Essay

Zerstörung einer Leistung

Von Wolfgang Ullrich
07.11.2016. Andreas Gursky möchte seine Bilder bitte in Farbe, Neo Rauch will bestimmte Bilder gar nicht abgebildet sehen. Doug Aitken möchte auch einen Blick auf die Texte werfen: Künstler benutzen ihr Urheberrecht immer mehr als  Kontrollinstrument und behindern die Beschäftigung mit ihrem Werk. Es geht dabei um ihre Marktposition. Bald gibt es über Kunst nur noch Werbetexte.
Bei diesem Text handelt es sich um einen Vortrag, den Wolfgang Ullrich am 21. Oktober 2016 beim Heidelberger Kunstrechtstag gehalten hat. Wir danken für die Publikationsgenehmgung! Mehr zum Thema auf Ullrichs Blog ideenfreiheit.de. D.Red.

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In der langen Geschichte der Bilderverbote wird seit einigen Jahren an einem neuen Kapitel geschrieben. Diesmal werden Bilder nicht verboten, weil sie blasphemisch oder pornografisch sind. Auch nicht, weil es darum geht, Persönlichkeitsrechte zu schützen, oder weil die Bilder strafrechtlich inkriminierte politische Symbole enthalten. Diesmal werden Bilder vielmehr verboten, weil ihre Urheber oder deren Rechtsnachfolger - meist aus dem Bereich der Kunst und der Architektur - sie nicht zeigen wollen. Genauer: Sie wollen keine fotografischen Abbildungen von Werken zulassen oder zumindest genau kontrollieren und bestimmen, an welchen Orten und zu welchen Zwecken ein Werk reproduziert werden darf.

Zuerst ein paar typische Fälle.(1) Herausgeber von Schulbüchern oder Einführungswerken zu Teilbereichen der Kunstgeschichte klagen vermehrt darüber, dass ihnen Abbildungsgenehmigungen mit dem Argument vorenthalten werden, die Publikation sei ihrem Charakter nach zu billig. Dass die Bücher in renommierten Verlagen erscheinen, hohe Auflagen haben und vor allem kanonbildende Funktion besitzen, zählt für die Urheber oder deren Rechtsnachfolger offenbar weniger als der Umstand, dass ein Werk vielleicht nur in Schwarz-Weiß oder in einem relativ kleinen Format reproduziert werden könnte.

Auf Architektur spezialisierte Fotografen machen mittlerweile immer wieder die Erfahrung, dass ihnen die Publikation von Gebäudeaufnahmen, die nicht im Auftrag der Architekten entstanden sind, untersagt wird. Im Inneren der Gebäude wird ihnen oft sogar das Fotografieren selbst untersagt. Veröffentlicht werden nur Abbildungen, die der Sichtweise der Architekten entsprechen; oft handelt es sich dabei zudem um retuschierte Fotografien.

Auch Kunstfälscher - wie zum Beispiel Wolfgang Beltracchi (2) - können sich auf das Urheberrecht berufen und Abbildungen ihrer Fälschungen verhindern. Dass sich deren Machart deshalb nicht - etwa durch Vergleichsabbildungen - analysieren und sichtbar machen lässt, erschwert es, noch in Umlauf befindliche Fälschungen zu enttarnen.

In manchen Fällen versuchen Künstler sogar, Abbildungen verbieten zu lassen, die gar nicht eines ihrer eigenen Werke zeigen, sondern diese persiflieren, karikieren oder in einem anderen Medium - ohne eigenen Kunstanspruch - nachstellen. Sie berufen sich dann - ähnlich wie ein Unternehmen im Fall eines Geschmacksmusters - darauf, Urheber einer Bildidee oder einer bildnerischen Eigenheit zu sein, die nicht ohne Erlaubnis variiert werden dürfe.

Aber selbst Wissenschaftler, die über Künstler publizieren, welche ihre Rechte von einer Verwertungsgesellschaft vertreten lassen, werden gelegentlich damit konfrontiert, dass man ihnen eine Reproduktionserlaubnis verwehrt. So machen es einige Künstler - zum Beispiel Andreas Gursky (3) - zur Bedingung, dass ihre Werke in Farbe reproduziert werden. Das aber behindert - wegen der dann nicht finanzierbaren erhöhten Druckkosten - insbesondere Autoren von Doktorarbeiten, wissenschaftlichen Sammelbänden oder unabhängigen Büchern; Texte, die sich, vielleicht auch analytisch-kritisch mit der Ikonografie oder den Sujets des Künstlers befassen und die deshalb auf Abbildungen als Grundlage und Verifizierung einer Argumentation angewiesen sind, können im Extremfall gar nicht publiziert werden.




Andere Künstler schließen plötzlich einzelne ihrer Werke oder gesamte Werkphasen aus ihrem Œuvre aus, so dass die Verwertungsgesellschaften darüber nicht mehr verfügen können und Autoren, die entsprechende Werke reproduzieren wollen, beim Urheber direkt anfragen müssen, der eine Abbildungsgenehmigung dann aber mit hoher Wahrscheinlichkeit verweigert. Auf diese Weise können Künstler - wie zum Beispiel Neo Rauch (4) - verhindern, dass Werke, von denen sie sich nachträglich distanzieren, überhaupt noch abgebildet werden; diese verschwinden gänzlich aus der Öffentlichkeit und dem Diskurs.

Bei Künstlern und Architekten, die sich nicht durch eine Verwertungsgesellschaft vertreten lassen, ist es inzwischen fast schon die Regel, dass Autoren, die um eine Reproduktionserlaubnis ersuchen, ihren Text vorlegen müssen. Die Erlaubnis wird nur erteilt, wenn der Text im Sinne des Urhebers ist. Aber nicht nur im Fall einer kritischen Auseinandersetzung und Interpretation darf der Autor die gewünschten Bilder nicht abdrucken; zum Teil verlangen Künstler - wie zum Beispiel Doug Aitken (5) - vielmehr auch, dass Fakten - etwa Zitate aus andernorts bereits publizierten Interviews - gestrichen werden, die nicht in das Bild passen, das sie selbst gerne von sich und ihrem Werk zeichnen. Oft wird eine Abbildungsgenehmigung auch verweigert, um den Urheber nicht in Verbindung mit bestimmten anderen Künstlern auftauchen zu lassen. Gerade Stiftungen, die das Werk eines bereits verstorbenen Künstlers betreuen, machen zum Teil sehr strenge Vorschriften, in welchen Kontexten etwas abgebildet werden darf - und in welchen nicht.

Zwar gilt für wissenschaftliche Publikationen ein Zitatrecht, so dass in gewissem Umfang Werke auch ohne eigene Genehmigung reproduziert werden können, doch ist es nicht umfassend genug, um in vielen der geschilderten Fälle entscheidend weiterzuhelfen. So erlaubt das Zitatrecht nur ziemlich kleine Abbildungen, weshalb sich bei der Wiedergabe etwa von Architekturplänen oder großformatigen Gemälden kaum noch etwas erkennen lässt. Und sollen von einem Künstler viele Werke auf einmal reproduziert werden, fällt das nicht mehr unter das Zitatrecht, so dass sich die Publikation monografischer Arbeiten tatsächlich verhindern lässt, wenn der betreffende Künstler oder seine Rechtsnachfolger keine Reproduktionsgenehmigung erteilen. Verlage sehen mittlerweile oft davon ab, sich in Zweifelsfällen auf das Zitatrecht zu berufen, da sie die Sorge haben, dass - zumal erfolgreiche - Künstler sie nicht nur verklagen, sondern auch bessere Möglichkeiten besitzen, ihren Standpunkt mithilfe guter und teurer Anwälte vor Gericht durchzusetzen. Ein verlorener Prozess kann aber für einen kleinen Wissenschaftsverlag existenzielle Folgen haben, weshalb lieber von vornherein gegen eine eventuell problematische Publikation entschieden wird.

So unterschiedlich darüber geurteilt werden mag, welche Fälle von Verhinderungspolitik man für nachvollziehbar, welche hingegen für skandalös hält, so kommen doch alle darin überein, dass die Rechteinhaber mithilfe des Urheberrechts Einfluss auf die Interpretation und Imagebildung von Kunst und Architektur nehmen. Sollten Urheber- und Verwertungsrechte ursprünglich sicherstellen, dass die Urheber selbst die ökonomischen Vorteile aus ihren Werken ziehen können, und deshalb regeln, unter welchen Bedingungen Dritte diese reproduzieren und vielleicht selbst eine Gewinnabsicht verfolgen dürfen, so wird dasselbe Recht heute zunehmend dazu eingesetzt, die Arbeit an den Werken - an ihren Inhalten und ihrer Bedeutung - fortzuschreiben. Indem Rechteinhaber steuern, in welchen Kontexten und mit welchen Konnotationen Werkreproduktionen auftauchen, begreifen sie die Rezeption von Kunst oder Architektur nicht als Vorgang, der auf die Produktion folgt und unabhängig davon ist, sondern als etwas, das selbst noch Teil des Werk- und Wertschöpfungsprozesses sein kann. Das Urheberrecht wird zum Instrument der Postproduktion.



Diese spielte auch früher schon eine Rolle. So setzten Künstler ihre Werke etwa mit einem Rahmen, einem Titel, einem Sockel in Szene, Stilrichtungen und Programme wurden auf Veranlassung der Urheber von Kritikern oder Kunstschriftstellern lanciert, gelabelt und in kunsthistorische Genealogien eingeordnet; genauso gezielt brachte man Künstleranekdoten in Umlauf oder betrieb auf andere Weise Imagepolitik. Infolge der wachsenden Bedeutung von Medien wurde es Künstlern ferner möglich, ihren Werken etwa durch Interviews oder Homestories zu einem größeren Echo zu verhelfen. Vermutlich könnte man durch entsprechende Forschung sogar herausfinden, dass gerade viele der berühmtesten und erfolgreichsten Künstler immer schon versucht haben, die Rezeption ihres Œuvres möglichst weitgehend und lange zu kontrollieren. Ihr Gestaltungsdrang endete nicht in dem Moment, in dem ein Werk signiert oder verkauft war, sondern umfasste genauso alle Situationen, in denen es, sei es im Original oder als Sujet der Medien, auftauchte.

Mit Hilfe des Urheberrechts die Wirkungsgeschichte mitbestimmen zu wollen, erweitert also nur das Repertoire längst üblicher Praktiken künstlerischer Postproduktion. Doch sollte ein Unterschied nicht übersehen werden. Waren die bisherigen Spielarten der Einflussnahme auf die Rezeption darauf ausgerichtet, Werke noch besser zu präsentieren, ihnen zusätzliche oder neue Bedeutungsnuancen zu verleihen oder sie nachträglich zu pointieren, so wird das Urheberrecht dazu benutzt, bestimmte Formen der Werkrezeption zu unterbinden, anderen also die Mitwirkung daran zu erschweren oder sogar ganz zu versagen. Wenn ein Architekt verbietet, dass ein Fotograf sich mit unabhängigem Blick einem Gebäude widmet, verhindert er mit den Fotos zugleich ein neues Werk. Und wenn ein Wissenschaftler eine Forschungsarbeit über einen Künstler nicht publizieren kann, weil die Argumentation ohne Anschauungsmaterial stumpf oder nicht nachvollziehbar wäre, ist die Berufung des Künstlers auf sein Urheberrecht gleichbedeutend mit der Störung oder gar Zerstörung einer Leistung, die, würde sie in ihrer Existenz nicht behindert, ihrerseits ganz selbstverständlich urheberrechtsfähig wäre.

Das Urheberrecht des einen führt also zur Beschränkung der Freiheitsrechte von anderen, so dass man es bei den geschilderten Praktiken mit einer einmalig aggressiven Form künstlerischer Postproduktion zu tun hat. Da die meisten Bestimmungen des Urheberrechts in ihren Grundzügen schon seit mehreren Generationen ziemlich unverändert bestehen, es aber erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts vermehrt dazu kommt, Formen der Rezeption mit Hilfe dieses Rechts zu lenken und zu unterbinden, stellt sich die Frage nach möglichen Gründen für diese relativ junge Praxis. Gab es lange nur den Topos der Künstlerwitwe, die als pflichtbewusste Nachlassverwalterin mehr verhindert als erlaubt hat, deren Verhalten aber psychologisch meist gut zu erklären war, so hat eine auf Verweigerungen ausgerichtete Rezeptionspolitik mittlerweile ganze Sparten von Künstlern und Architekten erfasst, deren Vorgehen aber weniger von starken Emotionen als von einer Veränderung - und Professionalisierung - ihres Selbstverständnisses zeugt.

Daher mutet ein Maler wie Markus Lüpertz inzwischen beinahe altmodisch an, wenn er erklärt, ein Kunstwerk sei "nicht zu besitzen, weil es ein Schlachtfeld ist", als solches aber "vogelfrei und ungeschützt"; "...kein Schlachtfeld gereicht irgendeinem Menschen zum Eigentum". Vielmehr könne jeder damit machen, was er wolle: "Ungerührt sieht der Künstler zu, weil er all dies weder forcieren noch beeinflussen will". (6) Dahinter steht die romantische Vorstellung, Kunst sei ein öffentliches Gut, da sich in ihr etwas ausdrücke, was für grundsätzlich alle Menschen relevant sei. Die Metapher des Schlachtfelds kennzeichnet das Kunstwerk näher als einen Ort, an dem sich diverse gesellschaftliche Mächte in all ihren oft unvereinbaren Energien konzentrieren. Der Künstler als Seismograf spürt diese Mächte stärker als andere, er verhilft ihnen zum Ausdruck. Da er oft selbst nicht weiß, wie ihm geschieht, kann er sein Werk nicht als sein privates Eigentum ansehen; als Genie (als das er sich versteht) ist er lediglich Medium dessen, was sich im Werk manifestiert. Dieses steht somit auch für sich, es ist autonom. Je großartiger es ist, desto weniger lässt es sich durch einen fremden Kontext oder eine kritische Interpretation beeinträchtigen, muss also auch nicht eigens geschützt werden. Bestenfalls bleibt es selbst noch als Sujet der Rezeption ein Schlachtfeld.

Dass jemand wie Lüpertz es als ebenso unnötig wie unehrenhaft ansieht, als Künstler die Rezeption seines Werks genau zu kontrollieren und zu begrenzen, verdankt sich somit einem starken Begriff von Werk. Ihn teilen viele jüngere Künstler nicht mehr. Sie bezweifeln, dass ein Kunstwerk wirklich autonom sein kann; ihrer Erfahrung und Überzeugung nach verändert vielmehr jeder Kontext und jede Assoziation seine Bedeutung. Entsprechend muss ein Künstler, der seine Tätigkeit ernst nimmt, Kontextsensibilität entwickeln, um rechtzeitig zu bemerken, wenn die Wahrnehmung seines Werks in eine Richtung geht, die seinen eigenen Intentionen zuwiderläuft.

Neben dem Werkbegriff ist aber auch der Begriff von Kunst - und vom Künstler - schwächer geworden. Viele Künstler verstehen sich nicht mehr als Genies, sondern als hochspezialisierte Ideenentwickler, deren Berufsbild sich, zumindest im Fall von Markterfolg, dem von Architekten, Designern, Regisseuren oder Modemachern annähert. Aufgrund ihrer Arbeits- und Gestaltungsleistung sehen sie sich als Eigentümer ihrer Werke, und selbst wenn sie diese verkauft haben, verlieren sie nicht das Interesse daran, positiv auf ihre Reputation und Relevanz einzuwirken. Urheberrechte nehmen sie als Eigentümer ganz selbstverständlich in Anspruch, und gerade weil sie die Kunst nicht mehr als öffentliches Gut betrachten, geraten sie auch in keinen Gewissenskonflikt, wenn sie Reproduktionen untersagen und eine möglichst weite und vielfältige Verbreitung ihrer Werke verhindern.

Außerdem liegt es in der Konsequenz von Eigentumsansprüchen, wenn Fragen nach dem Marktwert in den Vordergrund geraten. Mit der Postproduktion wird daher mehr denn je das Ziel der Wertschöpfung verfolgt. Es geht darum, ein Werk so in Szene zu setzen, dass es in irgendeiner Hinsicht als superlativisch oder spektakulär erscheint, um das Interesse von Sammlern anzufachen, die damit ihren gesellschaftlichen Status erhöhen können. Bevorzugt reproduziert man ein Werk also in Ausstellungs- und Auktionskatalogen, wo kritisch-distanzierte Texte von vornherein ausgeschlossen sind und wo der Urheber oft sogar direkten Einfluss auf die Auswahl und inhaltlichen Schwerpunkte der Autoren hat.

Tatsächlich findet die öffentliche Meinungsbildung über bildende Kunst - anders als im Fall von Literatur oder Musik - mittlerweile fast ausschließlich durch Publikationen statt, die einseitig auf Imageoptimierung ausgelegt sind und den Charakter von Werbung besitzen. Auch das mag das restriktive Verhalten etlicher Künstler, ja ihr Verständnis des Urheberrechts als Kontrollrecht erklären, sind sie doch einfach nicht mehr daran gewöhnt, dass unabhängig von ihnen und ihrem engeren kunstbetrieblichen Umfeld über sie geschrieben wird. Vielleicht sind sie sogar nicht einmal besonders empfindlich gegenüber Kritik, finden aber die Vorstellung irritierend und sogar etwas unheimlich, der Rezeption ihrer Werke freien Lauf zu lassen. Sie benehmen sich damit nicht anders als Unternehmen und Hersteller von Markenartikeln, für die es schon lange selbstverständlich ist, dass Namen, Logos und Elemente des Corporate Design, die das eigene Image konstituieren, nur von ihnen selbst in die Öffentlichkeit gebracht werden, während jede andere Verwendung, selbst ohne jeglichen kommerziellen Hintergrund, streng untersagt wird.

Zudem kann es auch unabhängig von inhaltlichen und kontextspezifischen Erwägungen im Interesse der Urheber sein, Abbildungen von Werken nicht zu oft und vor allem nicht beliebig zu publizieren. Dann bleiben sie nämlich selten und exklusiv. An die Logik des Marktes gewöhnt, haben Künstler sich die "déformation professionelle" zugelegt, Knappheit "per se" als Wert anzusehen. Daher setzen sie im Bereich fotografischer Werkreproduktion auch nur fort, was sie im Umgang mit Originalen gelernt haben.

Dabei müssen sie eine Reproduktion nicht einmal ausdrücklich verbieten, um sie dennoch verhindern zu können - zumindest sofern sie sich nicht von einer Verwertungsgesellschaft vertreten lassen. Es genügt, auf Anfragen nicht zu antworten - dies eine Praxis, die ebenfalls immer mehr um sich greift. Und dafür, dass Urheber die Zahl der Werkreproduktionen gering halten wollen (statt mit ihnen noch etwas Geld zu verdienen), gibt es ein weiteres Indiz. So tun sich manchmal selbst professionelle Bildredakteure schwer, die Adresse eines Urhebers oder Rechteinhabers ausfindig zu machen. Statt auf Transparenz zu achten und eine Kontaktaufnahme möglichst unkompliziert zu gestalten, spielen Künstler also lieber ein Versteckspiel, während Galerien häufig nur wechselseitig aufeinander verweisen und die Zuständigkeit jeweils dementieren. Auf diese Weise scheitert mancher Anfrageversuch; Zeit und vielleicht auch Geld (für bildredaktionelle Dienstleistungen) ist verloren. Nach und nach lernen Autoren daraus und gewöhnen sich an, auf Bildbeispiele zu verzichten - dies letztlich ein Erfolg für Urheber, die auf Verknappung aus sind.

Da sich nicht nur Künstler in ihrem Selbstverständnis, sondern in der Konsequenz ebenso ihre Werke anderen Bereichen - wie Design oder Mode - annähern, andererseits Kunst aber nach wie vor als etwas Besonderes wahrgenommen werden soll, haben Strategien der Verknappung erst recht große Konjunktur. Denn nur wenn es sich um Unikate oder Editionen mit sehr kleinen Auflagen handelt, ist die gewünschte Differenz von bildender Kunst zu Designermöbeln oder Mode aufrechtzuerhalten, wo im Allgemeinen - außer man orientiert sich seinerseits an der Kunst - keine Auflagenhöhe vorab festgelegt, sondern flexibel auf die Nachfrage reagiert wird. Dass sich damit aber eher infolge von Geschäftsmodellen als durch Formen und Inhalte entscheidet, was als Kunst anerkannt wird, verleiht dem Markt eine zentrale Rolle. Während früher galt, dass etwas teuer war, weil es Kunst war (und als solche über einzigartige Eigenschaften verfügte), gilt heute oft eher das Umgekehrte, weshalb etwas als Kunst gilt, weil es teuer ist (und nur der besonders hohe Preis diese von anderem unterscheidet).

Beispielhaft lässt sich an der Fotografie nachvollziehen, was es bedeutet, dass ein Geschäftsmodell übernommen wird, das aus dem Bereich der Kunst stammt. Bekanntlich gab es schon im 19. Jahrhundert etliche Fotografen, die für ihr Metier Kunstwürde beanspruchten. Deshalb näherten sie ihre Bilder in Faktur und Erscheinungsweise etablierten Kunstgattungen an, woraus etwa die Richtung des Piktoralismus entstand. Seit den 1970er Jahren jedoch, als Fotografie tatsächlich als Kunst Anerkennung zu finden begann, passt man sich dieser viel lieber hinsichtlich der Produktvermarktung an. Obwohl es bei Fotografien, egal ob analog oder digital, keinen Grund gibt, Auflagen zu limitieren, da technisch beliebig viele Abzüge beziehungsweise Ausdrucke möglich sind, haben viele Fotografen sich auf die Logik der Verknappung eingelassen. Auf einmal gibt es für Fotografien also genauso niedrige Auflagenzahlen wie für Bronzegüsse, ja meist noch niedrigere als für Druckgrafiken. Ein Großteil der heute berühmtesten Fotografien existiert nur in einer Auflage zwischen drei und sieben Exemplaren. (7)

    Ein Zeitzeuge dieses Wandels ist Ansel Adams, der sich in seiner Autobiografie kritisch über derartige Limitierungen äußert. Zwar ließ er sich einmal auch darauf ein und machte Negative unbrauchbar, nachdem er eine vorab festgelegte Zahl von hundert Abzügen entwickelt hatte, bereute das aber später ("I know now that I was wrong") und vertrat die Überzeugung, eine solche Praxis gehe lediglich mit den Regeln des Marktes, aber nicht mit dem Medium Fotografie konform ("the destruction of the negative I believe to be an affectation, true to traditions of commerce, but not true to the medium itself"). Den Wert der künstlich erzeugten Knappheit könne er nicht höher schätzen als den Wert schöpferischer Kraft ("I cannot accept the value of artificially produced scarcity as more important than the value of creative production"). (8)

Als besonders verhängnisvoll sieht er die Zerstörung von Negativen an, weil sie für ihn der Interpretation bedürfen, also höchst unterschiedlich in Positive übertragen werden können. Dabei zeigt er sich überzeugt, dass nicht nur der Fotograf selbst, sondern ebenso andere und künftige, vielleicht mit besseren Techniken ausgerüstete Menschen immer wieder neue Qualitäten in einem Negativ entdecken und dieses daher noch eindrucksvoller übersetzen können ("If I could return in twenty years or so I would hope to see astounding interpretations of my most expressive images"). (9) Die einmalige Limitierung der Auflagenhöhe verhindert aber, dass das Potenzial eines Bildes jemals erschlossen werden kann. Damit führt eine kurzfristige merkantile Überlegung - der Wunsch nach Profitsteigerung durch Verknappung - letztlich zu einem dauerhaften Verzicht auf zusätzliche künstlerische Möglichkeiten.

Das Argument von Adams lässt sich weiterführen und von der Limitierung der Originale auf einen restriktiven Umgang mit Reproduktionen übertragen. Je stärker diese verknappt oder in bestimmten Kontexten gänzlich unterbunden werden, desto weniger lässt sich auch hier ausloten, welche Qualitäten, Bedeutungen und Interpretationsmöglichkeiten in einem Werk stecken. Selbst wenn ein Autor ein Werk kritisch analysiert, können sich daran vielleicht Stärken zeigen, die sonst unbemerkt blieben; darüber hinaus weckt eine Kritik möglicherweise Widerspruch, woraus eine Debatte erwächst, als deren Mittelpunkt das betreffende Werk an Aufmerksamkeit und allein damit an Relevanz gewinnt. Umgekehrt droht eine sterile und einseitige Wahrnehmung, wenn Werkabbildungen nur an Orten zugelassen sind, an denen es darum geht, den Marktwert und das Image eines Œuvres zu steigern; aus Monotonie wird schnell Überdruss, was dem betreffenden Werk letztlich sogar schadet.

Tatsächlich scheinen bei einigen Rechteinhabern erste Bedenken aufzukommen, ob ein restriktiver Umgang mit Abbildungswünschen, also das Verweigern von Reproduktionsgenehmigungen oder auch die Festsetzung abschreckend hoher Tarife für Abbildungen, auf längere Sicht nicht zu einem Schwund an Aufmerksamkeit und sogar zu einem Wertverfall führen könnte. Im Februar 2016 hat die Robert Rauschenberg Foundation als erste Stiftung ihrer Art deshalb die Entscheidung getroffen, die Werke Rauschenbergs für Wissenschaft und Unterricht, aber auch für die Verwendung in den sozialen Medien freizugeben. Künftig muss - ganz im Sinne der ursprünglichen Idee des Urheberrechts - nur noch eine Abbildungserlaubnis einholen und Gebühren zahlen, wer Werke kommerziell oder zu werblichen Zwecken nutzen will. Ausdrücklich will die Stiftung mit ihrer neuen Strategie erreichen, dass Rauschenbergs Werke größere Verbreitung finden ("it wants the images to flow freely") und der Künstler einen höheren Stellenwert im weiteren Kunstdiskurs einnimmt. (10)

Diese Entscheidung dürfte vor allem auch dem Umstand geschuldet sein, dass sich mit der Digitalisierung, vor allem jedoch mit dem Aufkommen der Sozialen Medien ebenso neuartige wie virulente Formen des Umgangs mit Bildern - nicht zuletzt mit Werkreproduktionen - entwickeln. Auf Plattformen wie Tumblr, Pinterest und Facebook werden Bilder nicht nur wie ehedem Postkarten verschickt, um damit zu kommunizieren, sondern sie werden von diversen Usern nach den unterschiedlichsten und überraschendsten Themen oder formalen Eigenschaften angeordnet, in immer wieder andere Konstellationen gebracht, mit wechselnden Hashtags - und damit Bedeutungen - versehen, nicht selten auch digital bearbeitet und als Grundlage für Meme, Bildwitze oder Bekenntnisse verwendet. Da dies alles wie selbstverständlich und völlig arglos geschieht, ohne dass sich jemand um Urheberrechte Gedanken macht, finden täglich millionenfach Urheberrechtsverletzungen statt. Diese sind sogar so zahlreich, dass sie kaum konsequent zu ahnden sind, was es denjenigen, die doch einmal eine Abmahnung erreicht, erst recht willkürlich und unberechtigt erscheinen lässt, für die Verwendung eines Bildwerks zahlen zu müssen.

Ist kaum vorstellbar, dass sich die Dynamik, mit der Bilder in den sozialen Medien zum Einsatz kommen, noch einmal bremsen lässt, selbst wenn in viel größerem Umfang als bisher abgemahnt würde, so bedeutet dies eine gravierende Veränderung für die Modalitäten, nach denen fortan Inhalte kollektiven Gedächtnisses sowie Kanons entstehen. Statt eines exklusiven Kreises von Kunstsammlern sowie Kunstinstitutionen bestimmt von nun an eine viel größere Anzahl von Usern darüber, welche Werke sichtbar sind, prominent Aufmerksamkeit bekommen, vielfältig angeeignet werden oder gar ikonischen Status erlangen. Rechteinhaber, die sich darum bemühen, den Bilderfluss einzudämmen oder gar komplett zu regulieren, um an tradierten Praktiken der Imagebildung und Bedeutungsstiftung festzuhalten, laufen daher Gefahr, ins Hintertreffen gegenüber einer weniger restriktiv agierenden Konkurrenz zu geraten und schlimmstenfalls sogar völlig im Abseits zu landen. So sehr der Kunstmarkt einer Verknappungslogik gehorchen mag, so wenig passt diese zum Geist der Sozialen Medien. Mit ihnen erwächst dem Kunstbetrieb aktuell also erstmalig eine ernstzunehmende Gegeninstanz, die mittelfristig sämtliche bisherigen Geschäftsmodelle obsolet werden lassen könnte.

Allerdings scheint das nicht zwangsläufig zu sein. Vielleicht sehen Künstler und Rechteinhaber den freien Umgang mit Bildern in den sozialen Medien auch als Chance, die Kunst mehr denn je als etwas Exklusives zur Geltung zu bringen. Gerade wenn Bilder allenthalben im Überfluss vorhanden sind, kann Knappheit zu einer gewaltigen Luxuserfahrung werden. Die Auseinandersetzung mit Kunst nähert sich dann eventuell sogar Praktiken eines Geheimkults an; Werke, denen besondere Bedeutung zukommen soll, werden künftig überhaupt nicht reproduziert, vielleicht nicht einmal öffentlich gezeigt.

Die aktuelle Gebührenpolitik der meisten Verwertungsgesellschaften könnte zu dem Schluss verführen, es sei tatsächlich eine Arkanisierung der Kunst angestrebt. So kommt die Nutzung eines Werkes, das auf einer Website reproduziert wird, in den meisten Fällen erheblich teurer als die Abbildung in einer Printpublikation. Die Differenz entsteht vor allem, weil bei Druckerzeugnissen nur einmalig eine Gebühr zu zahlen ist, während bei Veröffentlichungen im Internet im Allgemeinen nach Monaten gerechnet wird oder aber nach einem Jahr eine erneute Lizensierung erfolgen muss. (11) So addieren sich die Beträge rasch zu hohen - zum Teil absurd hohen, unbezahlbaren - Summen. Diese Praxis entbehrt jeglicher logischen Grundlage, sind doch Bücher viel stärker als Websites auf Dauer angelegt, werden also auch nach Jahren und Jahrzehnten noch rezipiert. Man könnte das Vorgehen der Verwertungsgesellschaften als prohibitiv bezeichnen; sie sehen das Internet offenbar als schmutzigen, unseriösen Ort an, vor dem sie die von ihnen vertretenen Urheber und Werke schützen wollen. Auf die Wildnis der Sozialen Medien reagieren sie mit dem Versuch, streng exklusive Reservate einzurichten.

Sollte es bereits so weit sein, dass die Kunst ihren Sonderstatus nur noch wahren kann, weil bei Originalen wie Reproduktionen mehr denn je mit Strategien der Verknappung gearbeitet wird? Und werden die gigantischen Preissteigerungen und Umsätze, die der Kunstmarkt dadurch erlebt, im Rückblick vielleicht einmal als Angstblüte erscheinen? Als ein hektischer Versuch, alte Geschäftsmodelle zu erhalten, während Bilder im Allgemeinen und Kunst im Besonderen in der digitalen Online-Welt schon in einer Dimension zu öffentlichen Gütern geworden sind, die selbst die kühnsten Romantiker überrascht haben dürfte?

Vielleicht wird es bald üblich werden, Urheber, die ihr Werk mit unnötig limitierten Auflagen, vor allem aber durch Abbildungsrestriktionen künstlich exklusiv halten, mit Misstrauen zu betrachten. Ihr Verhalten wird als Indiz dafür gelten, dass der Wunsch nach Erfolg auf dem Kunstmarkt größer ist als der Wunsch danach, mit den Werken bei möglichst vielen anderen Menschen etwas zu bewirken, ihnen neue Sichtweisen oder starke Gefühle zu bereiten und insgesamt die Gesellschaft zu verändern. Und so werden die Bilderverbote, denen in diesem Fall ja keine Angst vor Bildern und ihrer Wirkung zugrunde liegt, als Beleg für mangelndes Sendungsbewusstsein der Urheber interpretiert. Dass sie nicht an Diskurs und Debatten interessiert sind, wird als Schwäche empfunden. Und schließlich wird sich der Verdacht nicht mehr ausräumen lassen, dass auch die derart exklusiv gehaltenen und geschützten Werke schwach sein könnten.

Wolfgang Ullrich

1 Im Folgenden beziehe ich mich auf Fälle, die mir seit Februar 2016 infolge einer Anfrage mitgeteilt wurden, die ich über das Kunstwissenschaftsnetzwerk arthist.net an Fachkolleginnen und -kollegen richtete. - Siehe unter: http://arthist.net/archive/12261.

2 Vgl. Tina Öcal: "'Imagines ad aemulationem excitant' - Kunst- und sozialtheoretische Überlegungen zu den Fälschungen Wolfgang Beltracchis im Fokus frühneuzeitlicher Überbietungsdynamiken", in: Imago. Interdisziplinäres Jahrbuch für Psychoanalyse und Ästhetik 2 (2013), S. 181-193.

3 Vgl. Wolfgang Ullrich: "Stellungnahme des Autors zu den Abbildungsverboten in 'Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust'", auf: https://ideenfreiheit.files.wordpress.com/2016/01/siegerkunst-stellungnahme1.pdf.

4 Vgl. Frank Zöllner: "De-authentification and Authentification in and by the Contemporary Art Market. The Case of Neo Rauch", in: Ulrich Großmann/ Petra Krutisch (Hgg.): The Challenge of the Object/ Die Herausforderung des Objekts. CIHA Congress Proceedings, Nürnberg 2013, Band 2, S. 735-737.

5 Vgl. Ullrich, a.a.O. (Anm. 3).

6 Markus Lüpertz: "Der Kunst die Regeln geben." Ein Gespräch mit Heinrich Heil, Zürich 2005, S. 128. (Für den Hinweis auf dieses Zitat danke ich Isabel Hufschmidt.)

7 Vgl. Felix M. Michl: Die limitierte Auflage: Rechtsfragen zeitgenössischer Fotokunst, Heidelberg 2016 (auf: http://heiup.uni-heidelberg.de/catalog/book/102).

8 Ansel Adams: An Autobiography (1985), New York 2015, S. 305f.

9 Ebd., S. 305.

10 Randy Kennedy: "Rauschenberg Foundation Eases Copyright Restrictions on Art", in: New York Times vom 28. Februar 2016, auf: http://www.nytimes.com/2016/02/27/arts/design/rauschenberg-foundation-eases-copyright-restrictions-on-art.html?_r=0.

11 Vgl. z.B. http://www.bildkunst.de/fileadmin/User_upload/downloads/pdf_tarife_2016/Internet_Tarif2016.pdf; https://www.dacs.org.uk/licensing-works/price-lists/digital-publications-and-apps/other-digital-uses.aspx#duration; http://www.arsny.com/read-me.