Vom Nachttisch geräumt

Der Dreißigjährige Krieg

Von Arno Widmann
29.10.2018. Wie der Krieg den Krieg hervor- bringt: Lektüreempfehlungen zum Dreißigjährigen Krieg, der vor 400 Europa verwüstete.
Es sei hier sehr flüchtig hingewiesen auf einige Bücher, die in den letzten Jahren über den Dreißigjährigen Krieg erschienen. Daniel Kehlmann veröffentlichte 2017 seinen Roman "Tyll", in dem er eine fiktive Lebensgeschichte Till Eulenspiegels erzählt. Der Roman spielt vor dem Hintergrund des dreißigjährigen Krieges. Er empfiehlt das vor wenigen Wochen erschienene Buch des 1939 geborenen Mikrohistorikers Hans Medick "Der Dreißigjährige Krieg - Zeugnisse vom Leben mit Gewalt" (Wallstein Verlag, Göttingen 2018, 448 Seiten, s/w Abbildungen, 29,90). Medick geht es um den Krieg, wie er im Alltag von den Menschen erfahren wurde. Er zeigt dem Leser Konversionen, Vergewaltigungen und Waterboarding aber auch den Einsatz der Medien. Ein Kapitel ist zum Beispiel überschrieben mit "Bild-Zeitung: Wallensteins Tod als Meuchelmord". Medick zeigt ein zeitgenössisches Flugblatt und er analysiert es. Bild und Text richten ihr Augenmerk ganz auf die Mörder. Außen vor bleibt, dass der Kaiser selbst Wallensteins Ächtung betrieben hatte. Verantwortlich sind nur die vier Täter, "Schottländer", also Ausländer. 47 Dokumente der Zeit stellt Medick auf diese Weise dar. So entsteht im Kopf des Lesers ein Bild der Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges.

"Der Krieg der Kriege - Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges" (Klett-Cotta, Stuttgart 2018, 296 Seiten, s/w Abbildungen, 25 Euro) ist der Titel des Buches von Johannes Burkhardt. Er war bis 2008 Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit in Augsburg. Burkhardt organisiert sein Thema und er findet einprägsame Bilder: "Der Staatsbildungskrieg - die Großbaustelle Europa" oder "Gustav Adolf - ein gotischer Völkerwanderer im evangelischen Medienland". "Krieg der Kriege" meint beides: Im Dreißigjährigen Krieg kommen viele Kriege zusammen. Manches Einzelinteresse sah eine Chance zu seiner Realisierung, in dem es sich einbrachte in die allgemeine Keilerei. Aber es war auch - zumal in Deutschland - der verheerendste aller Kriege. Vor dem Krieg lebten 18 Millionen Menschen in Deutschland. An seinem Ende noch 11 Millionen. Das sagt natürlich nichts über die Lage an einzelnen Orten aus. Im Donauraum wurde die Bevölkerung nicht auf, sondern um 60 Prozent reduziert. In der Prignitz reduzierten sich die Haushalte um 70 Prozent. In keiner Geschichte des Dreißigjährigen Krieges fehlt die Vernichtung Magdeburgs im Jahre 1631. 20 000 Tote. "Magdeburgisieren" wurde zum festen Begriff.

Sebastian Vrancx, Soldaten plündern einen Bauernhof im Dreißigjährigen Krieg, 1620


Gewalt, Hunger und Seuchen waren "Die Reiter der Apokalypse" (C.H.Beck, München 2018, 810 Seiten, s/w Abbildungen, 32 Euro). So der Titel des Buches von Georg Schmidt, Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit in Jena. Am Anfang steht die Angst. Die Angst vor der Strafe Gottes, die Angst vor der Freiheit und die Angst vor den Türken. Die Reformation, die den Frieden mit Gott hatte wiederherstellen wollen, steigerte das Konfliktpotenzial und damit die Angst. Der Dreißigjährige Krieg war ein Krieg der europäischen Mächte. Er war nicht immer und überall auch ein Religionskrieg. Wallenstein, der Heerführer der kaiserlichen Truppen, erklärte 1629, er und seine Soldaten würden sich nie an der Beraubung, geschweige denn der Ausschaltung der Evangelischen beteiligen. "Die Gewissen dependierten allein von Gott, gegen den auch ein jeder seine Religion zu verantworten hätte und sollte man also billig wenigstens untereinander politisch in Frieden leben."

Der Krieg ging weiter. Warum? Weil immer wieder für immer neue Gruppierungen eine Chance entstand, die eigenen Interessen einzubringen. Der Prager Frieden vom Mai 1635, geschlossen  zwischen Kaiser Ferdinand II. und der katholischen Liga einerseits und dem protestantischen Kurfürstentum Sachsen, beendete den Dreißigjährigen Krieg schon deswegen nicht, weil Richelieu nicht tatenlos zuschauen wollte, wie die Macht des Kaisers zunahm. Also schloss er sich mit Schweden und den Niederlanden zusammen und erklärte Spanien den Krieg. Je länger der Krieg dauerte, desto schwieriger wurde der Friedensschluss, weil immer mehr einbezogen wurden in die Kampfhandlungen. Andererseits aber wurde der Frieden immer notwendiger, denn angesichts der Zerstörungen von Landwirtschaft und Industrie wurde es immer schwieriger und teurer, Krieg zu führen. Wer es ganz knapp mag, für den hat Georg Schmidt geschrieben: "Der Dreißigjährige Krieg" (C.H. Beck, München 1995, inzwischen in der 9. Auflage, 128 Seiten, 9,95 Euro).

Herfried Münkler war Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten auch mit Kriegsgeschichte. Sein monumentales Werk "Der Dreißigjährige Krieg - Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648" (Rowohlt Berlin, Berlin 2017, 975 Seiten, s/w Abbildungen, 39,95 Euro) zeichnet in sieben Kapiteln die politische und militärische Geschichte des Krieges. Die Einleitung weckt die Aufmerksamkeit für das auf den folgenden Seiten entfaltete Gemälde. Münkler schreibt: "Mit der Charakterisierung des Krieges als Ständeaufstand, Staatenkrieg, Konfessionskrieg sowie Imperial- und Hegemonialkrieg ist die Fülle der zwischen 1618 und 1648 in einander verschränkten Kriegstypen noch immer nicht erschöpft. Der Dreißigjährige Krieg enthielt obendrein Elemente eines genuinen Bürgerkrieges, insofern es in seinem Verlauf zu Bauernaufständen kam, die vom Militär niedergeschlagen wurden." Münkler fährt fort: "Dieser  'kleine Krieg' wurde im Verlauf der 1620er Jahre zum ständigen Begleiter des 'großen Krieges'."

Ist die Aufmerksamkeit so geschärft, begreift der Leser, wie sehr der Krieg den Krieg hervorbringt. Die Vorstellung, ein Krieg könne stehenbleiben bei den Kriegszielen um deren Willen er begonnen wurde, erscheint naiv. Kriege entfalten ihre eigene Dynamik. Sie zerstören nicht nur Städte und Landschaften, sondern auch Gesellschaften und Menschen. Man begreift besser, was in Syrien passiert, wenn man Münklers Buch liest. Er zeigt in seinem Schlusskapitel, wie sehr vor allem die Wahrnehmung der Unterschiede den Blick für die aktuelle Lage schärft.

Der 1963 geborene Peter H. Wilson unterrichtet Kriegsgeschichte am All Souls College in Oxford. Auf der Rückseite des Umschlags der englischen Ausgabe seines Buches "Der Dreißigjährige Krieg: Eine europäische Tragödie" (Theiss, Darmstadt 2017,  aus dem Englischen  von Thomas Bertram und Tobias Gabel, 1168 Seiten, s/w und farbige Abbildungen, 49,95 Euro) zitiert er den Führer der Protestanten,  Gustav Adolf, König von Schweden: "This is a fight between God and the Devil. If his Grace is with God, he must join me, if he is fort he devil, he must fight me. There is no third way." Das ist gut, denn es macht  den Endzeit-Furor deutlich, der viele der damaligen Protagonisten bewegte. Aber natürlich wird auch bei Wilson herausgearbeitet, wie viele, wie unterschiedliche Motive diesen Krieg, diese Kriege munitionierten. Wilson spricht von einem "Amalgam aus Verfassungskonflikt, Bürgerkrieg, Religionskrieg und europäischem Hegemonialkrieg".

Ein Buch muss auch in der oberflächlichsten Auflistung genannt werden: "Der abentheuerliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio" (Reclam, Stuttgart 2017, 978 Seiten, s/w Abbildungen, 55 Euro) von Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen (1622-1676). Ich mag diese 'teure' Ausgabe. Sie bringt den Originaltext von 1669, erläutert aber in dem hervorragenden Anhang von Dirk Niefanger alles, das man nicht versteht. Ich bin darin verblüfft auf den Ausdruck 'entfremden' gestoßen. Ein Euphemismus für stehlen. Wer mehr wissen will über Grimmelshausen und seine Welt, dem sei empfohlen: Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz "Grimmelshausen - Leben und schreiben. Vom Musketier zum Weltautor" (Die andere Bibliothek, Berlin 2018, 511 Seiten, s/w Abbildungen, 24 Euro).

Zum Schluss noch  Andreas Gryphius' (1616-1664) Gedicht von 1637:

Trawrklage des verwüsteten Deutschlandes.
Wir sind doch numehr gantz/ ja mehr alß gantz vertorben.
Der frechen Völcker schar/ die rasende Posaun/
Daß vom Blutt feiste Schwerd/ die donnernde Carthaun/
Hat alles diß hinweg/ was mancher fawr erworben/
Die alte Redligkeit vnnd Tugend ist gestorben;
Die Kirchen sind vorheert/ die Starcken vmbgehawn/
Die Jungfrawn sind geschänd; vnd wo wir hin nur schawn/
Ist Fewr/ Pest/ Mord vnd Todt/ hier zwischen Schantz vñ Korbẽ
Dort zwischen Mawr vñ Stad/ rint allzeit frisches Blutt
Dreymal sind schon sechs Jahr als vnser Ströme Flutt
Von so viel Leichen schwer/ sich langsam fortgedrungen.
Ich schweige noch von dehm/ was stärcker als der Todt/
(Du Straßburg weist es wol) der grimmen Hungersnoth/
Vnd daß der Seelen-Schatz gar vielen abgezwungen.