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Trotz Brockhaus: Dem Buch geht's gut

Von Rüdiger Wischenbart
15.02.2008. Trotz Brockhaus: Dem Buch geht es eigentlich gut. Und doch zeigt das Beispiel Brockhaus: Die Kluft zwischen dem Beharrungsvermögen bei den Buchmachern und den neuen Nutzungsformen beim Publikum könnte die wichtigste Schwachstelle beim Umgang mit Büchern darstellen.
Dem Buch geht es eigentlich gut. Danke schön. So lakonisch und einfach könnte man, mit guten Argumenten, auf die neuerdings wieder ausgebrochene, ein wenig ritualisierte Debatte und Klagekultur über Buch und Buchmärkte reagieren. Denn, einmal ehrlich, das Erstaunlichste an Büchern ist doch, wie wenig ihnen die tiefgreifendste Medienrevolution seit Gutenberg in den vergangenen zwei Jahrzehnten anhaben konnte - bislang jedenfalls, und von Ausnahmen wie dem jüngst diskutieren Ende des Papier-Brockhaus abgesehen.

Der Umsatz mit Büchern ist weltweit erklecklich höher als jener mit irgendeinem anderen kulturellen Format. Mit Musik werden weltweit etwa knapp 20 Milliarden US Dollar umgesetzt. (Quelle IFPI) Hollywood feiert gerade eine tolle Jahresbilanz 2007, doch gibt die Branchenorganisation Motion Picture Association den globalen Umsatz aus Filmen und deren Verwertungen, also Kino, DVD und TV Erlöse zusammengerechnet mit 42,6 Milliarden Dollar an. (The Hollywood Reporter, 15. Juni 2007) Dem steht ein weltweiter Buchmarkt mit einem Volumen von rund 80 Milliarden Dollar gegenüber. (Schätzung, International Publishers Association IPA) Selbst in Hollywoods Heimatmarkt, den USA, liegen Filmindustrie mit 24,3 und Buchmarkt mit 24,2 Milliarden Dollar Umsatz nahezu gleich auf.

Das weltweite Geschäft mit den Büchern wird immer noch von europäischen Konzernen dominiert. Die Globalisierung bei Büchern setzte vor ziemlich genau 10 Jahren ein, bemerkenswerterweise mit der Übernahme des größten amerikanischen Publikumsverlags Random House durch den deutschen Medienkonzern Bertelsmann. In jüngster Zeit hat sich auch die französische Hachette Gruppe in den USA erfolgreich umgetan. Aber auch in den heißer umkämpften Feldern der Bildungsinhalte und der Fachinformation haben die meisten Spitzenreiter - wie Pearson, Reed Elesvier oder Wolters Kluwer - ihre Hauptquartiere in London und Amsterdam. Und die größte Buchmesse ist bekanntlich jene in Frankfurt.

Als die Musikindustrie vor einigen Jahren ins Chaos stolperte, war die Ursache und treibende Kraft nicht allein die Piraterie am Internet, sondern auch ein aus den Fugen gelaufener Kult um teure Stars, die ihre Megamillionenverträge immer seltener einspielten, sowie ein Konzentrationsprozess, in dem weltweit nur noch ein Oligopol aus 5 Konzernen übrig geblieben war, die sich gegenüber veränderlichem Publikumsgeschmack wie auch Innovationen zunehmend resistent verhielten.

Im Buch-Verlagswesen hingegen kontrollieren in Deutschland die 10 größten Gruppen ungefähr ein Viertel des Marktes, und im Handel, wo sich die Verhältnisse erheblich stärker zugespitzt haben, teilen sich die beiden weit herausragenden Marktführer Thalia und Weltbild/Hugendubel ("DBH") rund ein Viertel des Marktes - http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/;art271,2394634 , allerdings mit steigender Tendenz.

Wenn nun neuerdings wieder mit wachsender Leidenschaft ums Thema "Buch" debattiert wird, dann zeigt man auf diese Entwicklungen im Handel und spricht vom "Strukturbruch" - und dies nicht ganz zu Unrecht. Die wöchentliche Lektüre des Börsenblatts des deutschen Buchhandels vermittelt seit Jahren eine geradezu monotone Chronik schließender Verhältnisse, denn kein Monat vergeht, in dem nicht ein angestammter Buchladen oder eine lokale Kette die Pforten schließt oder an einen der beiden Großen verkauft.

Aber bislang gab es keinen Einbruch am Markt, sondern gerade einmal ein paar Jahre des rückläufigen Geschäfts im einstelligen Prozentbereich, und neuerdings sogar wieder moderate Zuwächse - auch wenn die fast ausschließlich den Großen zugute kommen.

Beklagt wird indessen - und dies ist wirklich interessant -, dass die Buchhändler kaum noch Zeit und Kapazitäten hätten, ihre Kunden, wie es der Kultur des Buchhandels entspricht, im persönlichen Gespräch zu beraten.

Hier, denke ich, geht mehr irgend sonst, der eigentliche Bruch auf: Denn im Zeitalter des Internet sind Basisinformationen gerade über kulturelle Produkte überall verfügbar, und zumeist für den interessierten Leser auch noch kostenlos. Wenn die Gesprächsnetze zwischen Buchhändlern und Lesern reißen, dann geht in den Buchhandlungen ein ganz entscheidendes Lichtlein aus - nämlich jenes, um das sich die Gemeinschaften der Leser, die Buch-Communities scharen. Man mag nur kurz einmal hinhören, wie das Wort ‚Buchgemeinschaft’ tief in die Erfolgsgeschichte deutscher Buchlandschaften seit 60 Jahren hineinreicht. Wenn es hier flackert, ist tatsächlich Gefahr im Verzug.

Dies gilt umso mehr als die zweite bedenkliche Kennzahl auf ein prekäres - und seit Jahren in der Branche durchaus bemerktes - Wachstum hinweist, nämlich auf immer neuen Rekorde bei den jährlichen Neuerscheinungen. Mehr als 94.716 neue Titel gibt es allein in Deutschland jedes Jahr, und deren Zahl wächst weit rascher als der gesamte Buchmarkt, so dass der Verdrängungswettbewerb zwischen den einzelnen Titeln Jahr für Jahr zunimmt. Für die Beratungsleistung der Buchhändler bedeutet dies nicht nur eine immer noch unübersichtlichere Flut von Neuigkeiten, sondern vor allem eine drastisch wachsende Konkurrenz um den begrenzten Platz im Regal.

Die dritte bedenkliche Zahl ist schließlich jene, die zeigt, dass etwa die Zahl der Übersetzungen von Büchern seit Jahren rückläufig ist. Der Zuwachs bei den Neuerscheinungen ist also nicht wirklich ein Index für eine wachsende kulturelle Vielfalt bei Büchern. Und jedes Gespräch mit Verlegern, etwa im Bereich anspruchsvollerer Belletristik und Sachbücher, macht deutlich, wie die durchschnittliche verkaufte Auflage solcher Titel im Bogen des letzten Jahrzehnts eingebrochen ist. Wo vor nicht allzu langer Zeit eine durchschnittliche Auflage von 10 oder 20.000 verkauften Exemplaren realisierbar war, ist man heute froh, wenn man mit knapp kalkulierten 3.000 Stück die direkten Kosten amortisiert. Die intellektuelle Diskussion - noch dazu jene über Sprachgrenzen hinweg, wo auch noch Übersetzungskosten anfallen - findet immer weniger über Bücher statt.

Dennoch ist der Markt der Bücher, im Vergleich zur Musik (Konzentrationsprozess, Piraterie, Online Plattformen, neue Notuzungsgewohnheiten - Stichwort iPod) oder zum Film (Hollywood, Zweitmärkte wie DVD, Globalisierung des TV Marktes, neue Formate - Stichwort Serien, YouTube, Digitalisierung, HDTV) bislang gerade einmal an seinen Rändern ein wenig in die Turbulenzen dieser neuen Zeiten geraten.

An dieser Stelle wird nun gerne das Loblied auf die stabilisierende Rolle der Buchpreisbindung und all der anderen branchenpolitischen Maßnahmen (halbierter Mehrwertsteuersatz, verschiedenste Förderinstrumente) angestimmt. Doch so einfach stimmt das nicht. Denn auch in den wenig bis unregulierten Buchmärkten wie den USA oder Großbritannien hat sich zwar bei den Handelsketten und ihren Rabattschlachten einiges bewegt, und in den USA merkt man, wie rasch neue Bücher nach nur kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind (und deshalb der Handel mit gebrauchten Büchern explodiert). Aber das System Buch ist im Kern stabil geblieben.

Aber auch der andere Stehsatz buchpolitischer Debatten - das Buch sei ein Produkt nicht wie andere, sondern etwas ganz Besonderes, nämlich halb Kulturgut und halb Ware - überzeugt nicht als Erklärung für die Stabilität angesichts großer Veränderungen. Denn Bücher behaupteten ihre Sonderrolle gerade auch dort, wo sie, wie in den sozialistischen Gesellschaftsordnungen, gar nicht als Ware behandelt wurden. In gesellschaftlichen Umbruchszeiten, ob in Deutschland nach 1945, in Osteuropa nach 1989 oder in China heute sind Buchmärkte jedes Mal besonders dynamisch, sowohl was den profitablen Handel mit ihnen anlangt - und dies völlig unabhängig von merkantilen Regulierungssystemen - wie auch was ihre Rolle als Schlüsselmedium für neue Inhalte anlangt. Und auch mediale Innovationsbrüche haben bislang das gedruckte und gehandelte Buch als 'Format' nicht in Frage gestellt, sondern, im Gegenteil, immer wieder erneuert, von Gutenberg über die Erfindung des Buchs als Massenmedium im 19. Jahrhundert über, en passant, die Erfindung des Films, des Radios und des Fernsehens, bis in unsere Tage.

Die gängigen Definitionen, was ein Buch ist, gehen indessen auf diese wandlungsreiche Geschichte kaum ein. Weder neue Medienformen noch sich verschiebende Kulturgewohnheiten spiegeln sich in den Branchenreden zum "Kulturgut" Buch. In der Herstellung und im "Backoffice" ist das Buch zwar längst - vom Manuskript des Autors über die Administration der Autorenrechte oder der Warenlager bis zur Druckvorstufe - durchgängig digitalisiert. Das verschlang erhebliche Investitionen. Aber die Verwertung der digitalen Kette bricht nach wie vor ab, bevor das Buch sein Publikum erreicht. Nicht nur elektronische Bücher spielen eine marginale Rolle, wenn gerade einmal 2 Prozent aller Einnahmen von digitalen Formaten ausgehen, gegenüber 15 Prozent bei der Musik. (Quelle: IFPI und PWC Global Entertainment and Media Outlook.). Beim Gespräch über Bücher zwischen Verlagen, Buchhandel und Publikum bilden verschiedenste Formen der digitalen Kommunikation bestenfalls einen Nischenkanal.

So verschieben sich - an den Debattenthemen Konzentration am Markt oder Buchpreisbindung vorbei - zunehmend die Gewichte rund ums Buch. Denn für die Lesenden und Informationssuchenden sind Internet und digitale Kommunikation längst die Basis im täglichen Umgang mit Wissen.

Während jedoch in Deutschland alle Aufmerksamkeit auf der Entscheidung von Brockhaus hängt, künftig nur noch online zu erscheinen, spielt international die Musik längst vielstimmig: Harper Collins hat eben mehrere aktuelle Bestseller, darunter den neuen Paulo Coelho, kostenfrei ins Internet gestellt. Random House beginnt, Bücher digital kapitelweise zu verkaufen. Bei Wissenschaft und Fachinformation haben sich die Einkommensströme bei den großen Konzernen längst vom Buch zu den digitalen Plattformen verschoben.

So bereiten nahezu alle großen Verlagsgruppen digitale Angebote vor, und es spricht einiges dafür, dass im Laufe dieses Jahres gehörige Bewegung ins Geschäft mit den digitalen Büchern kommt. Grund genug, in einem Folgeartikel hier demnächst einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen und Vorstöße zu unternehmen.

Rüdiger Wischenbart

Die Fortsetzung folgt in der nächsten Woche!