durch die erwähnten zwei offenen Briefe vom 29.8.2016 (abrufbar unter dem angegebenen Link) darüber informiert, dass die Beschlussvorlage der VG Wort grob rechtswidrig ist. Dies gilt nicht nur für den in ihr verwirklichten Gesamtvorsatz, die Verleger auf Kosten der allein berechtigten Urheber zu begünstigen, sondern auch für eine Reihe weiterer Einzelpunkte. Die in den offenen Briefen dargelegten Kritikpunkte gelten fast alle auch für die Tischvorlage der VG Wort vom 10.9.2016. Die Aufsicht, der die Tischvorlage (anders als den einfachen Mitgliedern der VG Wort) sicher schon vor der außerordentliche Mitgliederversammlung bekannt war, hat gleichwohl in der Versammlung geschwiegen. Es wäre Pflicht der Aufsicht gewesen, die Bedenken gegen das treuhandwidrige Vorhaben der VG Wort schon in der Mitgliederversammlung klar und deutlich auszusprechen. Statt dessen hat sie während der ganzen fünfstündigen Dauer der Versammlung nicht eingegriffen.

Noch immer ist nicht geklärt, ob die Rückstellungen der VG Wort für den Fall eines für sie ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits "Verlegeranteil" in unzulässiger Weise gebildet worden sind, weil sie an die tatsächlich Berechtigten hätten ausgeschüttet werden müssen. Das hätte die Aufsichtsbehörde untersuchen und die Öffentlichkeit über das Ergebnis informieren müssen. Nichts anderes gilt für die grundsätzliche Zulässigkeit der Beschlussvorlage der VG Wort. Die Beschlussvorlage beschneidet die Rechte der Mitgliederversammlung: Sie ermächtigt den Verwaltungsrat, durch einen Korrekturbeschluss über Verteilungsfragen zu beschließen, über die nach dem Unionsrecht und dem neuen VGG ausschließlich die Mitgliederversammlung entscheiden darf. Ferner soll die VG Wort befugt sein, die Ausschüttungen an die Berechtigten nach unten zu korrigieren. Ein derartiger Korrekturverteilungsplan stellt eine unzulässige Allgemeine Geschäftsbedingung dar. Er verstößt gegen die zwingende gesetzliche Regel, nach der ein Schuldner nicht berechtigt ist, seine Schuld eigenmächtig zu verringern. Der Vorschlag läuft daher darauf hinaus, die allein berechtigten Urheber weiter zu schädigen - und gerade auch die Tausende von Urhebern, die zwar Wahrnehmungsberechtigte sind, aber nicht Mitglieder der VG Wort. Schließlich ist die Möglichkeit der VG Wort, gegenüber den Berechtigten auf Zeit zu spielen nund damit in unfairer Weise auf die Verjährung ihrer Ansprüche zu setzen, auch in der Tischvorlage enthalten. Einzelheiten sind den erwähnten, auf der Website des Perlentauchers zugänglichen offenen Briefen zu entnehmen.

Wenn diese Fragen auf der Mitgliederversammlung nicht diskutiert werden konnten, so lag dies zum einen an der einseitigen, parteiischen Versammlungsleitung, zum anderen daran, dass einer der Rechtsprofessoren, der durch Gutachten für den Vorstand bereits viel Geld verdient hat, durch einen Geschäftsordnungsantrag das Ende der Debatte über die Defizite der Tischvorlage herbeiführte. Es versteht sich, dass die Befürworter dieses Antrages auch für die rechtswidrige Beteiligung der Verleger gestimmt haben (dazu unter 2.) und auch die übrigen Kritikpunkte in den Schreiben an die Aufsichtsbehörde vom 29.8.2016 nicht erörtern wollten.


2. Kein Stimmrecht der Verleger als Schuldner der Rückforderungsansprüche


Die Frage, ob Verleger in der Mitgliederversammlung über die Geltendmachung der gegen sie bestehenden Ansprüche sowie über die Neuverteilung mit abstimmen dürfen, hat nichts mit der Frage zu tun, ob Verleger weiter in der VG Wort Mitglied sein können.

Bereits aus dem zwingenden Vereinsrecht ergibt sich klar, dass Verleger als unmittelbar Beteiligte bei der Frage, ob und wann die Rückzahlungsansprüche gegen sie geltend zu machen sind, nicht mitstimmen dürfen (§ 34, § 40 BGB). Das Vereinsrecht regelt insoweit nur das, was unter anständigen Beteiligten selbstverständlich ist: Niemand darf sich durch Stimmabgabe in eigener Sache auf Kosten der anderen Vereinsmitglieder selbst begünstigen. Es war ein schwerer Verstoß gegen die Pflichten einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung und Versammlungsleitung, dass Vorstand und Verwaltungsrat die sich aufdrängende Frage des Stimmrechts der Verleger in der Mitgliederversammlung nicht vorweg geklärt hatten. Noch schwerwiegender wäre die Pflichtverletzung, wenn sie darauf vertraut haben sollten, dass die in Rechtsfragen meist unerfahrenen Urheber diese Problematik nicht erkennen.  

In jedem Fall wäre es Pflicht der Aufsicht gewesen, gegenüber der VG Wort zu rügen, dass bei der Abstimmung über die Anträge in der außerordentliche Mitgliederversammlung am 10.9.2016 über die zwingenden Vorschriften des Vereinsrechts hinweggegangen wurde. Dies hätte die Aufsicht bei ordentlicher Vorbereitung auf die Versammlung an Ort und Stelle tun können. Das gilt auch für den sicher nicht ganz billigen, den Vorstand beratenden Anwalt, der offenbar seiner Beratungspflicht während der Mitgliederversammlung nicht nachgekommen ist.


3. Zur strafrechtlichen Seite des Vorgehens der VG Wort

a) Im Lauf der Auseinandersetzung ist die VG Wort wiederholt und nachdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sie als Treuhänderin - schon im Eigeninteresse des entscheidenden Vorstands, des Verwaltungsrats und der Mitglieder - nur im besten Interesse derjenigen handeln darf, die bei ihr Rechte eingebracht haben. Es ist bedauerlich, dass sich die VG Wort daran nicht halten will, sondern auch noch vor Gericht vorgetragen hat, Verleger brächten bei ihr gesetzliche Vergütungsansprüche für konkrete Werke ein. Das ist offensichtlich nicht der Fall, schon weil Verleger bei der VG Wort nach dem (immer noch nicht gestrichenen!) § 9 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung und den Verteilungsplänen solche Rechte gar nicht einbringen müssen, um an den Erträgen aus der Wahrnehmung der den Berechtigten zustehenden Erträge beteiligt zu werden und dies dementsprechend auch nicht getan haben. Ferner hat die VG Wort stets behauptet, dass ihr - einem eingeholten Rechtsgutachten zufolge - bei der Beantwortung der Frage, ob sie an Verleger auch noch während des Rechtsstreits weiterhin ausschütten dürfe, ein Ermessensspielraum zustehe. Diese Auffassung steht in krassem Gegensatz zur Rechtsprechung des BGH. Das Gutachten vorzulegen und unter Umständen den Gutachter wegen der den Urhebern entstandenen Schäden in Anspruch zu nehmen, hat die VG Wort abgelehnt. Dazu im Einzelnen:

b) Was die VG Wort in Kenntnis des Urteils des BGH "Verlegeranteil" vom 21.4.2016 zu tun beabsichtigt, wäre strafbare Untreue. Mit jeder weiteren Verzögerung bei der Rückforderung der an Verleger unter Vorbehalt ausgezahlten Gelder vergrößert sich der Schaden, der den allein berechtigten Urhebern als den Treugebern zugefügt wird. Das sollte auch die Aufsicht wissen. Dieser sollte auch bewusst sein, dass die Möglichkeit, dass sie Beihilfe zu einer solchen Untreue begehen könnte, nicht von der Hand zu weisen ist.

Bei der Einziehung der zu Unrecht an Verleger ausgeschütteten Erträge aus der Wahrnehmung gesetzlicher Vergütungsansprüche ist die VG Wort allein Treuhänderin der Urheber, denen diese Erträge zustehen. Dass Verleger als Schuldner auch Mitglieder der VG Wort sein können, spielt dabei keine Rolle.

Wer als Treuhänder fällige Forderungen vorsätzlich nicht einzieht, um den Schuldner durch die Zeitverzögerung zu begünstigen und dadurch den Treugeber schädigt (durch Zinsverluste, Eintritt der Verjährung, Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners), begeht strafbare Untreue (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.1982 - 4 StR 406/82). Die VG Wort verzögert die Rückforderung der zu Unrecht an Verleger gezahlten Beträge ganz bewusst. Aus den Beschlussvorlagen für die außerordentliche Mitgliederversammlung am 10.9.2016 ergibt sich, dass die VG Wort Verleger dadurch begünstigen will, dass sie ihnen die Möglichkeit gibt, gegen die Rückforderungsansprüche mit an sie abgetretenen Ausschüttungsansprüchen von Autoren aufzurechnen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Autoren in größerer Zahl ihren Verlegern, die jahrelang auf ihre Kosten an den Wahrnehmungserträgen beteiligt wurden, solche Abtretungsgeschenke machen. Darum geht es der VG Wort aber nicht allein: Wie auch aus ihrer Presseerklärung vom 10.9.2016 (abrufbar unter dem oben angegebenen Link) hervorgeht, erklärt sie, dass die Rückforderung der an Verleger ausgezahlten Beträge nur möglich sei, wenn dies von der Mitgliederversammlung so beschlossen werde. Diese Verknüpfung der Rückforderung mit einem Beschluss der Mitgliederversammlung hat allein den Zweck, die Rückzahlung über lange Zeit zu verzögern und dadurch die Verleger als Schuldner zu begünstigen.

c) Die von der VG Wort erklärte Verknüpfung der Rückforderung mit einem Beschluss der Mitgliederversammlung ist offensichtlich rechtswidrig: Die Einziehung von Außenständen ist Sache der laufenden Geschäftsführung. Die Mitgliederversammlung hat darüber nichts zu beschließen, erst recht nicht - wie am 10.9.2016 geschehen - unter Stimmbeteiligung der Verleger, die selbst die Schuldner sind (s. o. Unter 2.).

Schon die Zeitverzögerung durch das Warten auf einen Beschluss der Mitgliederversammlung ist nicht hinnehmbar. Dazu kommt, dass die von der VG Wort vorgesehene Möglichkeit der Verrechnung in der praktischen Abwicklung sehr kompliziert ist. Dies ermöglicht der VG Wort, die Rückforderung der Außenstände bei allen Verlegern, die auch nur erklären, von der Verrechnungsmöglichkeit "ggf." Gebrauch machen zu wollen, noch über sehr lange Zeit hinauszuzögern. Dazu kommt, dass die VG Wort an Verleger abgetretene Ansprüche bei der Ausschüttung erheblich höher bewerten will als Ansprüche, die Urheber selbst gegenüber der VG Wort wahrnehmen. Auch diese Begünstigung von Verlegern auf Kosten der Urheber wäre nicht nur als Ungleichbehandlung der Berechtigten rechtswidrig, sondern strafbare Untreue (siehe dazu auch den oben unter 1 b erwähnten offenen Brief vom 29.8.2016 an die Leiterin der Abteilung Staatsaufsicht im DPMA).

d) Mitglieder, die in einer Mitgliederversammlung derartigen Vorhaben des Vorstands durch Beschluss zustimmen, können Teilnehmer einer strafbaren Untreue sein. Die vom Vorstand beabsichtigte Begünstigung der Verleger geht nicht nur auf Kosten der verhältnismäßig wenigen Urheber, die Mitglieder der VG Wort sind. Geschädigt werden vor allem die vielen tausend Urheber, die nur Wahrnehmungsberechtigte, nicht auch Mitglieder sind.

Die Aufsicht ist verpflichtet, gegen ihr bekannt gewordene Handlungen von Verwertungsgesellschaften, die den Tatbestand der Untreue erfüllen können, umgehend einzuschreiten. Andernfalls könnte sie selbst Beihilfe zur Untreue durch Unterlassen begehen.

Rainer Dresen, Justiziar des Großverlags Random House, hat sich auf der Website uebermedien.de unter dem Link http://uebermedien.de/7962/showdown-im-hofbraeukeller/ in einem Leserkommentar zur Rückzahlung an die VG Wort geäußert. Wie daraus hervorgeht, ist gerade den Hauptschuldnern der VG Wort natürlich bewusst, dass sie längst rückzahlungspflichtig sind.

Zitat: "Es ist doch aber naiv zu erwarten, dass wir jetzt ohne konkrete Aufforderung [sic!] einfach mal so Geld überweisen. So funktioniert die Wirtschaft nicht, und wer das wider besseres Wissen einfach mal so fordert, agiert populistisch."


4. Schlussbemerkung

Dies alles auszuführen, gebietet nicht allein die Achtung vor dem Recht, das bei der VG Wort seit Jahren zu Lasten der berechtigten Urheber verletzt wird. Wenn Rainer Dresen in dem zitierten Kommentarbeitrag meint, meine Erfolgsserie vor Gericht könne auch einmal reißen, so sei darauf erwidert, dass es hier nicht um Glücksspiel geht, sondern darum, dass den Urhebern über Jahrzehnte hinweg das vorenthalten worden ist, was - verfassungsgerichtlich mehrfach bestätigt - ihnen und nur ihnen als grundrechtlich geschütztes Eigentum zusteht.

Es ist bedrückend zu sehen, wie die VG Wort, in deren Gremien zahlreiche Rechtsprofessoren vertreten sind, und die Aufsicht, die den Weisungen des Justizministeriums unterliegt, ganz einfach über zwingende Vorschriften des Rechts hinweggehen. Ein solches Verhalten ist ohne einen Blick auf die Machtverhältnisse kaum erklärbar. Justizminister Maas und Kulturstaatsministerin Grütters sind sicher nicht zuletzt wegen der bevorstehenden Wahlen den Verlegern zu Diensten und erarbeiten Gesetzesentwürfe, um den Urhebern die ihnen nach geltendem Unionsrecht allein zustehenden Vergütungen zu beschneiden.

Zu Treffen von Kultur und Politik wird auch der FAZ-Journalist Michael Hanfeld als Moderator eingeladen. So anscheinend in die Szene eingebunden, hat er durch seine Artikel vor und nach der außerordentliche Mitgliederversammlung vom 10.9.2016 dazu beigetragen, die Öffentlichkeit über die Verhältnisse bei der VG Wort und deren rechtswidriges, die Urheber schädigendes Vorgehen zu täuschen. Ohne die gebotene Sachkunde diffamierte er diejenigen, die über die Rechtmäßigkeit des von der VG Wort zur Abstimmung gestellten Korrekturverteilungsplans anderer Auffassung waren als der Vorstand und der Vorlage wegen der fehlenden Zeit zur Prüfung nicht zustimmen wollten. Damit war zwar die sonst auf den Mitgliederversammlungen der VG Wort herrschende traute Eintracht gestört - aber wegen der groben Rechtswidrigkeit der Vorlage war das nur zu berechtigt. Was die Journalistenkollegen und der Kläger für sich beanspruchten, war ihr gutes Recht und zudem ihre Pflicht als Vereinsmitglied - auch gegenüber den Tausenden von Wahrnehmungsberechtigten, die nicht Mitglieder der VG Wort sind. Beides hat Herr Hanfeld (FAZ) ihnen in geradezu hetzerischer Weise abgesprochen (siehe dazu den Artikel von Wolfgang Michal http://www.wolfgangmichal.de/2016/09/patt-und-pattachon-wie-autoren-und-verleger-wieder-ins-gespraech-kommen-koennen/ sowie allgemeiner den Artikel von Stefan Niggemeier http://uebermedien.de/8035/planlos-zerstritten-vg-wort-vorerst-handlungsunfaehig/). Es ist bezeichnend, dass sich VG Wort und Verleger in einer solchen Weise publizistisch unterstützen lassen.

Martin Vogel
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