Magazinrundschau
Urerlebnis der Revolte
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
28.04.2020. Die New York Review of Books bestaunt Werke des Sowjetrealismus, die schon Matisse imponierten. Eurozine beschreibt das Geschäftsmodell osteuropäischer Klickfabriken. Die New York Times hofft auf panvirale Impfungen im Kampf gegen Corona. En attendant Nadeau studiert Rimbaud und die Commune. Bloomberg begibt sich in die Post-Lockdown-Hölle von Wuhan. Walrus schildert eine Erziehung zur Orgasmusfähigkeit.
New York Review of Books (USA), 14.05.2020

Weitere Artikel: Susan Tallman besucht zwei New Yorker Gerhard-Richter-Ausstellungen: im Met Breuer und in der Marian Goodman Gallery. Matthew Aucoin schreibt über drei Operninszenierungen: Aribert Reimanns "Lear" in Paris, Manfred Trojahns "Orest" in Wien und Chaya Czernowins "Heart Chamber" an der Deutschen Oper Berlin. Leslie Jamison sah die Ausstellung "Private Lives - Public Spaces" im Museum of Modern Art. Und Joan Acocella sah noch eine Vorstellung von "The White Helicopter", das Alvis Hermanis zusammen mit Mikhail Baryshnikov am Neuen Riga Theater im lettischen Riga inszenierte.
Eurozine (Österreich), 23.04.2020

Ein Großteil der Desinformation, die in osteuropäischen Klickfabriken produziert wird, rührt nicht unbedingt aus politischen Motiven, sondern finanziellen, glaubt Judit Szakàcz, die Land für Land und Kapitel für Kapitel den Report des Center for Media, Data and Society an der Central European University studiert hat. Eine Trupp Hasardeure beherrscht den Markt in Ungarn, Rumänien, Moldawien, Bosnien-Herzegowina und der Slowakei, lernt Szákacz, sie produzieren Infomüll, um über Google Anzeigengelder zu scheffeln. Wenn die Geldflüsse gestoppt werden, müssen sie eine neue Seite erfinden, damit Google wieder Dollar ausspuckt: "In Bosnien-Herzegowina und Ungarn hilft Facebook fluiden Webseiten, ihr Publikum zu behalten. Denn auch wenn die Desinformationsseiten flüchtig sind, bleiben die Facebookseiten stabil. Meist haben die Facebookseiten sogar ziemlich wenig Verbindung zu der Desinformation, die auf ihr gepostet wird. In Bosnien-Herzegowina starten Facebookseiten oft als Celebrity-Fanpage und werden dann für Desinformation umgewandelt. In Ungarn posten viele Seiten, deren Themen einst von Holzschnitzerei bis zu Achtzigerjahre-Nostalgie reichten, heute Desinformation. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Facebookseiten einen organischen Wandel durchgemacht haben; der ungarische Report fand vielmehr Hinweise auf einen regen Untergrund-Handel für Facebookseiten und -gruppen. Die Preise legen nahe, dass die Haupteinnahmequelle von Desinformationsseiten die Werbung ist. Und wie es scheint, sind die demografisch wertvollste Bevölkerungsgruppe auf Facebook 'Frauen über fünfzig', weil sie keine Adblocker benutzen."
Weiteres: Rachael Jolley hofft, dass sich die nach zehn Jahren Tory-Regierung ordentlich gerupfte BBC in der Corona-Krise ein neues Standing erobert hat. Will McCallum sucht den Königsweg im Kampf gegen Klimawandel.
Bloomberg Businessweek (USA), 23.04.2020

Magyar Narancs (Ungarn), 26.03.2020

Propublica (USA), 07.04.2020

En attendant Nadeau (Frankreich), 25.04.2020

Interessant liest sich auch Alban Bensas Besprechung einer Neuauflage von Kristin Ross' Buch über Rimbaud und die Commune. Die New Yorker Romanistin, die der knallharten akademischen Linken um Badiou und Rancière nahezustehen scheint, untersucht in dem schon vierzig Jahre alten und jetzt wiederübersetzten Buch Rimbauds Urerlebnis der Kommune, die für die gesamte europäische Linke das Urerlebnis der Revolte war - und sie beschreibt am Beispiel von Rimbauds Poetik der Hand den uralten Traum unglücklicher Jungbourgeois von der Verschmelzung mit anderen Klassen: "In der Hand sah er ein Symbol der Unterwerfung, wenn sie, wie es das Ziel aller Erziehung und Konvention war, nur noch auf einen Zweck hin ausgerichtet wurde." Die Zurichtung auf einen Beruf und Zuweisung zu sozialen Klassen geschah auch über die Zurichtung der Hände, und so wurden sie "vom Körper getrennt". Rimbaud "wehrt sich gegen die Amputation, die Entfremdung ist... Das 'Ich ist ein anderer' ist nicht immer und überall Ausdruck einer kognitiven Verwirrung, sondern ein politisches Bekenntnis."
The Atlantic (USA), 31.05.2020

Erklärt wird das im Artikel und in diesem zehnminütigen Video:
Weitere Artikel: H. R. McMaster, General a.D. und ehemaliger Sicherheitsberater im Weißen Haus, versucht uns zu erklären, wie China die Welt sieht. In der Titelgeschichte fragt sich Kate Julian, warum junge Menschen heute so ängstlich sind. Benjamin Taylor erzählt von seiner Freundschaft mit Philip Roth.
Walrus Magazine (Kanada), 28.04.2020

Open Democracy (UK), 28.04.2020

Weitere Artikel: Peter Geoghegan, David Leask und Richard Smith erzählen, wie Britannien mit laxen Gesetzen Geldwäsche ermöglicht.
New York Times (USA), 26.04.2020

Außerdem: David Marchese spricht mit Stephen King über apokalyptische Szenarien in der Wirklichkeit und in der Literatur. Und in einem Fotoessay fragen Kiana Hayeri und Mujib Mashal, was passiert, wenn die Pandemie nach Afghanistan kommt.
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