Magazinrundschau

Wir sind gespalten

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
09.01.2024. Harper's lernt in einem Brief aus Russland den Platzhirsch des agrarischen Stalingrad kennen. In Moskau versuchen die Russen derweil, den Krieg zu ignorieren, berichtet die tschechische Schriftstellerin Alena Machoninová. Aber die Lust auf Macht ist spürbar, meint Desk Russie. Im New Yorker hofft der palästinensische Dichter Mosab Abu Toha auf einen eigenen Staat. New Lines probiert Quat im Jemen. Africa is a country lernt, dass es auch im Iran Rassismus gibt. Himal trauert um den zärtlichen, romantischen Schauspieler Shah Rukh Khan, der ein Comeback als martialischer Macho hat.

Harper's Magazine (USA), 01.01.2024

Marzio G. Mian macht sich auf eine Reise entlang der Wolga und versucht den "fremden Planeten", zu dem Russland für den Rest Europas mittlerweile geworden ist, etwas besser zu verstehen. Er trifft einen alten Bekannten, einen Intellektuellen, sonst "sanftmütig und verkopft", dessen Augen nun in wildem Kriegseifer funkeln. Er begegnet esoterischen Hippies, die mit Ekstase und Reggae den Krieg verdrängen, und Teenager, für die T-Shirts mit Stalin-Aufdruck der letzte Schrei sind. Vor allem bereist er ein Russland, dem man in weiten Teilen überhaupt nichts vom Krieg anmerkt. Seit den westlichen Sanktionen floriert vor allem die russische Landwirtschaft, stellt Mian fest, als er einen ihrer mächtigsten Vertreter trifft, für den der Krieg in der Ukraine überaus rentabel ist: "Ivan Kazankov ist einundachtzig Jahre alt und hat einen grauen, wölfischen Blick. Er ist groß und kräftig, eine breite rote Krawatte ruht auf seinem Bauch. Er zeigte sich an meinem unerwarteten Besuch ohne allzu große Vorbehalte interessiert: Man merkt, dass er ein echter Chef ist, einer, der niemandem Rechenschaft ablegt - ein Platzhirsch in diesem agrarischen Stalingrad, diesem ländlichen Reich an der Wolga, das paradoxerweise vom größten Bauernvernichter der Geschichte inspiriert wurde. Sein Büro schien mit dem ausdrücklichen Ziel eingerichtet worden zu sein, jeden zu verwirren, der hofft, Russland im Jahr 2023 zu verstehen: Büsten von Stalin stehen neben russisch-orthodoxen Ikonen, ein Porträt von Nikolaus II. thront über einer Sojus-Statuette, ein Bild von Wladimir Putin hängt neben einem Bild des Heiligen Andreas, Schutzpatron Russlands. Zu dem Chaos dieses Pantheons gesellte sich ein allgemeines Gefühl der Undurchsichtigkeit in Bezug auf die Natur des Kombinats selbst, das mir zunächst als 'staatlicher landwirtschaftlicher Betrieb, genau wie zu Zeiten der UdSSR' vorgestellt wurde, sich dann aber als privater Familienbetrieb entpuppte. Iwan hatte seine Tochter zur Direktorin gemacht, nachdem sein Sohn in die Duma gegangen war. 'Wichtig ist, dass der Betrieb weiterläuft wie bisher', erklärte er. 'Die Gewinne werden verwendet, um die Gehälter der viertausend Mitarbeiter zu erhöhen und das Unternehmen zu vergrößern.' In Kasan erzählte man mir später, dass Kasankow inmitten des Raubes und der Korruption der neunziger Jahre, als hartgesottene Gauner die sowjetische Industrie- und Militärausrüstung stahlen, seinen eigenen bescheidenen Anteil genommen hatte. Er hatte einen heruntergekommenen Bauernhof erworben und ihn geschickt in einen Industriekoloss verwandelt, der das sozialistische Kombinatssystem an den wilden postsowjetischen Markt anpasste. Der Wurst-Oligarch Kasankov weiß, wie sehr die russischen Verbraucher noch immer unter dem Verlust des Staatskollektivs leiden…Die Kämpfe in der Ukraine, so schien es, würden Kazankov einen Berg von Rubeln einbringen. 'Die Käseproduktion ist um achtzig Prozent gestiegen', sagte er. 'Wir ersetzen französische und italienische Käsesorten. Wir kaufen immer noch Kühe.' Er sagte mir, dass die Fleischproduktion im Allgemeinen floriert. Was war seine Meinung zum Krieg? 'Offensichtlich werden wir gewinnen', sagte er, 'weil wir wissen, wie man kämpft und weil wir nicht verlieren können. Wenn es sein muss, werden wir Atomwaffen einsetzen, wir werden die Erde zerstören, wir werden alles zerstören."

H7O (Tschechien), 08.01.2024

Die tschechische Schriftstellerin und Russistin Alena Machoninová, die überwiegend in Moskau lebt, berichtet im Gespräch mit Jan Němec von der Atmosphäre in der russischen Hauptstadt in den vergangenen zwölf Monaten: "Moskau ist ein riesiger komplexer Organismus, den nichts so schnell erschüttern kann. In den ersten Wochen des Kriegs schien die Stadt immer leerer zu werden. Unsere Bekannten sind einer nach dem anderen geflohen. Es schien, als wäre keiner mehr da geblieben. Aber das war eine Täuschung, nur die privilegierte Mittelschicht war geflohen. Und die Stadt lebte weiter ihr Leben - engagiert und gleichgültig. Offensichtlich beschloss die Stadtverwaltung, die Bewohner nicht zu sehr durch den Krieg aufzustören. Deshalb gab es in Moskau, anders als zum Beispiel in der umgebenden Region, zu Beginn fast keine Kriegssymbolik. Das gigantische Z in den Farben des St.-Georgs-Bands an einzelnen Gebäuden war eine private Initiative. Während des ersten Kriegsjahrs hat sich die Stadt krampfhaft um eine sorglose Atmosphäre bemüht - auf den Boulevards fanden alle möglichen Aufklärungs- und Unterhaltungsveranstaltungen statt, und an Sonderständen wurden Erdbeeren verkauft. Aber in den privaten Gesprächen blieb der Krieg präsent. Im Herbst hat dann die Mobilisierung in der Stadt wie auch im ganzen Land Panik geschürt. Da hat sich Moskau zum zweiten Mal 'entvölkert'. Es hat sich immer stärker von der Außenwelt abgeschnitten. Und das Moskauer Kulturleben ist völlig zusammengebrochen, denn es hat sich gezeigt, wie sehr es auf Offenheit, internationalem Dialog und Zusammenarbeit beruhte. Das alles wird noch sehr lange nicht möglich sein."
Archiv: H7O

New Yorker (USA), 08.01.2024

Der palästinensische Dichter Mosab Abu Toha schreibt für den New Yorker über die Flucht seiner Familie aus dem Gazastreifen nach den Ereignissen des 07. Oktober. Auf seiner Flucht wird er aufgrund einer Verwechslung von Soldaten der IDF inhaftiert, die ihn für einen Hamas-Kämpfer halten: "Ein Mann spricht mich auf Englisch an. 'Du bist ein Kämpfer der Hamas, richtig?' 'Ich? Ich schwöre, nein. Ich habe 2010 aufgehört, in die Moschee zu gehen, als ich an die Universität gegangen bin. Ich habe die letzten vier Jahre in den USA verbracht und einen Master of Fine Arts in Kreativem Schreiben an der Syracuse University gemacht.' Er scheint überrascht. 'Einige Hamas-Mitglieder, die wir gefangengenommen haben, haben bestätigt, dass du zur Hamas gehörst.' 'Sie lügen.' Ich frage nach Beweisen. Er schlägt mir ins Gesicht. 'Du musst beweisen, dass du nicht von der Hamas bist!' Alles um mich herum ist düster und beängstigend. Ich frage mich, wie man den Beweis dafür erbringen soll, dass man etwas nicht ist?" Da sein Sohn amerikanischer Staatsbürger ist, kann die Familie nach der Freilassung Tohas nach Ägypten ausreisen. Eigentlich aber möchte er zurückkehren: "Ich hoffe, dass ich zurück nach Gaza gehen kann, wenn der Krieg vorbei ist, das Zuhause meine Familie wieder aufbauen, es mit Büchern füllen. Dass uns eines Tages alle Israelis als gleichwertig ansehen - als Menschen, die auf ihrem eigenen Land leben können, in Sicherheit und Wohlstand, und sich eine Zukunft schaffen können. Dass mein Traum, Gaza von einem Flugzeug aus sehen zu können, Realität wird, und dass mein Zuhause viele weitere Träume ermöglicht. Es stimmt, dass es viele Dinge gibt, die man an den Palästinensern kritisieren kann. Wir sind gespalten. Wir leiden unter Korruption. Viele unserer Anführer vertreten nicht unsere Interessen. Manche Menschen sind gewalttätig. Aber im Endeffekt haben wir mindestens eines mit den Israelis gemein. Wir brauchen ein eigenes Land - oder wir leben zusammen in einem, in dem Palästinenser die gleichen Rechte haben. Wir sollten unseren eigenen Flughafen und Hafen, unsere eigene Wirtschaft haben können - wie jedes andere Land auch."
Archiv: New Yorker

Desk Russie (Frankreich), 07.01.2024

Françoise Thom, Herausgeberin von Deskrussie, fürchtet, dass der Westen gerade eine "seltsame Niederlage" erleidet - und spielt damit auf Marc Blochs berühmtes Buch "L'étrange défaite" an, das er nach der Kapitulation Frankreichs vor Deutschland schrieb, in einem Moment also, in dem das Schlimmste noch bevorstand. Putin, schreibt sie, zieht seine Stärke aus der Schwäche des Westens. Und im übrigen stellt er sich in die Tradition Stalins und des russischen Kolonialismus mit seiner beständigen Expansion: "Bald herrscht Putin solange wie Stalin. Beide tragen Verantwortung für etwas, das in anderen Ländern als absolute Katastrophen angesehen worden wäre: Blutvergießen, wirtschaftlichen Rückschritt, massive Versklavung der Bevölkerung. Doch beide Diktatoren blieben an der Macht, weil sie an die tiefsten Sehnsüchte des russischen Volkes anknüpfen konnten: die Lust auf Macht, die in einem Menschen schlummert, welcher wie ein Sklave behandelt wird; den Willen, Nachbarn, die besser leben als er, zu erniedrigen und zurückzusetzen. Beide kamen nach einer Schrumpfung des russischen Staates an die Macht und erkannten, dass die Formel für dauerhaften Despotismus darin bestand, die Wiederherstellung und Expansion des Imperiums zu versprechen."
Archiv: Desk Russie
Stichwörter: Russland, Kolonialismus

Elet es Irodalom (Ungarn), 05.01.2024

Die Nachdichtungen Franz Fühmanns von ungarischer Poesie ins Deutsche gelten in vielen Fällen als die am besten geglückten Lyrikübersetzungen. Doch liegen sie inzwischen teilweise mehr als 50 Jahre zurück und damit stellt sich die Frage nach Neuübersetzungen und veränderten Zusammenstellungen. So beschäftigt sich der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Gábor Schrein mit der neuen deutschen Übersetzung der ungarischen Dichterin Ágnes Nemes Nagy zu ihrem 100. Geburtstag ("Mein Hirn ein See") durch Orsolya Kalász und Christian Filips: "Die Grundfrage für Orsolya Kalász und Christian Filips muss gewesen sein, was es braucht, um die Poesie von Ágnes Nagy Nemes aus dem respektablen Schweigen, das am Rande der Anerkennung liegt, herauszuholen. Ihre Antwort ist eindeutig und klar. Sie sahen die Übersetzungsmöglichkeiten als eine Quelle der Freiheit. Sie fühlten sich der Rezeption von Nagy Nemes in Ungarn in keiner Weise verpflichtet und wollten daher nicht auf Deutsch darstellen, wie Nagy Nemes heute von der ungarischen literarischen Öffentlichkeit verstanden wird, was keineswegs eine naheliegende Entscheidung ist (…). Orsolya Kalász und Christian Filips haben also nicht nur versucht, die einzelnen Gedichte im Kontext der zeitgenössischen poetischen Situation neu zu interpretieren, sondern auch die Lyrik von Nemes Nagy als kulturelles Phänomen neu zu interpretieren. Das bedeutet auch, dass ihre Perspektive nicht die von Franz Fühmann angesprochene, in ihrer konkreten Ausprägung schwer fassbare Universalität der Weltpoesie einschließt und dass in ihrer Übersetzungspraxis die Balance zwischen Original- und Rezeptionssprache zugunsten der letzteren verschoben wird. Sie verstanden die Praxis der Nachdichtung radikaler als Fühmann, und in dieser Hinsicht erweisen sie sich als seine Nachfolger."

New Lines Magazine (USA), 05.01.2024

Tiara Sahar Ataii schildert die fatale Wirkung der Droge Qat auf den Jemen. Sicher, es gibt härtere Substanzen, und doch trägt Qat, das quasi von der ganzen Bevölkerung gekaut wird, zur Katastrophe des kriegstraumatisierten Landes bei: "Die Verwendung von Qat einzuschränken ist allerdings kein leichtes Unterfangen, wenn große Teile des Landes umkämpft sind, Steuern nur schwer durchzusetzen sind, die Gehälter der Beamten nicht gezahlt werden, die Mittel für den Umweltschutz knapp sind. Die Auswirkungen auf den Jemen sind verheerend: 90 Prozent der erwachsenen Männer, 50 Prozent der jungen Frauen und 15-20 Prozent der Kinder kauen täglich drei bis vier Stunden Qat. In den letzten fünfzig Jahren ist die Durchschnittstemperatur im Jemen um 1 Grad Celsius gestiegen. Jährlich gehen zwischen 3 und 5 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch Wüstenbildung verloren. Eine verheerende Dürre im Jahr 2022 stürzte mehr als die Hälfte der jemenitischen Bevölkerung in eine krisenhafte Ernährungsunsicherheit. Felix Arabia, wie die Römer den Jemen, die Kornkammer der arabischen Halbinsel, nannten, steht ständig am Rande einer Hungersnot." Und die landwirtschaftlichen Flächen gehen für Qat drauf, das übrigens auch in Dürren gut gedeiht.
Stichwörter: Qat, Jemen

Qantara (Deutschland), 27.12.2023

Auch in Nordafrika wandeln sich langsam aber sicher die Geschlechterrollen, versichert die algerische Soziologin Fatma Oussedik im Interview mit Claudia Mende. "Die Urbanisierung hat die Größe der Familien und den Status der einzelnen Familienmitglieder wesentlich verändert. Im Algerien von heute gehen alle Mädchen zur Schule und sie sind sich ihrer Studienabschlüsse bewusst. Selbst wenn der Anteil der berufstätigen Frauen noch sehr niedrig ist, die Quote liegt bei ca. 20 Prozent: In meinen Interviews bezeichnen sie sich nicht mehr als Hausfrauen, sondern als Arbeitslose. Sie wissen um ihre Qualifikation, auch wenn es für sie aufgrund der wirtschaftlichen Situation schwierig ist, eine Stelle zu finden. ... Heute ist die Zahl der Kinder, die eine algerische Frau durchschnittlich zur Welt bringt, gesunken, das Heiratsalter gestiegen. Frauen in Algerien heiraten heute im Alter von 30 Jahren, Männer mit 35. Was auch neu ist: Es gibt etwa seit dem Jahr 2000 in Algerien Frauen, die gar nicht heiraten. Das sind etwa 6 Prozent aller Frauen. Sie leben allein, treffen ihre Entscheidungen allein, beteiligen sich an sozialen Bewegungen, reisen, allein oder in Gruppen. Daran sieht man, wie sehr sich die Rollenvorstellungen wandeln."
Archiv: Qantara

HVG (Ungarn), 04.01.2024

Das Budapester Örkény-Theater gilt als eines der letzten von der Regierung unabhängigen Theaterhäuser in Ungarn. Und so war die Frage besonders interessant, wer Direktor Direktor Pál Mácsai nach dem Auslaufen seines Vertrags nachfolgen würde. Der Budapester Stadtrat nahm die Bewerbung des Kulturmanagers Máté Gáspár an, der aus der unabhängigen Theater-Szene kommt und u.a. mit Árpád Schilling und Viktor Bodó zusammenarbeitete. Im Interview mit Péter Hamvay spricht Gáspár über seine Pläne: "Ich bemühe mich darum, dass weder ich noch das Ensemble Angst haben, mit dieser Arbeit zu beginnen. Ich denke über einfache Dinge nach, z. B. darüber, ob wir Situationen und Bedeutungen in unserer Umgebung akzeptieren, die uns ein schlechtes Gefühl vermitteln, oder ob wir versuchen, sie zu ändern. So sehr wir auch die Grenzen des Theaters verschieben möchten, ist das Örkény-Theater mitten im Stadtzentrum immer noch in einer elitären Position. Das muss man mit Stolz akzeptieren und verantwortungsbewusst ausbauen. Die Elite hat es verdient, eine spannende intellektuelle Werkstatt zu haben, die über die Routine hinausgeht, die Fragen stellt, die anspricht, sich engagiert, ohne dabei Kompromisse bei der Qualität einzugehen, die ihr intellektuelles Erbe, ihr Hinterland nicht verleugnet."
Archiv: HVG

Africa is a Country (USA), 20.12.2023

Priscillia Kounkou Hoveyda stellt ein Buch vor über Rassismus im iranischen Kino: Parisa Vaziris "Racial Blackness and Indian Ocean Slavery: Iran's Cinematic Archive". Fündig wird Vaziri dabei sowohl im vor- als auch im nachrevolutionären Iran. Die meisten Regisseure entschuldigen sich damit, dass Blackface eine alte Tradition sei und keine rassistische Performance, erzählt Hoveyda. "Vaziris Arbeit stört die herrschende iranische Erzählung über die von Rassismus unbefleckte Unschuld, die von Wissenschaftlern wie Beyzai vertreten wird und präsentiert uns auf mehr als 250 Seiten eine Analyse, die zeigt, dass nicht nur die iranische Gesellschaft durch die verborgenen Geschichten über afrikanische Migration und die schwarze Präsenz in der Golfregion sowie die nationalen Bemühungen, sich selbst als weiß zu identifizieren, von rassistischen Diskursen geprägt wurde, sondern auch durch Darstellungen im iranischen Kino, die überwiegend Schwarze diskriminieren."
Stichwörter: Rassismus, Country

Himal (Nepal), 08.01.2024

Vor 20 Jahren war der indische Schauspieler Shah Rukh Khan auch in Pakistan, wo Bollywoodfilme damals noch verboten waren, ein absoluter Held, erinnert sich Rafay Mahmood in einem schönen, wehmütigen und sehr aufschlussreichen Text. Geschaut hat man die Filme damals selbst noch als Soldat beim Militär unter dem Risiko drakonischer Strafen auf geschmuggeltem Equipment und mithilfe von Raubkopien, erfahren wir. Doch im Verhältnis zwischen Pakistan und Indiens berühmtestem Schauspieler hat sich etwas spürbar geändert, stellt Mahmood fest: Die pakistanische Öffentlichkeit reagiert nämlich weitgehend uninteressiert auf Khans aktuelles Comeback nach vier Jahren Filmpause. Die Gründe sind vielfältig und liegen auch in der phasenweise Liberalisierung während einer Zeit der Entspannung zwischen Indien und Pakistan: "Zwischen 2008 und 2023 schaute die neue Generation an Kinogängern unter den Pakistanis hauptsächlich Bollywood-Helden voller Machismo. Sie wussten nicht, was ihnen in den guten alten Zeiten von Shah Rukh entgangen ist und hatten daher auch wenig Grund, sich über seine Rückkehr zu freuen. Die Millennials wiederum, die Shah Rukhs frühere, romantische Leinwandpersona im Herzen bewahren, haben mittlerweile andere Prioritäten im Leben." Auch die Bollywoodfilme haben sich verändert, Shah Rukh Khans Comebackfilm "Pathaan" zum Beispiel ist  "verglichen mit Shah Rukhs großen Hits aus den Nullern anders im Tonfall und wie er indisch-pakistanische Themen aufgreift. 'Main Hoon Na' von 2004 etwa nutzte den Gefangenenaustausch zwischen Indien und Pakistan als zentralen Erzählkniff. Heute, da die Filmindustrie in Mumbai sich der hindunationalistischen Weltsicht der indischen Regierung gebeugt hat, scheint es völlig ausgeschlossen, dass ein Bollywoodfilm heute Einheit, Verständnis und Versöhnung zwischen den beiden Ländern nach vorne kehrt." Früher hatte Shah Rukh öffentlich für Aussöhnung plädiert. Das ist insbesondere in Social-Media-Zeiten nicht mehr der Fall: Er "hat auf die harte Tour lernen müssen, sich nicht mehr zur Politik und den gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten des immer untoleranteren Indiens zu äußern. Doch wenn Fans die unerbittlichen Schrecken der Nachrichten verfolgen und von Krise zu Krise springen, dann wünschen sie sich nach wie vor, dass Indiens berühmtester und beliebtester Muslim sich von seiner unvergleichlichen Position aus dazu äußert. ... Es ist vor allem diese Hoffnung, für die Shah Rukh in Leben und Werk stets stand, die uns an seiner neuen Leinwandpersona und seiner persönlichen Verschlossenheit enttäuscht." Hier der Trailer zu "Pathaan", der in seinem martialischem Tonfall wirklich nichts mehr von dem Shah Rukh Khan aus den alten Liebes-Musicals spüren lässt, dem einst Millionen Herzen zuflogen:

Archiv: Himal