Facebook,
Twitter und andere Plattformen im Netz sind mittlerweile einigermaßen gut darin, zumindest krasseste
Auswüchse rechtsextremistischer Propaganda von ihren Servern zu eliminieren. Einen relativ sicheren Hafen findet das Milieu allerdings im
Selbstverleger-
Programm von
Amazon,
schreiben Ava Kofman, Francis Tseng und Moira Weigel: Dort konnten antisemitische Hetzschriften und Romane mit wilden Prepper-Bürgerkriegsszenarien viele Jahre lang weitgehend problemlos zum kleinen Preis als E-Book angeboten werden - und das ganz ohne das Stigma eines rechtsextremen Verlags im Hintergrund. Zwar gibt es bereits vorsichtige Versuche seitens
Amazon, das Problem in den Griff zu kriegen, doch spielen diese in der großen Breite kaum eine Rolle. "In der heutigen Welt des digitalen Überflusses genießen rechtsextreme Autoren eine
neue Sichtbarkeit. Früher war Gary Lauck, Vorsitzender der NSDAP/AO, einer amerikanischen Neonazi-Partei, vom langsamen Briefverkehr abhängig, um Neonazi-Propaganda nach Deutschland und in andere europäische Länder zu schmuggeln, wo sie verboten ist. Heutzutage sind seine im Verlag seiner Organisation erscheinenden Bücher in den USA und in Europa via Amazon und auf Kindle Unlimited, einem Pauschal-Angebot für Bücher, jedem zugänglich. Das Kindle-Progamm hat auch den älteren
Kanon des weißen Nationalismus wiederbelebt. Viele mittlerweile urheberrechtsfreie Bücher historischer Nazis und Antisemiten wurden auf diese Weise wiederveröffentlicht. Nutzer in rechtsextremen Chatforen verlinken rege auf sie. ...
Amazon beschreibt das Programm als Service, nicht als Verlag oder soziales Netzwerk. Aber
Amazon spielt hier keineswegs nur eine passive Rolle. Der
Empfehlungsalgorithmus nutzt die Käufe, Suchanfragen und Lesevorgänge der Kunden, um ihnen unabhängig von Kritikern und Verlagsentscheidungen jene Bücher vorzulegen, die sie wohl am wahrscheinlichsten kaufen werden. 'Mich bringt das wirklich auf die Palme, wenn ich
Amazon davon reden höre, dass sie Gatekeeper überwinden wollen, während sie in Wirklichkeit
1000 kleine Gatekeeper durch einen großen ersetzen', sagt Shel Kaphan, der an der Gründung von
Amazon beteilgt war und bis 1999 der Technologieabteilung vorstand. 'Sie nutzen einfach andere Kriterien, aber die sind nicht nobler als die Kriterien anderer Leute. In vielerlei Hinsicht ziehe ich redaktionelle Entscheidungen einer Strategie vor, die nur fragt: 'Was bringt uns heute
am meisten Geld ein?'"