Magazinrundschau

Der schwarze Rollkragen der ganzen Sache

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
20.02.2024. New Lines schildert das Schicksal der Mescheten, die im russischen Krieg gegen die Ukraine aufgerieben werden. Meduza recherchiert die Lebensbedingungen in Nawalnys letztem Gefängnis, dem Polarwolf IK-3. Der New Statesmen erzählt, wie effektiv britische Anwaltskanzleien Putin flüssig halten. Die London Review bewundert, wie überzeugend Automaten den Teufel geben. In La Regle du Jeu erklärt Giuliano da Empoli die Vorliebe der Italiener für den politischen Außenseiter. In der New York Times erklärt Marilynne Robinson, was man von einem Künstler immer erwarten kann.

New Lines Magazine (USA), 19.02.2024

Liz Cookman and Emre Çaylak schildern das Schicksal der Mescheten, einer türkischsprachigen Volksgruppe, die ursprünglich in Georgien angesiedelt waren, und nun in den ehemaligen UDSSR-Staaten, aber auch den USA und der Türkei leben. Wie die vieler ethnischer Minderheiten ist die Geschichte der Mescheten eine der Vertreibung und Verfolgung, "viele haben ein so unstetes Leben geführt, dass sie drei oder mehr Sprachen sprechen, darunter Türkisch und entweder Ukrainisch oder Russisch. Jede Generation wurde in einem anderen Land geboren als die letzte..." Die Ukraine ist allerdings für viele zu einer neuen Heimat geworden, schreiben die Autoren, so auch für Serhan Halilovic, der im Krieg gegen Russland kämpft und ständig hofft, nicht einen anderen Mescheten zu erschießen: "'Der Unterschied zwischen hier und dort besteht darin, dass die Mescheten in Russland nicht aus eigenem Antrieb in den Krieg ziehen', sagte Halilovic, was die Ansicht vieler Ukrainer widerspiegelt, dass sich ihre Männer und Frauen aus Patriotismus freiwillig zur Verteidigung ihres Landes melden, während die Russen zum Einmarsch gezwungen werden. In Russland werden Männer in Wellen eingezogen; in der Ukraine ist es Männern im wehrfähigen Alter verboten, das Land zu verlassen, aber es gibt keine allgemeine Wehrpflicht, obwohl ein neues Mobilisierungsgesetz zur Einberufung von bis zu 500.000 Soldaten führen könnte. Halilovics einst enger Cousin aus Rostow am Don kämpft für Moskau auf der besetzten Krim. Offiziere kamen eines Morgens zu seinem Haus und nahmen ihn gewaltsam mit, wie sein Vater der Familie erzählte. Wegen der damit verbundenen Risiken haben die Cousins keinen direkten Kontakt mehr. Auch die Mescheten aus Russland, denen Halilovic im Kampf begegnete, erzählten ihm, dass sie zum Militär gezwungen worden waren. Russische Truppen aus Dagestan, Burjatien und Krasnodar (wo die Mehrheit der meschetischen Bevölkerung Russlands lebt) haben nach einer Untersuchung des russischen Dienstes der BBC die meisten Soldaten im Krieg verloren. Die unverhältnismäßig hohen Zahlen zeigen, dass der Kreml gezielt ethnische Minderheiten zum Kampf und zum Sterben in der Ukraine einberufen hat. Halilovics Vater Halil, der 63 Jahre alt ist und zwischen der Türkei und seiner Gemüsefarm in der Ukraine pendelt, telefoniert regelmäßig mit seinem Bruder in Russland. Sie streiten sich oft. Sein Bruder sagt ihm, dass er trotz der Mobilisierung seines Sohnes an einen gerechten Krieg gegen den westlichen Imperialismus und die NATO glaubt, eine Vision, die von Moskau vorgegeben und streng kontrolliert wird. Halil, der zuvor sechs Jahre in Russland verbracht hat, meint, sein Bruder habe den Verstand verloren. 'Putin hat seine Soldaten in die Ukraine geschickt, um Menschen abzuschlachten', sagt er ihm am Telefon. 'Nicht andersherum.' Er versucht, ihm ein Verständnis dafür zu vermitteln, was ein anhaltender Konflikt zwischen den beiden Ländern bedeutet. 'Ich sage ihm: Wenn dein Sohn und mein Sohn sich in diesem Krieg begegnen, wird einer von ihnen den anderen töten', sagt Halil. 'Wenn sie es nicht tun, werden ihre Waffenbrüder sie erschießen. Unsere Söhne sind jetzt Feinde.'"

Meduza (Lettland), 18.02.2024

Kristina Safonova und Lilia Yapparova recherchieren die genauen Umstände, unter denen Alexei Nawalny zuletzt gelebt hat und sprichen mit Insassen des Gefängnisses, in dem er zuletzt untergebracht war. "Das auch als 'Polarwolf'-Gefängnis bekannte IK-3 befindet sich in Kharp, einem Dorf im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen in Russland, 60 Kilometer nördlich des Polarkreises. Nawalnys Verlegung nach IK-3 wurde erstmals am 25. Dezember 2023 gemeldet":


"Die ehemaligen Insassen von IK-3, die mit Meduza sprachen, erinnerten sich an mehrere gewalttätige Vorfälle, die sich in dem Gefängnis ereigneten. Drei von ihnen, die dort zwischen 2013 und 2017 inhaftiert waren, erinnerten sich daran, dass sie unmittelbar nach ihrer Ankunft geschlagen wurden. 'Sie haben mich auf den Boden geworfen und angefangen, mich zu treten. Ich weiß nicht, wie lange das gedauert hat', sagte einer. 'Sie brachten mir morgens, mittags und abends eine Kruste Schwarzbrot. Sie schlugen mich, bedrohten mich und zwangen mich, einen Haufen Papiere zu unterschreiben; ich habe sie nicht einmal richtig gelesen.' Ein anderer berichtete, dass er und andere Neuankömmlinge sich nackt ausziehen mussten, in die Duschen getrieben und dann angegriffen wurden. 'Das [Gefängnis-]Personal stürmte herein und begann, einige Leute mit Tasern zu betäuben und andere mit Schlagstöcken zu schlagen. Sie schlugen alle, bis ein oder zwei Leute sich vollschissen - ich meine es ernst. Dann gaben sie [uns] 40 Sekunden Zeit zum Waschen.' (...) Unter solchen Umständen habe jeder 'Angst, zu viel zu sagen', sagte ein anderer ehemaliger Gefangener. Seiner Meinung nach 'brechen' die Gefängnisbeamten die Menschen, die in IK-3 festgehalten werden - und für einige ist die psychische Belastung unerträglich. 'Ich war dabei, als die Leute versuchten, sich zu erhängen, als sie sich die Adern aufschnitten', sagte er."

Außerdem: Meduza veröffentlicht eine Bildreihe, in der Evgeny Feldman auf das Leben von Nawalny zurückblickt.
Archiv: Meduza
Stichwörter: Nawalny, Alexej, Ik-3, Russland

New Statesman (UK), 19.02.2024

Will Dunn schreibt über die nach wie vor stabile russische Kriegswirtschaft und britische Unternehmen, die dabei helfen, sie am Laufen zu halten. Es geht vor allem um Putins "dunkle Flotte", die dafür sorgt, dass Russlands Ölexporte steigen anstatt zu fallen. Mitbeteiligt sind bekannte Anwaltskanzleien und Versicherungsuntnehmen: "Anwälte gründen Single-Purpose-Firmen, die nur existieren, um einen Tanker zu kaufen. Die Besitzverhältnisse werden durch 'bearer shares' (wer die Aktienzertifikate besitzt, besitzt die Firma) verschleiert, was es den Anwälten oder anderen Strohmännern ermöglicht, die wahren Besitzer im Verborgenen zu belassen. Finanzielle Regularien würden rigorose 'know your customer'-Prüfungen verlangen, bevor sie ein Konto eröffnen können, deshalb behalten die Anwälte die Gelder in einem Treuhandkonto - das die Käufer und Verkäufer gemeinsam nutzen können. Die Anwaltskanzlei überprüft anschließend die Firma, die sie, wie Fulford-Smith es ausdrückt, 'eine halbe Stunde vorher gegründet habt', und deren Finanzen die Kanzlei selbst verwaltet, und findet - was für eine Überraschung - heraus, dass alles mit rechten Dingen zugeht."
Archiv: New Statesman

Elet es Irodalom (Ungarn), 16.02.2024

Der Philosoph András Kardos sieht durchaus selbstkritisch die Mitverantwortung der Intellektuellen für die Orban-Regierung durch ihren Verrat an den Werten der Wende. "Die einzige Theorie, die einen echten Versuch darstellt, diesen verbrecherischen Staat, den Mafia-Staat, ja die gesamte postkommunistische Welt umfassend im Sinne der Freiheit und der liberalen Werte zu verstehen, ist die von Bálint Magyar, der zusammen mit Bálint Madlovics versucht hat, die Schande der Intellektuellen zumindest etwas zu lindern: Durch sie wissen wir genau, was aus der Wende geworden ist, und ich füge hinzu, dass die Intelligenz, zwar nicht nur in unserem Land, aber vor allem hier, eine große Verantwortung dafür trägt, dass sie nicht einmal zu verstehen wagte, 'warum wir es zugelassen haben'. Die konkurrierenden Systemtheorien, von der illiberalen Demokratie, dem hybriden System über die Wahlautokratie bis hin zum faschistischen Mutanten, sind allesamt gescheiterte Versuche, die Orbán-Diktatur zu verstehen. Und unter diesen Theorien gibt es zwar einige mutige, wenn auch falsche Theorien, (...) aber die meisten Konzepte sind leider im Geiste der Legitimierung der Diktatur geboren. Hinzu kam der apokalyptische Antikapitalismus der Linken, vor allem der von Miklós Tamás Gáspár, der natürlich die Diktatur nicht legitimierte, aber die linke Kritik ohne wirkliche Alternative oder Erklärung ließ."
Stichwörter: Ungarn, Kardos, Andras, Mafia

London Review of Books (UK), 19.02.2024

James Vincent beschäftigt sich im Anschluss an eine Buchbesprechung mit der Geschichte von Automaten. Ausgerechnet in religiösen Kontexten wurden diese auf weltlich-wissenschaftlicher "Magie" beruhenden Apparaturen schon früh eingesetzt und weiterentwicklt. Manche waren technologisch eher simpel, wie etwa Heiligenfiguren mit passiv beweglichen Armen. Aber: "Andere Vorrichtungen waren komplexer und verfügten über eine eigene Antriebskraft, was sie zu echten Automaten machte. Engelsfiguren wurden oft an Orgeln befestigt (ein weiterer Sitz mechanischer Expertise in der Kirche), wo sie Hymnen sangen und Trompeten in die Höhe streckten, angetrieben von derselben Pneumatik, die auch die Pfeifen des Instruments speiste, während andere in Nischen aufgestellt werden konnten wie Statuen. In 'The Restless Clock' (2016) erwähnt Riskin einen aus dem 16. Jahrhundert stammenden, aus Holz geschnitzten Teufel, der aus einem Käfig auszubrechen schien: 'schrecklich, verdreht, gehörnt, die wütenden Augen rollend, eine blutrote Zunge herausstreckend, schien er sich auf den Betrachter zu stürzen, ihm ins Gesicht zu spucken und Schreie auszustoßen'. Im Inneren befand sich ein versteckter Blasebalg, der von einem hängenden Gewicht angetrieben wurde: Der Teufel muss wie eine amerikanische Halloween-Animatronic funktioniert haben, die den Unvorsichtigen mit einem plötzlichen Ausbruch von Geräuschen und Bewegungen erschreckte. Eines der berühmtesten Beispiele kirchlicher mechanischer Geräte ist auch eines der komplexesten: das Gnadenkreuz, eine bewegliche Christus-Skulptur, die seit dem 15. Jahrhundert in der Abtei von Boxley in Kent untergebracht war. Das Gnadenkreuz sollte den Pilgern das Leiden des Erlösers vor Augen führen, indem es sich über ihnen auf dem Kruzifix windet und Grimassen schneidet. Es ist nicht gänzlich klar, wie die Figur angetrieben wurde, aber nach einem Bericht des Antiquars William Lambarde aus dem 16. Jahrhundert war sie in der Lage, 'sich zu beugen und aufzurichten, die Hände und Füße zu schütteln und zu bewegen, mit dem Kopf zu nicken, die Augen zu rollen, mit den Lippen zu wackeln, und die Augenbrauen zu senken'."

Noch hält die Front, aber allzu rosig sind die Aussichten für die Ukraine momentan nicht in ihrem Kampf gegen die russische Aggression. James Meek fasst die Lage zusammen und weist vor allem auf ein zentrales Problem hin: Munitionsknappheit. Und die ist nur in zweiter Linie eine Frage des Geldes: "Die meisten westlichen Verbündeten der Ukraine, unter anderem die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, versuchen mehr Granaten zu produzieren, aber sie schaffen es nicht schnell genug, und es ist schwierig, die Kapazitäten zu erhöhen. Die Dynamiken des Kalten Kriegs und die beschämenden Verheerungen der assymetrischen Kriegsführung in Vietnam, Irak und Afghanistan führten dazu, dass die Euro-Atlantischen Generäle bezweifelten, ob sie jemals wieder Produktionsmethoden wie im Zweiten Weltkrieg benötigen wurden, die Geschosse und Raketenantriebe massenweise hervorbrachten. Waffenhersteller bewarben die Idee, eine kleine Anzahl teurer, präziser High-Tech-Waffen zu nutzen, die zu entwickeln und produzieren Jahrzehnte dauerte: eine Handvoll Stealth-Kampfflugzeuge, ein paar extrem hochgerüstete Panzer, ein Haufen Raketen, die zu ersetzen Jahre dauern würde, falls sie je eingesetzt würden. Das Ergebnis war, dass komplexe Waffen zusammengesetzt wurden wie handgefertigte Luxusautos, während basale Artilleriemunition in kleinen Margen auf handwerklicher Basis hergestellt wurde. Die frühen Erfolge der Ukraine wurden im Licht dieser Entwicklung beurteilt: Wenn es dem Land gelungen war, den russischen Riesen zurückzuschlagen, dann müsse das einer kleinen Anzahl komplexer westlicher panzerbrechender Raketen zu verdanken gewesen sein, die die USA und Großbritannien zur Verfügung gestellt hatten. Aber die zentrale High-Tech-Innovation, die den Ukrainern in ihrem Abwehrkampf geholfen hatte, war Elon Musks Starlink-Satellitennetzt, das nicht für eine militärische Nutzung geplant worden war. Und die Waffen, die mithilfe von Starlink koordiniert wurden, waren hauptsächlich altmodische Artilleriesysteme."

La regle du jeu (Frankreich), 04.02.2024

Giuliano da Empoli ist auch in Deutschland mit seinen Büchern "Der Magier im Kreml", einem Roman über Putin, und "Ingenieure des Chaos", wo er den Einfluss des Internets auf den Rechtspopulismus untersucht, bekannt geworden. Er ist ein Insider der Politik in Italien, war Mitglied im Kabinett Matteo Renzi. Im Gespräch mit Christian Longchamp entfaltet er ein faszinierendes Panorama der italienischen und ein wenig auch der europäischen Politik. Giorgia Meloni, sagt er, ist viel weniger eine Figur des Internet als die öko- und linkspopulistischen Fünf Sterne. Aber sie steht in einer anderen Linie des Charismatikertums, in der Italien ein besonderer Vorreiter war: "Was Italien seit Anfang der 1990er Jahre kennzeichnet, ist, dass es eine schrecklich heftige Ablehnung der politischen Eliten gibt, die nicht unbedingt die anderen Eliten betrifft - nicht in dem Maße, wie es beispielsweise in Frankreich der Fall sein kann. Sie werden mir sagen, dass Frau Meloni doch auch eine Politikerin ist, dass sie ihr Leben der Politik gewidmet hat - ja, aber als Extremistin und damit als Randfigur. Was die Italiener besonders ablehnen, sind die klassischen politischen Eliten. Was sie wollen, sind charismatische politische Figuren, die sich tiefgreifend von den klassischen politischen Eliten unterscheiden: also Persönlichkeiten, die von außerhalb der politischen Arena kommen, wie Silvio Berlusconi, wie Beppe Grillo, auch Technokraten wie Mario Draghi in gewisser Weise, oder dann sehr transgressive Politiker wie Matteo Renzi, wie Matteo Salvini, oder wie Giorgia Meloni als Galionsfigur der extremen Rechten. In dieser Hinsicht hat sich also nichts geändert: Das heißt, Meloni ist das neueste Produkt dieser Flucht der Italiener vor ihren traditionellen politischen Eliten. Meiner Meinung nach ist der Treibstoff derselbe."
Archiv: La regle du jeu

New York Times (USA), 17.02.2024

David Marchese hat sich für das NYT Magazine mit der Autorin Marilynne Robinson unterhalten. Es geht um Obama, Gott, ihr neues Buch "Reading Genesis" - eine Analyse des Alten Testaments - und, ganz am Rande, über die Angst des modernen Künstlers, nicht mehr frei sprechen zu dürfen. Ms. Robinson hat wenig Geduld mit solchen Klagen: "Viele Freiheiten werden dadurch beschnitten, dass die Menschen davon ausgehen, dass ihre Freiheit beschnitten wird. Ich höre die Leute sagen: 'Ich würde mich nicht trauen, das zu sagen. Jemand könnte Einspruch erheben.' So funktioniert die Tyrannei. Mein ganzes Leben lang haben sich Künstler und Schriftsteller so präsentiert, als würden sie den Erwartungen des Bürgertums zuwiderhandeln. Das ist der schwarze Rollkragen der ganzen Sache. Und jetzt stehen sie da, vielleicht gegen die Erwartungen von irgendjemandem, und tun so, als ob sie sich davon einschüchtern lassen müssten, als ob sie ihr Verhalten danach ausrichten müssten. Wenn es zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich wahr ist, dass es ein gewisses Risiko bedeutet, konträr zu sein, dann sollte man das Risiko eingehen! Das ist der Punkt! ... Es erschreckt mich irgendwie, zu denken, dass man das von sich selbst nicht erwarten muss."

John Eligon erzählt vom Kampf des Studenten Manqoba Motsa gegen einen König: Mswati III regiert Eswatini, ehemals Swasiland, als absoluter Herrscher, und er verkörpert ein Phänomen, das fast nie erwähnt wird, wenn hierzulande von Afrika die Rede ist und das sicherlich ebenso sehr wie westlicher Kolonialismus ein Fluchtgrund für viele junge Männer ist: die Gerontokratie: "Während die Welt ergraut und Nationen Angst haben zu erodieren, weil sie nicht genügend Arbeitskräfte haben, um ihre alternde Bevölkerung zu versorgen, befindet sich Afrika - der jüngste Kontinent mit einem Durchschnittsalter von 19 Jahren - am anderen Ende des Spektrums. Afrika verfügt über genügend junge Menschen, um wirtschaftliches Wachstum und globalen Einfluss zu erzielen. Zur Enttäuschung seiner jungen Bevölkerung hat Afrika aber auch einige der dienstältesten Staatsoberhäupter der Welt, die oft ihren persönlichen Vorteil und ihre politische Langlebigkeit über das Wohlergehen ihrer Nationen stellen... Die zehn Länder mit den weltweit größten Unterschieden zwischen dem Alter des Staatsoberhaupts und dem Durchschnittsalter der Bevölkerung liegen alle in Afrika, so die Daten des Pew Research Center. Am größten ist der Unterschied in Kamerun, wo Präsident Paul Biya, der 1982 sein Amt antrat, 91 Jahre alt ist. Das Durchschnittsalter liegt dort unter 18 Jahren - ein Unterschied von mehr als 70 Jahren."

Außerdem: Abdi Latif Dahir berichtet aus Kenia über die erschreckende Zunahme von Morden an Frauen in Afrika: "Der Anstieg der Tötungen ist Teil eines umfassenderen Musters, das sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und bei Pandemien verschlimmert hat, sagen Menschenrechtsaktivisten. Im Jahr 2022 wurden in Afrika schätzungsweise 20.000 geschlechtsspezifische Morde an Frauen registriert, die höchste Rate weltweit, so die UNO. Experten glauben, dass die wahren Zahlen wahrscheinlich höher sind. 'Das Problem ist die Normalisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt und die Rhetorik, dass Frauen entbehrlich sind', sagte Njeri wa Migwi, Mitbegründerin von Usikimye - Suaheli für 'Sei nicht still' - einer gemeinnützigen kenianischen Organisation, die mit Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt arbeitet. ... Kritiker sagen, dass viele afrikanische Politiker und auch die Polizei das Problem ignorieren oder herunterspielen oder sogar den Opfern die Schuld geben."
Archiv: New York Times

A2larm (Tschechien), 19.02.2024

Michaela Pixová ruft in ihrem Artikel das Ende des Wintersports in Tschechien aus. "Bis zum Jahr 1989 war Tschechien beziehungsweise die Tschechoslowakei der einzigartige Fall eines Landes, in dem Abfahrtsski unterschiedslos von jedem betrieben werden konnte. Der Skisport war nicht nur ein Privileg der Reichen, weshalb er auch in den Lehrplan der Schulen aufgenommen wurde. Ob jemand Ski fuhr oder nicht, hing letztlich nur von seinem persönlichen Verhältnis zum Winter und zur Bewegung ab. In den letzten dreißig Jahren hat sich Skifahren jedoch auch bei uns zu einem Privileg der Mittelklasse beziehungsweise der gehobenen Mittelschicht entwickelt, wie in Westeuropa und den USA." Viele Grund- und weiterführende Schulen würden dennoch weiterhin an der Tradition des Skifahrens festhalten und die Kinder Jahr für Jahr in die Berge schicken, obwohl deren Eltern es sich oft nicht leisten könnten. Doch auch damit werde es bald vorbei sein. "Das Verschwinden des Winters, selbst in den höchsten Gebirgslagen unseres Landes, ist ein herber Schlag, der selbst die hartgesottensten Klimawandelleugner nicht unberührt lässt. (…) Für unsere wintersportbegeisterte Nation ist dies vielleicht der erste wirklich kollektiv empfundene Verlust und ein unangenehmer Weckruf aus der bisherigen Apathie. Kunstschnee wird das Problem nicht lösen. Es ist eine Gelegenheit, gemeinsam innezuhalten, unsere derzeitige Lebensweise neu zu bewerten und über den Weg nach vorne nachzudenken."
Archiv: A2larm

HVG (Ungarn), 15.02.2024

Infolge der Berichterstattung über die Begnadigung eines an Pädokriminalität beteiligten ehemaligen Schuldirektors, traten die Präsidentin Ungarns, Katalin Novák, sowie die ehemalige Justizministerin (und designierte Spitzenkandidatin der Regierungspartei für die kommenden Wahlen zum Europaparlament) Judit Varga vergangene Woche von allen politischen und öffentlichen Ämtern zurück. Als käme es auf diese beiden an, schnaubt Árpád W. Tóta in seinem Kommentar: "Katalin Novák ist eine Nebendarstellerin. Nicht nur in diesem Skandal, sondern in allen Angelegenheiten, in denen sie je mitgewirkt hat. Eine überall einsetzbare Hostess; die grinsend mit einem Sandwichtablett herumsteht, Buchstaben aneinanderreiht und Präsidentin spielt. (...) Solche Personen verdanken ihre Stellung lediglich der Loyalität. Sie sind an ihrem Platz, weil sie alles getan haben, was man von ihnen verlangt hat. Ihre Ehre ist die Treue, sie haben einen Abschluss darin, etwas Anderes kennen sie nicht." Doch immerhin: "Dieser Pädophilie-Skandal konnte explodieren und die Präsidentin hinwegfegen, weil es immer noch eine von der Regierung unabhängige Öffentlichkeit gibt. Ob es nun ein Anwalt in der Provinz war, der die Begnadigung entdeckte, oder ein Informant aus der Partei, es gibt weiterhin Anlaufstellen. Die Details konnten an Medien geschickt werden, die sie bearbeiteten und veröffentlichten. Wenn es sie nicht gegeben hätte, wäre wohl die ganze Sache als zweifelhaftes Internetgerücht untergegangen."
Archiv: HVG
Stichwörter: Ungarn, Novak, Katalin

New Yorker (USA), 19.02.2024

Rebecca Giggs begibt sich für den New Yorker in die amerikanischen Zuchtlabore für Königpythons, die eher der Science-Fiction-Literatur zu entspringen scheinen als der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Spezies. Züchter wie Justin Kobylka sind in der Lage, Schlangen mit ganz spezifischen optischen Merkmalen zu züchten, sodass sie beispielsweise aussehen wie eine überreife Banane. Was bedeutet es aber für die Tiere, dass sie zu optisch ansprechenden Konsumobjekten werden? "Dass die Designer-Pythons zu einer reinen Augenweide für Menschen geworden sind, heißt, dass sie nun über einige evolutionäre Vorteile verfügen, die Haustieren so eigen sind, unter Anderem weiträumige Verbreitung. 'Es gibt keine einzige Spezies von Haustieren, die gefährdet wäre', hat mir Marcelo Sánchez-Villagra berichtet. 'Viele lassen sich weltweit finden.' Mit dem zunehmenden Rückgang natürlicher Habitate könnte es eine gute Strategie sein, sich inmitten der menschlichen Kultur auszubreiten. 'Gibt es eine bessere Überlebensstrategie als hübsch und selten zu sein?', fragt Bob Clark. 'Diese Merkmale werden sich in den kommenden Generationen noch vermehren, weil Menschen sie mögen, nicht weil sie davor schützen, gefressen zu werden.'" Wie bei allen Züchtungen gibt es jedoch auch hier manchmal für die Tiere sehr unangenehme Folgen, lernt Giggs: "Der 'Duckbill', bei dem die Nase nach oben zeigt und flach ist, ist eine gutartige Verformung, aber es heißt, dass einige Kreuzungen, wie zum Beispiel der 'caramel albino' eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, Nachkommen mit Wirbelsäulenverkrümmungen zu produzieren, ein Zustand, der sie daran hintern kann, sich schlängelnd zu bewegen oder die Verdauung fatal behindern kann. (…) Im Internet haben sich Züchter dagegen eingesetzt, dass Kreuzungen vorgenommen werden, von denen bekannt ist, dass sie zu Beeinträchtigungen führen. ('Wir wollen Mutationen, die nur die Haut betreffen', so Kobylka, 'Wir wollen nicht, dass das Tier in irgendeiner Weise verändert wird, die seine Überlebensfähigkeit beeinträchtigt.') Aber einige unübliche Missformungen, die nicht mit den Kreuzungen in Verbindung stehen, können sich als einträglicher Glücksfall erweisen: Zu Beginn des Jahres hat Clark eine zweiköpfige Python für 100 000 Dollar verkauft. 'Beide Köpfe fressen', versichert er mir, als ich mich nach der Gesundheit der Schlange erkundige."
Archiv: New Yorker