Magazinrundschau - Archiv

La regle du jeu

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Magazinrundschau vom 28.03.2023 - La regle du jeu

Mit einem ziemlich faszinierenden Artikel startet Patrick Mimouni eine fünfteilige Artikelserie über Marcel Proust und die extreme Rechte. Er erzählt von Prousts Freundschaft zu Charles Maurras, dem tauben, aber wortgewaltigen Anführer der Action française, und zu Léon Daudet, Maurras' Kompagnon und engem Freund Prousts - aber sie durften sich nur heimlich treffen, schreibt Proust, der selbst Dreyfusard war, während Maurras und Daudet die Bewegung der Antidreyfusards anführten, die den Grundstein für den Antisemitismus des 20. Jahrhunderts legte. Mimouni unterstellt, dass Proust auch an der Freundschaft zu Daudet festhielt, weil er die "Affäre" in seinem Roman beleuchten wollte. Mimounis Beleg dafür ist die rechtsextreme Comtesse de Loynes, die die Action française finanzierte - und die das Vorbild für Odette in "Swanns Welt" ist. "Die Gesellschaftsreporter begannen sich erst nach dem Ausbruch der Dreyfus-Affäre für sie zu interessieren, eben weil ihr Salon dank Léon zum Hauptquartier der Antidreyfusards wurde. Der Salon von Odette, die zu Madame Swann wurde, entsteht im Roman auf die gleiche Weise, indem er von den gleichen Ereignissen profitiert, nur dass es Madame Verdurin ist, die Odette auf die Idee bringt - 'Madame Verdurin, bei der ein latenter bürgerlicher Antisemitismus erwacht war und eine regelrechte Hysterie erreicht hatte'. Bis dahin hatte die Comtesse de Loynes nur Männer empfangen. Sogenannte ehrbare Frauen konnten natürlich keine Beziehungen zu einer ehemaligen Prostituierten unterhalten. Dasselbe gilt für Madame Swann, eine Frau, die die Guermantes vor der Affäre niemals empfangen hätten. Es genüge nun, 'Tod den Juden!' auf ihren Sonnenschirm zu sticken, um in den Faubourg Saint-Germain aufgenommen zu werden, stellt die Herzogin von Guermantes fest. Die Judenfeindlichkeit öffnete nicht nur ehemaligen Prostituierten die Türen zu den Salons der Aristokratie, sondern ermöglichte es den antisemitischen Anführern, die Kontrolle über die royalistische Partei zu erlangen."

Magazinrundschau vom 31.01.2023 - La regle du jeu

Frankreich bleibt leider eine Metropole des Antisemitismus in Europa. Dass Organisationen wie der "Service de Protection de la Communauté Juive" (SPCJ) leicht rückgängige Zahlen über antisemitische Taten veröffentlicht, bedeutet keine Entwarnung, schreibt Marc Knobel: "Es muss daran erinnert werden, dass mehrere Dramen die jüdische Gemeinschaft im Jahr 2022 tief erschüttert haben, insbesondere ein als antisemitisch eingestufter Mord (der 13. Mord seit den 2000er Jahren), bei dem ein 89-jähriger Mann jüdischen Glaubens von seinem Nachbarn aus dem Fenster gestoßen wurde. 'Es wäre skandalös, sich über die Zahlen in einem Jahr zu freuen, in dem wir den antisemitischen Mord an René Hadjadj in Lyon miterlebt haben', stellt Anne-Sophie Sebban-Bécache fest. Von Le Point befragt, erwähnt die Direktorin des AJC-Paris, des französischen Büros des American Jewish Committee (AJC), zwei weitere Todesfälle: den Tod von Jeremie Cohen in Bobigny, der brutal angegriffen wurde, bevor er von einer Straßenbahn erfasst wurde, als er versuchte, seinen Angreifern zu entkommen, und den Mord an Liyahou Haddad in Longperrier, der von einem Nachbarn mit einer Axt erschlagen wurde. 'Man muss sich nur daran erinnern, was mit Sarah Halimi geschah, die aus dem Fenster gestürzt wurde, nachdem der Täter sie gefoltert hatte', erinnert die Aktivistin. Tatsächlich wirft diese Besonderheit der antisemitischen Gewalt Fragen auf. Die Akte sind oft ebenso unvorhersehbar wie gewalttätig. Sie hinterlassen Spuren und Nachwirkungen. Ein Rückgang der Taten von einem Jahr zum anderen reicht nicht aus, um die Tragweite dieser Gewalt zu mindern und ihre Gefährlichkeit zu relativieren."

Magazinrundschau vom 17.01.2023 - La regle du jeu

Der postkoloniale Komiker Dieudonné hat sich in einem obskuren Fernsehsender und einer obskuren Zeitschrift bei den Juden entschuldigt. Marc Knobel glaubt ihm kein Wort. Allzu intensiv war Dieudonnés Abdriften in die rechtsextreme Szene. Zugleich zeigt Dieudonnés Fall, dass es vom einen zum anderen Extrem nur ein Schritt ist: Dieudonné, so Knobel, habe eine Strategie verfolgt, die etwa von Eric Marty, einem Literaturwissenschaftler an der Universität Paris-VII in Le Monde beschrieben worden sei: "In erster Linie will er den Juden die Eigenschaft als Opfer absprechen, indem er ihnen die Zeichen ihrer eigenen Henker zuschreibt; die Juden zu den Handwerkern des schwarzen Märtyrertums und der Sklaverei machen. Sich selbst dagegen will er als Opfer darstellen, indem er die 'Lynchjustiz' anprangert, der er ausgesetzt sei. Dieser Antisemitismus durchzieht auch radikale schwarze Bewegungen in den USA, die Black Panthers oder Nation of Islam mit ihrem Anführer Louis Farrakhan. Dieudonné versucht, eine sehr zersplitterte schwarze Gemeinschaft zu vereinen, deren Ressentiments gegenüber einer Republik, die ihre Versprechen nicht einhält, steigen. Für ihn sind die Schwarzen und Nordafrikaner die ersten Opfer des Rassismus. In einigen schwierigen Vorstädten ist ihm Erfolg garantiert. So durchdringt die Thematik des 'verdorbenen Mainstreams' seine Aufführungen."

Magazinrundschau vom 22.11.2022 - La regle du jeu

Bruno Meyerfeld, Brasilien-Korrespondent von Le Monde und Autor des Buchs "Cauchemar brésilien", analysiert im Gespräch mit Maria de França die brasilianischen Wahlen. Boslonaro ist abgewählt, sagt er, aber der Bolsonarismus nicht. Bolsonaro repräsentiere alles, was dynamisch ist im Land: Die Soja-Industrie, den Evangelikalismus und die extreme Rechte, die die sozialen Medien dominieren. Der Erstaunliche dabei ist, dass keineswegs nur Weiße in diesem mehrheitlich schwarzen und gemischten Land für ihn stimmten. Meyerfeld kennt auch eine Menge alleinstehender Mütter, die ihn wählten: "Bolsonaro liegt bei den weiblichen Wählern weit zurück, aber er ist sich dessen sehr bewusst. Die Figur des Vaters ist in Brasilien sehr abwesend; sehr viele Kinder wachsen in Familien auf, in denen nur die Mutter da ist, weil der Vater einfach weggeht und sich vor seiner Verantwortung im Haushalt drückt. Bolsonaro aber hat sich immer als sehr präsenter Familienvater dargestellt, und das hat er in die Politik integriert: Er ist zwar ein Macho, aber er ist ein echtes Familienoberhaupt. Und ich glaube, das berührt einige Frauen, die ihre Kinder allein erziehen; es gefällt ihnen, in Bolsonaro diese Figur des Familienvaters zu sehen. Natürlich ist er ein Macho, aber schließlich ist ganz Brasilien Macho-Land, was macht das also für einen Unterschied? Das schreckt nicht ab, im Gegenteil." Andere Gründe, warum nicht so wenige Schwarze Bolsonaro wählen, ist ihr Konservatismus, so Meyerfeld, und die Macht der Evangelikalen, die gerade in der schwarzen Bevölkerung stark sind.

Magazinrundschau vom 18.10.2022 - La regle du jeu

Das Problem mit Giorgia Meloni ist nicht einfach, dass eine Rückkehr des Faschismus droht. Einen Bruch wie in den zwanziger Jahren wird es nicht geben, sagt Ezio Mauro, ehemals Chefredakteur La Repubblica in einem ausführlichen Gespräch mit Christian Longchamp. Das Problem mit Meloni sei, "dass sie einen Fuß im System und einen Fuß außerhalb des Systems hat", erklärt er. Die Hauptgefahr für die italienische Demokratie sieht er darin, dass Meloni gern die Verfassung in Richtung eines Präsidialsystems ändern würde: "Die Verfassung wollte verhindern, dass es einen starken Mann an der Spitze des Staates gibt. Sie wurde als Bollwerk zum Schutz der Republik konzipiert. Sie sorgte dafür, dass die Machtzentren in einem geschickten Gleichgewicht orchestriert wurden, um Missbrauch zu verhindern. Meloni hat mehr als einmal erklärt, dass sie ein Präsidialregime einführen wolle. Das ist ihr trojanisches Pferd, um die Verfassung zu ändern. An sich ist eine präsidiale Staatsorganisation nicht verwerflich. Frankreich ist ein großes demokratisches Land. Aber dieses System hängt von seiner Nutzung ab, von der Instrumentalisierung, der es zum Opfer fallen kann. Meiner Meinung nach will Meloni die Idee der Rechten von Demokratie und Macht in die Verfassung übertragen, also die Identifikation zwischen dem politischen Anführer und dem Volk, die Weigerung sich auf Beschränkungen und Regeln für Macht einzulassen."

Magazinrundschau vom 17.05.2022 - La regle du jeu

Zwölf Quadratkilometer groß ist das Geländer des Asow-Stahlwerks in Mariupol. Die Zivilisten haben das Gelände inzwischen wohl verlassen. Es harren noch einige hundert Kämpfer des Asow-Regiments aus - durch die Größe des Geländes haben die Russen offenbar Probleme, sie zu stellen. Einige - vor allem schwer Verletzte - durften das Werk verlassen und sollen ausgetauscht werden, war heute zu lesen. Bernard-Henri Lévy hat zuvor per Zoom mit Ilja Samoilenko, dem Vizekommandeur der Einheit gesprochen - ein Dokument des düstersten Pathos. Lévy gibt das Gespräch in Frage-Antwort-Form wieder.
- "Da die Belagerung so hermetisch ist, warum geben sich die Russen nicht damit zufrieden, Sie verdursten und verhungern zu lassen? Sie müssen doch nur warten?
- "Weil sie uns töten wollen. Und zwar alle. Und einen nach dem anderen. Wir haben Fälle von Kameraden, die sie gefangen genommen haben. Sie haben sie hingerichtet, unter Missachtung der Kriegsgesetze. Ihre Mütter haben ein Foto von ihnen erhalten, das mit ihrem eigenen Handy aufgenommen wurde. Einen von ihnen haben sie erstickt, den Kopf in einer Plastiktüte, mitten in einem Roggenfeld."
Ich frage, ob ich diese Bilder haben kann.
- "Wir werden sie Ihnen zusenden. Aber eines müssen Sie verstehen. Unser Widerstand treibt sie in den Wahnsinn. Ohne uns hätten sie am 9. Mai in Mariupol den Sieg erklärt. Wir sind der Stein in Putins Schuh."

Magazinrundschau vom 29.03.2022 - La regle du jeu

Es gab immer sechs Gründe, warum Bernard-Henri Lévy nicht gemocht wird: Er ist eitel. Er sah tatsächlich gut aus. Er ist reich. Er ist Jude. Er hat Mut. Er hat Recht. Auf der Website seiner Zeitschrift bringt er ein Gespräch, das er mit Bill Clinton geführt hat - oder nein, umgekehrt: Clinton ist der Frager. Anlass ist Lévys Film "The Will To See". Das Gespräch wurde noch vor dem Ukrainekrieg geführt. Und Lévy sagt über das noch nicht eingetretene Szenario: "Mein Gefühl, aber ich kann mich auch irren, ist, dass Präsident Putin einen großen Fehler machen würde, wenn er sich entschließen würde, in die Ukraine einzumarschieren. Dafür gibt es zwei Gründe. Ich kenne die Gegend, ich habe dort Zeit verbracht, ich hatte das Privileg, in die Spezialeinheiten der ukrainischen Armee aufgenommen zu werden. Sie sind gut. Sie sind patriotisch, bereit, ihr Land bis zum Äußersten zu verteidigen. Und dann, es ist ein Detail, aber nicht nur ein Detail, bin ich mir nicht sicher, ob die russischen Soldaten, die einfachen Soldaten, so einfach auf ihre Cousins in der Ukraine schießen würden. Es wäre ein riesiges Durcheinander, wenn Putins oberster General der Armee den Befehl zum Schießen geben würde, es wäre nicht wie in Tschetschenien, das sich als ein riesiges Verbrechen herausstellte, sondern etwas ganz Anderes."

Magazinrundschau vom 01.02.2022 - La regle du jeu

Zoé Le Ber sammelt in einem sehr bewegenden Artikel einige Spuren über die heute völlig vergessene Künstlerin Sonia Mossé, deren Gesicht alle Menschen kennen, die einmal die Fotos Man Rays betrachtet haben (zum Beispiel dies Foto, das sie zeigt, wie sie Nusch Eluard in den Arm nimmt). Wenn überhaupt, so Le Ber, bleibe Mossé als "Muse" in Erinnerung. Sie ist zu früh gestorben, im Alter von 27 Jahren im Vernichtungslager Sobibor, festgenommen in der Rue du Bac von der französischen Polizei. Ein substanzielles Werk konnte sie nicht hinterlassen. Aber einige Werke haben überlebt, manche von ihnen sind zu sehen wiederum auf Fotografien Man Rays, andere sind in Kellern Pariser Galerien aufgetaucht und befinden sich jetzt im Besitz des Centre Pompidou. Die kleine, auf Autografe spezialisierte Librairie Métamorphoses in der Rue Jacob konnte Le Ber auch den letzten Brief Mossés präsentieren, den Mossé in einem Übergangslager in Lyon an den Dichter Paul Eluard schrieb. "Der Brief ist auf den 18. März 1943 datiert, das ist eine Woche vor ihrer Deportation in das Vernichtungslager Sobibor. Es ist schwer, die Gefühle zu beschreiben, die man beim Lesen empfindet. Der Brief ist tragisch und voller Hoffnung. Sonia erzählt, dass sie den Kindern im Lager Zeichenunterricht gibt, und sie porträtiert einige Internierte. Sie kopiert die Verse einer dichtenden Mitgefangenen, in der Hoffnung, dass Éluard sie veröffentlicht. Dieser Brief versetzt uns für einen Moment an ihre Seite, in eine surrealistische Realität, an die Schwelle des Unbekannten, des großen Aufbruchs in die Hölle des Konzentrationslagers."

Magazinrundschau vom 01.09.2020 - La regle du jeu

Bernard-Henri Lévy hat in Vilnius die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja getroffen, die sagt, sie hätte aus Liebe zu ihrem Mann agiert, der eigentlich für die Präsidentschaftswahlen 2020 kandidieren wollte und von Alexander Lukaschenko in Isolationshaft gehalten wird. Auszug aus dem Gespräch:
"- Hatten Sie keine Angst entführt und eingesperrt zu werden wie Ihr Mann?
- Doch. Die ganze Zeit. Ich bin jeden Morgen aufgestanden und jeden Abend zu Bett gegangen mit der Angst im Nacken.
- Und?
- Dann dachte ich an ihn. Meinen Mann. Er gab mir Mut und die Inspiration, die ich brauchte.
- Haben Sie mit ihm gesprochen, konnten Sie kommunizieren?
- Nein, er ist ja isoliert, in einer Zelle von sechs Quadratmetern, zu klein für den großen Kerl, der er ist. Aber wir müssen nicht sprechen, um verbunden zu sein.
- Und heute?
- Es bleibt so. Gestern hatte er Geburtstag. Seine Anhänger haben sich unter den Gittern seiner Zelle versammelt, damit er spürte, dass er nicht allein ist. Aber die Polizei hatte es vorausgesehen und ihn am Vortag in eine andere Zelle gebracht."

Magazinrundschau vom 30.06.2020 - La regle du jeu

Bernard-Henri Levy musste sich von französischen Internauten beschimpfen lassen, weil er in der Fernsehsendung "On n'est pas couché" dem Moderator entgegen der Corona-Etikette die Hand schüttelte. Levy könnte sich natürlich einfach für den Fauxpas entschuldigen, aber lieber hebt er an zu einer Huldigung des Handschlags in all seinen Formen. Was ginge nicht alles verloren! "Der Handschlag der Sportler, die nach dem Turnier übereinkommen: 'Es war nur ein Spiel, ein Ritual, ein fest - es ist nur Konvention, dass wir vorgeben, um Leben und Tod zu kämpfen.' Der uralte Handschlag, der seit Menschengedenken deutlich machen will, dass man unbewaffnet kommt, ohne versteckten Dolch, ohne feindliche oder kriegerische Absicht. Der brüderliche Handschlag, den die Quäker zusammen mit dem Du dem frühen amerikanischen Establishment entgegenstellten mit seiner Vorliebe für alles Zeremonielle, das Beugen der Knie und die 'Hut-Ehre'. Präsident Theodor Roosevelt, Friedensnobelpreisträger hundert Jahre vor Barack Obama, war kein Quäker, aber auch er sagte: 'Wehe dem, der seinen Mitmenschen nicht am Handschlag erkennt.' Es war der feste Wille der Französische Revolution, diese bürgerliche Geste gegen die Verbeugungen und Knickse durchzusetzen, die unter dem Ancien Regime gebräuchlich waren. Und es ist die Gleichheit von Mann und Frau, die so gezeigt wird."