Magazinrundschau
Das harte Teil einer Sonnenuhr
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
23.11.2010. Wie schreibt man gut über Sex? fragt der Independent. Al Ahram erkennt sich in Michael Hanekes Film "Das weiße Band". Die New York Review of Books fragt: Würde Ihre Großmutter im Netz Wegwerfwindeln kaufen? In Clarin erklärt Horacio Bilbao, wie die Lieder von Mercedes Sosa rückwirkend wieder privatisiert wurden. Newsweek lauscht mit der Sängerin Zhu Zheqin chinesischen Liebesliedern. Polityka teilt Polen auf. Rue 89 staunt nicht einmal: In Marseille geht es zu wie in The Wire.
Independent | Project Syndicate | Express | Newsweek | Polityka | Telerama | Scientific American | Al Ahram Weekly | The Nation | Rue89 | New York Review of Books | Clarin | Salon.com | Slate.fr
Independent (UK), 19.11.2010
Wie schreibt man gut über Sex? Arifa Akbar hat dazu einige Verleger und Autoren befragt, darunter Geoff Dyer, der Folgendes zu Protokoll gibt: "'Ich glaube, wer darüber schreibt, muss es absolut eindeutig tun - keine Metaphern, keine Übertreibungen. Nachdem ich Jeff in Venice, Death in Varanasi geschrieben hatte, sagte ich zu meinem Lektor: Ich gehe jede Wette ein, dass ich nicht auf der Liste der Bad Sex Awards stehen werde. Beschreibungen 'pochender Planeten' handeln einem diese Preise ein, nicht ein Satz wie Er steckte seine Zunge in ihren Arsch.' [Jonathan] Beckmann, [Redakteur der Literary Review] stimmt Dyer zu, dass der am wenigsten ostentative Sex der wirkungsvollste ist: 'Die besten Sexszenen sind die eher klinischen, präzisen. Colm Toibins Kurzgeschichten sind ziemlich gut, es gibt eine gute Sexszene in Bret Easton Ellis' Imperial Bedrooms; Dyer hat in 'Jeff in Venice, Death in Varanasi' absolut vernünftige Szenen beschrieben. Er erzählt einfach, was passiert. Nicht gut ist dagegen eine blumige Sprache, die Sex mit transzendentaler Bedeutung tränkt.'" Philip Kerr, der 1995 den Bad Sex Award erhielt, weil er einen Ständer mit einem Gnomon verglich - "das ist das harte Teil einer Sonnenuhr" - ist ganz anderer Ansicht.
(Und hier zur Weiterbildung Colm Toibins Thesen über guten Sex in Büchern, und hier kann man die Thesen an einem unvollendeten erotischen Roman Edith Whartons überprüfen.)
(Und hier zur Weiterbildung Colm Toibins Thesen über guten Sex in Büchern, und hier kann man die Thesen an einem unvollendeten erotischen Roman Edith Whartons überprüfen.)
Al Ahram Weekly (Ägypten), 17.11.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q73/A29276/ahram.jpg)
Außerdem: Yassin Gaber resümiert einen Vortrag Judith Butlers zum 75. Geburtstag Edward Saids an der Amerikanischen Universität in Kairo. "Wie Butler so eloquent ausführte, kann 'Israel in seiner aktuellen Form nicht ohne Mechaniken der Enteignung leben, nicht ohne sich selbst als Israel zu zerstören. In diesem Sinne ist die Bedrohung Israels eine Konsequenz seiner fundamentalen Abhängigkeit von einer Logik der Enteignung.'"
The Nation (USA), 06.12.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q25/A29275/nation.jpg)
Rue89 (Frankreich), 21.11.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q175/A29281/rue89_logo.jpg)
New York Review of Books (USA), 09.12.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q20/A29269/nyrb.jpg)
Weitere Artikel: In Janet Malcolms Reportage zur von den US-Comedians Stephen Colbert und Jon Stewart veranstalteten "Rally to Restore Sanity" ist von Sympathie für die Veranstaltung wenig zu spüren. Hugh Eakin sieht sich vor seinem Marathonlauf Benjamin Heisenbergs Film "Der Räuber" an und ist gebührend beeindruckt. Alan Hollinghurst bespricht Michael Cunninghams neuen Roman "By Nightfall".
Clarin (Argentinien), 19.11.2010
"Der Zugang zum Wissen wird gleichzeitig immer freier und immer stärker bewacht." Horacio Bilbao stellt das kürzlich erschienene Buch Argentina copyleft (s. a. hier) vor: "'Gesetze aus dem 19. Jahrhundert regulieren die Kultur des 21.', erklärt Herausgeberin Beatriz Busaniche. 'Die heute geltenden Copyright-Bestimmungen sind für einen völlig anderen sozialen und technischen Kontext gedacht.' Die neue Art der Rechteverwertung in Gestalt von 'Lesegenehmigungen via E-Books' wiederum, warnt Busaniche, 'droht unsere bisherige Lektürepraxis volkommen zu verändern. Indem wir das auf Papier gedruckte Buch durch einen Kindle oder iPad ersetzen, verlieren wir unter anderem die Möglichkeit, Bücher weiterzuverkaufen, auszuleihen, noch einmal zu lesen usw.' Argentinien nimmt derweil in einem 2010 von der Organisation Consumers International erstellten Ranking Platz sechs auf der Liste der Länder mit den restriktivsten Urheberrechtsbestimmungen ein. Eine kürzlich ohne nennenswerte öffentliche Debatte beschlossene Gesetzesänderung verhinderte so etwa, dass eine 1961 entstandene Aufnahme mit Musik der jüngst verstorbenen Sängerin und Nationalheldin Mercedes Sosa öffentliches Gemeingut wurde, indem das Urheberrecht kurzerhand um 20 Jahre verlängert wurde - auch rückwirkend, so dass andere Werke der Sängerin, deren Rechte bereits frei geworden waren, wieder in Privatbesitz zurückfielen."
Salon.com (USA), 21.11.2010
Angesichts von Forderungen der Tea Party und von Republikanern, an den beiden "unabänderlichen Resultaten" des amerikanischen Bürgerkriegs zu kratzen - Illegalität der Sezession und Abschaffung der Sklaverei - macht der Historiker Glenn W. LaFantasie seinem schönen Namen alle Ehre mit einem Gedankenexperiment: Was wäre gewesen, wenn General Lee nach dem Gefecht von Appomattox NICHT kapituliert hätte? Sein sehr lesenswertes Szenario, das einige Lektionen aus den Kriegen in Vietnam, Irak und Afghanistan verarbeitet, hat eine Pointe: "Aber halt mal, schreien Sie, das ist nicht fair! Sie haben die Nation ja nach 1952 den gleichen Weg gehen lassen wie in der Wirklichkeit! Sie haben jedes Recht sich aufzuregen und mir vorzuwerfen, ich hätte das Spiel manipuliert. Denn das habe ich. Tatsache ist: Man kann die Geschichte nicht ändern, gleichgültig wie oft Hobbyhistoriker kontrafaktische Salonspielchen spielen oder Politiker versuchen zu diktieren, was in Geschichtsbüchern stehen sollte".
Slate.fr (Frankreich), 16.11.2010
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Project Syndicate (USA), 16.11.2010
Vor achtzig Jahren, im Herbst 1930 startete Stalin seine Kollektivierungspolitik, schreibt Timothy Snyder für Project Syndicate, und er setzte damit ein Signal, das Hitler und Mao später sehr wohl verstanden. Der Preis waren Millionen Tote. In der Ukraine regiert jetzt der russlandfreundliche Präsident Viktor Janukowitsch, der den Begriff des Genozids für den "Holodomor" nicht verwenden will. Aber Snyder findet den Begriff zutreffend: "Rafal Lemkin, der jüdisch-polnische Jurist, der den Begriff des 'Genozids' geprägt hat... zitiert die ukrainische Hungersnot als einen klassischen Fall eines sowjetischen Völkermords. Lemkin wusste, dass Terror auf die Hungersnot folgte: Bauern, die den Hunger und den Gulag überlebten waren seine nächsten Opfer. Der große Terror von 1937-38 begann mit Massenerschießungen, die hauptsächlich gegen Bauern gerichtet waren und in der gesamten Sowjetunion 386.798 Leben kosteten, eine große Zahl davon in der Ukraine."
Express (Frankreich), 19.11.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q16/A29271/express.jpg)
Newsweek (USA), 21.11.2010
Duncan Hewitt hörte in Schanghais supermodernem Grand Theatre - nicht eine Symphonie von Beethoven, das dort übliche Programm - sondern einen Mann, der auf einem Blatt blies. Das Konzert war von der in Kanton geborenen Sängerin Zhu Zheqin organisiert worden. "2009, nachdem sie zur Botschafterin des Entwicklungsprogramms der UNO ernannt worden war, reiste Zhu durch einige der abgelegensten Regionen Chinas - begleitet von einer Filmcrew, Fotografen und Autoren - um die traditionelle Musik verschiedener Minderheiten zu dokumentieren. Im Verlauf ihrer viermonatigen Odyssee nahmen sie über tausend Lieder auf. In Miao beobachtete Zhu junge Leute, die in den Bergen Liebeslieder sangen - ein traditionelles Ritual der Werbung in einer ethnischen Gruppe, die keine Schrift kennt. Sie hörte hunderte Menschen der Dong-Minderheit komplizierte vielstimmige Musik ohne Dirigenten singen. Und in Tibet entdeckte sie eine historische Form der religiösen Musik, die nur in einem einzigen Dorf gespielt wurde. Aber Zhu stellte fest, dass viele der besten Musiker alt waren und ihre Musik auszusterben drohte. 'Ich war schockiert von der Schönheit der Musik - sie war so gut', sagt sie. 'Aber sie braucht Unterstützung. Ich hoffe, dass auch andere Menschen diese Schönheit in der heutigen Zeit sehen." Hier ein Video der Uno zu dem Projekt:
Polityka (Polen), 19.11.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q95/A29279/polityka.jpg)
Telerama (Frankreich), 15.11.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q148/A29273/telerama.jpg)
Scientific American (USA), 22.11.2010
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q254/A29285/scientific.jpg)
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