Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
06.10.2003. Die Lettre bringt Auszüge aus sieben preisgekrönten Reportagen. In Le point erklärt Bernard-Henri Levy, warum die Amerikaner die Franzosen so hassen - weil die Deutschen so langweilig sind. In der New York Review of Books lobt J. M. Coetzee die einfühlende Einführung in das Leben gewöhnlicher Muslime durch eine jüdische Schriftstellerin: Nadine Gordimer. In Cultura y Nacion erzählt die Haushälterin Epifania Uveda von ihrem Leben mit Borges. In der Literaturnaja Gazeta diskutieren russische Schriftsteller über Underground- und Massenliteratur. Der New Yorker stellt die Golden Gate Springergemeinschaft vor. Der Economist staunt über das Wunder von Bournemouth. Im New York Times Magazine freut sich Gary Shteyngart, dass New York wieder ihm gehört.
Lettre International (Deutschland), 01.10.2003
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Ebenfalls online lesen dürfen wir auszugsweise Jiang Haos Reportage über Wilderer in der Mongolei und Nuruddin Farahs Reportage "Somalis ohne Land". Außerdem in der Lettre: Peter Sloterdijk und Hans-Jürgen Heinrichs unterhalten sich über "Atmoterrorismus". Paul Thibaud fragt "Was wird aus Europa?". Friedrich Dieckmann schreibt über die Verschwörung gegen Berija und den 17. Juni 1953, und Miguel Torga hat sein Tagebuch aus den Zeiten der portugiesischen Nelkenrevolution veröffentlicht.
Point (Frankreich), 02.10.2003
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q39/A6202/lepoint.jpg)
In der selben Nummer fragt sich Bernard-Henri Levy, warum die Amerikaner so sauer sind auf die Franzosen, und nicht zum Beispiel auf die Deutschen, die doch auch gegen den Krieg waren. Antwort: Sie finden die Deutschen einfach zu langweilig. "Die amerikanischen Intellektuellen erwarten im Grunde nichts von Deutschland, während Frankreich trotz allem eines der wenigen Länder dieser Welt ist, auf die sie noch blicken - Hassliebe Amerikas gegenüber Frankreich, und natürlich umgekehrt."
New York Review of Books (USA), 23.10.2003
Charles Rosen schreibt, wie er Klavier spielt, jubiliert Robert Winter: "Muskulös und doch poetisch, hedonistisch und doch tief vergeistigt, spontan und doch peinlich genau durchdacht." Die Begeisterung gilt Rosens Buch über die Welt des Pianisten "Piano Notes". "Niemand ist meines Wissens besser geeignet als Rosen, die Erlebniswelt eines Pianisten darzustellen. Seine Generation (von der aber kein Mitglied das Talent zu spielen und zu schreiben vereint) repräsentiert die letzte lebende Verbindung zum Goldenen Zeitalter des Klavierspielens. Als sich der 76-jährige Moriz Rosenthal, ein Schüler von Franz Liszt, 1938 in New York niederließ, nahm er den 11-jährigen Charles Rosen zum Schüler. Liszt hatte als Kind bei Carl Czerny studiert, der ein Schüler von Beethoven war - das heißt der junge Rosen fand sich selbst nur vier Grad entfernt von dem meist bewunderten Komponisten aller Zeiten."
Präsidentschaftskandidat Wesley Clark rechnet mit der Kriegsführung der republikanischen Garde von Washington ab, die Effizienz über Effektivität gesetzt und dabei die Nachkriegsplanung nicht einberechnet habe. "Die Zerstörung der feindlichen Streitmacht in einer Schlacht stellt eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen Sieg dar." Arthur Schlesinger kann gar nicht fassen, wie sang- und klanglos George Bush die außenpolitische Containment-Strategie der USA über den Haufen geworfen hat, mit der sie immerhin den Kalten Krieg gewonnen haben. Zu Nahost stellt Tony Judt lapidar fest: "Der Friedensprozess ist nicht gestorben, er wurde ermordet."
Außerdem bespricht der frisch gekürte Nobelpreisträger J.M. Coetzee (mehr hier) Nadine Gordimers neuen Roman "The Pickup". "Es ist schwer, sich eine mitfühlendere, intimere Einführung in das Leben gewöhnlicher Muslime vorzustellen, als die hier vorgelegte, und das wohlgemerkt aus der Hand einer jüdischen Schriftstellerin." Anthony Lewis empfiehlt jedem Amerikaner, David Coles Buch "Enemy Aliens" zu lesen: denn die Behandlung, die bisher nur so genannte feindliche Ausländer erfahren, dürfte auch bald jedem feindlichen Inländer blühen. Und Martin Filler meint, dass Los Angeles mit Frank Gehry's Walt Disney Concert Hall endlich seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber New York loswerden kann.
Präsidentschaftskandidat Wesley Clark rechnet mit der Kriegsführung der republikanischen Garde von Washington ab, die Effizienz über Effektivität gesetzt und dabei die Nachkriegsplanung nicht einberechnet habe. "Die Zerstörung der feindlichen Streitmacht in einer Schlacht stellt eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen Sieg dar." Arthur Schlesinger kann gar nicht fassen, wie sang- und klanglos George Bush die außenpolitische Containment-Strategie der USA über den Haufen geworfen hat, mit der sie immerhin den Kalten Krieg gewonnen haben. Zu Nahost stellt Tony Judt lapidar fest: "Der Friedensprozess ist nicht gestorben, er wurde ermordet."
Außerdem bespricht der frisch gekürte Nobelpreisträger J.M. Coetzee (mehr hier) Nadine Gordimers neuen Roman "The Pickup". "Es ist schwer, sich eine mitfühlendere, intimere Einführung in das Leben gewöhnlicher Muslime vorzustellen, als die hier vorgelegte, und das wohlgemerkt aus der Hand einer jüdischen Schriftstellerin." Anthony Lewis empfiehlt jedem Amerikaner, David Coles Buch "Enemy Aliens" zu lesen: denn die Behandlung, die bisher nur so genannte feindliche Ausländer erfahren, dürfte auch bald jedem feindlichen Inländer blühen. Und Martin Filler meint, dass Los Angeles mit Frank Gehry's Walt Disney Concert Hall endlich seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber New York loswerden kann.
Cultura y Nacion (Argentinien), 05.10.2003
Unter der Überschrift "Borges secreto, solitario y final" erzählt Epifania Uveda, genannt "Fanny", ihres Zeichens dreißig Jahre lang Haushälterin von Jorge Luis Borges, von dessen Furcht vor seiner letzten Ehefrau Maria Kodama und davon, wie Borges nach dem Tod seiner Mutter sich jeden Abend mit dieser unterhielt, als wäre sie noch am Leben. "Abends, wenn er im Bett lag, streckte er im Dunkeln die Hand aus, und ich musste zwei in ein parfümiertes Taschentuch eingewickelte Bonbons hineinlegen; dann schlief er ein." Fannys Erinnerungen werden unter dem Titel "El senor Borges" auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse angeboten.
Weitere Artikel: Jorge Aulicino liefert zum dreißisten Todestag Pablo Nerudas einen melancholischen Bericht über die drei Wohnsitze Nerudas auf der Isla Negra, in Valparaiso sowie in Santiago de Chile. Beigefügt sind ein bislang unbekanntes Gedicht Nerudas aus dem Jahr 1948 und ein Überblick über Leben und Werk sowie Links u. a. zur Fundacion Neruda. Außerdem wird der erste Congreso Iberoamericano de Periodismo Digital angekündigt, der vom 29. bis 31. Oktober im Museo de Arte Latinoamericano von Buenos Aires stattfinden wird. Anmeldung hier.
Weitere Artikel: Jorge Aulicino liefert zum dreißisten Todestag Pablo Nerudas einen melancholischen Bericht über die drei Wohnsitze Nerudas auf der Isla Negra, in Valparaiso sowie in Santiago de Chile. Beigefügt sind ein bislang unbekanntes Gedicht Nerudas aus dem Jahr 1948 und ein Überblick über Leben und Werk sowie Links u. a. zur Fundacion Neruda. Außerdem wird der erste Congreso Iberoamericano de Periodismo Digital angekündigt, der vom 29. bis 31. Oktober im Museo de Arte Latinoamericano von Buenos Aires stattfinden wird. Anmeldung hier.
Kommune (Deutschland), 01.10.2003
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Weitere Artikel: Der Philosoph Helmut Fleischer votiert in Sachen Europa für einen politischen Historismus. Abgedruckt ist ein nicht mehr ganz aktuelles Gespräch aus der französischen Zeitschrift Esprit: Darin unterhalten sich die Orientalisten Laurence Louer, Sabrina Mervin und Olivier Roy über Glauben und Politik der Schiiten im Irak. Ernst Köhler plädiert dafür, dem Kosovo die Unabhängigkeit zu gewähren, da man den Kosovaren angeblich nicht zumuten könne, weiter mit Serben zusammenzuleben: "Welcher Mensch auf der ganzen Welt wird sich mit dem Feind von eben versöhnen? Der Gedanke hat keinen Halt, keinen Boden in der Conditio humana. Er ist unmenschlich. Er ist nur ein Steckenpferd einer verirrten 'humanitären' Kultur im Westen."
Literaturnaja Gazeta (Russland), 01.10.2003
Auf einer von der Literaturnaja Gazeta veranstalteten Internet-Konferenz mit russischen Schriftstellern, Verlegern und Kritikern geht es um die Unterschiede zwischen Underground- und Massenliteratur in Russland. Die Literaturwissenschaftlerin Alla Bolschakowa ist davon überzeugt, dass "eine solche Unterscheidung überhaupt erst aufgrund der Popularität russischer Schriftsteller im Westen" entstanden ist: "Die Anerkennung von Ljudmila Ulitzkaja (mehr) in Frankreich und die positiven Reaktionen des Westens auf Prigow (mehr) Jerofejew, Pelewin (mehr) und Sorokin (mehr)" hätten "aus russischer Insiderliteratur erst russische Massenliteratur" gemacht. Erstaunlich auch eine Erkenntnis des russischen Booker-Preis-Gewinners Oleg Pawlow: "Die meistgelesenen russischen Autoren sind die, die nicht über das reale Leben in Russland schreiben."
Sergej Semljanoi kritisiert in seinem Artikel "Ruhm ohne Macht" das "nach westlichem Demokratieverständnis deformierte russische Parteiensystem". Neben den "althergebrachten Parteien vom ideologischen Typus" existieren in Russland keine pragmatisch orientierten Programmparteien, schreibt er. Grund für diese Schieflage sei "die mangelnde Wandlungsfähigkeit der seit den neunziger Jahren ausufernden Bürokratie, die die regelmäßige Neuwahl der Parteiführung und die Ausbildung einer vielfältigen Parteienlandschaft behindert". Semljanoi sieht den "statischen Bürokratieapparat" als "Aquarium, in dem nur Parteifische einer Spezies überleben können" und hält es mit Peter dem Großen, der den größten Fehler der Demokratie darin sah, "dass eine Partei ein Land nur regieren kann, so lange sie keine Macht hat."
Außerdem gratuliert die Literaturnaja Michael Krüger zum Sechzigsten und druckt in der aktuellen Ausgabe einen ins Russische übersetzten Auszug aus dessen 2000 erschienenem Roman "Die Cellospielerin" ab. Der "Feldherr der Wörter" verlegt, "was Snobs gerne lesen, nämlich Eco, Gombrowicz, Kundera und Canetti" und kann mit den "sinnentleerten Vertretern der russischen Postmoderne" so gar nichts anfangen, lesen wir.
Sergej Semljanoi kritisiert in seinem Artikel "Ruhm ohne Macht" das "nach westlichem Demokratieverständnis deformierte russische Parteiensystem". Neben den "althergebrachten Parteien vom ideologischen Typus" existieren in Russland keine pragmatisch orientierten Programmparteien, schreibt er. Grund für diese Schieflage sei "die mangelnde Wandlungsfähigkeit der seit den neunziger Jahren ausufernden Bürokratie, die die regelmäßige Neuwahl der Parteiführung und die Ausbildung einer vielfältigen Parteienlandschaft behindert". Semljanoi sieht den "statischen Bürokratieapparat" als "Aquarium, in dem nur Parteifische einer Spezies überleben können" und hält es mit Peter dem Großen, der den größten Fehler der Demokratie darin sah, "dass eine Partei ein Land nur regieren kann, so lange sie keine Macht hat."
Außerdem gratuliert die Literaturnaja Michael Krüger zum Sechzigsten und druckt in der aktuellen Ausgabe einen ins Russische übersetzten Auszug aus dessen 2000 erschienenem Roman "Die Cellospielerin" ab. Der "Feldherr der Wörter" verlegt, "was Snobs gerne lesen, nämlich Eco, Gombrowicz, Kundera und Canetti" und kann mit den "sinnentleerten Vertretern der russischen Postmoderne" so gar nichts anfangen, lesen wir.
New Yorker (USA), 13.10.2003
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Zu lesen ist die Erzählung "A Stone Woman" von A.S. Byatt und Besprechungen. In einer ausführlichen Rezension stellt Judith Thurman zwei lesenswerte Kataloge zu aktuellen Ausstellungen von Arbeiten der Fotografin Diane Arbus (mehr hier, zum Band "Revelations" hier) vor, die ihr Werk, aber auch ihr Leben und ihre Intentionen einer "neuen Überprüfung" unterzögen. Außerdem gibt es Kurzbesprechungen, darunter die von seiner Tochter verfasste Biografie des amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr (mehr hier), dessen "Serenity Prayer" zu einem "Mantra der Anonymen Alkoholiker" wurde, und der unter anderem Paul Tillich, Dietrich Bonhoeffer und Felix Frankfurter zu seinen Freunden zählte.
Nancy Franklin schaute wie immer fern und inspiziert die CBS-Serie "Joan of Arcadia", in der ein Teenager mit Gott kommuniziert, und die "manisch frühreife" Sexkomödienserie "Coupling", die den freiwerdenden Sendeplatz der auslaufenden Erfolgsserie "Friends" füllen soll und deren Inhalt sie so refereriert: "Sex... Flirten... Sex... Busen... Kondome... Busen... nackt... flirten... Sex... Höschen". Na guten Tag. David Denby sah schließlich im Kino "Mystic River" unter der Regie von Clint Eastwood, den er so "außergewöhnlich" findet, dass er ihn bis "in den Traum verfolgt"; absolut "gefühllos" ließ ihn dagegen der neue Film von Quentin Tarantino, "Kill Bill-Vol. 1".
Nur in der Printausgabe: Eine Reportage über den russischen "postimperialen Blues" in Putins Zeiten, ein Porträt von Hillary Clinton und ihrer Amtszeit im Senat, ein Comicstrip über die New Yorker Modewoche von Aline und Robert Crumb und Lyrik von Hugh Seidman, Paul Muldoon und Philip Levine.
Economist (UK), 03.10.2003
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Der Labour-Parteitag wird wohl als das Wunder von Bournemouth in die Geschichte eingehen, meint ein verduzter Economist. Zwar hat Tony Blair seinen Auftritt, der einer der schwierigsten seiner Karriere war, blendend gemeistert, "doch das Außergewöhnlichste daran war das Publikum. Es kam zu einer zweiminütigen standing ovation, bevor Tony Blair überhaupt zum Rednerpult gelangt war ... Sogar als der Premierminister außerordentlich heikle Punkte ansprach und die Gründe darlegte, weshalb er in den Krieg gezogen war ... verebbte der Applaus nicht. Am Ende kam es zu einer weiteren standing ovation, dieses Mal sieben Minuten lang, und zu "Wir-wollen-Tony"-Sprechchören, nachdem er den Saal verlassen hatte." In mehr als dreißig Jahren Berichterstattung über Labour-Parteitage, hat der Economist so etwas noch nie gesehen.
"Opfer eines Opfers zu sein bereitet sehr ungewöhnliche Schwierigkeiten": In einem wirklich lesenswerten Nachruf ehrt der Economist den kürzlich verstorbenen palästinensischen Intellektuellen Edward Said (mehr) für sein unermüdliches Engagement und seinen messerscharfen Verstand.
Weitere Artikel: Alle Kreter sind Lügner, und jedes Paradoxon ist lösbar. So lautet das neue Diktum amerikanischer Wissenschaftler, die herausgefunden haben, dass man jedem scheinbar unlösbaren Sachverhalt mit "unscharfe Logik" beikommen kann. Unter dieser Logik, erklärt der Economist, ist folgendes zu verstehen: Anstatt der langweiligen Alternative zwischen "richtig" oder "falsch", die aus der klassischen Logik bekannt ist, können Dinge "so-etwas-wie-wahr sein, oder nur teilweise falsch." Zeit also, den Kretern zu glauben? Untergangsstimmung beim Erbfeind: Der Economist bestätigt den französischen Neuerscheinungen einen Hang zum "Deklinismus". Und der Economist wundert sich, warum die EU trotz der jüngsten Schwierigkeiten daran festhält, den Stabilitätspakt in seiner jetzigen Form in die Europäische Verfassung aufzunehmen.
Außerdem lesen wir, dass Kalifornien einer neuen Droge erliegt - der direkten Demokratie - , warum viele Iraker den Wiederaufbau ihres Landes lieber Saddam Hussein anvertrauen würden, dass Pakistans halber Schmusekurs mit Amerika für leichte Missstimmung sorgt, und dass britische Türsteher nun in den Genuss eines Konflikt-Management-Trainings kommen. Leider nur in der Printausgabe zu lesen: Frankreichs wachsende Euroskepsis.
Monde des livres (Frankreich), 03.10.2003
In Le Monde des livres unterhalten sich der Politologe Alain Duhamel und der Soziologe Marcel Gauchet, die beide Bücher über den Niedergang Frankreichs herausgebracht haben (mehr hier und hier), über die Gründe der Krise. Duhamels Diagnose: "Die Symptome sind klar: Frankreich ist das europäische Land mit der größten Wahlenthaltung und mit der geringsten Mitgliedschaft in Parteien, Gewerkschaften oder Bürgerbewegungen. Es war das Land der politischen Leidenschaften, und heute ist das Niveau der politischen Debatte jämmerlich. Warum? Die Krise des Poltischen ist ein Reflex der gesellschaftlichen Krise, nicht umgekehrt. Das Problem liegt nicht in institutionelle Phänomenen, sondern in den Deregulierungen, der Marginalisierung, der Arbeitslosigkeit, den Misserfolgen in der Schule. Es ist eine Art Kettenreaktion : zunächst die ungewöhnlich lange Wirtschaftskrise, dann ihre sozialen Folgen, dann die Krise der Autorität." Ach, würden unsere angeblich so politischen Feuilletons doch auch mal solch intelligente Gespräche organisieren!
Outlook India (Indien), 13.10.2003
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Zum Konflikt zwischen Indien und Pakistan und den rhetorischen Scharmützeln der Regierungschefs Vajpayee und Musharraf: Prem Shankar Jha widerspricht der indischen Presse und sieht Pakistan derzeit nach Punkten vorn im Ansehen der Weltöffentlichkeit. Pakistan hatte unterstellt, die ablehnende Haltung Indiens - Wir lassen uns nicht durch Terrorismus zu Gesprächen erpressen! - sei ein Ausdruck parteipolitischer Interessen der regierenden BJP, die ihren jüngsten Wahlsieg im Bundesstaat Gujarat dem "staatlich gesteuerten Massaker an 2.000 Muslimen" zu verdanken habe. Jha meint: Bei aller Empörung über die Anschuldigung - da ist was dran.
Außerdem: Führende wissenschaftliche Institute haben eine genetische Bestandsaufnahme der indischen Bevökerungen durchgeführt, die zugleich eine der umfassendsten Studien zu genetischer Diversität überhaupt darstellt - Outlook präsentiert die Ergebnisse, die einmal mehr biologistische Erklärungen für kulturelle Differenzen widerlegt. Es gibt sogar Beispiele für den umgekehrten Fall. Pankaj Mishra bespricht Judith Browns politische Biografie des großen Visionärs Jawaharlal Nehru und ist enttäuscht, dass die Autorin, bei aller kritischen Einsicht, seinen säkulären Nationalismus nicht in ein analytisches Verhältnis zum gegenwärtigen Indien des politischen Hinduismus setzt.
Times Literary Supplement (UK), 03.10.2003
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Alexander Masters, dessen Mutter, wie er erzählt, an einer Hexan-Vergiftung gestorben ist, die eine benachbarte Schuh-Fabrik ausgestoßen hat, hat Barbara Freeses "Geschichte der Kohle" irgendwie schon mit Gewinn gelesen: "Aber dankbar bin ich nicht. Sie hat meine Wut nur verschlimmert. Jetzt möchte ich jeden zusammenschlagen, von den früheren Nachbarn meiner Mutter bis zu George Bushs Energie-Team."
Weitere Artikel: David Schiff feiert Alfred Appels Band "Jazz Modernism", der einige der schönsten Anekdoten und originellsten Kritiken über Jazz enthält. Bee Wilson erinnert sich dank Alan Davidson "The Wilder Shores of Gastronomy" an die Anfänge der Nouvelle Cuisine und die roten Pfefferkörner, die nicht nur so schön dekorativ sind, sondern auch nicht dick machen und deshalb seit zwanzig Jahren auf jedem Teller landen. Und Lawrence Norfolk schließlich würdigt Robert Graves, diesen talentierten Verächter von Priester und Kritikern, und dessen große Erzählung "The Golden Fleece".
Folio (Schweiz), 06.10.2003
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Weitere Artikel zum Thema: "Mausarme", Sehnenscheidenentzündung wegen Denkerpose vorm Computer, abnehmende Qualität der Spermien - oft ist das schlechte Arbeitsklima und nicht die Bürostühle an den vielfältigen Büroleiden schuld, meint Viviane Manz. Marc Schürmann klärt auf, wie viele Meter Angestellte in Büros auseinander sitzen sollten, um die optimale Kommunikation zu erzielen: bis zu 10 Metern. Und das ideale Bürogebäude hat ein "Atrium in seiner Mitte".
Spiegel (Deutschland), 06.10.2003
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Nur im Print gibt es ein Spezial zur Frankfurter Buchmesse. Darin klagt Volker Hage, dass die Autoren von indiskreten Liebesromanen (Maxim Biller etc.) immer schlechter werden. Ferner: ein Interview mit Juliette Binoche über die Liebeskomödie "Jet Lag", ein Interview mit der russischen Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja (mehr) "über weibliche Lügen und staatliche Zensur", ein weiteres Interview mit Karl Corino über seine Musil-Monografie, ein Artikel darüber, wie Elke Heidenreich "Bücher zu Bestsellern macht". Im Ortstermin ist der Spiegel "auf der Suche nach dem Zettelkasten des Meisterdenkers Niklas Luhmann". Und im Sportteil verbirgt sich ein Artikel zu Sönke Wortmanns Film "Das Wunder von Bern".
Im Titel über die Gouverneurs-Wahlen in Kalifornien schreibt Alexander Osang über Arnold Schwarzenegger - der arbeite "sein Leben ab wie einen Fitnessplan."
New York Times (USA), 05.10.2003
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Ein weiteres Buch eines Reporters kommt schon besser weg. In "They Marched Into Sunlight" (erstes Kapitel) stellt David Maraniss eine kleine, aber grausame Schlacht in Vietnam einer zur gleichen Zeit stattfindenden Anti-Kriegs-Demonstration in Wisconsin gegenüber. Manchmal übertreibt Maraniss ein wenig mit seiner allumfassenden Perspektive, schreibt Philip Caputo, grundsätzlich erfülle diese Technik aber ihren Zweck: "Die Fragen, die vor vierzig Jahren so heftig und gewaltsam diskutiert wurden, hallen heute wieder, lauter denn je: Fragen zu Amerikas Rolle in der Welt, imperialer Überdehnung und den furchtbaren Altlasten des Krieges."
Weitere Artikel: Ganz angetan ist Sven Birkerts davon, wie Susan Choi in ihrem Roman "American Woman" (erstes Kapitel) das folgenreiche Zusammentreffen einer radikalen Aktivistin mit der flüchtigen Patty Hearst (Kurzbio) beschreibt: Choi konzentriere sich fruchtbarerweise darauf, wie verschiedene Charaktere sich unter hohem Druck verhalten. Polly Shulman ist dagegen ein wenig genervt von "Quicksilver" (erstes Kapitel), dem ersten Teil einer geplanten Trilogie des Cyperpunk-Vorreiters Neal Stephenson (Bücher). Shulmans Fazit: "Entweder ist es das erste Drittel eines sorgsam konstruierten Meta-Romans, oder einfach ein chaotischer Brocken eines noch größeren Chaos." (Fragen sollte man dem Mann, der sich als "Umberto Eco without the charm" beschreibt, allerdings besser nicht stellen; warum, erklärt er hier.)
Das New York Times Magazine ist diesmal ganz New York gewidmet. Der Schriftsteller Gary Shteyngart (mehr hier) erinnert sich, wie er 1980 erstmals in die Stadt kam, und beschreibt ihre Veränderungen während der neunziger Jahre, als Giuliani und die "dot-commers" den "800 Pfund schweren Gorilla unter den Städten" in einen "knuddligen Schimpansen" zu verwandeln drohten. Heute geht es New York wieder schlechter. Aber das, meint Shteyngart, hat seine Vorteile: "Urbanismus ist nicht immer hübsch. Aber die zerbrochenen Portikos und rissigen Straßenpflaster, die Müllberge und gutgenährten Ratten, die ständige Erinnerung ... an die Stadt, die uns erschreckt und gemacht hat - das ist der Stoff, aus dem die wahren New-York-Geschichten sind. Sind warten dort draußen, in Überfülle. Nehmen Sie einen Zug, spazieren Sie zum Lebensmittelhändler, sehen Sie sich um. Sie finden eine fertige Geschichte - eine wirkliche, mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Die Stadt gehört wieder Ihnen."