Vom Nachttisch geräumt

Aber sie trägt ein Korsett

Von Arno Widmann
22.12.2016. Diese Offenheit fürs Neue: Christian Dior macht in seiner Autobiografie einen Entwurf von sich.
Christian Dior (1905 - 1957) war der wichtigste Couturier - so hießen sie damals - der ersten Jahre nach dem zweiten Weltkrieg. Erst am 16. Dezember 1946 hatte er in der Pariser Avenue Montaigne sein Modehaus eingerichtet. Noch heute befindet sich in dem Gebäude der Pariser Flagshipstore der Marke Dior. Bei Schirmer/Mosel ist jetzt wieder die deutsche Ausgabe seiner Autobiografie erschienen. Vor dem Krieg war Dior Modezeichner u.a. beim Modeschöpfer Robert Piguet gewesen. Ein reicher Textilunternehmer ermöglichte ihm die Gründung eines eigenen Hauses. Seine Autobiografie besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Im ersten erklärt er, wie er sein Modehaus gründete. Im zweiten erklärt er, wie es funktioniert.

Coco Chanel soll 1954 über Diors Kreationen gesagt haben: "Diese schweren, steifen Kleider, die nicht einmal in einen Koffer passen, lächerlich …". Sie hatte recht. Aber Dior hatte es noch mehr. Seine Kleider verkauften sich ein paar Jahre lang besser als die aller anderen französischen Designer zusammen. Als ich im Wikipedia-Artikel über Dior auf die Zeilen stieß "gekennzeichnet war Diors Mode durch eine schmale Taille, ein figurbetontes bzw. Korsett-gestütztes Oberteil, weite, schwingende Röcke aus edlen Materialien in verschwenderischen Mengen sowie Wagenradhüte und lange Handschuhe", musste ich lachen. Denn mit einem Mal spürte ich wieder die zarte, dunkelhaarige Tanzstundenpartnerin, die ich Anfang der 60er Jahre in meinen Armen hielt. Nein, Wagenradhüte hatte sie nicht. Und wir waren auch nicht in Paris, sondern in einem winzigen Dorf im Odenwald. Aber sie sah hinreißend aus in dem schmalen Oberteil, mit der zerbrechlich scheinenden Taille und den weiten Röcken. Ich habe aber noch die Stimme eines Tanzstundenkameraden im Ohr, der mir angesichts meiner Begeisterung über meine Partnerin sagte: Aber sie trägt ein Korsett! Da hatte Coco Chanel schon gesiegt und Dior war nur noch eine Erinnerung an eine Pracht, die man wohl nicht mehr brauchte. Vielleicht auch nur, weil man sie nicht in Händen halten durfte.


Bild links: Das Modell Concerto 96 aus der Linie Aimant, Herbst/Winter 1956. Zeichnung von Christian Dior. Bild rechts: Brigitte Bardot in der Robe Concerto, Februar 1957. Foto: François Pages.

Diors Autobiografie hat den Titel "Dior und ich". Er meint das genau so. Er beschreibt die Entstehung der Kunstfigur, die eins wurde mit dem Modehaus. Er weint dem Christian Dior von früher keine Träne nach. Der scheint vielmehr hinter dem Label gleichen Namens weiter zu leben. Sein Assistent war damals Yves Saint Laurent. Der wurde im zarten Alter von 21 Jahren sein Nachfolger. Bis er ein paar Jahre später sein eigenes Modehaus gründete. Auch Pierre Cardin hatte bei Dior gearbeitet. Dass die Menschheit nach dem Krieg nach Eleganz verlangen würde, darauf war niemand gekommen. Bis Diors "New Look" ein Bedürfnis weckte, das in den Menschen wohl geschlafen hatte, ohne dass die davon gewusst hatten. Keine Befragung hätte aus den Trümmerfrauen ein Bekenntnis zu stoffreichen, schwingenden Röcken und Korsetts herauslocken können. Aber als sie die Kleider in "Fox' tönender Wochenschau", in den Zeitungen und Illustrierten sahen, da träumten sie davon, auch so auszusehen oder doch wenigstens ein wenig so.

Dior erzählt, wie er sein Start-up gründete: Er wollte keine Firma gründen. Er wollte bestimmte Kleider, Mäntel usw. schaffen. Dazu brauchte er eine Firma. Er wusste also auch, wen er, welche Fertigkeiten er brauchte. Er brauchte keine Schneider, sondern solche, die in der Lage waren, seine Kleider zu schneidern. Man stelle sich vor, heute käme jemand nicht auf die Idee, auch ein Nachrichtenportal haben zu wollen, sondern er hätte eine genaue Vorstellung davon, wie es aussehen sollte, der würde dann nicht einfach Journalisten suchen, gar noch solche mit viel Erfahrung!, sondern ganz spezielle Talente, für die womöglich außer ihm niemand sich interessierte.

Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das alte Buch sehr lehrreich. Das Schönste an ihm ist aber doch der Zeitgeschmack. Diese Offenheit fürs Neue, die damals da war. Eine Zeit, in der, wie in der unseren, viel erfunden wurde, in der die Menschen gezwungen waren, auch sich selbst neu zu erfinden. Dass der Mensch ein Entwurf von sich ist, dass erst das ihn zum Menschen macht, das habe ich damals, als ich meine Tanzstundenpartnerin Armen hielt, bei Jean Paul Sartre (1905 - 1980) gelesen. Hier lerne ich nun: Sein Zeitgenosse, der Zeichner und Designer Christian Dior entwarf, in dem er Kleider entwarf, sich selbst.

Christian Dior: Dior und ich - Die Autobiographie, übersetzt von Susa Ackermann und Michaela Angermair, mit Zeichnungen von Christian Dior und René Gruau sowie Photographien von Willy Maiwald, Horst P. Horst u.a., Schirmer/Mosel, München 2016, 303 Seiten, 24,80 Euro.
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