Magazinrundschau
Die jenseitige Abstraktion des Klangs
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
Eurozine (Österreich), 30.04.2018
Merkur (Deutschland), 01.05.2018
Mag sein, dass die männliche, weiße Arbeiterbewegung nicht viel mit Genderfragen am Hut hatte, aber in Deutschland zumindest hat sie das Frauenwahlrecht durchgesetzt. Und all die Feministinnen, die heute so ungern Begriffe wie Klasse oder Proletariat in den Mund nehmen, erinnert Sabrina Habel an einige wichtige Erkenntnisse von Marx und Engels zum Thema Klasse und Geschlecht, Bourgeoisie und Proletariat: "Nach Engels gründet die Ehe auch, und das ist für die Diskussion des Klassenbegriffs und seine Verbindung zur Frauenbewegung wichtig, auf der historisch ersten Form der Arbeitsteilung, die eine Diskriminierung nach Geschlecht ist. Das Leben der Frau wird auf den Bereich der Kinderzeugung und auf die 'offene oder verhüllte Haussklaverei' eingeschränkt: 'Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit dem Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.' Noch in der bürgerlichen Ehe, die als freier Vertrag angelegt, aber selten ohne ökonomischen Zwang geschlossen ist, hat der Mann nach Engels eine 'Herrscherstellung' inne, die weit über seine juristische Bevorrechtung hinausgeht: 'Er ist in der Familie der Bourgeois, die Frau repräsentiert das Proletariat.'"
Weiteres: Kai Marchal schüttelt in seinem auf ZeitOnline lesbaren Text nur den Kopf über die Ignoranz der westlichen Philosophie: "Wie kann es sein, dass sich Philosophen im Westen immer wieder mit größter Selbstgewissheit gegen das Denken in anderen Kulturen abgrenzen, ohne dieses je gründlicher studiert zu haben?" Andreas Diorschel denkt über die Unklarheit nach und fragt zum Beispiel, warum über den unklaren Heidegger noch so viel nachgedacht wird, nicht aber über klare Philosophen wie Bertrand Russell und Karl Popper. Eine These: "Unklarheit ist die biedere Vorstufe der gewagten Unverständlichkeit."
Boston Review (USA), 20.04.2018
Ideas (Argentinien), 05.05.2018
New Yorker (USA), 14.05.2018
Außerdem: Caleb Crain stellt Robert Kuttners Buch "Can Democracy Survive Global Capitalism?" vor, das den Thesen des ungarischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlers Karl Polanyi neue Bedeutung verleihen will. Casey N. Cep stellt Zora Neale Hurstons Buch über den transatlantischen Sklavenhandel vor, das fast neun Jahrzehnte auf seine Veröffentlichung wartete. Peter Schjeldahl besucht die Soutine-Retrospektive im Jewish Museum in New York. Hua Hsu hört das neue Album des HipHoppers Post Malone. Anthony Lane sah im Kino Jason Reitmans "Tully" mit Charlize Theron.
Elet es Irodalom (Ungarn), 02.05.2018
Red Bull Music Academy (Österreich), 02.05.2018
New Statesman (UK), 07.05.2018
Wie so viele in diesen Tagen fragt auch Paul Mason, was von Marx noch übrig sei und hält ausgerechnet den Text hoch, der von wahren Marxisten im Giftschrank gehalten wurde: Das Pariser-Manuskript von 1844, in dem Marx schrieb, der Mensch müsse sich nicht nur vom Kapitalismus emanzipieren, sondern von sich selbst: "Das Manuskript von 1844 enthält eine Idee, die dem Marxismus abhanden gekommen ist: die Vorstellung vom Kommunismus als einem radikalen Humanismus. Kommunismus, sagte Marx, ist nicht nur die Aufhebung des Privateigentums, sondern die 'Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen... als vollständige Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, d. h. menschlichen Menschen.' Kommunismus, sagte Marx, sei nicht nicht das Ziel menschlicher Geschichte. Es ist nur die Form, die sich die Gesellschaft nach 40.000 Jahren hierarchischer Organisation geben wird. Das wahre Ziel menschlicher Geschichte ist individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung."
Bereits in der vorigen Woche blickte Chris Bickerton auf das Zerfall der Sozialdemokratie in Europa. Für ihn ist sie nicht nur Opfer der Globalisierung, sondern auch der europäischen Einigung: "Linke Politik glaubt zumindest an zwei zentrale Dinge: an die Macht der Politik über den Markt und an die Existenz eines politischen Akteurs - den Staat, das Parlament, die Partei - , der diese Macht ausüben kann. Wenn es aber keinen Akteur gibt, und keine Domäne, die wir noch wirklich politisch nennen können, macht dann sozialer Wandel durch gewählte Repräsentanten überhaupt noch Sinn? Die Ansicht, dass linke Politik machtlos gegenüber den entfesselten Kräften einer globalisierten Ökonomie ist, gilt mittlerweile als Klischee. Aber sie ist nie überzeugend widerlegt worden. Und es gibt keinen Beleg, dass die Europäische Union die Schwäche der Nationalstaaten ausgleichen kann. Die 'immer engere Union' scheint nationalen Regierungen Macht entzogen zu haben, ohne sie auf europäische Ebene neu gebündelt zu haben. Das lässt jedes politisches Projekt, das sich eindeutig auf die Macht einer Regierung verlässt, die Ungleichheiten des Kapitalismus auszugleichen, in einem unbequemen Niemandsland. Ohne echte Handlungsmacht ist es gefangen in dem, was der deutsche Soziologe Claus Offe, 'die europäische Falle' nennt. Für Offe lautet das Problem auf europäischer Ebene nicht: Was tun? Sondern: Wer könnte es denn?"
En attendant Nadeau (Frankreich), 24.04.2018
New York Review of Books (USA), 24.05.2018
Außerdem in der Ausgabe: Max Nelson schreibt über die Chantal-Akerman-Retrospektive in der Cinémathèque Française in Paris. Simon Head liest Bücher über Digitalisierung und Überwachung.