Essay

Monströse Unterstellungen

Von Lothar Struck
31.10.2019. "Spuren eines Irrläufers" betitelt Alida Bremer ihren Text über Peter Handke. Aber wer läuft da in die Irre mit ihren rhetorischen Verrenkungen, mit denen man jeden zur Bestie, zum Neurechten oder zu einem "Relativierer" macht? Es geht inzwischen längst nicht mehr um diesen oder jenen Satz. Es geht um die Diffamierung eines literarischen Werks. Eine Replik.
Ausgerechnet Handke, der sich immer wieder für den Erhalt des Vielvölkerstaates Jugoslawien ausgesprochen hatte, der noch 1992 mit der kleinen Erzählung "Die Kopfbedeckungen von Skopje" das bereits lädierte vom Hass zerfressene Land noch einmal als multiethnisches Idyll heraufbeschwor - ausgerechnet einem solchen Mann wird im Perlentaucher-Artikel von Alida Bremer vom 25. Oktober neurechtes Denken unterstellt? Ausgerechnet Handke, der die Schriften von Ibn ʿArabī und Al-Ghazāl schätzt und auch den Koran nebst der Exegese einer Angelika Neuwirth studiert hat, wird unterschwellig als islamophob dargestellt. Der Handke, der, wenn man Briefe von ihm bekommt, zuweilen arabische Zeichen in der Absenderangabe einfügt.
 
Bremer nimmt für sich in Anspruch, Handke gelesen zu haben und zitiert aus seinen Büchern. Freilich dekontextualisiert sie Zitate, bricht ab, wo man weiterzitieren müsste oder lässt Anfänge weg. Handke säe Zweifel, schreibt sie, als sei dies per se falsch. Tatsächlich sät Handke Zweifel, aber nicht an den Verbrechen, sondern an deren medialer Auskleidung, den Sensationalisierungen und Einseitigkeiten des Journalismus.
 
Sie hat ein ein "Interview" von Handke von 2011 mit wirklich üblen Gestalten aufgestöbert. Längst ist ja der Tatbestand der "Kontaktschuld" eingeführt worden, der in der Vergangenheit u. a. aus Christian Kracht und Simon Strauß Protagonisten neurechten Denkens machte. Handke hat inzwischen Stellung bezogen (mehr hier) zu diesem Text. Egal. Der vermeintliche Splitter ist gefunden (nicht im Werk, sondern anderswo). Man wähnt sich am Ziel, der Schauprozess läuft auf Hochtouren.
 
Dass ich als "Bewunderer" Handkes eingestuft werde - geschenkt. Die Absicht ist klar: Lästige Kritiker der Kritiker werden zu Gemeindemitgliedern erklärt. Hätte sie ihre Scheuklappen ablegt, wäre ihr nicht entgangen, dass ich (unter anderem) einige Passagen aus dem "Sommerlichen Nachtrag" für schwach halte. Sie hätte mitbekommen, dass ich einige seiner Serbien- oder Jugoslawien-Texte und -Handlungen gar nicht so schätze, weil sie Ausbund von Zorn und Trotz sind, und das sind meist keine guten Schreibgefährten. Sie hätte zur Kenntnis nehmen müssen, dass ich keinesfalls die historischen Komponenten übersehen habe, sondern aus den Berichten des ICTY zitiere, etliche Zeitungsartikel und Fachliteratur wie Holm Sundhaussens "Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011" heranziehe. In meinem Buch zitiere ich sehr viele Handke-Kritiken. Bremers pauschale Unterstellung, die "Handke-Verteidiger" hätten ihre Informationen über Jugoslawien nur von Handke, ist nicht nur unwahr, sondern geradezu gehässig.
 
Handke bediene, so Bremer denunziatorisch, das Narrativ der Rechten, in dem er sage, die ganze westliche Presse lüge. Das ist falsch, denn Handke nennt konkrete Texte, wie beispielsweise diejenigen des ehemaligen Mitherausgebers der FAZ Johann Georg Reißmüller, die, wenn man sie heute liest, vor Parteinahme für das Tudjman-Kroatien geradezu strotzen.

Die "Kritikerin" macht bei Handke einen "Hass" auf das Haager Tribunal aus. Wenn sie genau gelesen hätte und nicht ihrem Ressentiment erlegen wäre, hätte sie eine differenziertere Betrachtung vornehmen können. "Gericht muß wohl sein", schreibt Handke in den "Tablas von Daimiel". "Gericht: ja - aber nicht dieses. Verfahren: ja - aber nicht auf dieser Grundlage." Denn wie steht es um die Objektivität eines Gerichts, wenn man medial bereits derart "vorinformiert" über die Angeklagten ist? Man muss diese Bedenken nicht teilen, aber sie sind weit entfernt von dem, was Bremer unterstellt.
 
Man könnte diese Propaganda und all die windschiefen Figuren, die ihr applaudieren, auf sich beruhen lassen, wenn da nicht eine Kleinigkeit wäre, die am Ende gar keine Kleinigkeit ist, sondern in einer monströsen Unterstellung gipfelt. Bremer beginnt ihren Aufsatz mit einem Ausspruch von Marcel Reich-Ranicki, der Handke-Leser als "Gemeinde" sah, und spinnt den Faden weiter: Sie zitiert eine Passage aus einem Buch von Handke, in der ein keifender Hund beschrieben wird, den sie als Anspielung auf Reich-Ranicki sieht. Man ahnt, wohin die Reise geht. Am Ende ihres Aufsatzes suggeriert sie schließlich, dass Handke ein Antisemit sei, und verknüpft ihn beziehungsweise sein Werk mit Breivik und anderen Massenmördern. Das ist infam.
 
"Spuren eines Irrläufers" betitelt Bremer ihren Text. Aber wer läuft da in die Irre mit ihren rhetorischen Verrenkungen, mit denen man jeden zur Bestie, zum Neurechten oder zu einem "Relativierer" macht. Es geht inzwischen längst nicht mehr um diesen oder jenen Satz. Es geht um die Diffamierung eines literarischen Werks und mit ihm gleich noch um die Vernichtung einer Person. Bremers Volten, ihre Unterstellungen, ihre Insinuationen machen ihren Aufsatz zu einem Dokument der Niedertracht.

Lothar Struck
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