Vom Nachttisch geräumt

Der alte Verrückte, der auf Kunst abfährt

Von Arno Widmann
10.02.2020. Ein prächtiger Bild- band versammelt die Mangas von Manji, the old man mad about art, formerly known as Hokusai and Iitsu.
Katsushika Hokusai (1760-1849) war einer der einflussreichsten Maler des 19. Jahrhunderts. Vor allem durch seine Druckgrafik prägte er das Lebensgefühl zuerst des aufstrebenden japanischen Bürgertums und nach der Pariser Weltausstellung von 1867, mit der der "Japonismus" zur Mode wurde, auch das der europäischen Avantgarden. Die Impressionisten - u.a. Degas, Manet, Monet, Whistler - lernten ihn über Blätter kennen, die aus seinem Buch "Hokusai Manga" stammten, das erstmals 1814 erschienen, am Ende 15 Bände umfasste mit Tausenden von Skizzen (Manga). Porzellankisten sollen damit ausgestopft worden sein. Wohl eine Legende, die Hokusais Aufstieg zu einem der Stars der Weltkunstgeschichte noch krasser erscheinen lassen sollte. Der 1945 in Kyoto geborene Grafiker Kazuya Takaoka hat Bücher über Klassisches japanisches Design übers No-Theater herausgebracht und er hat in einem dicken Band auf hervorragendem Papier eine Auswahl von ein paar Hundert der Skizzen Hokusais herausgebracht. Man sieht sofort, was die Impressionisten liebten: Fuji-Ansichten, verschneite Brücken, die Horizonte, in den Himmel und Meer noch nicht oder nicht mehr getrennt scheinen. Die exakten Zeichnungen von Tempeltoren, die etwas von der sparsamen Klarheit des Biedermeier haben, werden wohl weniger nach ihrem Geschmack gewesen sein.

Aber möglicherweise hat sie auch - ganz wie die heutigen Betrachter - die Fülle überwältigt, die Unterschiedlichkeit seiner Blicke, das Spiel mit Groß und Klein, mit Close Up und Totale. Seine Welle aus dem Jahr 1830 gehört zu den Bildern, die - wie zum Beispiel auch van Goghs Sonnenblumen - aus dem Kreis der Kunstgeschichte herausgetreten sind und längst Teil einer populären Weltkultur geworden waren, lange bevor die Welt wusste, dass sie eine hatte.



Hokusai gehörte zu jenen Künstlern die "Bilder der fließenden Welt" (Ukiyo-e) schufen. Der Begriff stammte aus dem Buddhismus und meinte dort das irdische Blendwerk, das man hinter sich lassen sollte. Hokusai und seine Zeitgenossen aber warfen der Welt nicht mehr ihre Hinfälligkeit vor. Sie feierten sie. Auch darin erkannten die Impressionisten Brüder im Geist.

Hokusai, einer der Meister der fließenden Welt, zog in den 89 Jahren seines Lebens 93 Mal um. Einmal soll er allein an einem einzigen Tag dreimal umgezogen sein. Wahrscheinlich hatte er Schwierigkeiten, sich zu entscheiden. Mit einer solchen Schwäche lassen sich leicht Skizzenbücher füllen. Böse Stimmen warfen ihm vor, er habe einfach keine Lust gehabt aufzuräumen und habe den Saustall, den er geschaffen habe, lieber hinter sich gelassen, um neue saubere Räume in einen solchen zu verwandeln. Solche Geschichten findet man auch in dem Buch von Kazuya Takaoka. Denn es gibt auch Texte darin. Alle auf Japanisch und Englisch. Seinen Namen änderte Hokusai, soweit man weiß, nur dreißig Mal. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an "Muhamed Ali, formerly known as Cassius Clay". So signierte Hokusai manche seiner Arbeiten als "Iitsu, formerly known as Hokusai". Hokusai war nicht zuletzt dank seiner überaus erfolgreichen Skizzenbücher zu einer Marke geworden, auf die hinzuweisen den Preis steigerte. Am schönsten scheint mir diese Signatur: "Manji, the old man mad about art, formerly known as Hokusai and Iitsu".

Der Band von Kazuya Takaoka basiert auf seiner Sammlung von Hokusai Mangas. Sie umfasst 1400 Kopien. Er kennt darum sehr genau die verschieden Ausgaben, die von der um sich greifenden Zensur erzwungenen Unterschiede. Es gibt in Band 12 zum Beispiel einen Holzschnitt mit einer schlafenden Frau. Ihr Kimono hat sich geöffnet und gibt den Blick auf ihr Gesäß frei. Zwei Kinder sehen das und quieken vor Vergnügen. Kazuya Takaoka hat 72 Ausgaben dieses Bandes, nur in zwei davon ist diese Szene so zu sehen. In allen anderen ist das Gesäß nicht mehr zu erkennen. Von Band 6 hat er 92 Ausgaben. In nur sechs davon stehen die Namen unter dem Bild der Portugiesen, die Japan Feuerwaffen lieferten. Man darf, meint Kazuya Takaoka, davon ausgehen, dass sie getilgt wurden, weil der eine von beiden Kirishita Mota hieß. Das Wort Kirishitan aber bedeutet Christen und war inzwischen verboten.

Hokusai Manga, hrsg. von Kazuya Takaoka, PIE International, Tokio 2011, 696 Seiten, 47 Euro.
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