Vom Nachttisch geräumt

Abstraktion und Marketing

Von Arno Widmann
08.12.2017. Zeichen für Unaussprechbares? Oder Bilder die sich als Gedichte tarnen? Über die abstrakte Dimension Paul Klees.
Noch bis zum 21. Januar zeigt die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel die Ausstellung "Paul Klee - Die abstrakte Dimension". Vor mir liegt der Katalog. In ihm finde ich, dass Paul Klee 1915 in seinem Tagebuch vermerkte: "Je schreckensvoller diese Welt (wie gerade heute) desto abstrakter die Kunst, während eine glückliche Welt eine diesseitige Kunst hervorbringt." Ich weiß noch, wie wir als Jugendliche, die gerade noch Kinder gewesen waren, vor den Bildern von Paul Klee quietschten vor Vergnügen. Wir mochten die Titel. Zum Beispiel "Waldhexen" oder "Alter Phönix". Wir fanden seine Bilder wunderbar heiter. Später erschienen sie uns ein wenig zu unschuldig. Wir mokierten uns über Klees "Backfischmalerei". Wir hatten ihn betrachtet als den Maler einer glücklichen Welt. Ein Irrtum. Es dauerte sehr lange, bis ich das Abgründige, ja das Perverse in den scheinbar so unschuldigen Bildern erkannte. Benjamins Betrachtung über Klees Angelus Novus aus dem Jahre 1920 war mir dabei keine Hilfe gewesen. Sie raubte dem Bild zwar jeden Anhauch von Harmlosigkeit, sie zeigte aber nichts von den sexuellen Obsessionen des Malers.


Paul Klee, Ludus Martis, 1938. Stedelijk Museum. © Paul Klee

Ich war nicht darauf gefasst, im Katalog über den abstrakten Klee darauf zu stoßen. Aber da waren sie, die kräftigen Phalloi, die als Zeichen durchlaufen, von etwas, das nicht benannt werden kann. Ganz so als wären sie nicht zu erkennen, als das was sie sind. Das im Amsterdamer Stedelijk Museum hängende Bild mit den weiß-gelb umrahmten schwarzen Phalloi auf blauem Grund entstand 1938 und trägt den Titel "ludus Martis", also "Spiel des Mars". Mars ist der Gott des Krieges. Schon als der 1879 im Kanton Bern geborene Paul Klee im April 1933 die Kunstakademie in Düsseldorf auf Druck der Nationalsozialisten verließ, hatte er seinen Mitarbeitern erklärt: "Meine Herren, es riecht in Europa bedenklich nach Leichen." Am 23. Dezember 1933 zog Klee wieder in sein Elternhaus in Bern ein. Da er inzwischen deutscher Staatsbürger gewesen war, weigerten sich die Schweizer Behörden ihn aufzunehmen… Das führt jetzt alles zu weit. Zu weit weg von der Ausstellung zu weit weg vom Katalog, zu weit weg von dem, worauf ich hinweisen wollte.

Zu weit weg also von Jenny Holzer. Von ihr stammt ein kleiner Text über die Rolle der Zeichen bei Klee. Sie weist darauf hin, wie wichtig für Klee die Schrift war, wie er sie immer wieder aufnimmt in seine Bilder. "Möglicherweise hat Klee die Gedichte, die er verfasst hat, auch gemalt. Immerhin hat er chinesische Gedichte gemalt. Er war sich unschlüssig, ob die Dichtkunst seine Berufung sei. Vielleicht sind manche der von Klee gemalten Wörter Monumente eines Dichterlebens." Ich mag diese Zeilen, weil sie die Möglichkeit eröffnen, noch einmal ganz anders auf Klees Bilder zu schauen. Sie könnten Gedichte sein, die sich als Bilder tarnen. Wir verstehen sie nicht, wenn wir nicht das Gedicht - und das heißt immer: Worte und Musik - in ihnen erkennen.

Wem das gar zu erlesen klingt, dem wird die Anekdote gefallen, die Paul Klees Sohn erzählt: "Bis 1924 nummerierte mein Vater alle seine Arbeiten, jedes Jahr erneut mit 1 beginnend. Von 1925 an bis zu seinem Tod im Jahr 1940 jedoch ersetzte er diese Zahlen durch eine Kombination von Buchstaben und Ziffern. Sein Galerist in München zu dieser Zeit war Hans Goltz. Goltz sagte zu meinem Vater: 'Hören Sie, Herr Klee, auf diese Weise weiß man stets, wie viele Werke sie im Verlauf eines Jahres gemalt haben. Das macht keinen guten Eindruck, wenn man sie verkaufen will. Wenn ein Maler pro Jahr dreihundert Werke produziert, dann sind sie einfach nicht mehr so viel wert.' Mein Vater sagte: 'Das Problem ist leicht zu lösen. Ich werde schlicht Buchstaben hinzufügen, dann wird niemand in der Lage sein, es herauszufinden.'"

Paul Klee - Die abstrakte Dimension, hrsg. Von Anna Szech, Verlag Hatje Cantz, Berlin 2017, 236 Seiten, 161 farbige Abbildungen, 58 Euro